Protokoll der Sitzung vom 14.12.2018

Warum wollen Sie den nicht wählen lassen? Sie wissen doch genau, dass Sie dann keine Grenze mehr ziehen können

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir wollen!)

und dass Sie damit

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie klagen gegen Ihren Sohn!)

natürlich auch Grundsätze unseres verfassungsrechtlich begründeten Wahlrechts missachten, das davon ausgeht, dass es eine gewisse Wahlmündigkeit braucht. Und was ich ja besonders beachtlich finde, dass Frau Marx jetzt auch noch mit dem Verfassungsgerichtshof argumentiert, denn der hat genau das andere festgestellt, genau das Gegenteil von dem festgestellt, was Sie hier versuchen dem Verfassungsgerichtshof unterzuschieben. Er hat nämlich in der Entscheidung zum Wahlrecht für

16-Jährige unter anderem festgehalten – ich darf das mal mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren –: „Die Aufhebung des § 2 Nr. 2“ – also Vollbetreuung, Wahlrechtsausschluss wegen Vollbetreuung – „hätte zur Folge, dass Personen an der Wahl teilnehmen könnten, bei denen aufgrund der Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten sicher [davon] ausgegangen werden kann, dass sie zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung nicht in der Lage sind.“ Dann führt er weiter aus: Es wäre „fraglich, ob trotz des Ausnahmecharakters der ‚Vollbetreuung‘ die Zahl der Betroffenen noch vernachlässigbar gering wäre.“ Was sagt uns damit der Verfassungsgerichtshof in dieser Angelegenheit? Dass er also durchaus davon ausgeht, dass diese Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, wohlgemerkt nach einem Richterspruch, nach einem Urteil, eben nicht wahlmündig sind, weil es ihnen an der Einsichtsfähigkeit fehlt. Und er sagt weiterhin aus, dass große Zweifel daran bestehen, ob die Zahl der Betroffenen in Thüringen noch vernachlässigbar gering wäre. Sie können in Ihrem Antrag noch nicht einmal sagen, wie viele Leute es betrifft.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie klein muss die Menge Men- schen sein, damit es für Sie nicht mehr zählt?)

Da sehen Sie mal, was Sie für einen Antrag hingeschludert haben.

(Beifall AfD)

Dann stellt man sich natürlich schon die Frage, was die Koalition damit bezwecken will, dass sie Menschen wählen lassen will, die ganz offenkundig, richterlich festgestellt, dazu gar nicht in der Lage sind. Da muss man nur mal in Ihren Gesetzentwurf reingucken, da steht es nämlich schön: Sie wollen für Unterstützung sorgen.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Ihr Menschenbild!)

Da brauche ich doch gar nicht viel Phantasie, wer die Wahlentscheidung eines Komapatienten am Ende dann tatsächlich treffen darf.

(Beifall AfD)

Ja, das sind Ihre Genossen von der Volkssolidarität

(Unruhe DIE LINKE)

und da fallen mir noch jede Menge andere Institutionen ein,

(Heiterkeit DIE LINKE)

die entsprechend parteilich eingefärbt dann diese Aufgaben übernehmen dürfen, in den Altersheimen beispielswiese auch und in anderen Betreuungseinrichtungen.

(Unruhe DIE LINKE)

Da muss ich Ihnen eins sagen: Das Wahlrecht, selbst wenn man sagt, wir wollen es nur mal ausprobieren, das Wahlrecht hat einen viel zu hohen Wert in einer Demokratie, einer echten Demokratie, um damit Experimente zu machen, Experimente dieser Art.

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Für Sie ist doch das Wahlrecht nur da, um De- mokratie abzuschaffen!)

Mit Ihrem Gesetzentwurf verramschen Sie den Kerngedanken der Demokratie, der auch eine gewisse Einsichtsfähigkeit für die Mitbestimmung voraussetzt, die in den Fällen, wo Sie jetzt das Wahlrecht einräumen wollen, richterlich festgestellt worden ist – nicht von mir, nicht von irgendwelchen anderen Leuten, sondern richterlich festgestellt worden ist.

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Die Würde des Menschen, Herr Möller!)

Das ist eigentlich eine hohe Kante im Rechtsstaat. Die sollten Sie achten können.

Dann sage ich Ihnen noch was: Wer behinderten Menschen helfen will, wer sie inkludieren möchte, der muss für bestmögliche Beschulungsmöglichkeiten sorgen, der sollte das Förderschulsystem aufrechterhalten.

