Protokoll der Sitzung vom 22.06.2018

setzlicher Vorgaben zur Begrenzung der Abgabe größerer Mengen von Stoffen, die auch zum Bau von Sprengsätzen genutzt werden können, nicht schwierig ist, solche Mittel im Online-Handel zu beschaffen und im Internet gleich die Anleitung zum Bombenbau quasi mitgeliefert zu bekommen. Als ebenso problematisch wird die mitunter unzureichende Informationslage bei den zuständigen Behörden, wie den Ausländerbehörden und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, angesehen, valide Informationen über eingereiste Personen zu bekommen. Dieser Umstand muss zwingend, wo noch nicht geschehen, eine Verbesserung erfahren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in besonders perfider Weise werden junge Menschen zu Tätern, aber eigentlich sind sie Opfer. Schlagzeilen wie „Zwölfjähriger deponierte Sprengkörper auf Weihnachtsmarkt“, „IS-Sympathisantin Safia S. wegen Mordversuchs angeklagt“ beschreiben dieses besondere Phänomen. Ein zwölfjähriger Junge versuchte am 26. November 2016 und am 5. Dezember 2016 – zweimal – ein mit Sprengstoff gefülltes Gefäß zu zünden. Die Sprengkörper waren zudem mit Nägeln präpariert. Das Ziel war der Weihnachtsmarkt im rheinland-pfälzischen Ludwigshafen. Wie kann es uns gelingen, die Taten dieser Kinder und Jugendlichen zukünftig zu verhindern? In Deutschland liegt eine Strafmündigkeit vor, wenn die Person das 14. Lebensjahr vollendet hat. Im Ludwigshafener Fall ist somit eine Strafverfolgung natürlich nicht möglich. Im Bereich des Gefahrenabwehrrechts wird hingegen auf eine konkrete Gefahr abgestellt, unabhängig vom Alter des sogenannten Störers. Die konkrete Gefahr muss jedoch nach objektiven Tatsachen belegbar sein. Die Möglichkeiten des Verfassungsschutzes in diesem Bereich sind in der Diskussion.

Insgesamt gab es deutschlandweit bislang circa 1.000 Ausreisen in das Kriegsgebiet im Nahen Osten, wobei sich die Ausreisedynamik leicht verringert. Dies kann damit im Zusammenhang stehen, dass die potenziellen Kämpfer aufgefordert werden, nicht mehr nach dort zu reisen, sondern zu Hause zu bleiben und möglichst hier Anschläge zu verüben. Von den benannten 1.000 Ausgereisten sind circa 200 gestorben, ungefähr ein Drittel kehrte zurück. Es ist davon auszugehen, dass weitere Rückreisen, insbesondere von Frauen und Kindern, erfolgen werden. Hinweise, dass aus Thüringen Islamisten in Kriegsgebiete gereist sind bzw. dort an Kampfhandlungen teilgenommen haben, liegen im Berichtszeitraum nicht vor.

Deutschlandweit ist von einem islamistisch-terroristischen Personenpotenzial von circa 1.900 Personen auszugehen und von einem bundesweiten Anstieg der Salafistenzahlen infolge der Flüchtlingsbewegung auf 11.000 Personen. Die aktuellen Entwicklungstendenzen und Verbotsverfahren in jüngster Zeit haben die Szene verunsichert. Straßenmis

sionierungen und Islamseminare werden weitgehend eingestellt. Die Missionierung und Radikalisierung findet kaum noch über die Moscheen statt, vielmehr in kleineren Zirkeln. Diese Verlagerung salafistischer Aktivitäten ins Private und das zunehmende konspirative Verhalten erschweren jedoch den nachrichtendienstlichen Zugang. Leider war auch festzustellen, dass sich die Inhalte in arabisch gehaltenen Predigten zum Teil deutlich von dem unterscheiden, was in Deutsch gepredigt wird.

In Thüringen wird derzeit von 200 Islamisten ausgegangen, davon 160 Salafisten. Das Amt für Verfassungsschutz bearbeitet seit dem Jahr 2015 359 Verdachtsfälle. Davon ist etwa die Hälfte noch in aktiver Bearbeitung. Diese basieren auf regelmäßig eingehenden Hinweisen aus Gemeinschaftsunterkünften, Ausländerbehörden, der Landeskriminalämter oder auch des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Das Landeskriminalamt Thüringen geht gegenwärtig von Gefährdern im niedrigen zweistelligen Bereich aus.

