Protokoll der Sitzung vom 19.12.2013

6. Thüringen steht mit dem demografischen Wandel vor der womöglich größten gesellschaftlichen Herausforderung seit der deutschen Wiedervereinigung. Wir müssen in den kommenden Jahren in vielen Bereichen umsteuern, in einigen haben wir bereits damit begonnen. Ich nenne die Sanierung des Landeshaushalts, die Polizei- und Forstreform, die Reform der Schulämter, die Straffung der Arbeitsgerichte, die Bündelung der Sozialverwaltung.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Seit gestern ganz beson- ders.)

In der Landesverwaltung besteht weiterhin großer Handlungsbedarf, darüber habe ich im November im Plenum berichtet. Deshalb werden wir die Verwaltungsreform 2020 konsequent umsetzen. Dadurch wird Verwaltung schlanker, transparenter und günstiger.

(Beifall CDU)

7. Die Menschen in Thüringen vertrauen auf die Demokratie, sie bauen auf die Verfassung. Es ist und bleibt Aufgabe der Politik - jedes Einzelnen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen und für sie zu werben. Damit sich der Mensch frei entfalten kann, muss ihm das Recht auf Teilhabe gewährleistet sein. Niemand darf ausgeschlossen sein, auch dafür steht Thüringen.

(Beifall CDU, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, unsere Thüringer Verfassung hat uns den klaren Auftrag erteilt, die „Freiheit und Würde des Einzelnen zu achten, das Gemeinschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu ordnen“ - so formuliert es die Präambel unserer jetzt seit 20 Jahren bestehenden Landesverfassung. Wir müssen auf den Einzelnen setzen, der sich verantwortlich fühlt für sich, für den Nächsten und für das Ganze. Der Staat muss gewährleisten, dass sich der Einzelne nach seinen Talenten auch entfalten kann. Er muss Teilhabe ermöglichen. Aber er darf den Einzelnen nicht aus der Verantwortung für sich und das Gemeinwohl entlassen. Genau das bedarf der gemeinsamen Anstrengung von uns allen. Die Landesregierung wird weiter intensiv an der Gestaltung der dafür notwendigen bestmöglichen Rahmenbedingungen arbeiten. Der Thüringen-Monitor 2013 liefert uns dafür wichtige Impulse.

In diesem Sinn danke ich noch einmal den Autoren des Monitors und freue mich jetzt auf eine anregende Debatte hier im Hohen Haus. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin für die Regierungserklärung. Mir liegen aus allen Fraktionen Wortmeldungen vor, so dass ich davon ausgehe, dass alle die Aussprache zur Regierungserklärung wünschen, und in die treten wir ein. Gestatten Sie mir aber noch folgenden Hinweis: Gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 werden Beratungen zu Regierungserklärungen grundsätzlich in langer, also in doppelter Redezeit verhandelt. Ich eröffne die Aussprache und als Erste hat das Wort Frau Abgeordnete Hennig von der Fraktion DIE LINKE.

(Beifall DIE LINKE)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Damen und Herren Abgeordnete, mit Umfrageergebnissen ist das ein bisschen wie mit Wahlergebnissen - bei letzteren gibt es, mit Ausnahme vielleicht von der FDP, immer nur Gewinner. Genau das hat Frau Lieberknecht gerade gemacht. Also Umfrageergebnisse bestätigen in der Regel immer die eigene Po

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

litik und die Erfolge der eigenen Politik. Frau Lieberknecht hat gerade schöngefärbt, verharmlost, hat gewonnen und Sie haben etwas getan, was man mit wissenschaftlichen Ergebnissen nicht tun sollte: Sie haben sie an Beratungsresistenz grenzend uminterpretiert.

(Beifall DIE LINKE)

Zur Beseitigung von sozialer Ungleichheit verlieren Sie kein Wort, das ist auch kein Wunder, denn in Ihrer Interpretation des Thüringen-Monitors geht sie auch völlig unter. Und wie kann man jemandem die politische Verantwortung überlassen, der die Realitäten verkennt und nicht einmal bereit ist, diese anzuerkennen, wenn sie die von Ihnen beauftragten Wissenschaftler auf den Tisch legen? In diesem Sinne ist die Regierungserklärung von Frau Lieberknecht zur Einschätzung des zum 13. Mal vorgelegten Thüringen-Monitors wenig überraschend und war vorhersehbar. Eine oberflächliche Betrachtung jedenfalls, wonach grundsätzlich die Thüringer sowohl mit der eigenen Lebenssituation und der wirtschaftlichen Situation Thüringens zufrieden sind und sich demnach keine Veränderung gesellschaftlicher Lebensverhältnisse auch jenseits der ökonomischen Verhältnisse notwendig macht, ist eine kurzsichtige und instrumentelle Betrachtung einzelner Teilergebnisse.

