Die Selbstenttarnung erzielte erhöhte Aufmerksamkeit, weil sich Abgeordnete, Fraktionen, Parteien, Vereine und Verbände insbesondere in den Jahren 2005 bis 2010 gezwungen gesehen hatten, sich mit den Aktivitäten von Kai-Uwe Trinkaus auseinanderzusetzen, und zum damaligen Zeitpunkt die nachrichtendienstliche Verbindung zum Thüringer Verfassungsschutz nicht bekannt gewesen war. Nach eigenen Angaben in der Berichterstattung wollte Trinkaus zwischen den Jahren 2006 und 2010 als V-Mann Informationen gegen Honorarzahlungen geliefert, Beschaffungsaufträge durch das Thüringer Landesamt angenommen und umgesetzt haben. Er behauptete weiter, das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz habe Kenntnis von seinen Versuchen gehabt, demokratische Parteien und Vereine zu unterwandern und Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien zum Nutzen der NPD durch gezielte Aktionen öffentlich zu diffamieren. Der Untersuchungsausschuss hatte daher Anlass zu klären, in welchem Umfang Trinkaus tatsächlich als V-Mann des Thüringer Landesamtes geführt wurde, von diesem Informationen erlangt und an diesen Aufträge erteilt wurden.
Eine besondere Aufklärungsnotwendigkeit ergab sich vor dem Hintergrund der Behauptung von Trinkaus, die bekannten Versuche der Infiltration von Parteien, Fraktionen und Vereinen sowie der kompromittierenden Behandlung von Politikerinnen und Politikern durch Thüringer Neonazis sei mit Wissen, Billigung oder gar im Auftrag des Thüringer Landesamtes erfolgt.
Klärungsbedarf ergab sich auch im Hinblick auf die Rolle der Fach- und Dienstaufsicht über das Thüringer Landesamt und auf die Kenntnis der Landesregierung von den genannten Vorgängen; des Weiteren, warum Warnungen durch das Thüringer Landesamt an die Betroffenen unterblieben sind.
Bereits am 8. Februar 2013 erfolgte in der ersten Sitzung die Konstituierung des Untersuchungsausschusses 5/2 mit neun Abgeordneten, in dem ich die Ehre hatte den Vorsitz zu übernehmen. Als mein Stellvertreter wurde der Abgeordnete Dirk Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gewählt. Der Ausschuss gab sich die Kurzbezeichnung „V-Leute
gegen Abgeordnete“, aber landläufig hat er sich mit dem Namen „Trinkaus-Ausschuss“ durchgesetzt. Ausschussmitglieder sind für die Fraktion der CDU meine Person, Herr Siegfried Wetzel, Herr Henry Worm, für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordneten Bodo Ramelow und Dieter Hausold, für die SPD-Fraktion erst Herr Uwe Höhn, später Herr Heiko Gentzel und dann Frau Birgit Pelke, für die FDPFraktion der Abgeordnete Marian Koppe und für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Dirk Adams. Als Ersatzmitglieder haben an den Sitzungen für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Annette Lehmann und der Abgeordnete Maik Kowalleck, für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Martina Renner, die Abgeordnete Katharina König und der Abgeordnete André Blechschmidt, für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Dagmar Künast, der Abgeordnete Dr. Werner Pidde und der Abgeordnete Frank Weber, für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Dirk Bergner und der Abgeordnete Thomas Kemmerich, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich und Frau Abgeordnete Anja Siegesmund mitgewirkt und auch teilweise teilgenommen.
Ich darf schon jetzt die Gelegenheit ergreifen, mich für die gute, kollegiale und fruchtbare Zusammenarbeit aller Abgeordneten und Fraktionen im Untersuchungsausschuss zu bedanken. Ein Ausdruck dieser Zusammenarbeit ist sicherlich auch die Tatsache, dass die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Ausschusses heute gemeinsam diese Aussprache zum Abschlussbericht beantragt haben. Frau Präsidentin hatte es eben erwähnt.