Trotz aller beschriebenen Probleme ist es erfreulich, dass in Thüringen konkrete Hinweise auf geplante Anschläge im Berichtszeitraum nicht angefallen sind. Auch gab es keine Erkenntnisse über islamistische oder dschihadistische Anwerbeaktivitäten unter Flüchtlingen und gezielte Unterwanderungen in Thüringen, vereinzelt jedoch Hinweise zu möglichen Einflussnahmen von Salafisten auf Flüchtlinge. Auch in salafistisch beeinflussten Moscheegemeinden und in der Flüchtlingsarbeit in entsprechenden Unterkünften war entsprechendes Engagement feststellbar. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich aber an dieser Stelle deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass sich die übergroße Mehrheit der in Thüringen lebenden Muslime rechts- und gesetzestreu verhält.

Auch als besonders problematisch stellte sich heraus, dass die Bearbeitung der Verdachtsfälle im Amt für Verfassungsschutz sehr viele Personalkapazitäten bindet, sehr aufwendig ist und zur Verschiebung von Prioritäten führt. Leider musste die Parlamentarische Kontrollkommission aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Landeskriminalamt Thüringen und dem Amt für Verfassungsschutz – also unseren eigenen Behörden – bisweilen unzureichend verlief und die Informationsweitergabe nicht umfassend erscheint, was zu Informationslücken in bestimmten Phänomenbereichen führt, die nur durch Bemühungen auf Leitungsebene und auf explizites Nachfragen seitens des Amts für Verfassungsschutz geschlossen werden konnten. Es geht daher die Aufforderung an die Verantwortlichen, die Informationsweitergabe entsprechend der geltenden Rechtslage umzusetzen.

(Beifall CDU)

Es wäre nicht auszumalen, käme es in Thüringen wegen einer nicht weitergeleiteten Information auch nur zu einer einzigen Straftat. Gerade auch im Nachgang zu den aus den NSU-Verbrechen gewonnenen Erkenntnissen wurde das Thüringer Verfassungsschutzgesetz dergestalt geändert, dass die Staatsanwaltschaften und Gerichte auf Ersuchen des Amts für Verfassungsschutz die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen Informationen zu übermitteln haben, wenn dies für die Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem weiteren Phänomenbereich kommen – dem Linksextremismus. Der Schwerpunkt der Aktivitäten in diesem Phänomenbereich lag wiederum bei den sogenannten antifaschistischen autonomen Gruppen. Die Aktionen richteten sich gegen den Staat und die sogenannten politischen Gegner. Bürgerlicher Protest gegen Veranstaltungen rechtsextremer Gruppierungen oder Organisationen wurde dazu benutzt, aus den Protestveranstaltungen heraus Straftaten zu begehen. Die unmittelbare Konfrontation mit den politischen Gegnern zählt nach wie vor zu den bedeutendsten Betätigungsfeldern der gewaltbereiten linksextremistischen Szene.

Das Internet und die sozialen Netzwerke dienen dazu, überregional zu Protestveranstaltungen aufzurufen. In Mobilisierungsaufrufen und Internetkommentierungen wurde die Ablehnung friedlicher demokratischer Protestformen zum Ausdruck gebracht. Gewalt wurde nach wie vor als legitimes Protestmittel angesehen, was sich sowohl in zahlreichen Sachbeschädigungen, aber auch in körperlichen Angriffen auf Polizeibeamte und Teilnehmer gegnerischer Demonstrationen niederschlug. So kam es beispielsweise im Juni 2016 im Nachgang zu einer Demonstration vor der Gemeinschaftsunterkunft in Jena zu Übergriffen auf mutmaßliche Angehörige der rechtsextremistischen Szene durch vermummte Personen.

