Protokoll der Sitzung vom 06.07.2011

dass ich da Probleme habe, und die lasse ich mir von Ihnen auch nicht herbeireden. Deswegen bleiben wir bei unserer Meinung.

(Beifall CDU)

Danke schön. Wir haben keine Redezeit für die Abgeordneten mehr. Die Landesregierung hat sich zu Wort gemeldet. Bitte, Herr Innenminister Geibert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten, wir haben das Thema Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten an dieser Stelle zuletzt im September 2010 erörtert. Die damals mitgeteilte Auffassung der Landesregierung, wonach eine zügige Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung gemäß den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherung der Effektivität der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr unerlässlich ist, hat weiterhin Bestand. Im Wesentlichen besteht immer noch die gleiche Ausgangssituation wie unmittelbar nach der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts im März 2010. Die bis zum Urteilszeitpunkt geltenden Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung sind wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz für verfassungswidrig erklärt worden. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind die vom Gesetzgeber bei einer Neuregelung zu beachtenden verfassungsrechtlichen Eckpfeiler detailliert dargelegt. Deutschland ist nach wie vor zur Umsetzung der Europäischen Vorratsdatenspeicherrichtlinie verpflichtet. Die Diskussion auf Bundesebene ist seit 2010 nur unwesentlich vorangeschritten. Zunächst war es in Kenntnis des Umstands, dass die Europäische Kommission eine Evaluierung der Vorratsdatenspeicherrichtlinie betreibt, sicherlich sachgerecht, deren Ergebnisse abzuwarten. Zwischenzeitlich liegt der Bewertungsbericht der Kommission zur Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung vom 18. April 2011 vor. Die Kommission sieht durchaus erheblichen Überarbeitungsbedarf hinsichtlich der Richtlinie, weil die ursprünglich bezweckte Harmonisierung der Bestimmungen der Mitgliedstaaten in weiten Bereichen nicht eingetreten ist. So weichen unbeschadet der Tatsache, dass einige Mitgliedstaaten die Richtlinie noch nicht umgesetzt haben, die Bestimmungen zur Aufbewahrungsdauer, zur Datensicherheit, zu den rechtfertigenden Tatbeständen und zum Verfahren des Zugriffs auf den gespeicherten Datenbestand sowie zur Entschädigung der in Anspruch genommenen Unternehmen erheblich voneinander ab. Der Bericht lässt aber im Ergebnis keinen Zweifel daran, dass die Kommission an der Vorratsdatenspeicherung im Grunde festhält. Die Ernsthaftigkeit wird

(Abg. Fiedler)

durch das im Juni gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren unterstrichen.

Die Bundesjustizministerin hat Anfang Juni 2011 einen ersten Diskussionsentwurf vorgelegt, mit dem sie das von ihr als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung propagierte Quick-Freeze-Verfahren etablieren möchte. Lediglich für den Internetbereich soll eine sachlich und mit sieben Tagen auch zeitlich eng begrenzte Speicherung auf Vorrat erfolgen, damit nachvollzogen werden kann, welcher Person eine bestimmte IP-Adresse zugeordnet war.

Ich bin mir mit dem Justizminister darin einig, dass das Quick-Freeze-Verfahren keine adäquate Alternative zu einer Vorratsdatenspeicherung darstellen kann. Diese Einschätzung teilen im Übrigen auch die Innenminister des Bundes und aller Länder, das Bundesverfassungsgericht und die Europäische Kommission. Das Verfahren kann die Anforderung an eine effektive Strafverfolgung nur dann erfüllen, wenn überhaupt Verkehrsdaten zum Einfrieren vorhanden sind. Gerade dies ist in Deutschland zunehmend nicht mehr der Fall. So ist es auch nur folgerichtig, dass die Innenministerkonferenz im Mai dieses Jahres einmütig festgestellt hat, dass nach wie vor durch den Wegfall der Mindestspeicherfrist für Telefon- und Internetverkehrsdaten eine erhebliche Schutzlücke in einer umfassenden Kriminalitätsbekämpfung wie auch in der Terrorismusbekämpfung besteht, weshalb dringend das Handeln des Gesetzgebers geboten ist.

(Beifall CDU)

Anders als zum Beispiel in den gemeinhin als Paradebeispiel für Erfolg des Quick-Freeze-Verfahrens bemühten Vereinigten Staaten unterliegen die in Deutschland tätigen Telekommunikationsunternehmen strengen Datenschutzvorschriften, die ihnen eine Speicherung von Verkehrsdaten nur in sehr eingeschränktem Umfang gestatten. Gerade weil das so ist, hat die von mir bereits angesprochene Innenministerkonferenz die Bundesregierung erneut gebeten, zügig einen Entwurf zur Wiedereinführung der europarechtlich gebotenen Speicherung aller Telekommunikations- und Internetverkehrsdaten insbesondere zum Zweck der Identifizierung von dynamischen IP-Adressen vorzulegen und diese Schutzlücke zu schließen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Kommunikationsverhalten hat sich in den letzten Jahrzehnten in einem erheblichen Ausmaß verändert. Die Telekommunikation nimmt einen immer breiteren Raum in unserem täglichen Leben ein. Durch die verstärkte Nutzung moderner Kommunikationsmittel wird die Kommunikation zunehmend der öffentlichen Wahrnehmung entzogen. Dies ist im Grundsatz nicht problematisch, aber es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich naturgemäß auch Straftäter der neuen Möglichkeiten der Kommunikation bedienen. Je mehr sich Tatvorbe

