Protokoll der Sitzung vom 01.10.2019

Fraglich ist, wer wann diese Einträge aus den SRecords-Akten entfernt hat. Ein Zeuge hat in seiner Zeugenvernehmung glaubhaft bekundet, dass diese S-Records im Jahr 1998 noch vollständig gewesen wären. 1998 hat es allerdings auch hier keine vollständige Auswertung dieser Materialien gegeben. Die Akten wurden bis 2011 und der Übergabe dann an das Bundeskriminalamt im Zuge der Enttarnung des NSU im Landeskriminalamt gelagert. Wir können heute nicht mehr feststellen, wann und durch wen diese Einträge entfernt worden sind, aber wir haben den Verdacht, dass, wenn zufällig – oder eben nicht zufällig – aus diesen beiden Teilen genau diese Aktenteile fehlen, sich dort möglicherweise konkrete Kenntnisse über Waffenbeschaffung, Informationen zum Aufenthaltsort, möglicherweise gar zur Existenz der rechtsterroristischen Gruppierung NSU ergeben haben und dann diese Einträge entsorgt worden sind.

Wir haben den Auftrag gehabt, Überschneidungen mit OK-Strukturen zu untersuchen. Hier sind uns die Ehrhardt-Brüder in den Fokus geraten. Bei der Ehrhardt-Bande, die in den 1990er-Jahren mit umfangreichen Strafverfahren überzogen wurde, hat es sich nicht primär um in der rechten Szene verortete Personen gehandelt, insbesondere auf eine Zugehörigkeit der namensgebenden Zwillingsbrüder zur Jenaer Neonaziszene gibt es keinerlei Hinweise. Ebenso wie bei Rockern gibt es aber eine starke Personenüberschneidung zur rechten Szene – und dort scheint es auch keine Berührungsängste seitens der Führer dieser Bande gegeben zu haben – und auch eine gezielte Nutzung des rechten Milieus für eigene kriminelle Aktivitäten. Genauere Nachweise finden Sie in unserem Bericht.

Sowohl Sachverständige als auch andere Zeugen haben gegenüber dem Untersuchungsausschuss ein enges Netz von Kleinkriminellen um diese Bande geschildert, welche insbesondere für Autodiebstähle und Ähnliches benutzt wurde. In diesem Zusammenhang fallen auch weitere Unterstützer der Bande, aber möglicherweise auch des Kerntrios auf, die der rechten Szene zugehörig waren oder zumindest mit dieser sympathisiert haben. Wir haben hier pseudonymisiert En. The. und Jü. Lä. namentlich zugeordnet. Das sind Menschen, die in den frühen 90er-Jahren dem gleichen Umfeld wie Uwe Böhnhardt angehörten und mit diesem auch näher bekannt waren. Spätestens in der Zeit um die Jahrtausendwende war The. nachweislich Mitglied der Bande. In einer BKA-Vernehmung wird er als Soldat bezeichnet, womit in der Regel ein einfaches Mitglied krimineller Banden gemeint ist. Ich möchte hier die Einzelheiten nicht weiter ausführen, Sie können das weiter im Bericht nachlesen. Eine Einbindung dieser beiden in das Umfeld der Ehr

hardt‑Bande auch um die Jahre 1999 bis 2000 ist nicht fernliegend. Die beiden genannten Verbindungsmenschen oder rechtsextrem motivierten Täter sind auch wegen der Sprengung von Geldautomaten in mehreren Fällen bekannt geworden. Auch in diesem Verfahren gab es einen Hinweis auf eine aus der Schweiz bezogene Schusswaffe. Auch die Ceska wurde, wie wir heute wissen, aus der Schweiz importiert.

Der VP-Einsatz mit Rechtsextremismusbezug sollte uns eigentlich ausführlicher beschäftigen. Es war ein ausdrücklicher Auftrag unseres Parlaments hier von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns dieser Frage widmen sollten. Während wir uns im Untersuchungsausschuss 5/1 die V-Leute des Verfassungsschutzes angeschaut haben, wäre es jetzt überfällig gewesen, uns die VPs, also die Verbindungspersonen, die mit ähnlicher Legendierung mit Bezahlung als Doppelagenten sozusagen eingesetzt werden in der kriminellen Szene, anzuschauen. Hier hatten wir eine längere Auseinandersetzung mit der Landesregierung, ob uns diese Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Darauf möchte ich später noch einmal näher eingehen.