Auch bei der Gegendemonstration gegen eine Demonstration der Thügida am 17. August 2016 in Jena kam es zu Hausbesetzungen, zum Versuch, Absperrungen zu durchbrechen, zu Körperverletzungsdelikten, Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Bei der Gegendemonstration gegen die Thügida-Demonstration am 9. November 2016 wurden ebenso Straftaten aus den Reihen der Gegendemonstranten verübt, die mit einer Zahl von 1.500 fast durchweg dem demokratischen Spektrum zuzurechnen waren. Neben dem Zünden von Pyrotechnik von einem mehrgeschossigen Haus, Landfriedensbruch, Beleidigung und Hausfriedensbruch standen auch Raub- und Sachbeschädigungsdelikte im Raum. Auch wurde beispielsweise zu gewalttätigen Protesten gegen einen weiteren

Thügida-Aufzug am 18. Februar 2017 aufgerufen, der nur durch ein massives Polizeiaufgebot zum Trennen der beiden Seiten geschützt werden konnte.

Hausbesetzungen stellten im linksextremistischen Bereich nach wie vor ein Mittel des Protests dar, so beispielsweise am 17./18. Oktober 2016, als verbunden mit einer Spontandemonstration in Jena ein der Universität gehörendes Gebäude betroffen war. Auch kam es im Rahmen der Räumung der Rigaer Straße in Berlin im Juni 2016 zu Protesten und Sachbeschädigungen in Jena und Weimar.

Wie bereits benannt, richten sich die Aktionen der gewaltbereiten linksextremistischen Szene insbesondere gegen den politischen Gegner. So waren Versammlungen, Info- und Werbestände der AfD, aber auch Privatgrundstücke von der AfD angehörigen Landtagsabgeordneten Angriffspunkte für Sachbeschädigungen, Störungen oder auch tätliche Angriffe. Die Sachbeschädigungen bezogen sich zumeist auf Farbschmierereien oder das Zerschlagen von Fensterscheiben, wie beispielsweise im Juni 2016 in Zella-Mehlis.

Zudem gab es im Vorfeld des AfD-Bundesparteitags in Hannover am 2. und 3. Dezember 2017 in Thüringen Mobilisierungsaktionen zu Protesten. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass die AfD zunehmend in den Fokus gerät und die NPD diesbezüglich mehr und mehr ablöst. Gerade auch die Protestkundgebungen gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg haben einmal mehr die Gewaltbereitschaft von Angehörigen der linksextremistischen Szene gezeigt, wenn billigend oder sogar vorsätzlich die schwerwiegende Verletzung von Menschen in Kauf genommen, ja zum Teil beabsichtigt wurde – von den vielfältigen Sachbeschädigungen und Plünderungen einmal ganz abgesehen. Am 5. Dezember 2017 fand in diesem Zusammenhang eine bundesweite Durchsuchungsaktion statt. Thüringen war allerdings nicht betroffen. Thüringenbezüge im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel sind bislang nur in geringem Umfang bekannt und das ist sicher das einzig Erfreuliche, wenn es auch hier ein Vorbereitungstreffen gegeben hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den Berichtszeitraum fiel das Verbot der Internetseite linksunten.indymedia.org durch das Bundesministerium des Innern im Sommer des letzten Jahres. Diese Internetplattform diente als wichtiges Medium der gewaltorientierten Linksextremisten. Durch das Verbot geht dem Amt für Verfassungsschutz eine wesentliche Quelle für Informationen verloren, um Klarheit über Bekennerschreiben oder bestimmte Hintergründe im Bereich des Linksextremismus zu erhalten. So wurde die Plattform regelmäßig für Statements im Nachgang zu Aktionen genutzt.

Nicht aus der Beobachtung sollte auch die sich im Eigentum der linksextremistischen Marxistisch-Le

ninistischen Partei Deutschlands befindliche Liegenschaft in Truckenthal im Landkreis Sonneberg verschwinden, ist doch nicht auszuschließen, dass von hier bundesweite Aktionen gesteuert werden und potenzielle linksextremistische Demonstranten dort eine entsprechende Ausbildung erhalten.

Herr Kollege Hausold, Sie sprechen jetzt seit ungefähr 82 Minuten. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie eine Pause gut vertragen könnten, die würde ich Ihnen auch gern gewähren. Dann unterbrechen wir mal für 5 Minuten und machen dann weiter.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielleicht für die Besucher zur Erklärung: Die Parlamentarische Kontrollkommission hat diesen Bericht einstimmig verfasst, das heißt, er muss auch in Gänze vorgetragen werden. Das ist die Aufgabe des Vorsitzenden, die für Sie alle vielleicht jetzt nicht so spannend ist, weil Sie keine Debatte sehen, aber die Debatte kommt dann im Nachgang. Wir setzen in 4 Minuten fort.

