Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße auch die Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.
Als Schriftführer hat neben mir Platz genommen Herr Abgeordneter Meyer. Die Rednerliste führt Frau Abgeordnete Mühlbauer.
Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt der Abgeordnete Bergemann, der Abgeordnete Fiedler, der Abgeordnete Kemmerich, der Abgeordnete von der Krone, der Abgeordnete Metz, Frau Abgeordnete Sedlacik, Frau Abgeordnete Tasch und der Herr Abgeordnete Wucherpfennig.
Zur Regierungserklärung wurde ein Entschließungsantrag der Fraktionen CDU, DIE LINKE, SPD und FDP in der Drucksache 5/2450 sowie ein Entschließungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/2454 als Vorabdruck verteilt.
Die Landesregierung hat weiterhin mitgeteilt, auch zu dem Tagesordnungspunkt 20 von der Möglichkeit eines Sofortberichts gemäß § 106 Abs. 2 der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen.
Gibt es weitere Anmerkungen zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir nach der Tagesordnung.
Regierungserklärung der Ministerpräsidentin dazu: Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU, DIE LINKE, der SPD und der FDP - Drucksache 5/2450 Neufassung
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, vor zwei Wochen wurde Japan erschüttert und noch heute ist die ganze Welt erschüttert. Die Bilder, die uns seit dem 11. März aus Japan erreichen, Menschen, die sich vor der herannahenden Flutwelle auf Bäume und Brücken retten, Menschen, die um ihr Leben rennen, und Menschen, die versuchen, anderen zu helfen. Diese Bilder wirken auf uns ein und wirken in uns. Wir sehen Bilder, in denen die Welt sprichwörtlich aus den Angeln gespült wird. Wir sehen Hochseeschiffe mitten in einer Stadt und können nur ahnen, welche Macht die Natur über uns Menschen hat. Wir erleben, dass trotz aller Technik, trotz aller Sicherheit, in der wir uns wähnen, die Kräfte der Erde nicht von Menschen beherrschbar sind. Was in Japan geschieht, war für die Welt unvorstellbar. Auf das schwerste bislang in Japan gemessene Erdbeben folgte ein gewaltiger Tsunami. Ohne dass Zeit gewesen wäre, die Folgen dieser beiden Katastrophen auch nur zu erfassen, steht Japan nun mittlerweile in einer dritten, der atomaren Katastrophe.
Als ich im Fernsehen die vielen Toten gesehen habe, die Berichte über Tausende Vermisste, habe ich mich gefragt, ob ich überhaupt in der Lage bin, das nachzuempfinden. Was würde ich empfinden in der Ohnmacht, nicht zu wissen, wo meine Angehörigen sind, ob sie noch leben und ob ich sie jemals wiedersehen werde? Was würde in mir vorgehen, würden sich binnen Sekunden, also während eines eigentlich ganz normalen Arbeitstags, für mein Leben so existenzielle Fragen stellen? Was ich empfinden würde, wäre wohl sehr viel weitergehender als das, was wir nun hier in Erfurt, in 9.000 km Entfernung von Fukushima, heute imstande sind zu empfinden.
Was heißt also für uns Betroffenheit? Wir sehen Bilder und sprechen über die unmittelbare Betroffenheit der Menschen in Japan. Aber was ist unmittelbare Betroffenheit? Ist uns viele Tausend Kilometer entfernt wirklich klar, was in den Menschen vorgeht, die diese Katastrophe erleben müssen?
Die Mitglieder der Thüringer Landesregierung und, ich glaube, jeder, der die schrecklichen Bilder im Fernsehen gesehen hat, sind von dieser Katastrophe tief berührt. Wir trauern um die Toten, unsere Gedanken und Gebete sind bei den Überlebenden. Ich habe für die Landesregierung dem japanischen Botschafter in Deutschland in einem Schreiben die Anteilnahme der Thüringerinnen und Thüringer ausgedrückt ebenso, wie die Landtagspräsidentin dies vonseiten des Parlaments getan hat. Ich bin Ihnen, Frau Präsidentin, wie auch den Vorsitzenden der Fraktionen des Hohen Hauses sehr dankbar dafür, dass wir uns sehr schnell gemeinsam darüber verabreden konnten, was wir als politisch Verantwortliche in Thüringen in dieser Situation tun
können, denn, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, Thüringen ist bereit zu helfen. Es gibt private und kirchliche Initiativen, die Spendenaufrufe gestartet haben, zu Benefizkonzerten einladen und Hilfsaktionen organisieren. Mein Dank gilt allen, die sich hier einsetzen und tatkräftig helfen; die Thüringerinnen und Thüringer tun das.