Zentral hat hier dann ein Beschluss des Verfassungsgerichts vom 13.06.2017 eine Rolle gespielt, der in der Tat Passagen enthält, die so interpretiert werden können, als sei es nicht geboten oder auch nicht zulässig, uns diese Daten zur Verfügung zu stellen. Dennoch wäre es sehr wichtig gewesen, denn wir haben Hinweise – auch unabhängig davon, dass es nicht zur Herausgabe von entsprechenden Unterlagen an den Ausschuss gekommen ist –, dass auch VPs in dem Bereich, der uns hier zu interessieren hatte, zum Einsatz gekommen sind.

Sicher erscheint, dass einer der Ehrhardt-Brüder von 1993 bis 1994 als VP der Polizei im Zusammenhang mit dem Verfahren „Pekunia“ geführt worden ist. Auch kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass im November 1995 einer der beiden Brüder kurzzeitig als VP wirkte. Dies ist den Zuarbeiten der Sachverständigen Kendzia und Hemmerling – die ich stellvertretend nennen will für viele investigative Journalisten, die in den vergangenen Jahren sehr wichtige Zuarbeit zur Aufklärung geleistet haben – zweifelsfrei zu entnehmen und deckt sich mit den Ausführungen in der Gefährdungsanalyse zu dieser Bande, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens zu Sprengstoff und Betäubungsmitteln im November 1995 mitgeteilt worden ist. Wir können nicht abschließend bewerten, ob beide oder lediglich einer der Brüder 1995 geführt wurde, sie haben sich gegenseitig auch als Tarnung und Tarnname benutzt, was

bei Zwillingen ja naheliegt. Aber, wie gesagt, es steht fest, dass hier eine VP-Führung vorgelegen hat.

Die weitere Bezugsperson zum rechtsextremen Milieu – „The.“ abgekürzt in unserem Bericht – ist im Münchner NSU-Prozess vernommen worden und hat auf die Frage, ob er VP gewesen sei, nach einer sehr langen Pause geantwortet, er würde nicht sagen, dass er für den Verfassungsschutz tätig geworden sei. Die Frage, dass er als VP im weiteren Sinne tätig geworden sei, hat er nicht verneint, sondern ausgeführt, er erinnere sich nicht mehr. Bei diesem Herrn ist zu bemerken, dass er 1997 im selben Garagenkomplex wie die von Böhnhardt und Zschäpe angemietete Garage auch eine Garage besessen haben soll, von dem es heißt, dass dort Waffen gelagert worden seien. Dass dieser Mensch Mieter einer Garage im unmittelbaren Umfeld war, hat er im Münchner Prozess bestätigt.

Schließlich haben wir am Ende unserer Untersuchungsarbeit noch einmal einen Hinweis in einem Vermerk des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz vom 02.10.2000 aufgegriffen, wo noch einmal deutlich geworden ist, dass der Einsatz einer V-Person im „Thüringer Heimatschutz“ durch die Sonderkommission „Rechte Gewalt“ im Thüringer Landeskriminalamt geplant war, recht konkret. Die Soko „Rechte Gewalt“ hatte ab 2000 Ermittlungen hinsichtlich des Verdachts der kriminellen Vereinigung in Bezug auf den „Thüringer Heimatschutz“ geführt. Im Ergebnis konnte der Verdacht oder diese Anbahnung, ob die nun realisiert worden ist, von uns weder bestätigt noch endgültig ausgeräumt werden.

Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir haben hier schon mal drei Personen, die interessant gewesen wären. Am Ende einer längeren Auseinandersetzung mit dem Ministerium hat die Landesregierung einen Sachverständigen eingesetzt, den sehr renommierten Sachverständigen Heintschel-Heinegg, der aber auch selbst gesagt hat, dass er aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen, die er sich nicht selbst aussuchen konnte, keine Hinweise habe identifizieren können, wobei er aber auch klargestellt hat, dass das nicht heißen muss, dass es solche Personen nicht gegeben haben kann. Unsere spärlichen Erkenntnisse außerhalb der uns übergebenen Unterlagen weisen darauf hin, dass es hier doch noch mehr gegeben hat.