(Beifall DIE LINKE)

Ich möchte mich im Namen der Fraktion DIE LINKE bei Herrn Prof. Best und seinem Team für die Studie und die geleistete Arbeit bedanken. Der Thüringen-Monitor bietet dem Thüringer Landtag, den Medien und der Öffentlichkeit seit dem Jahr 2000 mit bislang einer Ausnahme jährlich die Gelegenheit, die politische und gesellschaftliche Verfasstheit der Thüringer zu debattieren und darauf aufbauend politische Konzepte zu entwickeln, nicht etwa um als Landespolitiker zu gefallen, sondern um für eine freie und demokratische Gesellschaft gefährlichen Tendenzen politisch zu begegnen. Eine Schwäche hatte der Thüringen-Monitor bereits vor seiner jährlichen Erstellung: Die Auftragsvergabe und damit auch die jährliche Schwerpunktsetzung erfolgte allein durch die Thüringer Staatskanzlei. Wenn hier jetzt der Landtag einbezogen wird, begrüßen wir das natürlich.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: So ein Quatsch.)

„Wie leben wir? Wie wollen wir leben?“ Es geht einerseits um die objektive Betrachtung der sozioökonomischen Lage und die subjektive Betrachtung, die sich in Zufriedenheit, Wertegewichtung und gesellschaftlicher Orientierung ausdrücken soll. Es ist feststellbar, dass die Wachstumsraten in Thüringen und der Bundesrepublik seit dem Jahr 1998 nahezu identisch verlaufen. Nun kann man dies positiv in

dem Sinne interpretieren, dass Thüringen nicht nennenswert hinter eine Entwicklung zurückfällt, aber es ist beim Vergleich der prozentualen Wachstumsraten vielmehr so, dass sich die absolute Differenz aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsniveaus weiter auseinanderentwickeln wird. Das heißt, dass die Thüringer Wirtschaftskraft der Entwicklung in der Bundesrepublik hinterherläuft und dabei weiter zurückfällt. Das ist keine politische Interpretation, das ist Mathematik. Das ist nicht ohne Belang, erst recht nicht für politische Konzepte. Denn wenn nahe 40 Prozent der 18- bis 24-jährigen Thüringerinnen angibt, aus Thüringen sicher oder wahrscheinlich fortziehen zu wollen, dann hat dies auch damit zu tun, welche Lebensperspektiven in Thüringen gesehen werden oder an anderer Stelle als besser bewertet werden. Denn immerhin 34 Prozent der Befragten bewerten die Berufsaussichten in Thüringen als sehr oder eher schlecht und auch die Einschätzung der sogenannten weichen Faktoren wie Bildungs-, Freizeit- und Kulturangebote relativieren den hohen Grad an Zufriedenheit, der an anderer Stelle zum Ausdruck kommt. Von den Thüringerinnen und Thüringern bewerten etwa 70 Prozent ihre eigene finanzielle Situation und die wirtschaftliche Lage in Thüringen als sehr gut oder gut. Aber nur die Hälfte der Zufriedenen, also insgesamt 35 Prozent, bewertet die wirtschaftliche Lage in Thüringen als besser gegenüber den anderen ostdeutschen Bundesländern. Einer Einschätzung, wie etwa die wirtschaftliche Lage Thüringens im Vergleich mit den westdeutschen Bundesländern eingeschätzt wird, entziehen sich aber die Autoren der Studie. Wir sind der Auffassung, 23 Jahre nach der Wende ist der Vergleichsmaßstab für Thüringen nicht Ostdeutschland, sondern die gesamte Bundesrepublik.