Der Untersuchungsausschuss hat insgesamt 26 Sitzungen durchgeführt. Dabei hat sich der Untersuchungsausschuss zunächst umfangreiche Akten von der Landesregierung vorlegen und Auskünfte zum Untersuchungsgegenstand erteilen lassen. Der Ausschuss hat insgesamt 30 gemeinsame Anträge auf Aktenvorlage gemäß § 14 Untersuchungsausschussgesetz an die Landesregierung oder ihr unterstellte Behörden beschlossen. Für die Erteilung der Auskünfte und die Bereitstellung der Unterlagen danke ich an dieser Stelle den Beauftragten der Landesregierung, namentlich Herrn Leitenden Ministerialrat Ulrich Grünhage und Herrn Oberregierungsrat Markus Schlautmann von der Thüringer Staatskanzlei, Herrn Ministerialdirigent Andreas Horsch und Frau Oberregierungsrätin Uta Langer vom Thüringer Innenministerium, schließlich Herrn Regierungsdirektor Dr. Carl-Christian Dressel vom Thüringer Justizministerium. Ebenso danke ich an dieser Stelle den Mitarbeitern der Fraktionen, Herrn Dr. Christian Weißhuhn für die Fraktion der CDU, Herrn Paul Wellsow und Herrn Stefan Wogawa für die Fraktion DIE LINKE, Herrn Keven Forbrig für die Fraktion der SPD, Herrn Guido Kosmehl für die Fraktion der FDP und Frau Antonia Sturm für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, für die
Begleitung des Verfahrens. Es war zeitlich manchmal sehr gedrängt, deshalb an dieser Stelle auch meinen Dank an die Mitarbeiter.
Meinen Dank möchte ich auch noch einmal an die Landesregierung richten. Wir haben viele Anfragen gestellt. Es ist keine Anfrage unbeantwortet geblieben und zeitlich waren wir manchmal mit unseren Forderungen sehr, sehr knapp und trotzdem ist keine Frage unbeantwortet geblieben. Auch dafür meinen Dank.
Der Ausschuss hat im Verlauf von 16 Sitzungstagen 39 Zeugen teils mehrfach gehört. Insgesamt wurden 65 Beweisanträge nach § 13 Untersuchungsausschussgesetz gestellt und gemeinsam beschlossen. Schließlich wurden fünf Anträge auf Rechtshilfe gemäß Artikel 35 Grundgesetz an Bundesbehörden gemeinsam beschlossen. Die zu erhebenden Urkundenbeweise wurden durch die Landtagsverwaltung vorbereitet. Seitens der Verwaltung des Thüringer Landtags wurde der Untersuchungsausschuss durch Herrn Leitenden Ministerialrat Dr. Thomas Poschmann, den Vorsitzenden Richter am Landgericht, Friedrich Liebhart, und die Assessorin jur. Katrin Kaufmann betreut.
An dieser Stelle diesen drei Personen und auch allen, die nicht genannt worden sind, vielen Dank. Frau Präsidentin, der Dank geht auch an Sie, denn Sie haben mir und damit dem Ausschuss Personen zur Seite gestellt, die uns mit ihrem juristischen Sachverstand sehr geholfen haben.
Meine Damen und Herren, Ihnen liegt heute der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses mit insgesamt 330 Seiten vor. Der Abschlussbericht wurde am 11.07. einstimmig beschlossen. Lassen Sie mich an dieser Stelle betonen, dass die Beweisanträge, die in dem Untersuchungsausschuss eingebracht und gestellt wurden, allesamt einstimmig beschlossen worden sind. Ich denke, es ist ein Novum, dass gerade in einem Untersuchungsausschuss alle Beschlüsse einschließlich des Berichts, der heute ohne Sondervoten vorgestellt wird, einstimmig beschlossen worden sind. Der Abschlussbericht gliedert sich in vier Teile: A. Einsetzung, Auftrag und Mitglieder, B. Verlauf und Verfahren, C. Ermittelte Tatsachen und D. Ergebnis der Untersuchung. Ich werde mich in meiner Berichterstattung auf den wesentlichen Inhalt der beiden letztgenannten Teile in ihren Grundzügen beschränken. Im Teil C - Ermittelte Tatsachen - hat der Untersuchungsausschuss den Verfahrensstoff der Beweisaufnahme in drei Sachkomplexe gegliedert. Der Ausschuss war sich einig, zunächst die Frage der Infiltration von Parteien, Fraktionen, Ver
einen, sonstigen Stellen sowie der Kompromittierung von Politikern in den Vordergrund der Beweisaufnahme zu stellen und damit den Interessen der Betroffenen Rechnung zu tragen.
