Protokoll der Sitzung vom 23.02.2018

Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen also, trotz der zurückliegenden BAföG-Novelle ist es weiter vonnöten, hier mit einer Kraftanstrengung dem Anspruch der staatlichen Bildungsfinanzierung Rechnung zu tragen, die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. Mit unserem Antrag, die Bundesratsinitiative gemeinsam mit anderen Ländern auf den Weg zu bringen, leisten wir einen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit und mehr Bildungsbeteiligung auf Bundesebene. Wir machen es gerecht, wir wollen den Stein der Diskussion zur grundlegenden BAföG-Reform anstoßen. Wir wollen nicht die Hände in den Schoß legen und bis zu einer Trendumkehr im Jahr 2021 warten. Deswegen bitte ich Sie um die Zustimmung zu unserem Antrag, damit auch hier die Bundesratsinitiative auf den Weg gehen kann. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Als Nächster hat Abgeordneter Rietschel für die AfD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Besuch, dieser Antrag – es geht also um die umfassende Reform, das haben meine Vorgänger schon erwähnt – der rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen, „Umfassende Reform des BAföG“, ist – man müsste fast sagen – alter Wein in neuen Schläuchen. Bereits im vergangenen Jahr hatten wir das Thema im Rahmen einer Aktuellen Stunde debattiert. Der Regierungskoalition wurde im Rahmen dieser Debatte nach meinem Dafürhalten auch eindeutig gezeigt, dass die ausschließliche und überaus negative Bestandsaufnahme, die auch diesen heutigen Antrag motiviert, keineswegs so geteilt werden kann. Die Entwicklung des BAföG ist zwar bei Weitem nicht nur positiv, wie Ihnen sicherlich die Union immer mitzuteilen versuchte, obwohl der heutige Antrag auch einige lobenswerte Punkte enthält. Unterm Strich muss man aber festhalten, dass die regierungstragenden Fraktionen teils von

(Abg. Schaft)

einer grundsätzlich falschen Interpretation dessen ausgehen, was das BAföG eigentlich erreichen soll. Der Antrag enthält deshalb einige Punkte und Aussagen, die hier dringend einer Richtigstellung bedürfen.

Zunächst zur grundsätzlichen und zwingend notwendigen Feststellung, dass Sie Ihre Schwerpunkte mal wieder falsch setzen. Erst letzte Woche haben wir erfahren, dass es mit der von Ihnen versprochenen Einführung eines kostengünstigen AzubiTickets für den öffentlichen Nahverkehr nun doch nichts wird. Das Thema hatten wir auch am vergangenen Mittwoch im Rahmen einer Aktuellen Stunde besprochen. Gleichwohl versuchen Sie hier, am großen Rad einer BAföG-Reform zu drehen, versagen dabei aber bei der Aufgabe, für die Sie eigentlich zuständig wären – nämlich bei der dringend notwendigen Unterstützung der Auszubildenden in Thüringen, denn das Gesetz umfasst auch diese.

(Beifall AfD)

Sie sprechen in Ihrem Antrag von einer Erhöhung der Bedarfssätze des BAföG. Nun: Der BAföGHöchstsatz wurde erst im Oktober 2016 von 670 Euro auf 735 Euro erhöht. Da frage ich Sie: Was verdienen eine Frisörin oder ein Tischler im Rahmen ihrer Ausbildung? In Ostdeutschland sind es bei der Frisörin oder auch beim Frisör 269 Euro im Monat und in Thüringen sogar nur 205 Euro im Monat. Der Tischler verdient im ersten Lehrjahr 518 Euro im Monat. Anstatt hier also soziale Gerechtigkeit zu predigen und sich als Kümmererpartei für die Studenten aufzuspielen,

(Beifall AfD)

sollten Sie sich vielleicht auch mal um diejenigen kümmern, die den oftmals steinigen Weg einer Ausbildung gehen.

(Beifall AfD)

Das sind Menschen, die eine geringere Vergütung bekommen, die oftmals trotz einer Ausbildungsvergütung – haben wir eben gehört, wie hoch – aufstocken müssen und die eben auch anders als die Studenten häufig ihre erheblichen Fahrkosten auch noch tragen müssen. Diese liegen deutlich darüber, was Studenten für ihr Semesterticket bezahlen müssen.

Sie arbeiten auch nach wie vor mit veralteten Statistiken und Zahlen aus dem Jahr 2015, um Ihre Annahme zu bestätigen, dass die Zahl der BAföGEmpfänger in Thüringen im Bundesvergleich überdurchschnittlich zurückgegangen ist. Welche Auswirkungen die von mir bereits angesprochene BAföG-Erhöhung, die im Oktober 2016 erfolgt ist, auf die Empfängerzahlen in Thüringen hatte, ist leider noch nicht bekannt. Es wäre aber auch der Vollständigkeit halber richtig gewesen, darauf hinzuweisen, dass es da unter Umständen in den letz

ten Jahren auch eine positive Entwicklung gegeben hat.

Aber selbst wenn diese aus Ihrer Sicht negative Entwicklung eine anhaltende wäre: Wenn bei einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung und gesunkenen Arbeitslosenzahlen mehr Familien ihren Kindern ein Studium mitfinanzieren können, ist das doch grundsätzlich zu begrüßen. Wenn mehr und mehr Studenten sich nicht verschulden wollen, selbst Verantwortung übernehmen und ihr Studium durch eine Nebentätigkeit finanzieren möchten, ist das ebenfalls zu begrüßen. Das ist, was ich eingangs mit der Bemerkung meinte, dass Sie von einer grundsätzlich falschen Interpretation dessen ausgehen, was das BAföG eigentlich erreichen soll.

(Beifall AfD)

Das BAföG ist dafür gedacht, eine individuelle Ausbildungsförderung zu ermöglichen, „wenn dem Auszubildenden“, meist – meist – dem Studenten, „die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung steht!“ – § 1 BAföG. Sozialleistungen – und nichts anderes sind die BAföG-Gelder – sollen in einem gesunden Maße dort erfolgen, wo sie gebraucht werden, und nicht um Menschen auf Dauer von Geld abhängig zu machen, das vom Staat ausgezahlt wird.

(Beifall AfD)

Daran anschließend: Was tun Sie eigentlich für die Familien, die es aus eigener Kraft schaffen, ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen? Offenbar nichts.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Doch, die können das von der Steuer absetzen!)

Ja, das ist ja wunderbar, jawohl. – Denn Ihr Anliegen, das BAföG erneut zu erhöhen, geht auf Kosten derer, die es schaffen, ihren Kindern das Studium zu finanzieren, und die dann eben auch noch die Steuern zahlen und erarbeiten müssen. Das Absetzen können Sie stecken lassen. Begrüßenswert ist hingegen Ihr Vorstoß – jetzt kommt ein kleines Lob –, eine regelmäßige Dynamisierung der Bedarfssätze und der Einkommens- und Elternfreibeträge zu ermöglichen. Eine unregelmäßige Erhöhung der Bedarfssätze und der Freibeträge nur dann, wenn es politisch opportun scheint, reicht in der Tat nicht aus.

Aber bereits im nächsten Punkt greifen Sie wieder voll daneben. Sie fordern tatsächlich eine Anpassung der Förderhöchstdauer an die höheren Studienzeiten. Hier sind wir wieder im Gestaltungsbereich der Landespolitik angelangt. Sie treiben doch aller Kritik zum Trotz Ihre Novelle des Thüringer Hochschulgesetzes weiter voran und wollen beispielsweise auch fast jede Form der Anwesenheits

pflicht verbieten. Dazu wollen Sie auch noch einen der letzten Anreize dafür abschaffen oder zumindest bemerkbar eindämmen, dass sich Studenten an die Regelstudienzeit halten, nämlich die Förderhöchstdauer des BAföG.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Und Sie wollen, dass die ar- beiten gehen und es in der Regelstudienzeit schaffen!)

Ja, ja, das gilt für Sie bestimmt.

Meine Damen und Herren, es muss nun ernsthaft bezweifelt werden, ob Sie tatsächlich ein Interesse an einer Stärkung des Wissenschaftsstandorts Thüringen haben. Sie fordern allen Ernstes eine Förderung fast aller Studenten durch eine Erhöhung der Freibeträge und der Altersgrenze, dazu noch eine Lockerung oder gar Abschaffung der zeitlichen Begrenzung für diese Förderung und dazu kommt noch die langjährige Forderung insbesondere der Linkspartei nach einer vollständigen Befreiung jeder Pflicht zur Rückzahlung der erhaltenen Fördergelder, also eine grundlegende Änderung des Charakters dieser Förderung von Darlehen auf Zuschuss.

Werte Kollegen, was eine solche Reform des BAföG aus unseren Hochschulen werden ließe, muss ich hier sicherlich nicht beschreiben. Da fällt der jedenfalls begrüßenswerte Vorstoß – ich betone das – nach einer stärkeren Berücksichtigung des Studiums mit Kindern oder bei gleichzeitiger Pflege von Angehörigen hinten runter. Ich möchte aber trotzdem betonen, dass wir diesem Aspekt tatsächlich zustimmen.