Was ist also unmittelbare und mittelbare Betroffenheit überhaupt? Meine persönliche emotionale Betroffenheit aus dem Ereignis in Japan führt mich zwangsläufig zu der Frage, in welcher Weise ich und wir alle davon in Deutschland betroffen sind. Zu welchen Schlüssen und zu welcher sachlichen Konsequenz gelangen wir aus dieser Betroffenheit? Dieser Frage muss sich vor allem die Politik stellen. Was also lernen wir aus Japan? Das Land ist nicht nur von zwei Naturkatastrophen heimgesucht worden, sondern steht nun auch vor einer technischen Katastrophe, deren Folgen noch verheerender sein könnten. Wir lernen, wie Bundesumweltminister Norbert Röttgen kürzlich sehr einprägsam gesagt hat: „Laufzeiten von Kernkraftwerken sind Laufzeiten von Restrisiko.“ Japan, so meine ich, verändert auch für Deutschland die Lage. Das ist nicht nur Anlass, sondern eben auch Grund, neu nachzudenken. Aus meiner Sicht besteht kein Zweifel, diese Katastrophe ist auch eine Zäsur für die Nutzung der Kernenergie, und zwar weltweit. Erstmals ist es durch eine Naturgewalt zu einem schweren Störfall in einem Atomkraftwerk gekommen. Bis zur Stunde ist die Gefahr einer Kernschmelze noch nicht gebannt. Wir wissen alle, die Nachrichtenlage ist höchst unübersichtlich. Wir müssen uns fragen, ob unsere technischen Standards ausreichen und wie sie noch weiter verbessert werden können. Die Bundesregierung hat sich mit einem Moratorium für genau diesen Weg entschieden und vorläufig die ersten Kernkraftwerke vom Netz genommen. Ganz unabhängig von allen rechtlichen Fragen, die damit im Zusammenhang stehen, halte ich die Entscheidung für eine grundlegende Sicherheitsüberprüfung nach einem solchen Unglücksfall wie in Japan für absolut geboten. Kernkraftwerke müssen immer auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik sein, ganz gleich, wann sie gebaut wurden. Der Prüfungsmaßstab für alle Kernkraftwerke muss diesem Standard entsprechen. Dazu gehört, dass wir den Ausstieg aus der Kernenergie geordnet brauchen, und zwar so schnell wie möglich. Ich unterstütze Bundesminister Röttgen hier auch ausdrücklich. Wir sollten den Umstieg auf erneuerbare Energien schneller anstreben als bislang vorgesehen. Die Möglichkeiten haben wir mit Wasser, Sonne, Wind und Biomasse. Sie sind nicht nur Alternative zu Gas, Kohle und Uran, ihnen gehört die Zukunft der Energieversorgung.
ne offene, ehrliche und sachliche Debatte führen müssen. Wir haben uns am Dienstag vergangener Woche miteinander besprochen. Inzwischen liegt ein Antrag von vier Fraktionen des Hohen Hauses für die heutige Debatte vor. Auch dafür danke ich ausdrücklich. Er beinhaltet weit mehr als die Einigung auf dem so oft zitierten kleinsten gemeinsamen Nenner.
Ich habe als Ministerpräsidentin dieses Landes großen Respekt vor der substanziellen Arbeit, die hier geleistet wurde, und sie nimmt ja auch die Landesregierung in die Pflicht und das mit Recht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Diskussion muss sich um mehrere Punkte dabei drehen, über die wir uns bewusst sein sollten.
Die Debatte dreht sich längst darum, wie zügig wir den Umstieg auf regenerative Energien schaffen. Unser Kurs ist klar, aber diesen weitgehenden Konsens gibt es bisher nur in Deutschland und in einigen wenigen anderen Ländern. Die Diskussion muss aber auch auf europäischer und internationaler Ebene geführt werden,
zumal die Gefährdung durch nukleare Störfälle bis hin zum GAU und Super-GAU nicht an Landesgrenzen Halt macht. Wir müssen diesen größeren Kontext beachten und wir sollten dringend an dieser Diskussion teilnehmen.
Zweitens: In der Energiepolitik müssen vier zentrale Ziele in Übereinstimmung gebracht werden. Es bedeutet, dass keine Gefahr für die Bevölkerung ausgehen darf. Wir brauchen Versorgungssicherheit, wir brauchen Klima- und Umweltverträglichkeit und Bezahlbarkeit. Diese Ziele, meine sehr verehrten Damen und Herren, stehen, darüber dürfen wir uns nicht täuschen, in einem Spannungsverhältnis zueinander.
Drittens: Ich habe in meiner ersten Regierungserklärung gesagt: „Maßstab unserer politischen Entscheidungen muss die Sicherung einer zukunftsfähigen Entwicklung sein in Bezug auf die natürlichen Lebensgrundlagen, das wirtschaftliche Fundament und den sozialen Zusammenhalt.“ Die Thüringer Landesregierung ist bereit, zügiger von der Kernenergie auszusteigen. Wer aussteigt, muss auch einsteigen. Das heißt, wir müssen den notwendigen Umstieg organisieren. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern vollständig erst dann, wenn die erneuerbaren Energien technologisch in der Lage sind, eine sichere, kostengünstige und ökologisch sinnvolle Energieversorgung zu gewährleisten.
Das ist ohne einen Preis nicht zu haben. Die Frage ist: Welchen Preis sind wir bereit, dafür zu zahlen. Gerade Thüringen als Land mit einer gut ausgebauten Solarindustrie kann dafür einen Beitrag leisten.