In einem zweiten Teil war die Verpflichtung und Führung von Kai-Uwe Trinkaus als V-Mann des Thüringer Landesamtes zu untersuchen und festzustellen, ob und in welcher Weise bei der Verpflichtung und Führung von Trinkaus gegen Regelungen verstoßen worden ist.
Schließlich beschäftigt sich der Ausschuss im dritten Teil mit Kai-Uwe Trinkaus als ehemaligen VMann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz und anderen Rechtsextremisten.
Zu den Ergebnissen der Untersuchungen ist zunächst festzustellen, dass sich entgegen der von Trinkaus nach seiner Enttarnung erhobenen Behauptung keinerlei Hinweise auf eine aktive Beteiligung des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Unterwanderung, Diskreditierung von Parteien, Fraktionen und Vereinen und bei der Kompromittierung von Politikern ergeben haben.
Aus den vom Ausschuss beigezogenen Akten des Thüringer Landesamtes und der Thüringer Landesregierung ergeben sich ebenfalls keine Belege oder Indizien für eine Mitwirkung des Thüringer Landesamtes bei derlei Aktivitäten. Der Ausschuss konnte aber im Rahmen seiner Beweiserhebung herausarbeiten, dass die Aktivitäten des Kai-Uwe Trinkaus und dessen Umfeld systematisch erfolgten und schädigenden, diskreditierenden, diffamierenden und kompromittierenden Charakter hatten und insofern geeignet waren, Mitglieder des Thüringer Landtags und des Deutschen Bundestages, weitere Personen des politischen und gesellschaftlichen Lebens sowie Fraktionen, Parteien, Gewerkschaften, Vereine und Verbände verächtlich zu machen und demokratische Strukturen und Institutionen zu unterminieren und nachhaltig zu schädigen. Trinkaus hat dabei stets den Versuch unternommen, Näheverhältnisse zu begründen, die nur dem Schein nach bestanden und von den Betroffenen stets dementiert wurden.
Ich lege Wert darauf, festzustellen, dass alle Opfer von Trinkaus und anderen unter seinem Einfluss stehenden Thüringer Neonazis ohne eigenes Zutun und ohne Anlass dazu gegeben zu haben, von diesen zu Opfern seiner und seiner Helfershelfer-Machenschaften geworden sind.
In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch, dass Trinkaus sich intensiv mit dem Vereinsrecht beschäftigt und Möglichkeiten herausgefiltert hat, die Vorteile des Vereinsrechts für seine Zwecke zu
missbrauchen und als Multiplikator seine Kenntnisse dazu in Referaten vor anderen NPD-Kreisverbänden weiterzuvermitteln.
Der Ausschuss hat bereits zu Beginn der Beweisaufnahme sämtliche Zeugen und Institutionen, die von den Machenschaften von Trinkaus betroffen waren, im Rahmen der Beweisaufnahme zu Art, Umfang, Intensität und Dauer der Einwirkungen ausführlich befragt und deren Betroffenheit zur Kenntnis genommen. Durch die Vernehmung der Zeugen Korschewsky, Hennig, Kuschel, Pelke, Metz, Künast, Dr. Eberbach-Born, Dr. Poppenhäger, Zachlot, Schüller, Primas, Witt, Walk und Dr. Borowsky steht fest, dass durch die Betroffenen die Aktionen des Kai-Uwe Trinkaus als störend, diffamierend, schädigend und diskreditierend wahrgenommen worden sind. Von einem Teil der Zeugen wurde nachvollziehbar geschildert, dass sich Verunsicherungen im Umgang mit den Mitmenschen oder gegenseitiges Misstrauen eingestellt hat, insbesondere bei den Zeugen, die sich bei ihren politischen Freunden zu den Kontakten zu Trinkaus rechtfertigen mussten.