Dann nehmen wir die Sitzung wieder auf. Herr Hausold hat sich einen kurzen Moment stärken können. Bitte schön.

Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihre Fürsorglichkeit. Ich kann aber jetzt außerhalb des Berichts hier vielleicht das mal ein bisschen missbrauchen und sagen: Menschen, die zukünftig über die Geschäftsordnung des Landtags diskutieren, sollten sich vielleicht mal überlegen, ob man solche Berichte nicht auch zu Protokoll geben kann.

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Eine Debatte haben wir darüber immer und schriftlich haben Sie das dann ja auch vorliegen. Aber so weit sind wir noch nicht, deshalb müssen wir heute sozusagen hier durch.

Wie schon in den letzten Jahren ist – wie bereits am Umfang der Berichterstattung der Landesregierung erkennbar – darauf hinzuweisen, dass gewaltbereiter Linksextremismus gegenüber verfassungsfeindlichen rechtsextremistischen Bestrebungen ein eher geringfügiges Phänomen darstellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Amts für Verfassungsschutz gehört auch die Spionageabwehr. Schwerpunkte der Tätigkeit des Amts für Verfassungsschutz in diesem Bereich waren Sensibilisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Proliferationsbekämpfung und des Wirtschaftsschutzes sowie im Bereich elektronischer Angriffe auf soziale Netzwerke. Hierzu dienen auch Vortragsveranstaltun

gen in potenziell betroffenen Unternehmen. Es war leider festzustellen, dass erstaunlich wenige Unternehmen auf einen möglichen Anschlag oder ein besonderes Ereignis vorbereitet sind. Ausländische Nachrichtendienste – hier insbesondere der chinesische, der türkische oder auch der russische Dienst – versuchten zum Beispiel, durch Cyberangriffe auf Daten von Unternehmen zuzugreifen oder entsprechende Netzwerke lahmzulegen. Gerade auch der türkische Nachrichtendienst versuchte im Nachgang zu dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 auf die türkische Diaspora in Deutschland einzuwirken, was sogar so weit ging, dass Greiftrupps Menschen in die Türkei verschleppten. Sie können sich sicher auch noch daran erinnern, dass dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz durch die Türkei mehrere Listen mit Gülen-Anhängern übergeben wurden, auf denen mehre hundert Personen aufgelistet waren. Die Bezichtigung der Terrorismusunterstützung wurde zum Anlass genommen, in Thüringen betroffene Unternehmen mittels bilateraler Einzelgespräche zu informieren, zu sensibilisieren und Unterstützung anzubieten. Die Listen wurden zwischenzeitlich durch die Türkei zurückgezogen. Es zeigte sich jedoch, wie weit der Arm des türkischen Staats auch bei uns reicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich im nächsten Berichtsteil weitere Schwerpunktthemen aufgreifen, zu denen die Landesregierung auch aufgrund ausdrücklicher Aufforderung seitens der Parlamentarischen Kontrollkommission berichtet hat. Leider waren im Berichtszeitraum auch wieder Büros von Abgeordneten Ziel von Anschlägen. Nach Angaben des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom April des letzten Jahres sind allein 2016 43 Anschläge auf Büros von Abgeordneten bekannt geworden. Diese Zahl hat sich im Jahr 2017 noch einmal erhöht. Es wurden 47 Fälle durch das Ministerium registriert. Dabei handelt es sich in den allermeisten Fällen um Sachbeschädigung, aber es gab auch einzelne Fälle des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Betroffen waren vor allem Einrichtungen der Partei Die Linke und der AfD, aber auch Büros von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Im Jahr 2016 gab es 20 Angriffe auf Büros der Partei Die Linke, im Jahr 2017 14. Die AfD war im Jahr 2016 in acht Fällen betroffen, im vergangenen Jahr in 20 Fällen. Im Jahr 2016 gab es sechs Angriffe auf Büros der CDU, im Jahr 2017 neun; auf die Büros der SPD im Jahr 2016 fünf und im vergangenen Jahr drei; auf die Büros von Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 2016 sechs und im vergangenen Jahr einen. Von den 43 Straftaten im Jahr 2016 sind 16 dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zuzuordnen, acht dem Linksextremismus, 15 der sogenannten sonstigen Kriminalität und vier der allgemeinen Kriminalität. Im Jahr 2017 wurden sechs Angriffe dem rechtsextremistischen Bereich

zugeordneten und 19 dem linksextremistischen, sieben der allgemeinen Kriminalität und 15 Taten konnten nicht zugeordnet werden.