Viertens: Ein Ausstieg aus der Kernenergie darf nicht zu höheren Umweltbelastungen und insbesondere zunehmenden CO2-Emissionen durch die stärkere Nutzung von Kohlekraftwerken führen.
Auch die weltweite Klimaveränderung ist eine die Menschheit bedrohende, allerdings schleichende Katastrophe. Auch diese müssen wir im Blick haben. Auch dazu haben wir uns immer wieder positioniert und werden das auch weiter tun. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass ein Ausstieg aus der Kernenergie auch höhere Energiepreise für Wirtschaft und private Haushalte bedeuten kann. Aber klar muss auch sein: Der mit dem Umgang oder Umstieg auf erneuerbare Energien verbundene Aufwand darf weder zu einer ökonomischen noch zu einer sozialen Frage in unserem Land werden. Nutzung erneuerbarer Energien muss für alle möglich sein. Wir sollten nicht leugnen, dass die Möglichkeiten der Energiespeicherung technisch noch nicht weit genug entwickelt sind, dass wir nach wie vor Probleme bei der Effizienz der Energiegewinnung und bei der Netzinfrastruktur haben. Ich werde darauf im Laufe der Regierungserklärung noch eingehen.
Zu einer offenen, ehrlichen und sachlichen Debatte gehört auch, dass wir in Thüringen für all diese Fragen bisher gute Grundlagen geschaffen haben.
Die Thüringer Landesregierung hat den Ausbau erneuerbarer Energien bereits in den 90er-Jahren, aber insbesondere mit der Verabschiedung des EEG auf Bundesebene ab Beginn der 2000er-Jahre vorangetrieben. Im Jahre 2004 hat die Landesregierung mit der Thüringer Wirtschaft ein Nachhaltigkeitsabkommen unterzeichnet, das im Jahr 2009 verlängert wurde. Ökonomie und Ökologie sind eben kein Gegensatz, sondern bedingen und ergänzen sich mindestens langfristig.
Die Thüringer Landesregierung hat im Jahr 2009 eine „Energie- und Klimastrategie Thüringen 2015“ beschlossen. Auch der Thüringer Landtag hat sich unter anderem mit den Beschlüssen zum Global Marshall Plan und zur Entwicklung einer Thüringer Nachhaltigkeitsstrategie zu seiner Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung bekannt. Ich sage immer wieder, das Thüringer Parlament war hier in einer Pioniersituation auch im Vergleich mit anderen Landesparlamenten in Deutschland.
Der vom Landtag eingesetzte Nachhaltigkeitsbeirat wird in der nächsten Woche seine Empfehlung an die Landesregierung übergeben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht bei politischen Willenserklärungen geblieben. Die energieverbrauchsbedingten CO2-Emmissionen der Thüringer Wirtschaft sind auch durch den drastischen Modernisierungsprozess nach der Wiedervereinigung deutlich, nämlich um mehr als die Hälfte gesunken. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch in Thüringen beträgt heute mehr als 15 Prozent. Auch damit nehmen wir bundesweit eine Spitzenstellung ein.
Thüringen ist im vergangenen Jahr mit dem „Leitstern 2010“ ausgezeichnet worden, dem Länderpreis der Deutschen Energieagentur dena. Thüringen führt gleichauf mit Bayern bei der Zunahme der installierten Leistungen in einzelnen Sparten der erneuerbaren Energien. Auch die wirtschaftliche Dimension muss hier genannt werden. Thüringen zählt mit seiner hochinnovativen Solarindustrie zu den bedeutendsten Standorten der Branche in Deutschland. Die Unternehmen in Thüringen decken nahezu die gesamte Wertschöpfungskette ab. Am Standort Thüringen erwirtschaften derzeit 50 Firmen mit knapp 5.000 Beschäftigten einen Umsatz von mehr als 1 Mrd. €. Im gesamten Markt „Umweltfreundliche Energie und Energiespeicherung“ arbeiten in Thüringen inzwischen knapp 10.000 Menschen. Heute beziehen im Übrigen auch die Ministerien und Behörden des Freistaats Thüringen 47 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Sie werden steigen schon im Jahr 2012 und 2013 auf 75 Prozent und werden binnen dieser Legislaturperiode, also im Jahr 2014, 100 Prozent erreicht haben.
Darauf baut die Landesregierung auch auf mit einem Koalitionsvertrag, der sich schon im Titel zur Nachhaltigkeit verpflichtet. „Innovativ, nachhaltig, sozial und weltoffen“ haben wir unsere gemeinsame Vereinbarung zwischen CDU und SPD im Koalitionsvertrag überschrieben. Im Koalitionsvertrag haben sich beide Partner dazu verpflichtet, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion und Nutzung des Gesamtmarkts bis 2020 auf 35 Prozent zu erhöhen.
Folgende Ziele und Leitlinien sind bei den anstehenden Diskussionen aus Sicht der Landesregierung von zentraler Bedeutung: