Protokoll der Sitzung vom 16.11.2011

Dann müssen wir darüber abstimmen, wenn es am Freitag auf der Tagesordnung sein soll. Wer dafür stimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das ist Zustimmung bei der Fraktion DIE LINKE, bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU und der FDP. Gegenstimmen? Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? 2 Enthaltungen bei der CDU. Damit ist der Tagesordnungspunkt - vorbehaltlich der Beratung - auf der Tagesordnung am Freitag. Gibt es noch Anmerkungen? Keine weiteren Anmerkungen.

Dann rufe ich auf den Tagesordnungspunkt 1

Regierungserklärung der Ministerpräsidentin zu dem Thema „Entwicklung des Rechtsextremismus und des rechtsextremistischen Terrorismus“ Unterrichtung durch die Landesregierung - Drucksache 5/3534

Ich bitte Sie, Frau Ministerpräsidentin, um Ihre Regierungserklärung.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe heute um die Gelegenheit zu einer Regierungserklärung gebeten, deren Anlass Anfang letzter Woche noch nicht erkennbar war. Mindestens neun Mitbürger mit Migrationshintergrund wurden in Deutschland seit dem Jahr 2000 ermordet. Zudem wurde eine aus Thüringen stammende Polizistin ebenso kaltblütig hingerichtet. Die Taten wurden nach allem, was wir in den letzten Tagen erfahren haben, von Rechtsextremisten, ja von Rechtsterroristen verübt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich bin tief entsetzt und in tiefstem Maße erschüttert über diese Ereignisse und deren Zusammenhänge. Die Tatsache, dass die Täter dieser brutalen Gewaltverbrechen aus Thüringen, aus Je

(Präsidentin Diezel)

na, aus unserer Gesellschaft stammen, muss uns mit tiefer Scham erfüllen. Mein ganzes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Mordopfer, unsere innere Anteilnahme gilt ihnen.

(Beifall im Hause)

Ich bekunde ausdrücklich meine Solidarität mit allen unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die hier in Deutschland, in Thüringen mitten unter uns leben.

(Beifall im Hause)

Deutschland ist ein gastfreundliches, ein weltoffenes Land, das von seiner internationalen Einbindung lebt. Dies gilt auch für Thüringen.

(Beifall CDU)

Die Aufgeschlossenheit für Neues, die Bereitschaft, sich mit Neuem zu beschäftigen, die Weltoffenheit und der Respekt vor den Mitmenschen sind Triebfedern unserer Geschichte. Der Freistaat ist geprägt von seiner kulturellen, historischen und wirtschaftlichen Vielfalt. Über ausländische Touristen freuen wir uns ebenso wie über die Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, vor einem Monat habe ich mich hier an dieser Stelle in der Regierungserklärung zum Thüringen-Monitor 2011 mit dem Rechtsextremismus auseinandergesetzt. Wir alle haben das getan, weil es seit vielen Jahren Konsens in diesem Hause ist, gemeinsam gegen die Feinde der Demokratie und namentlich gegen Rechtsextremisten zusammenzustehen und ihnen die Stirn zu bieten. Ich bin froh, dass in diesem Hohen Haus über alle fünf Legislaturperioden hinweg seit 1990 noch nie Rechtsextremisten einen Platz gefunden haben.

(Beifall im Hause)

Der Thüringen-Monitor hat aufgezeigt, dass rechtsextremistische Einstellungen in Thüringen nach Jahren des Rückgangs wieder zugenommen haben. Ich habe darauf hingewiesen, dass besonders der Anteil jener Personen gestiegen ist, bei denen die Gutachter ein - so wörtlich - „festes Überzeugungssystem“ erkennen und die daher zum sogenannten harten Kern zählen. Der diesjährige Thüringen-Monitor weist auch erneut auf die Verbreitung ausländerfeindlicher Einstellungen hin und er hat aufgezeigt, dass Rechtsextreme zwar überdurchschnittlich politisch passiv bzw. lethargisch sind, aber auch durchschnittlich gewaltbereit. Im April dieses Jahres wies der Innenminister bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts darauf hin, dass auch hier in Thüringen die größte Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung weiter vom Rechtsextremismus ausgeht. Er verwies darauf, dass das rechtsextreme Personenpotenzial zwar um hundert auf etwa tausend Perso

nen abgenommen habe, die rechten Gewalttaten aber weiter auf konstant hohem Niveau verharren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, der Staat, vor allem Polizei und Verfassungsschutz müssen stets wachsam gegenüber den Entwicklungen im Bereich des Rechtsextremismus sein. Die von mir soeben zitierte Bewertung zur Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht, ist eindeutig. Heute jedoch müssen wir erkennen, dass Rechtsextremisten und Terroristen über Jahre hinweg eine Serie von zehn blutrünstigen Morden begangen und vermutlich weitere Anschläge verübt haben. Hinzu kommen die mit brutaler Gewalt verübten Banküberfälle. Die Blutspur zieht sich durch das ganze Bundesgebiet. Noch wissen wir nicht abschließend, welche weiteren Verbrechen auf das Konto der Rechtsextremisten und Terroristen gehen. Wir müssen aber auch feststellen, dass diese Serie von Verbrechen über Jahre hinweg nicht dem rechtsextremistischen Bereich zugeordnet wurde. Das lässt bei vielen Menschen Zweifel an der Arbeit von Polizei, Verfassungsschutzämtern und der Justiz aufkommen. Es darf nicht verwundern, dass von einer Vertrauenskrise gesprochen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, Sie, die Mitglieder des Landtags, und die Öffentlichkeit insgesamt haben ein Recht darauf, zu erfahren, was tatsächlich geschehen ist.

(Beifall im Hause)

Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Konsequenzen die Thüringer Landesregierung aus den Erkenntnissen ziehen wird. Natürlich muss man sich vor vorschnellen und einseitigen Schuldzuweisungen gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz hüten, aber es tun sich viele Fragen auf und diese Fragen müssen beantwortet werden - vollständig, schonungslos und transparent. Das beginnt mit dem Entkommen der Jenaer Bombenbauer im Jahr 1998. Wie konnten diese Personen 13 Jahre lang unerkannt und bundesweit ihre schrecklichen Taten verüben? Hat man die Akten nach Ablauf der Verjährungsfrist im Jahr 2003 tatsächlich einfach aus den Händen gelegt, ohne der Frage nachzugehen, warum weiterhin nichts von dieser Gruppierung zu hören und zu sehen ist? Ist es wirklich zutreffend, dass diese drei terroristischen Gewaltverbrecher nur von wenigen Personen unterstützt wurden? Nicht zuletzt muss gefragt werden, ob mit der Zwickauer Zelle nun alle rechtsextremen Terroristen enttarnt wurden. Gibt es weitere? Das alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind Fragen, die dringlichst der Aufklärung bedürfen. Von Stefan Aust stammt das Zitat: „Kein Terrorismus ohne Massenbasis“. Wir untersuchen jährlich im Thüringen-Monitor, wie groß das rechtsextreme Spektrum in der Bevölkerung ist. Zu diesen Fragen, die alle eindeutig und zweifelsfrei beantwortet werden müssen, zählt auch die Frage

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

nach der Rolle und dem Wissen der Verfassungsschutzämter und der Polizei in den jeweiligen Ländern. Speziell wir hier in Thüringen müssen dabei die Rolle der Thüringer Polizei und des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz klären und offenlegen. Ebenso gilt es zu klären, wie die Arbeit der Justiz zu bewerten ist. Sollten im Rahmen der Beantwortung dieser Fragen strukturelle Mängel und individuelle Fehler erkannt werden, dann müssen und werden wir die notwendigen Konsequenzen ziehen. Daran darf es keinen Zweifel geben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall im Hause)

Bei allem, was wir in der nächsten Zeit zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen tun, müssen wir die Öffentlichkeit bestmöglichst einbeziehen. Es ist wichtig, dass wir die Gesellschaft über Fakten, Motive und die menschenverachtende Ideologie der rechtsextremistischen Terroristen umfassend und vollständig informieren. Nur so wird es möglich sein, das Vertrauen in Polizei, Verfassungsschutz und Justiz so schnell wie möglich wiederzugewinnen. Sofern wir als Ergebnis der Auswertung Änderungen bei Polizei, Verfassungsschutz und Justiz diskutieren, muss dies in einem transparenten Verfahren und in engster Kooperation miteinander erfolgen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind entschlossen, für eine rasche Aufklärung zu sorgen, umfassend, lückenlos. Der Innenminister hat gestern eine Kommission unter Leitung des früheren Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, eingesetzt, um vor allem die Vorgänge seit den 90er-Jahren aufzuarbeiten und gegebenenfalls neu zu bewerten. Das betrifft die Arbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz. Dass diese Kommission bereits nächste Woche die Arbeit aufnimmt, zeigt die Entschlossenheit der Landesregierung, rasch für die notwendige Aufklärung zu sorgen.

(Beifall CDU, SPD)

Ich halte es für wichtig, dass wir den Personen, die nun an der Aufarbeitung, Aufklärung und Beantwortung der aufgeworfenen Fragen arbeiten, die notwendige Zeit geben, ihre Arbeit gründlich zu erledigen. Ebenso ist es wichtig, dass wir ihnen das notwendige Vertrauen entgegenbringen. Selbstverständlich wird die Landesregierung den Landtag und seine Ausschüsse bzw. die Fraktionen umfassend und schnell über die Ergebnisse der Untersuchungen informieren.

Als Ministerpräsidentin möchte ich persönlich den Vorsitzenden der Fraktionen Gelegenheit geben, in einem gemeinsamen Gespräch mit dem Vorsitzenden der Kommission, Herrn Schäfer, alle interessierenden Fragen offen zu besprechen. Für Polizei und Verfassungsschutz gilt, dass sie die rechtsex

tremistische Szene noch intensiver zu beobachten und verübte Straftaten unnachgiebig und konsequent zu verfolgen haben. Sofern Klarstellungen im Umgang mit V-Leuten notwendig sind, müssen diese umgehend, und zwar im Sinne des Rechtsstaates, erfolgen. Keinesfalls dürfen V-Leute mit dem Geld des Staates extremistische Organisationen finanzieren.

(Beifall im Hause)

Ebenso dürfen V-Leute unter keinen Umständen mit Wissen ihrer Verbindungspersonen kriminelle Gewalttaten durchführen, das kann und darf nicht sein.

(Beifall im Hause)

Bereits im Koalitionsvertrag ist die Absicht der Thüringer Landesregierung festgelegt, die engere Verzahnung der Sicherheitsbehörden hier in Thüringen untereinander voranzutreiben. Dies gilt zum Beispiel aber auch für die Vernetzung vom Landesamt für Verfassungsschutz mit den entsprechenden Behörden unserer Nachbarländer und des Bundes. Wir brauchen hier alle zur Verfügung stehenden Informationen, und zwar wechselseitig, zur Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe, nämlich der Bekämpfung von Extremismus, Terrorismus, der an den Landesgrenzen nicht haltmacht.

(Beifall im Hause)

Nicht zuletzt gilt es, die Entwicklungen im rechtsextremen Bereich auch auf internationaler Ebene stärker im Blick zu haben, um deren Einfluss auf die Szene im Bund und hier in Thüringen besser beurteilen zu können. Hierzu gilt es, gemeinsam mit den benachbarten Bundesländern zu arbeiten, um die praktische Umsetzung notwendiger Maßnahmen vorzubereiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, insgesamt ist alles zu prüfen, was Thüringen bislang gegen politischen Extremismus präventiv und repressiv unternommen hat. Alle bisherigen Maßnahmen müssen auf den Prüfstand und unter Einbeziehung der neuen bzw. noch zu erwartenden Erkenntnisse bewertet werden. Wichtig ist mir hierbei der Hinweis, dass Thüringen unmittelbar nach den Ereignissen Ende der 90er-Jahre Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ergriffen hat. Ich erinnere hier an die Einsetzung der IMAG „Gewaltprävention“ im Februar 2000. Im Mai 2005 wurde die Landesstelle „Gewaltprävention“ schließlich als Stabsstelle im Sozialministerium eingerichtet. Durch diese Landesstelle wurden Beratungsund Informationsangebote zur Prävention im Bereich Rechtsextremismus koordiniert und unterstützt. Auf kommunaler Ebene wurde die Bildung von kommunalen Netzwerken gegen Gewalt unter Einbeziehung der Kommunalverwaltung, der Polizei, der Schule und der Zivilgesellschaft gefördert. Ebenso wurden neue Präventionsmaßnahmen und

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

Projekte angestoßen und begleitet. Seit November 2000 verfügen wir hier im Freistaat zudem über den Thüringen-Monitor. Über ein vergleichbares Instrument verfügt im Übrigen kein anderes Bundesland. Es ist ein Thüringer Alleinstellungsmerkmal.

(Beifall CDU, SPD)

Vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnisse werden wir prüfen, wie die Fragen des ThüringenMonitor im Extremismusbereich geschärft und weiterentwickelt werden können. Auch die Thüringer Polizei hat sich auf Entwicklungen im rechtsextremistischen Bereich eingestellt. Ich nenne hier nur den Skinhead-Erlass oder die Antiextremismuskonzeption. Rechtsextreme und gewaltverherrlichende Musikveranstaltungen der rechten Szene wurden in den letzten Jahren konsequent entweder bereits im Vorfeld unterbunden oder aufgelöst. Der in den letzten Tagen bekannt gewordene Rechtsterrorismus übersteigt allerdings alles bisher Vorstellbare und ist deshalb mit aller Härte des Gesetzes unter der Ausschöpfung aller rechtsstaatlichen Mittel zu bekämpfen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, am Beginn der Legislaturperiode stand als erster inhaltlicher Antrag der gemeinsame Beschluss aller im Landtag vertretenen Fraktionen, im Kampf gegen Extremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, für Toleranz und Weltoffenheit. Das war und ist Konsens in diesem Hause.

(Beifall im Hause)

Mit dem Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz setzt die Landesregierung heute auf eine Handlungsstrategie, die das Problem Rechtsextremismus in seiner Komplexität aufnimmt. Diese Strategie baut auf den drei Säulen Prävention, Intervention und Repression auf. Prävention steht für Aufklärung, Intervention für das bürgerschaftliche Engagement, gegen rechtsextreme Provokation und Repression, steht für die Sanktionierung von politisch motivierten Straftaten, ich betone noch einmal, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, wenn wir uns dieses bisher nicht gekannte Ausmaß vor Augen führen. Die Thüringer Landesregierung unterstützt die kommunale Ebene intensiv mit Handreichungen und Informationsveranstaltungen bei ihrem Engagement gegen rechtsextremistische Bestrebungen. Es gibt vielfältige Ansätze der Jugendarbeit, im Sportbereich, in der Beratungstätigkeit und in vielen, vielen anderen Bereichen. Seit Beginn dieses Jahres ist das Landesprogramm in Kraft. Trotz der knappen Haushaltsmittel ist das Landesprogramm finanziell aufgestockt worden. In diesem Jahr stehen bzw. standen insgesamt 1,135 Mio. € zur Verfügung. Im nächsten Jahr werden es 1,528 Mio. € sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits vor dem Bekanntwerden der schrecklichen rechts

terroristischen Zusammenhänge hat Thüringen die erneute Prüfung eines NPD-Verbotsverfahrens gefordert. Thüringen vertritt heute mehr denn je diese Position. Die NPD ist nicht nur hier in Thüringen, sondern bundesweit die bedeutendste Organisation in der rechtsextremen Szene. Sie bietet den geistigen Nährboden rechtsterroristischer Mörder. Die NPD darf schlichtweg nicht länger das Privileg einer Partei genießen und durch Steuermittel finanziert werden.

(Beifall im Hause)

Allerdings, das ist klar, dürfen wir einen erneuten Verbotsantrag nur stellen, wenn wir uns vorher über die eindeutigen Erfolgsaussichten im Klaren sind. Ich sage hier ganz klar und deutlich, wir werden von Thüringer Seite alles uns Mögliche tun, um ein solches Verfahren zum Erfolg zu führen.

(Beifall CDU, SPD)

Natürlich weiß ich auch um die kontroversen Debatten. Ich habe gerade ein Zitat des Bundestagsabgeordneten Herrn Ströbele gelesen, auch wenn es sehr kontrovers zu diskutieren ist, dass wir nicht mehr Untergrund dadurch erzeugen. Aber ich denke, die Frage des Privilegs einer Partei muss hier tatsächlich der übergeordnete Gesichtspunkt sein.