Regionale Schwerpunkte im Jahr 2017 waren Eisenach mit elf und Jena mit sieben Fällen. Mehrere Übergriffe gab es auch in Gera, Erfurt, Ilmenau und Mühlhausen. Leider konnten in den meisten Fällen keine Tatverdächtigen ermittelt werden, sodass bezogen auf das Jahr 2017 33 Verfahren eingestellt wurden. In 12 Fällen laufen die Ermittlungen noch. So gab es am 15. Februar 2017 einen Angriff auf das Bürgerbüro der SPD und den Demokratieladen in Kahla. Dort wurden die Scheiben mit Steinen eingeworfen und ein Brandsatz gegen die Fassade geworfen und erst in der Nacht von Gründonnerstag zum Karfreitag dieses Jahres wurde die Fassade des CDU-Büros in Saalfeld mit Schmierereien versehen, die auf linksextremistische Verursacher hindeuten.

Die Parlamentarische Kontrollkommission verurteilt unabhängig von deren politischer Ausrichtung jegliche Angriffe auf Büros von Abgeordneten.

(Beifall CDU, SPD, AfD)

Dies sollte Konsens aller dem Hohen Haus angehörenden Kolleginnen und Kollegen sein. Die Begehung von Straftaten kann und darf kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung sein und stößt auf entschiedene Ablehnung der Parlamentarischen Kontrollkommission.

(Beifall CDU, SPD)

Wichtig ist und bleibt, dass alle Straftaten unabhängig von der politischen Couleur die gleiche Beachtung bei der Strafverfolgung finden. Einen Aspekt möchte ich an dieser Stelle noch benennen. Seitens der Landesregierung wurde im Rahmen der Beratung wiederholt darauf hingewiesen, dass der beschriebene Sachverhalt eigentlich dem Innenund Kommunalausschuss zuzuordnen sei. Dieser Argumentation konnte die Parlamentarische Kontrollkommission nicht folgen. Werden Abgeordnete in der Wahrnehmung ihrer mandatsbezogenen Rechte eingeschränkt, ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes die Zuständigkeit des Amts für Verfassungsschutz gegeben und damit auch der Parlamentarischen Kontrollkommission. Straftaten gegen Büros von Abgeordneten, die qua definitionem der Mandatsausübung dienen, können unstreitig die freie Mandatsausübung einschränken. Die Parlamentarische Kontrollkommission wird daher auch in Zukunft Angriffe auf Abgeordneten- und Parteibüros zum Gegenstand ihrer Beratung machen, soweit sie es für notwendig erachtet, und sie im Rahmen ihrer Kontrolltätigkeit behandeln. Für die Parlamentarische Kontrollkommission war es in dem Zusammenhang auch stets wichtig – und aus diesem Grunde wurde regelmäßig um Information gebeten –, ob die zu