reitung und -planung aus der realen Welt in den abgeschotteten Bereich der Kommunikationsnetze verlagern, desto mehr sind die Strafverfolgungsbehörden auf die Auswertung von Verkehrsdaten angewiesen, um überhaupt Ermittlungsansätze gewinnen zu können. Dies trifft insbesondere auf den Bereich der Internetkriminalität zu. Hier gibt es weder klassische Spuren noch unmittelbare Tatzeugen, noch Personen, die möglicherweise zufällig den Täter im Vorfeld der Tat beobachtet haben. Insoweit ist es nach Überzeugung der Landesregierung in der Tat erforderlich, das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit neu auszutarieren. Alle Beteiligten sind aufgefordert, nunmehr zügig eine europarechtskonforme und verfassungsrechtlich tragfähige Entscheidung des Gesetzgebers herbeizuführen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. Ich schließe damit den ersten Teil der Aktuellen Stunde und rufe auf den zweiten Teil

b) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Transparenz und Vereinfachung im Steuerrecht - Bundessteuergesetzbuch von Prof. Paul Kirchhof als mögliche Chance für eine gerechte Besteuerung für Thüringer Steuerzahler“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/2992

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Abgeordnete Annette Lehmann. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Prof. Kirchhof hat sich von den damaligen Angriffen und Unterstellungen, die er im Jahr 2005 im Rahmen des Bundestagswahlkampfes erdulden musste, nicht beeindrucken lassen, sondern weiter an seinem Konzept gearbeitet, wie sein jetzt vorgestelltes Bundessteuergesetzbuch beweist.

Es wird natürlich auch jetzt sofort wieder kolportiert von Menschen, die meinen, sie hätten Ahnung davon, dass die Krankenschwester genauso belastet würde wie der Chefarzt. Das war auch damals das viel strapazierte Beispiel. Das ist populistisch und auch falsch, denn Prozentsätze sagen nichts über die tatsächliche Steuer aus. Ich finde, man muss sich intensiv mit der ganzen Thematik beschäftigen,

(Minister Geibert)

tiefgründig beschäftigen, um das auch beurteilen zu können.

Ich will Ihnen dazu gern mal einige Beispiele vortragen: Von den ersten 5.000 €, die über dem Grundfreibetrag von 10.000 € pro Erwachsenen liegen, sollen nur 60 Prozent berücksichtigt werden; von den weiteren nächsten 5.000 € dann 80 Prozent. Wer also alleinstehend ist und 20.000 € im Jahr verdient, hätte daher alles in allem nur 1.750 € Steuern zu zahlen und eben nicht 5.000 €, wie manche schlichtweg behaupten, die einfach die 25 Prozent ansetzen und in den Raum werfen. Wer aber 2 Mio. € Jahreseinkommen hat, zahlt dann 496.750 €. Das kann man alles sehr schön nachrechnen. Trotz gleichem Steuersatz gibt es damit also in der Tat eine höhere Belastung steigender Einkommen. Der Spitzenverdiener käme auf einen durchschnittlichen Steuersatz von 24,84 Prozent, während der Geringverdiener auf 8,75 Prozent käme. Ich denke, man soll sich hier nicht anstecken lassen von diesen Parolen, die da immer losgelassen werden, sondern wirklich im Detail nachrechnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die meisten der in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger, welche steuerpflichtig sind oder sich anderweitig mit den Steuergesetzen beruflich auseinandersetzen müssen, empfinden das Steuerrecht in Deutschland zu Recht als sehr kompliziert. Deshalb ist die grundlegende Vereinfachung unseres Steuerrechts und die Modernisierung der Steuerverwaltung ein wichtiges Aufgabenfeld in der Politik.

(Beifall FDP)

Danke, Herr Kollege Barth, da sind wir sicherlich einer Meinung.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Wir beide ja, aber Ihre Kollegen nicht.)

Wir diskutieren schon lange darüber und ich erinnere daran, dass ich auch an dieser Stelle vor einiger Zeit nur mal die Vordrucke mithatte zur Einkommensteuererklärung mit sämtlichen Anlagen und das war schon ein ziemlich dicker Stapel. Ich erinnere an dieser Stelle an den Bierdeckel, den ich jetzt mal hochhalten möchte, es war zwar nicht Herr Prof. Kirchhof, aber nichtsdestotrotz - Frau Ministerpräsidentin hat ihn auch dabei, gehört zu unserer Grundausstattung,

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Biersteuer ist Landessteuer.)

genau, Biersteuer ist Landessteuer, das stimmt auch, Herr Kollege Emde - symbolisiert das ja das Ziel der Union, das Ziel, was wir erreichen wollen: Eine Vereinfachung des Steuerrechts, so dass jeder Bürger die Steuererklärung auch versteht, weiß, wofür und warum er Steuern zahlt, und das Ganze auch überschaubar gestaltet ist.