Ein Teil der Zeugen war genötigt, in der Auseinandersetzung mit Trinkaus gerichtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Beim Bund der Vertriebenen bestand die Gefahr, dass die Verbindung zu KaiUwe Trinkaus und zur NPD den Bund der Vertriebenen aufgrund des angeblichen Näheverhältnisses zur NPD an den rechten Rand gedrängt hätte.
Der Ausschuss hatte letztlich festzustellen, dass sich Trinkaus auch bis heute bei keinem seiner Opfer entschuldigt hat, obwohl er dazu genügend Anlass und Gelegenheit gehabt hätte. Die von Trinkaus nach seiner Enttarnung erhobene Behauptung, er habe dem Landesamt Aktivitäten wie die Unterwanderung des BdV frühzeitig mitgeteilt und Aktionen wie die Einschleusung eines Praktikanten hier in den Thüringer Landtag sogar mit dem Thüringer Landesamt abgesprochen, konnte in der Beweisaufnahme nicht bestätigt werden.
Die Frage, ob bei der Verpflichtung und Führung von Kai-Uwe Trinkaus als V-Mann gegen behördeninterne Regelungen verstoßen worden ist, war bereits Gegenstand des Berichts der Parlamentarischen Kontrollkommission, der am 11.04.2014 in diesem Hause vorgetragen wurde. Der Bericht bezog sich, was die Beantwortung der vorliegenden Untersuchungsfrage betrifft, auch auf die gutachterliche Äußerung des von der Parlamentarischen Kontrollkommission eingesetzten Sachverständigen Dr. Engel, der die Umstände der Anwerbung und Führung von Kai-Uwe Trinkaus sowie die Nichteinbindung Dritter aufzuklären hatte. Die Ergebnisse dieser Untersuchung und die im Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission dazu getroffenen Feststellungen konnten durch die umfangreich durchgeführte Beweisaufnahme vom Untersu
chungsausschuss zum größten Teil bestätigt werden, so dass auch auf das Ergebnis des Berichts der PKK Bezug genommen wird.
Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme hat der Ausschuss festgestellt, dass die Einleitung der Werbung des Selbstanbieters Kai-Uwe Trinkaus durch die Anweisung des Präsidenten in die Abteilung Beschaffung aufgrund der zu diesem Zeitpunkt greifbaren Informationen über die Person Trinkaus noch zulässig war. Trinkaus war dem Amt als rechtsextremistischer Verdachtsfall bekannt, gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs bekannt geworden war und der bei der Abteilung Auswertung als Beisitzer im NPD-Kreisverband Erfurt-Sömmerda bekannt war.
Zunächst stellt die Einleitung daher keinen Verstoß gegen die Dienstvorschrift „Beschaffung“ dar, die besagt, dass der V-Mann weder Zielsetzung noch Aktivitäten des Beobachtungsobjekts entscheidend bestimmen darf. Als schlichter Beisitzer in einem NPD-Kreisverband konnte Trinkaus im Hinblick auf das Beobachtungsobjekt NPD-Landesverband keinen steuernden oder zielführenden Einfluss ausüben.
Im Zusammenhang mit der vorgenannten Dienstvorschrift ist negativ festzustellen, dass eine Weisung des damaligen Thüringer Innenministers Dr. Gasser vom 11.08.2004 in der Sammlung der Dienstvorschriften des Thüringer Landesamtes, Stand 22.12.2012, in sinnentstellender Weise Niederschlag gefunden hat. In der genannten Fassung wird nämlich der Anschein erweckt, dass Vorsitzende eines Kreisverbands einer extremistischen Partei ohne weitere Prüfung als V-Leute des Thüringer Landesamtes eingesetzt werden könnten. Der wirkliche Inhalt der Anweisung ging allerdings dahin, dass die Funktion im Kreisverband einer Zusammenarbeit mit dem Thüringer Landesamt nicht von vornherein entgegenstehe. Selbst wenn nicht festgestellt werden kann, wann die sinnverändernde Anweisung Aufnahme in die Sammlung der Dienstvorschriften gefunden hat, zeigt der Vorgang doch, dass das Controlling und die Organisation des Landesamtes nicht gut gearbeitet haben, da dieser Fehler im Amt offenbar nicht aufgefallen war.