(Beifall DIE LINKE)

Denn dass Thüringerinnen sich selbst zufrieden zeigen, ändert nichts an der Tatsache, dass sie einschätzen, nicht ausreichend zu partizipieren, sowohl ökonomisch als auch demokratisch, dass sie in großem Maße Angst vor sozialem Abstieg haben, dass sie die Gesellschaftsverhältnisse überwiegend als ungerecht betrachten und dabei eine sehr konkrete Vorstellung von Gerechtigkeit entwickelt haben.

Werte Abgeordnete, die Hälfte der Thüringerinnen sehen es als vordringendste Aufgabe an, die soziale Ungleichheit zu verringern. Sie unterscheiden sich demnach nicht von den Mitgliedern des Thüringer Landtags. Auch dort sind mehr als die Hälfte der Abgeordneten der Auffassung, das Eintreten für Wirtschaftswachstum und Sanierung der Staatsfinanzen muss hinter der Beseitigung von Ungleichheit als Präferenz bei den Politikzielen zurücktreten.

(Beifall DIE LINKE)

Das erscheint mir in der Gesamtheit doch ein sehr viel realistischeres Bild über die gesellschaftliche Situation in Thüringen widerzuspiegeln als die alleinige Betrachtung von Zufriedenheit. Was verstehen die Thüringerinnen unter Gerechtigkeit? Zwei Drittel sagen, in einer gerechten Gesellschaft haben alle Menschen die gleichen Chancen, ihre Lebensmöglichkeiten zu gestalten. Das heißt im Kern: Alle Menschen sollen den gleichen Zugang zu ökonomischen, sozialen, politischen, ökologischen und kulturellen Ressourcen haben und ihr Leben selbst gestalten können. Dass dies aber nicht der Fall ist und Chancengleichheit nicht Chancengerechtigkeit bedeutet, wird in einer anderen Fragestellung deutlich. Nur 39 Prozent der Thüringerinnen sind der Auffassung, einen gerechten Anteil oder mehr zu erhalten. Wohlgemerkt, die Thüringerinnen, das habe ich weiter vorn gesagt, treffen ihre Einschätzung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängig von ihrer eigenen Lebenssituation. Die Thüringer Realität, wie sie die Menschen ausweislich des Thüringen-Monitors zur Kenntnis nehmen, ist sehr deutlich. 34 Prozent der Thüringerinnen sind in atypischen Beschäftigungsformen wie Teilzeit, Miniund Midijobs, Leiharbeit sowie befristeten Arbeitsverhältnissen tätig. Das reale, nach Vollzeitäquivalenten umgerechnete Bruttojahresdurchschnittseinkommen liegt nach IAB-Betriebspanel Thüringen 2012 bei 27.690 €, und nicht wie vor Kurzem behauptet über 10.000 € höher. Damit liegt Thüringen noch immer mit 720 € jedes Jahr unter dem ostdeutschen Durchschnitt. Im Vergleich mit dem westdeutschen Lohnniveau erreicht Thüringen nur 77 Prozent, und wenn dann noch die Arbeitszeit gegengerechnet wird, sind wir in Thüringen bei einem Lohnniveau von 75 Prozent. Im II. Quartal 2013 verdienten vollzeit- und teilzeitbeschäftigte Männer etwa 550 € monatlich mehr als voll- und teilzeitbeschäftigte Frauen. Nicht nur, dass Frauen tatsächlich auch geringer bezahlt werden, werden sie von den wesentlichen Zugängen zu existenzsichernder Arbeit faktisch ausgeschlossen. Das ist und bleibt ein Skandal.

(Beifall DIE LINKE)

Wer das nicht zur Kenntnis nehmen will, stattdessen die vermeintliche Zufriedenheit der Thüringerinnen zum Ausgangs- oder in diesem Fall besser zum Endpunkt seiner Politik macht, der betreibt eine Politik sich verstärkender sozialer Ungerechtigkeit mit gravierenden Folgen für die Demokratie.

(Beifall DIE LINKE)

Was von der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn in der Bundesregierung übrig geblieben ist, will ich jetzt hier nicht bewerten. Nur eines: Wer einen ab dem 01.01.2017 gesetzlich und allgemein verbindlichen Mindestlohn im Jahr 2013 vereinbart, legt heute einen inflationsbereinigten Mindestlohn in Höhe von 8,01 € fest. Dieser Mindest

lohn ist nicht geeignet, Armut und soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen, sondern manifestiert sogar Armut und soziale Ungerechtigkeit, insbesondere im Alter. Die Thüringerinnen wird das besonders hart treffen. Ich habe bereits angedeutet, dass hinter der zunehmenden sozialen Ungleichheit eine Gefahr für Demokratie liegt. Durch den ThüringenMonitor zieht sich wie ein roter Faden, dass Menschen, die persönlich nicht gerecht am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben, weniger von der Demokratie, weniger von den Institutionen der Demokratie halten, sich weniger politisch oder ehrenamtlich gesellschaftlich engagieren und die Demokratie sich selbst überlassen, so dass dieses Land immer weniger demokratisch wird. Das bestätigt die Bertelsmann-Studie zur Bundestagswahl, die von einer sozial prekären Wahl spricht. Grundlage für die Stärkung einer demokratischen Mitmachgesellschaft ist der Zugang zu Bildung und Bildungsressourcen unabhängig von der finanziellen Lebenssituation der Eltern. Das heißt in der Konsequenz, wie demokratisch unsere Gesellschaft in Zukunft sein wird, entscheiden wir heute mit der Struktur der Thüringer Bildungslandschaft. An diesem Punkt können wir bisher mit unserer bisherigen Politik nicht zufrieden sein.

(Beifall DIE LINKE)

Die politische und gesellschaftliche Bildung entscheidet über demokratische Mitwirkung ebenso wie konkrete Erfahrungen. Drei Viertel der Thüringerinnen sind der Auffassung, dass sie nicht beeinflussen können, was die Regierung tut. Und stimmt das etwa nicht? Die deutliche Differenz zwischen der grundsätzlichen Zustimmung zur Demokratie als Staatsform, das liegt bei 80 Prozent, und der Zufriedenheit mit der erlebten Demokratie, das liegt bei 50 Prozent, ist bereits heute ein deutliches Warnsignal an Vertreterinnen der parlamentarischen Demokratie, sprich an uns alle.

(Beifall SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrte Frau Lieberknecht, wie jedes Jahr widmet sich der Thüringen-Monitor auch den extrem rechten Einstellungen. Es ist den Autoren der Studie anzuerkennen, dass sie bemüht sind, zeitgemäße Forschungsergebnisse in die Arbeit der Studie einzubeziehen, ohne die Vergleichbarkeit der Ergebnisse aufzuheben. Mit großem Interesse wird medial parlamentarisch als auch öffentlich der Wert zur Kenntnis genommen, wie viele der Thüringerinnen über ein extrem rechtes Weltbild verfügen und wie viele davon zum sogenannten harten Kern zu zählen sind. Dieser Wert ist für 2013 gegenüber 2012 unverändert bei 12 bzw. 5 Prozent; 5 Prozent sogenannte verfestigte, 7 Prozent sogenannte nicht verfestigte extrem rechte Einstellung. Dies ist niedriger als in manchen Jahren zuvor, aber seit Jahren verfestigt. Das sollte uns ein Warnsignal sein, dass

wir in Thüringen von in der Gesellschaft manifest vorhandenen extrem rechten Einstellungen ausgehen können und zeitgeschichtliche Ereignisse diese Zustimmungswerte eher nach oben beeinflussen, aber niemals unter ein bestimmtes Niveau sinken.

Frau Lieberknecht behauptet, es gibt 7 Prozent nicht verfestigte und rechtsextreme Einstellungen und die 5 Prozent verfestigten wären gleichbedeutend mit der Szene oder einer kleinen Gruppe. Aus unserer Sicht betreibt Frau Lieberknecht an diesem Punkt sehr klar Verharmlosung der Verbreitung neonazistischer Einstellungen.

(Beifall DIE LINKE)