(Beifall CDU)

Prof. Kirchhof schlägt vor, dass aus den 33.000 Paragraphen nur noch 146 werden sollen, dass aus 200 verschiedenen Steuergesetzen ein Steuergesetzbuch werden soll. Aus 534 Steuerprivilegien und Ausnahmetatbeständen sollen nur noch wenige übrig bleiben, aber auf die Wenigen kommt es gerade auch an, wenn wir über die Geringverdiener sprechen und über die bereits benannten Krankenschwestern. In den vergangenen Jahren hat es schon viele Versuche gegeben, das Steuersystem zu vereinfachen. Die Finanzministerkonferenz hat im letzten Jahr 13 Punkte zur Steuervereinfachung beschlossen, die ab diesem Jahr auch im Steuervereinfachungsgesetz umgesetzt werden sollen. Trotz all dieser Versuche sind es eben nur Experimente gewesen, an einem System herumzudoktern, was an sich sehr kompliziert ist und in der Tat reformiert werden muss. Aus diesem Grund sollte man nicht sofort wieder in das alte Abwehrdenken verfallen, sondern Paul Kirchhofs Ansichten Gehör schenken und ernsthaft darüber diskutieren. Das wollen wir auch als CDU.

(Beifall CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Frage zur Vereinfachung der Steuern müssen sich alle Steuerdebatten stellen, anstatt über Möglichkeiten der Steuervermeidung nachzudenken. Wir müssen uns mit dem Verstehen der Steuern auseinandersetzen und wir alle wollen, denke ich, eine faire Besteuerung. Das jetzige Steuersystem wird durch entsprechende Gutachten, die es dazu gibt, nicht als solches angesehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir reden über Entbürokratisierung und Abbau von Stellen und das Kirchhof-Modell wäre ein wichtiger Schritt auch in diese Richtung.

Frau Abgeordnete, Ihre Sprechzeit!

Also ich freue mich auf die nächsten Redebeiträge zum Thema Reformierung der Steuergesetzgebung. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Als Nächster spricht der Abgeordnete Meyer von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Vorbemerkung: Es ist

(Abg. Lehmann)

hoffentlich kein böses Omen für die CDU und ihren Bierdeckel, dass die Herstellerfirma der Bierdeckel neulich insolvent gewesen ist. Das ist ja möglicherweise auch ein Zeichen dafür, wofür Bierdeckel taugen oder auch nicht.

(Heiterkeit im Hause)

Da waren wir übrigens Weltmarktführer in Deutschland mal für Bierdeckel. Na ja, mal schauen, wie es da weitergeht.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Vielleicht ist er mit seiner Steuererklärung nicht klarge- kommen.)

Wer hundert Jahre existiert, Herr Barth, sollte es als Unternehmer gelernt haben, das hoffe ich doch mal.

(Heiterkeit im Hause)

Das Kirchhof-Modell als mögliche Chance, so hat die CDU ihre Aktuelle Stunde betitelt und das finde ich sehr schön, weil uns das ein bisschen die Aufgeregtheit nimmt und ich auch versuchen möchte, hier das Thema ein bisschen diskursiver zu machen, als man es auch machen könnte, wenn man es ernst nehmen würde, was der Herr Kirchhof da vorhat. Dass selbst die CDU Herrn Kirchhof nicht ganz ernst nimmt, das liegt wahrscheinlich daran, dass sie derzeit einfach keine Nerven hat für solche Diskussionen. Mit dem Koalitionspartner auf Bundesebene gesegnet, ist es einfach nicht so locker, über Steuern zu sprechen. Da haben Sie meine volle Sympathie, das verstehe ich. Das ist einfach so.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber zum Thema: Es ist in allen mir zugänglichen Presseerklärungen und sonstigen Öffentlichkeitsäußerungen deutlich gemacht worden, dass die beiden Wortpaare „einfach“ und „gerecht“ nicht zusammenpassen. Etwas, was sehr einfach ist, kann in einer komplexen Welt nicht auch gleichzeitig sehr gerecht sein. Darüber hat aber auch meine Vorrednerin Frau Lehmann bereits gesprochen. Da sind wir uns, glaube ich, auch einig. Herr Kirchhof ist da ein sehr fundamentalistischer Steuervereinfacher. Ich glaube, in dieser Form darf man das so sagen, ohne ihm auch zu nahe zu treten.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Der versteht wenigstens was davon.)

Fehler machen auch Fachleute. Das kann auch bei Herrn Kirchhof so sein, mit 68 Jahren ist er möglicherweise auch nicht mehr ganz auf der Höhe der Situation.

(Unruhe im Hause)