Bei der Fortsetzung der Werbung der Zielperson Trinkaus konnte der Ausschuss feststellen, dass das Landesamt die gebotene Aufklärung von Risikofaktoren, die in der Person des Trinkaus lagen, erheblich vernachlässigt und die in der Dienstvorschrift vorgesehenen Kontrollinstanzen während der Werbung, Verpflichtung und Führung von Trinkaus nicht unterhalten hat. Nach der Dienstvorschrift „Beschaffung“ ist jedes Werbevorhaben eingehend vorzubereiten und in Grundzügen schriftlich festzuhalten. Bei jedem Werbungsversuch ist zu prüfen, ob und welche Erkenntnisse über die zu werbende Person bei den Verfassungsschutzbehörden, ande
ren Diensten oder sonstigen Behörden vorliegen. Die Eignung ist auch anhand der Kriterien eines Forschungsbogens festzustellen und zu dokumentieren. Sodann ist bei der Entscheidung über eine Werbung, ob eine Werbung versucht werden soll, das Controlling zu beteiligen. Erst wenn das Controlling gegen die Werbung keine Einwände erhebt, kann die Werbung auf Entscheidung des Abteilungsleiters eingeleitet werden. Wir haben bei der Beweisaufnahme festgestellt, dass diese für die Werbung grundlegenden Bedingungen durch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz nicht eingehalten worden sind. Im Vordergrund der Entscheidung, die Werbung der Zielperson Kai-Uwe Trinkaus durchzuführen, stand einseitig das unbedingte Verlangen nach einem Zugang zum Beobachtungsobjekt NPD und die zwischen der Abteilung „Beschaffung“ und der Abteilung „Auswertung“ des Thüringer Landesamtes getroffene Zielvereinbarung. Das Motto des Landesamtes lautete schlicht und einfach: „Abschöpfen, abschöpfen, Mitarbeit eventuell beenden, Probezeit abwarten.“, so sagte dies der damalige Abteilungsleiter „Beschaffung“. Diese Verfahrensweise führte dazu, dass über lange Zeit keine Risikobewertung der Zielperson Trinkaus bei der Anwerbung durchgeführt wurde. Diese Risikobewertung wäre bei der Zielperson Trinkaus bereits aufgrund vorliegender eigener Erkenntnisse des Landesamtes, die also bereits vor den ersten Treffen mit dem Werber vorlagen, aber erst recht nach den Erkenntnissen, die das Landesamt nach den ersten beiden Treffen mit Trinkaus erzielt hat, dringend erforderlich und auch notwendig gewesen.
Der Ausschuss hat festgestellt, dass offenbar je ein Mitarbeiter der Abteilung „Beschaffung“ und der Abteilung „Auswertung“ bereits am 6. März 2006 im Rahmen der Ermittlungen zur Person Trinkaus und anderer zur Erkenntnis gelangt waren, bei der Zielperson Trinkaus handele es sich „ja um einen Betrüger“, den die beiden Mitarbeiter ermittelt hatten. Der Ausschuss konnte nicht feststellen, weshalb diese Erkenntnisse des Landesamtes nicht bei den Abteilungsleitern „Beschaffung“ und „Auswertung“ sowie beim Präsidenten angekommen und warum diese Erkenntnisse nicht hinterfragt worden sind. Ein weiterer Verstoß gegen behördeninterne Regelungen liegt darin, dass zur Überprüfung einer persönlichen Eignung die Kriterien der Eignung der Zielperson nicht anhand des für die Forschung gemäß Dienstvorschrift „Beschaffung“ vorgesehenen Forschungsbogens festgestellt worden sind. Dieser Forschungsbogen hätte bereits vor der ersten Ansprache mit der Zielperson angelegt werden können, da bereits zu diesem Zeitpunkt eine Reihe von Erkenntnissen einschließlich Lichtbildern der Zielperson vorlagen, und hätte ohne Weiteres nach den ersten beiden Treffen fortgeschrieben und nahezu fertiggestellt werden können. Stattdessen wurde aber ein Forschungsbogen nicht in der vor
geschriebenen Form gefertigt. Bei einer derart langen Werbephase ist es nicht verständlich, dass die im Forschungsbogen vorgesehenen Karteiüberprüfungen gar nicht oder sehr verspätet durchgeführt worden sind. Die lange Zeit der Werbung hätte ohne Weiteres genutzt werden können, die vorgesehenen Überprüfungen vorzunehmen. Ein Auszug aus dem Bundeszentralregister wurde erst im März 2007 übermittelt, obwohl ein derartiger Auszug bereits im Juni 2006 ohne Weiteres hätte vorliegen können.