Wir haben, wie schon im vergangenen Untersuchungsausschuss, feststellen müssen, dass ein mangelnder Informationsstand der Behörden und eine fehlende Informationsweiterverarbeitung – weitere Erhebungen wurden unterlassen, es gab keine

Koordination, es wurde in Schubladen gedacht – eine Zusammenführung wichtiger Erkenntnisse erschwert haben. Und das alles führt – und das muss ich leider hier auch noch mal in aller Deutlichkeit sagen – zur Verfestigung des schon im Untersuchungsausschuss 5/1 angenommenen Ergebnisses, die Morde und Anschläge hätten durch bessere Ermittlungsarbeit verhindert werden können. Das ist ein großes Verschulden, das unser Land und unsere Behörden auf sich geladen haben.

Wir haben uns im letzten Komplex, bevor wir unsere Arbeit nun wieder einstellen mussten, da die Legislaturperiode zu Ende geht, noch einmal den Mordfall Kiesewetter angeschaut. Das gehört zu den größten offenen Fragen, wie es dazu gekommen ist, dass Michèle Kiesewetter, die aus Thüringen stammende junge Polizistin, die in BadenWürttemberg eingesetzt worden war, ums Leben gekommen ist. Wir haben – das lesen Sie im Bericht – sehr viele Umfeldhinweise, die ganzen rechtsextremen Strukturen, die rund um den NSU angesiedelt sind oder als Verbände mit Verbindung zum NSU angesehen werden müssen, dann auch teilweise in Bezug zu Michèle Kiesewetter wiedergefunden. Noch einmal, wie auch schon im letzten Bericht: Michèle Kiesewetter selbst hatte keine Kontakte zur rechtsextremen Szene, aber sie war als Ermittlerin im Umfeld einiger dieser kriminellen Kreise eingesetzt. Die Verbindungen von BadenWürttemberg nach Thüringen gab es und gibt es. Und auch hier denken wir, dass es weitere Ermittlungsansätze über mögliche Verbindungen mit rechtsextremen Bezügen zwischen Baden-Württemberg und Thüringen gibt. Hier ist eine vernommene Polizeizeugin aus Thüringen wichtig, die dort in der Soko „Parkplatz“ – so heißt die Mordermittlungskommission – den Mord in Baden-Württemberg an Michèle Kiesewetter und den Mordversuch an ihrem Kollegen untersucht hat. Sie hat uns als persönlichen Eindruck am Schluss ihrer Zeugenvernehmung und ihrer sehr eindrucksvollen Arbeit gesagt, auch sie glaubt nicht, dass alles schon bekannt ist. Auch sie kann sich vorstellen, dass es doch ein besonderes Motiv für diesen grausamen Mord gegeben hat.

Ich komme jetzt noch einmal auf die V-Personen zurück und unseren nicht erfüllbaren Untersuchungsauftrag. Wir haben hier einen Konflikt zwischen dem parlamentarischen Kontrollauftrag versus der Vertraulichkeit der konspirativen Informationsbeschaffung und auch den Schutz des Lebens der V-Personen auszutragen gehabt. All das verkennen wir nicht. Es gab dann den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.06.2017, der uns auch noch mal besondere Auflagen gemacht hat und auch der Landesregierung gesagt hat, hier

können wir euch nicht die Auskünfte geben, die ihr einmütig im Ausschuss beschlossen habt, die ihr gerne hättet und die auch der Landtag eigentlich eingefordert hat. Die Debatte war sehr lang, sie war sehr beschwerlich. Nicht schön war der Beginn, als es hieß, die umfängliche Zurverfügungstellung von Akten über V-Leute des Verfassungsschutzes in der letzten Legislaturperiode sei in einer Ausnahmesituation erfolgt. Sie sei der damaligen Zeit geschuldet gewesen. Die Zeiten seien jetzt andere. Die Ausnahmesituation, verehrte Kolleginnen und Kollegen, herrscht bis heute, denn die Ausnahmesituation wird so lange gelten, bis wir diese ganzen Hintergründe vollständig aufgeklärt haben.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch müssen wir einsehen, dass dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts natürlich auch die Landesregierung zum Nachdenken darüber anhalten musste, ob sie uns die Unterlagen geben kann oder soll. Hier ist insbesondere ein Passus in der Entscheidung tatsächlich interpretationsfähig, obwohl wir ihn anders ausgelegt haben und auch weiterhin anders auslegen würden, als es die Landesregierung getan hat. Aber ich zitiere diesen Passus. Es ging in diesem Fall nicht um unser Land und unseren Untersuchungsausschuss, sondern um Auskünfte zu einem lange zurückliegenden Fall, nämlich dem Oktoberfest-Attentat in München. Hier wollten Abgeordnete des Deutschen Bundestags, also kein Untersuchungsausschuss, bestimmte Fragen nach V-Personen, die damals zum Einsatz gekommen sein müssen, beantwortet haben. Diese Beantwortung ist weitgehend verweigert worden. Es ging am Ende nur noch um die Anzahl. Da heißt es in der Entscheidung: „Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Beantwortung bestimmter Fragen nicht in Betracht kommt, ist sie gehalten zu prüfen, ob eine Beantwortung unter Einstufung nach der Geheimschutzordnung möglich ist. Aus dieser Möglichkeit folgt jedoch nicht, dass jede Anfrage nach Vornahme einer entsprechenden Einstufung beantwortet werden muss. Gerade im Bereich verdeckt handelnder Personen, deren Einsatz für das Staatswohl von großer Bedeutung und zugleich in hohem Maße geheimhaltungsbedürftig ist, besteht hinsichtlich bestimmter Informationen ein legitimes Interesse, den Kreis der Geheimnisträger auf das notwendige Minimum zu beschränken. Je größer dieser Kreis ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Geheimnisse – sei es absichtlich oder versehentlich – weitergegeben oder ausgespäht werden [...]. Besonders geheimhaltungsbedürftige Informationen aus dem Bereich des Quellenschutzes können dem Parlament daher auch dann vorenthalten werden, wenn beiderseits