(Beifall AfD)

Und der sollte sich mal fragen, meine Damen und Herren – ich will es mal am Beispiel der Trisomie 21 erklären, Trisomie 21 ist eine Behinderung, die oft auch zum Wahlrechtsausschluss führt, aber die durchaus ein erfülltes Leben ermöglicht für den Betroffenen, jedenfalls in Deutschland, in unserem Land. Trotzdem werden 90 bis 95 Prozent aller ungeborenen Kinder, bei denen Trisomie 21 festgestellt wird, in diesem Land abgetrieben. 90 bis 95 Prozent! Aber die restlichen 5 Prozent, das gebietet angeblich die Menschenwürde und die Diskriminierungsfreiheit, die restlichen 5 bis 10 Prozent, die müssen unbedingt das Wahlrecht bekommen,

(Beifall AfD)

damit dann ein Gerechtigkeitsausgleich getroffen wird.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mann, denken Sie mal Ihren Satz zu Ende! Pfui Teufel!)

Ich will Ihnen mal eins sagen: Wissen Sie, das ist so ein hoher Doppelstandard, den Sie hier abliefern, der auch ganz klar erkennen lässt,

(Unruhe DIE LINKE)

was für ein schräges Wertegefüge hinter diesem Antrag, hinter diesem Gesetzentwurf steckt.

(Zwischenruf Abg. Leukefeld, DIE LINKE: Sie sollten sich schämen!)

Kümmern Sie sich lieber mal darum,

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Das ist das Allerletzte!)

dass Menschen mit so einer Behinderung nicht abgetrieben werden, nicht noch bis in den letzten Monat mit einer Kaliumspritze abgetrieben werden können, umgebracht werden können.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Das ist Rassismus in aller Form!)

Das wäre ein Gebot von Menschenwürde, von Menschlichkeit,

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Euthanasie!)

und nicht ein Wahlrecht zu verleihen, was überhaupt nicht ausgeübt werden kann. Kriegen Sie lieber mal Ihre Doppelstandards in den Griff. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Das ist fürchterlich! Das ist ein Tiefpunkt der Par- lamentsdebatte!)

Herr Abgeordneter Harzer, für die Äußerung erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf. Jetzt hat der Abgeordnete Adams das Wort.

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Das ist das Allerletzte, dieser Haufen!)

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Er kriegt mit Sicherheit nichts für seine Äuße- rungen!)

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Ihr müsstet euch schämen! Und das zu Weih- nachten!)

Herr Abgeordneter Adams, wollen Sie nicht mehr? Doch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer am Livestream, ich habe mehrfach in den letzten Minuten darüber nachgedacht, ob ich wirklich gehört habe, was hier möglicherweise gesagt wurde. Ich werde mir das ganz in Ruhe noch mal am Bildschirm anschauen – gut, dass wir das haben, Herr Möller – und will mich deshalb vorher auch gar nicht weiter zu dem, was Sie hier gesagt haben, äußern.

(Abg. Möller)

Das Thüringer Gesetz zur Beseitigung von Wahlrechtsausschlüssen – das ist ein sperriger Titel, aber dahinter verbergen sich Menschen, jeweils einzelne Menschen – und die Frage, wie ernst wir diese Menschen nehmen, auch wenn oder gerade weil sie zu den Schwächsten in der Gesellschaft gehören. Die UN-Behindertenrechtskonvention trägt uns auf – und ich probiere das mal ganz grob zu zitieren –: „Die Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen“. Gleichberechtigt – da steht nichts drin, dass man das Wahlrecht aberkannt bekommen soll. Und weiter ausgeführt wird dort in einem etwas anders gelegenen Fall, aber der uns zumindest einen Hinweis geben will, wohin die UNBehindertenrechtskonvention hier argumentiert: Die Vertragsstaaten „garantieren [...] die freie Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wähler und Wählerinnen und erlauben zu diesem Zweck im Bedarfsfall auf Wunsch, dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen.“ Ich würde mal sagen, zwei relativ starke Indizien dafür, dass die UN-Behindertenrechtskonvention das will, dass Menschen mit Behinderungen, und zwar alle, wählen, wenn sie das wollen. Zudem hat der EuGH im Jahr 2010 noch einmal ausdrücklich festgestellt in einer Entscheidung, dass generelle Wahlrechtsausschlüsse von behinderten Menschen sowie Menschen in gesetzlicher Betreuung und Unterbringung nicht zulässig sind. Vor dem Hintergrund darf man es wirklich und man muss es groben Unfug nennen, was Herr Möller von der AfD hier gerade vorgetragen hat.