(Beifall AfD)

Es kann nicht sein, dass für Mütter und Väter nicht die gleichen Ausnahmeregeln gelten wie für solche Studenten, die sich einige Semester im Studentenrat – oder neudeutsch Studierendenrat – eingebracht haben.

(Beifall AfD)

So sehr das Engagement der Studenten in den Selbstverwaltungsstrukturen unserer Hochschulen zu begrüßen ist, wird sicherlich eine Mehrheit hier im Hause die Einsicht teilen, dass die zeitliche Herausforderung eines Studiums mit Kind oder Kindern

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Jetzt werden Studenten gegen Lehrlinge ausge- spielt!)

tatsächlich eine ganz andere ist.

Nun komme ich aber zu dem, was ich in Ihrem Antrag vermisse – hierauf hatte der Kollege Voigt in der von mir bereits erwähnten Debatte im vergangenen Jahr hingewiesen –: Wie ist es um die Umsetzung der Pflicht der Länder bestellt, zum 1. August 2016 eine elektronische Antragstellung der

BAföG-Förderung zu ermöglichen? Ich erinnere an § 46 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes. Seit 2015 kann der Antrag etwa in Hessen komplett papierlos gestellt werden, in Bayern, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen seit 2016. Andere Länder haben ebenfalls nachgezogen. Wo bleibt denn Thüringen?

(Beifall AfD)

Als es um die sinnlose Umbenennung des Studentenwerks ging, stand die dafür notwendige sechsstellige Summe sofort zur Verfügung. Hätten Sie das Geld doch lieber in die elektronische Antragstellung der BAföG-Förderung investiert. Davon hätten die Studenten mehr gehabt. Der BAföG-Beantragung wird nämlich völlig zu Recht vorgeworfen, dass sie derart kompliziert ist, dass mehr und mehr Studenten auf Studentenkredite oder andere Formen der Studienfinanzierung umsteigen müssen.

(Beifall AfD)

Hier hätten Sie tatsächlich eine Möglichkeit gehabt, an Stellschrauben zu drehen und die Förderung für mehr Studenten zugänglich zu machen. Das haben Sie leider versäumt.

Also, meine Damen und Herren, als Zusammenfassung: Eine Zustimmung zu den wenigen guten Aspekten Ihres Antrags – ich erwähne es extra noch mal –, die durchaus auch begrüßens- und unterstützenswert wären, ist leider nicht möglich. Was Sie mit Ihrer „Reform“ eigentlich verfolgen, ist eine grundsätzliche Pervertierung der Prinzipien, die einst dazu geführt haben, dass diese Form der Ausbildungsförderung ermöglicht wurde. Förderung muss immer auch mit bestimmten Forderungen einhergehen. Wir dürfen uns nicht vom Leistungsprinzip verabschieden, aber genau das verfolgen Sie. Das können wir nicht unterstützen.

Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Danke schön. Nun hat Abgeordnete Mühlbauer für die SPD-Fraktion das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, werte Kollegen! Herr Rietschel, mir fehlen – ich muss ganz kurz mal durchatmen – ein bisschen die Worte. Ich hoffe, ich habe mich verhört und nicht zwischendrin von Ihnen vernehmen müssen, dass Sie unserem Antrag zustimmen. Ich hoffe, das war ein akustischer Fehler bei mir in der letzten Bank. Nach dieser Rede hoffe ich – hoffe ich wirklich –, dass

(Abg. Rietschel)

Sie alles tun, aber bitte nicht unserem Antrag zustimmen.

Herr Rietschel, „alter Wein in neuen Schläuchen“, eines Ihrer Anfangszitate, dann predigen Sie gebetsmühlenartig wie in allen Anträgen – nicht nur Sie, übrigens all Ihre Kollegen – mal wieder ein bisschen Azubi-Ticket. Das war so ein Textbaustein von den Reden der Aktuellen Stunden vom Mittwoch – übrigens O-Ton. Die Fragen zum AzubiTicket bitte ich Sie, dann im Protokoll vom Mittwoch nachzulesen, was mit Sicherheit mit Sorgfalt von der Landtagsverwaltung hier gemacht wird. In dem Zusammenhang, weil Sie es leider immer noch nicht von Mittwoch bis heute verinnerlicht haben, erlaube ich mir, in der Wiederholung zu sagen. Das Studierendenwerk und das Studenten-Ticket sind nicht mit dem Azubi-Ticket vergleichbar.

(Beifall DIE LINKE)

Sollte Ihnen der Zusammenhang immer noch nicht bewusst sein, bietet Frau Dr. Lukin auch Beratungs- und weitere Aufklärungsangebote an.

(Beifall DIE LINKE)