Vorkehrungen gegen ihr Bekanntwerden getroffen worden sind.“

Dann führt das Gericht weiter aus, dass zum Bundesrecht anerkannt ist, dass selbst nach dem Bundesgesetz über das parlamentarische Kontrollgremium dem zur Geheimhaltung verpflichteten parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes bestimmte Informationen vorenthalten werden können. Dies stehe, so das Bundesverfassungsgericht, nicht im Widerspruch dazu, dass das Staatswohl und der Grundrechteschutz auch dem Parlament anvertraut sind und dieses insoweit nicht als außenstehend behandelt werden darf. Es geht allein darum, den Kreis der Geheimnisträger bei besonders geheimhaltungsbedürftigen Informationen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Staatsgewalt möglichst klein zu halten. Dementsprechend muss sich auch der Ansatz, die Kenntnisse zum Einsatz verdeckt handelnder Personen auch innerhalb der Exekutive auf nur wenige Personen beschränken. Das ist die entscheidende Passage, über deren Auslegung wir sehr lange gestritten haben mit unterschiedlichen Anschauungen.

In diesem Beschluss gibt es natürlich keine Berücksichtigung der besonderen Ausgangslage, die wir hier in Thüringen hatten, und auch nicht der besonderen Verfassungslage in Thüringen, in der steht, wenn Geheimhaltungserfordernisse erfüllt sind, dann gibt es keinen Hinderungsgrund mehr, Informationen an einen Untersuchungsausschuss weiterzugeben, es sei denn, es sind persönliche/private Geheimnisse betroffen oder eben die Geheimhaltung ist nicht gewährleistet.

Wir haben insbesondere mit der Berufung der Landesregierung auf diesen Passus bei der Nichtherausgabe der V-Personenakten nicht nur den Erkenntnismangel zu beklagen, den wir in diesem wichtigen Bereich nun hatten und den auch Herr Heintschel-Heinegg heute Morgen in einem Radiointerview noch einmal selbst beklagt haben soll, sondern es geht auch darum, dass eine solche Formulierung, dass man selbst ein parlamentarisches Kontrollgremium von der Kontrolle des Einsatzes von VPs ausschließen darf, verkennt, dass wir hier gerade den Kernbereich des Untersuchungsauftrags haben. Das war bei uns nicht irgendein Beifang, wie das vielleicht für die Fragesteller im Bundestag der Fall gewesen ist, sondern es ist die Kernauseinandersetzung gewesen – ich breche es mal runter auf die einfache Frage –, ob es eine Art Tino Brandt nicht auch bei der Polizei gegeben haben kann. Wie gesagt, es gibt eine sehr hohe Anzahl von VPs. Die haben wir zumindest mitgeteilt bekommen. Die Anzahl der VPs, die im Bereich von