ständigen Staatsschutzstellen der Kriminalpolizei und des Landeskriminalamts mit dem erforderlichen Personal ausgestattet sind und inwieweit die Kriminalpolizeiinspektion und das Landeskriminalamt entsprechend vernetzt sind. Leider wurde in diesem Zusammenhang seitens der Landesregierung ebenfalls auf den Innen- und Kommunalschuss verwiesen, es ist aber Aufgabe der Parlamentarischen Kontrollkommission zu prüfen, ob die Sicherheitsbehörden in der Lage sind, ihrer Informationspflicht an das Amt für Verfassungsschutz nachzukommen oder ob dies schon aus Ressourcenknappheit unterbleiben muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich einen weiteren Aspekt kurz aufgreifen, welcher bereits im vergangenen Tätigkeitszeitraum Gegenstand intensiver Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission war. Mitte des Jahres 2016 fand dies seinen Abschluss. Seinerzeit sprach eine Gruppe, die sich „RAF 4.0“ nannte, Morddrohungen gegen Angehörige der Thüringer Justiz und der Politik aus. In mehreren Briefen, die bei der Staatsanwaltschaft Gera, dem Landgericht Gera, der Landespolizeiinspektion Jena, der AfD-Landesgeschäftsstelle in Erfurt und der NPD-Landesgeschäftsstelle in Eisenach eingingen, wurden Morde an zehn Richtern, zehn Staatsanwälten, zehn Polizisten und zehn Politikern sowie weiteren konkret benannten aktiven bzw. ehemaligen Thüringer Politikern angekündigt. Auf Kritik der Parlamentarischen Kontrollkommission stieß seinerzeit zum einen, dass die Erkenntnisse über die Androhungen den namentlich genannten, zum Teil exponierten Persönlichkeiten des Freistaats Thüringen zunächst nicht mitgeteilt wurden und zum anderen Meldewege innerhalb der Polizei offenbar missachtet wurden. Es hatte den Anschein, dass die Briefe zunächst nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit betrachtet wurden. Im Juni des Jahres 2016 stellte die Staatsanwaltschaft Gera die Ermittlungen ein. Grund hierfür sei gewesen, dass kein für die Drohung verantwortlicher Täter ermittelt werden konnte. Diese Feststellung war zur Kenntnis zu nehmen. Gleichwohl ergeht erneut der Appell an die verantwortlichen Stellen, solche Schreiben sehr ernst zu nehmen und derartige Drohungen zukünftig mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bearbeiten. Sollten Politiker und insbesondere auch Abgeordnete dieses Hauses bedroht werden, sieht die Parlamentarische Kontrollkommission immer auch eine Mitzuständigkeit des Verfassungsschutzes, da solche Bedrohungen durchaus die Amtsführung von Angehörigen der Verfassungsorgane, Landtage und Landesregierungen beeinträchtigen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle das Thema rechtsextremistische Szene noch mal aufgreifen, da dies sowohl in der allgemeinen Berichterstattung als auch in eigenständigen Beratungsgegenständen behan

delt wurde, auch wenn es hier und da gegebenenfalls zu Wiederholungen kommt. Thüringen hat sich als Austragungsort für Konzerte der rechtsextremistischen Szene etabliert. Die Anziehungskraft scheint ungebrochen, insbesondere ein Name steht dabei in den letzten Jahren für diese Entwicklung: Themar. Die Kleinstadt im südthüringischen Landkreis Hildburghausen hat sich zu einer Konzerthochburg entwickelt. Diese Feststellung trifft die Parlamentarische Kontrollkommission mit großer Sorge. Reiht sich der Ort in den Reigen weiterer Thüringer Orte ein, die immer häufiger für Veranstaltungen dieser Art genutzt werden. Wir alle erinnern uns mit Schaudern an die Bilder grölender und den Hitlergruß zeigender Männer am 15. Juli 2017, als zwischen 5.000 und 6.000 Angehörige der rechtsextremistischen Szene aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Russland, Ungarn, der Tschechischen Republik zum größten Nazikonzert unter dem Motto „Gegen Überfremdung“ in die circa 3.000 Einwohner zählende Kleinstadt – man muss sagen – einfielen. Der Landkreis Hildburghausen hatte bis zuletzt versucht, das Konzert mit rechtlichen Mitteln zu verhindern. Leider hat auch in diesem Fall der Beschluss eines Verwaltungsgerichts das Konzert ermöglicht. Die Parlamentarische Kontrollkommission hat sich mit den Möglichkeiten, solche Veranstaltungen wirksam zu verhindern, intensiv auseinandergesetzt. Unabdingbar ist die wirksame Zusammenarbeit der Behörden – und damit meine ich aller Behörden. Es kann nicht sein, dass Verantwortlichkeiten hin- und hergeschoben werden und die Karte der scheinbaren Nichtzuständigkeit als Argument gezogen wird. Kommunale Behörden dürfen seitens der Landesverwaltung nicht alleingelassen werden. Hier bedarf es einer noch stärkeren rechtlichen und tatsächlichen Unterstützung.

Bezogen auf die Veranstaltung vom 15. Juli 2017 ist es schlicht und ergreifend nicht nachvollziehbar, weshalb eine Veranstaltung dieser Art auf der dafür vorgesehenen Fläche genehmigungsfähig war. Dass die Fläche zu klein war, war absehbar und der Auflage, beispielsweise den Abstand von 40 Metern zur angrenzenden Straße einzuhalten, konnte von vornherein nicht Folge geleistet werden. Ebenfalls ist in Betracht zu ziehen, Flucht- und Rettungswege, die diesen Namen auch verdienen, zu beauflagen und ihre Umsetzung zu überwachen. Da solche Veranstaltungen als nicht zu unterschätzende Einnahmequelle dienen, sollten auch Finanzströme genauer unter die Lupe genommen werden, um gegebenenfalls auch steuerrechtlich dagegen vorzugehen. Hierauf hatte ich schon verwiesen.