Als Mangel festgestellt wurde, dass in der Werbungsphase keine Einsicht in die zahlreich vorliegenden Strafverfahrensakten genommen worden ist und auch die Akten des Insolvenzverfahrens nicht in Augenschein genommen worden sind. Eine derartige Akteneinsicht hätte sich auch kurzfristig realisieren lassen. Aus den genannten Akten hätte sich ein umfassendes Bild zur Person Kai-Uwe Trinkaus, zu seinem Finanzgebaren, zu seinen finanziellen Verhältnissen, zu seinem betrügerischen Verhalten gegenüber öffentlichen Ämtern und Privatpersonen ergeben und überdies sein überragend finanzielles Interesse als Motiv für die Zusammenarbeit mit dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz klar zutage treten lassen. Dem Thüringer Landesamt ist vorzuhalten, dass es die bereits zu Beginn der Werbephase zutage getretene außergewöhnliche politische Vita von Kai-Uwe Trinkaus bei der Prüfung der Eignung als V-Mann nicht in ausreichendem Maße aufgeklärt und gewürdigt hat. Hier wäre es notwendig gewesen, durch intensive Befragung der Zielperson die Motive für den derartigen Gesinnungswandel, den der Wechsel von der Linkspartei.PDS zur NPD darstellt, zu erfassen und zu bewerten. Nicht zuletzt als Mangel und insoweit auch als Verstoß gegen die Dienstvorschrift „Beschaffung“ stellen sich die in der Werbungsphase unterlassenen Ermittlungen zu einer möglichen Stasi-Tätigkeit von Kai-Uwe Trinkaus dar. Selbst wenn dem Thüringer Landesamt keine gesetzlich geregelte Möglichkeit für eine Abfrage beim Bundesamt für Stasi-Unterlagen zur Verfügung stand, hätte das Thüringer Landesamt auf anderen Wegen Ermittlungen anstellen können und müssen. Hier hätte sich zunächst angeboten, die Zielperson zu einer derartigen Tätigkeit ausführlich zu befragen oder sich von ihr eine schriftliche Auskunft des Bundesamtes vorlegen zu lassen. Ohne Klärung dieser Frage läuft die in den Dienstvorschriften für die Werbung vorgesehene Aufklärung einer möglichen Stasi-Belastung ins Leere. Ein gravierender Verstoß gegen die Dienstvorschriften zeigt sich in dem Umstand, dass während der gesamten Werbungsphase das im Thüringer Landesamt eingerichtete Controlling nicht besetzt war. Dies stellt ein erhebliches Manko dar, da die Dienstvorschrift „Beschaffung“ verlangt, dass der Referatsleiter der Beschaffung dem Controlling jeden Werbungsvorschlag mit den dazu gewonnenen
Erkenntnissen zur Begutachtung über seinen Abteilungsleiter vorzulegen hat. Soweit der Präsident wegen des krankheitsbedingten langen Ausfalls des Controllers angegeben hat, diese Aufgaben übernommen zu haben, erweist sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme diese Vertretung als unzureichend, da durch die Doppelfunktion des Präsidenten das Vieraugenprinzip nicht ersetzt werden kann. Dies gilt umso mehr, als nach eigener Aussage des Präsidenten vor dem Untersuchungsausschuss das Controlling eigentlich mit zwei Personen hätte besetzt gewesen sein müssen.
Gemäß § 5 der Dienstvorschrift „Beschaffung“ ist das Controlling von der Beschaffungsabteilung bei der Erarbeitung eines Operativplans sowie der Werbekonzepte und der Bewertung des Werbungsergebnisses zu beteiligen. Dies ist beim Werbungsvorgang „WESIR“ - alias Trinkaus - nicht erfolgt. Das Werbungskonzept wurde erst am 4. Dezember 2006, also ca. sechs Monate nach dem ersten Treffen mit der Zielperson, kurz vor der geplanten Übergabe an den V-Mann-Führer erstellt. Dieses Vorgehen entspricht nicht dem Sinn der entsprechenden Regeln der Dienstvorschriften.