Um verfestigt rechtsextrem zu sein, muss man im Mittel, also für die Monitor-Studie, bei allen zehn Indikatorfragen mit „stimme überwiegend zu“ geantwortet haben. Um also nicht verfestigt zu sein, reicht es, nur eine Indikatorfrage mit „lehne überwiegend ab“ zu beantworten, beispielsweise zum Nationalsozialismus, aber kann ansonsten ein lupenreiner Neonazi sein. Das will ich an dieser Stelle einmal deutlich sagen. 5 Prozent der Thüringerinnen bedeutet, wenn der Monitor über 18-Jährige befragt hat - nehmen wir die Wahlberechtigten -, von 1,86 Millionen Wahlberechtigten etwa 80.000 Thüringerinnen, 80.000 mit verfestigter extrem rechter Einstellung, die extrem rechts in ihrer Einstellung sind - 80.000. Der Verfassungsschutz deklariert für 2012 eine Gruppe von 960 Personen. Die Erklärung von Prof. Best bei der Vorstellung des Thüringen-Monitors 2013 ist unseres Erachtens wissenschaftlich nachvollziehbar und politisch sehr alarmierend. Der Anstieg der Zustimmung zu extrem rechten Einstellungsmerkmalen im Jahr 2011 ist auf die Enttabuisierung derartiger Einstellungen infolge der von einem Bundesbankvorstand und renommierten SPD-Mitglied namens Thilo Sarrazin geäußerten und verbreiteten kruden und rassistischen Thesen und auf die sich anschließende gesellschaftliche Debatte zurückzuführen.

(Beifall DIE LINKE)

Es kann aber nur etwas enttabuisiert werden, was bislang hinter einem Tabu versteckt, aber vorhanden ist.

Wir vertrauen auf die demokratische Gesellschaft und fordern die Politik auf, dieser nicht im Wege zu stehen. Zu behaupten, braunes Gedankengut habe keine politisch gestaltende Kraft, finden wir äußerst problematisch. Und noch problematischer: politisch bedeutet eben nicht nur parlamentspolitisch. Was sind NSU, Greiz, Nazikonzerte, Naziaufmärsche, rassistische Übergriffe, wenn nicht die Versuche einer gesellschaftlichen Einflussnahme?

Sehr geehrte Abgeordnete, wie meinungsbildend, aber gefährlich geäußerte Diskreditierung von Menschengruppen ist, zeigt der sich herausgebildete, gegen den Islam und gegen die Menschen aus

hauptsächlich durch den Islam geprägten Herkunftsstaaten gerichtete Rassismus, an dem nicht nur Sarrazin verantwortlich ist, sondern auch diejenigen Politikerinnen, die in der Gesellschaft verbreitete Stereotype in den Medien und Einstellungen in der Bevölkerung befördern bzw. hervorbringen.

Äußerungen in der Politik und in den Medien und Einstellungen in der Bevölkerung bedingen sich und schaukeln sich gegenseitig hoch, so dass am Ende mit dem Stichwort, wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen, rassistische Eintagseinstellungen zum Regelungsinhalt von Vorschriften umgesetzt werden. Ein Drittel der Thüringerinnen hat Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in ihrer Wohngegend aufhalten. Das ist alarmierend, weil aus rassistischen Einstellungen Handlungen und Taten werden. Im Jahr 1992 und im Jahr 2011 nahmen jeweils im Sog rassistischer Debatten Angriffe auf Flüchtlinge und Muslime signifikant zu.

Dass in Thüringen rassistische Grundeinstellungen manifest sind, zeigt der seit Jahren hohe, wenn auch leicht rückläufige Wert bei der Zustimmung zur Überfremdungsthese. 42 Prozent der Thüringerinnen sind der Auffassung, dass die Bundesrepublik in einem gefährlichen Maße überfremdet sei.

Ministerpräsidentin Lieberknecht hält die Zustimmung zur Überfremdungsthese angesichts eines Ausländeranteils von 2,3 Prozent in Thüringen für unerklärlich. Rassismus braucht aber keine Ausländer im Wohnumfeld, Rassismus ist eine Einstellung, die unter anderem ihre Ursachen auch darin hat, dass beispielsweise Migrantinnen in der medialen und politischen Debatte nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit beurteilt werden, dass Flüchtlingen staatlicherseits Rechte, wie das Recht auf Bewegungsfreiheit, eingeschränkt werden, sie isoliert in Lagern und Heimen untergebracht werden, so dass die Konstruktion des „Wir als die Deutschen und die als die anderen“, beispielsweise verbunden mit Leistungsvermögen in der Wirtschaftskrise, immer wieder reproduzierbar wird.

(Beifall DIE LINKE)

Und wiederum bringen etablierte Politikerinnen die Stichworte für den Stammtisch wie etwa der ehemalige Bundesinnenminister bei der Diskreditierung der Fluchtgründe mit den Stichworten: Asylmissbrauch und Wirtschaftsflucht.