Für die Parlamentarische Kontrollkommission war es ebenso wenig nachvollziehbar, dass lediglich 43 Anzeigen, unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohungen, Körperverletzungen und

Verstößen gegen das Waffengesetz, durch die Polizei gefertigt wurden. Hatte doch jede einzelne dieser grölenden Personen mit dem Zeigen des sogenannten Hitlergrußes eine Straftat begangen. Wird dann argumentiert, dass die Polizeikräfte vor dem Hintergrund der großen Anzahl der Besucher und ihres Alkoholgenusses von entsprechenden Feststellungen Abstand genommen hätten, so lässt sich der Eindruck gewinnen, dass ein Kontrollverlust vorgelegen hat.

Dieses Konzert fand bereits zwei Wochen später seine Fortsetzung, als an gleicher Stelle am 29. Juli 2017 ein weiteres Rechtsrockkonzert unter dem Titel „Rock für Identität – Musik und Redebeiträge gegen den Zeitgeist“ mit circa 1.000 Teilnehmern stattfand. Und als wäre dies noch nicht genug, gab es am 28. Oktober 2017 unter dem Motto „Rock gegen Links“ ein drittes Konzert in Themar mit wiederum etwa 1.000 Teilnehmern.

Umso erfreulicher war es, dass es gegen die Konzerte erheblichen zivilgesellschaftlichen Widerstand in der Stadt Themar gab, der sich in kreativer und friedlicher Weise äußerte. Im Ergebnis hatte das angesprochene Verbot des für den 8. und 9. Juni 2018 angemeldeten Rechtsrockkonzerts keinen Bestand, sodass sich jüngst dort wieder 2.300 Rechtsextremisten versammeln.

Livemusik ist nach wie vor ein wirksames Instrument, Netzwerke aufzubauen und bestehende zu festigen. Musikveranstaltungen schweißen die Szene zusammen. Bei Konzerten und Liederabenden werden Verbindungen geknüpft, neue Anhänger rekrutiert und – ich sagte es bereits – Einnahmen generiert. Eine Auswertung mehrerer Anfragen im Deutschen Bundestag durch die Zeitschrift „Der Spiegel“ hat ergeben, dass im Jahr 2017 289 Konzerte, Liederabende und andere Veranstaltungen mit Musikbeiträgen in Deutschland stattfanden; die mit Abstand meisten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen gab es laut Bundesministerium des Innern in Thüringen mit 40 und in Sachsen mit 37. Ein Grund für die Häufigkeit liegt auch daran, dass sich die Immobilien in Besitz von Rechtsextremisten und mutmaßlichen Sympathisanten befinden und diese an Kameraden vermieten oder selbst als Organisatoren auftreten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch im Berichtszeitraum versuchten Angehörige der rechtsextremistischen Szene, Objekte zu erwerben. Die Landesregierung geht davon aus, dass derzeit elf Objekte in Thüringen für rechtsextremistische Zwecke genutzt werden, diese Objekte befinden sich in Ballstädt, Eisenach, Fretterode, Guthmannshausen, Harztor/Ortsteil Ilfeld, Kahla, Kirchheim, Kloster Veßra, Wipfratal/Ortsteil Marlishausen, Ronneburg und Themar. Davon befinden sich acht Objekte im Eigentum oder Besitz von Personen

oder Organisationen, die der rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden.

Es ergeht wiederum der dringliche Appell an die Landesregierung, alle ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen, um Immobilienveräußerungen seitens des Landes an Rechtsextremisten zu verhindern und Kommunen und Privatpersonen jede erdenkliche Hilfe anzubieten und zu sensibilisieren, um Immobilienveräußerungen an Rechtsextremisten zukünftig zu verhindern. Der Parlamentarischen Kontrollkommission ist es dabei besonders wichtig, dass frühzeitig Kontakt mit den jeweiligen kommunalen Verwaltungsspitzen aufgenommen und entsprechende Hilfe angeboten wird.