Der Ausschuss hatte weiterhin festzustellen, dass aufgrund des Fehlers des Controllings und der mangelnden Anleitung und Kontrolle des Werbers durch die Abteilung „Beschaffung“ und den Referatsleiter 31 in der Werbephase von Trinkaus nicht alle Treffen mit ihm den Dienstvorschriften entsprechend dokumentiert worden sind. Dieses Verhalten stellt einen Verstoß gegen die Dienstvorschrift „Beschaffung“ dar, wonach jeder Treff in Form eines Treffberichts zu dokumentieren ist. Ausdruck eines Organisationsdefizits im Amt ist weiter, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme festzustellen war, dass vom Werber Treffkostenabrechnungen und Auslagennachweise teilweise ohne Datum und Unterschrift zu den Akten gereicht wurden, ohne dass dieses Unterlassen vom Controller oder von anderen Dienstvorgesetzten beanstandet worden wäre. Das Vorgehen stellt einen Verstoß gegen die Dienstvorschrift „Bestimmungen für die Bewirtschaftung des Titels 53 601 - für die Zwecke des Verfassungsschutzes“ dar. Nach der Vorschrift hat der zuständige V-Mann-Führer nach jedem Treff, bei dem Kosten entstanden sind, eine Treffkostenabrechnung zu erstellen und spätestens fünf Tage nach dem Treff bei dem jeweiligen Verwalter des Handvorschusses abzurechnen. Da die Abrechnungen ohne Unterschrift des Werbers nicht prüffähig sind, liegt in der festgestellten Verfahrensweise ein Verstoß gegen Dienstvorschriften vor, der von den Vorgesetzten des Werbers nicht beanstandet worden ist. Nicht im Sinne der Dienstvorschriften ist der Werber vorgegangen, wenn er Quittungen der Zielperson entgegengenommen hat, der diese mit den Namen, den Unterschriften von Thüringer Politikern
Nach der genannten Dienstvorschrift sind in zahlreich begründeten Unterlagen, wie sie Quittungen darstellen, Tarnnamen zu verwenden. Der Werber hätte die Unterzeichnung der Quittungen durch Phantasienamen oder andere Namen durch Trinkaus strikt unterbinden müssen und die Unterzeichnung mit dem Tarnnamen durchsetzen müssen. Dies hätte im Übrigen auch seinen Führungsanspruch zur Geltung gebracht.
Ein weiterer wesentlicher Verstoß gegen Dienstvorschriften besteht darin, dass Trinkaus die Zielsetzungen und Aktivitäten mindestens eines Teils des Beobachtungsobjekts entscheidend selbst bestimmen konnte, was ein Verstoß gegen die Dienstvorschrift „Beschaffung“ bedeutet. Beschaffungsschwerpunkt war für die Zielperson Trinkaus unzweifelhaft zunächst der NPD-Kreisverband ErfurtSömmerda, ein Teil des Beobachtungsobjekts NPD, da hier Kai-Uwe Trinkaus eine Vielzahl von Informationen, unter anderem eine Mitgliederliste, übergeben hat. Die ursprünglich ins Auge gefasste Einsteuerung in den NPD-Landesverband bzw. in den Vorstand des Landesverbands wurde nicht mehr realisiert. Die Mehrzahl der Informationen, die Trinkaus dem Thüringer Landesamt dazu lieferte, wäre auch offen zu erzielen gewesen, was in der Beweisaufnahme seine Bestätigung gefunden hat.
Im Ergebnis kann daher der Landesverband der NPD nicht als schwerpunktmäßiges Beschaffungsobjekt angesehen werden. Bei der Beurteilung der Prüfung, ob die Führung von Trinkaus als führender Funktionär, der als NPD-Kreisvorsitzender durch seinen ausgeprägten Aktivismus den Kreisverband entscheidend prägte, zulässig war, ist die Weisung des Thüringer Innenministers vom 11. August 2004 bezüglich der Führung von Funktionsträgern extremistischer Parteien als Quellen des Landesamtes zu berücksichtigen. Mit dieser Weisung des Ministers wurde klargestellt, dass bei Vorstandsmitgliedern eines Kreisverbands als auch Vorsitzenden grundsätzlich von einer politischen Problematik auszugehen ist. Die Ministerweisung sollte klarstellen, dass ein besonders sensibler Umgang bei der Bewertung dieser Person erforderlich ist. Vorliegend war festzustellen, dass die Verwendung von Trinkaus als V-Mann aufgrund seiner Umtriebigkeit und Bekanntschaft mit Persönlichkeiten des politischen Lebens die parteipolitische Neutralität des Verfassungsschutzes gefährden würde. Gleichermaßen war seine übergroße Aktivität in den Vereinen, insbesondere die versuchte Einflussnahme auf unpolitische Vereine, nicht hinnehmbar. Da KaiUwe Trinkaus auch im Wesentlichen über von ihm
selbst geschaffene Gefahren berichtete, hätte nach einer erkennbar erforderlichen sorgfältigen Abwägung seine Werbung als V-Mann zumindest nicht zu einer Verpflichtung betrieben werden dürfen.
Letztlich ist dem Thüringer Landesamt der Vorwurf zu machen, dass es bestehende Möglichkeiten zur Überprüfung der Nachrichtenehrlichkeit von Trinkaus bereits in der Werbungsphase nicht gesehen und demzufolge nicht umgesetzt hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nämlich fest, dass bei dem bekannten Thüringer Neonazi Thorsten Heise Kameradschaftsabende stattgefunden haben, an denen neben Trinkaus auch andere Quellen des Verfassungsschutzes teilgenommen haben. Die entsprechenden Deckblattmeldungen, die Quellenkenntnisse der anderen Quellen zu den Kameradschaftstreffen enthielten, lagen dem Thüringer Landesamt jedenfalls vor. Im Ergebnis hätte das Landesamt daher frühzeitig, bereits zu Beginn der Werbungsphase, die Möglichkeit gehabt, im Vergleich zu den Berichten anderer Quellen die Nachrichtenehrlichkeit von Trinkaus zu überprüfen. Im Gesamtergebnis ist festzustellen, dass es in der Werbungsphase von Kai-Uwe Trinkaus zu erheblichen Verstößen gegen behördeninterne Regelungen des Landesamtes gekommen ist, die nicht allein zulasten des Werbers gehen, das möchte ich hier ausdrücklich sagen. Die Nichteinhaltung von Dienstvorschriften wurde von den Dienstvorgesetzten des Werbers bis hin zur Hausleitung hingenommen. Der Verstoß gegen Dienstvorschriften wurde begünstigt durch ein fehlendes Controlling und durch die offenkundige Überlastung des damaligen Vorsitzenden Lang, der kommissarisch zwei Abteilungen leitete und neben seiner Vertretung des Präsidenten auch für den Aufbau der Thüringer Informations- und Aufklärungszentrale zuständig war. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht also fest, dass in der Führungsphase von Trinkaus als V-Mann die Bestimmungen der Dienstverordnung „Beschaffung“ weiterhin nicht eingehalten worden sind. Die nach der Dienstverordnung „Beschaffung“ erforderliche enge Führung des VManns wurde weiterhin nicht im erforderlichen Umfang verwirklicht. Die eigenen Feststellungen des Amtes sind geeignet, dies zu belegen.
Nach einem Vermerk des Referatsleiters 31 vom 26.04. gestaltete sich die Informationsentgegennahme durch den Werber bzw. V-Mann-Führer eher situativ und war weniger das Ergebnis einer proaktiv reflektierten, mit der Auswertung abgestimmten Einsteuerung der Quelle mit entsprechend klaren Aufträgen.
Im besagten Vermerk wird darauf hingewiesen, dass der V-Mann Trinkaus erst vor Kurzem auf bestimmte Beschaffungsschwerpunkte festgelegt worden sei. Es ist weiterhin festzustellen, dass auch während der Führungsphase die Prüfung Nachrichtenehrlichkeit weiterhin erheblich vernachlässigt