Kriminalität beim LKA aktiv waren, ist viel höher als die der eingesetzten V-Leute. Dass sich dort auch aufgrund der uns dann doch zur Verfügung stehenden Erkenntnisse niemand gefunden haben soll, der in dem Bereich aktiv war, können wir nur schwer glauben. Das Problem ist immer, wenn man Informationen nicht bekommt, kann man natürlich Leute nicht belasten, aber man kann sie auch nicht entlasten. Informationsweitergabe dient auch immer dazu, zu sagen, wer es nicht gewesen ist. Das ist übrigens eine wesentliche Erfahrung bei der Offenlegung der Stasi-Unterlagen gewesen. Dort hat man auch gesagt, da gibt es Mord und Totschlag – gab es nicht. Aber die vielen, die dann Akten eingesehen haben – und das habe ich mehr als einmal gehört – haben gesagt, ja, also ich bin jetzt überrascht. Ich dachte, es wäre jemand ganz anderes gewesen. Und der, der es war, mit dem habe ich gar nicht gerechnet. Also Wahrheit und Klarheit beugen sogenannten Verschwörungstheorien immer vor und diese Aufgabe steht heute noch aus.

Problematisch ist, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, dass das Parlament zwar nicht als außenstehend behandelt werden darf, aber trotzdem der Kreis der Geheimnisträger so eng zu begrenzen ist, dass das Parlament ausgeschlossen werden kann. Das ist nicht richtig. Es geht nicht nur darum, ob es sozusagen ein Almosen ist, dass wir Erkenntnisse erhalten, sondern es geht um Gewaltenteilung und um die wichtigen Aufgaben des Parlaments bei der Kontrolle von Geheimdiensten – ein wichtiges Prinzip, was in unsere Verfassung, aber auch in die Verfassung des Bundes Eingang gefunden hat. Dieses Recht der parlamentarischen Kontrolle haben sich unsere Verfassungsmütter und Verfassungsväter nicht einfach mal so ausgedacht, sondern die Gewaltenteilung dient dazu, Machtmissbrauch zu verhindern.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann muss auch eine gutwillige Landesregierung, die sagt, wir wollen an der Aufklärung mitwirken, erkennen, dass sie sozusagen nicht Strukturen bereiten darf, die, wenn es mal andere Amtsträger geben sollte, dann zu einem Verheimlichungsexzess führen könnten. Denn das Problem war, dass gesagt wurde, die VPs müssen geheim bleiben, es darf überhaupt nichts durchdringen, was die Identifizierung dieser Personen erleichtert, und deswegen dürft ihr es als Abgeordnete auch nicht wissen. Dies zog Kreise. Wir haben dann entsprechend plötzlich auch eingeengte Aussagegenehmigungen bekommen. Da waren Leute, die haben gesagt, ja, wir waren mit solchen Leuten befasst und wenn wir bekannt werden und wenn wir irgendetwas dazu

sagen, dann könnte möglicherweise im Rückschluss auch wieder eine Identifizierung erfolgen. Dann gab es eben auch Aussagebeschränkungen, da hieß es nicht nur, der Zeuge oder die Zeugin X ist in dem Bereich tätig gewesen und selbstverständlich vor Enttarnung zu schützen, sondern auch, er oder sie könnte da vielleicht irgendwann mal tätig werden.

All das führt zu einem kontrollfreien Raum, den es in einem Rechtsstaat nicht geben darf, und zwar im Interesse zukunftsfester demokratischer Strukturen. Deswegen ist es sehr schade, dass wir diese Differenz nicht in unserem Sinne auflösen konnten. Es ist natürlich auch immer ein Streit unter Juristen und deswegen schwierig. Aber wir – und das möchte ich hier noch einmal sagen – haben in den vergangenen Legislaturperioden bewiesen, dass wir anvertraute Geheimnisse auch geheim gehalten haben. Wir richten uns in unserem Aufklärungsbegehren – was ja von Ihnen, von den Kolleginnen und Kollegen an uns als Ausschuss gegangen ist – nicht gegen Behörden. Wir haben uns gegen Verdrängung und Vertuschung auf Leitungsebene zur Wehr zu setzen, die es unzweifelhaft gegeben hat.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen bis heute, dass es viele Ermittlerinnen und Ermittler auf den verschiedensten Ebenen in den verschiedensten Ämtern auf unserer Seite gibt, die die ungeklärten Fragen mindestens genauso umtreiben wie uns selbst und für die es ebenso bitter ist, wenn die Aufklärung von Behördenversagen nicht Ehrensache einer freiheitlichen Demokratie, einer gewaltengeteilten Demokratie ist, sondern als lästiger Eingriff in Staatshandeln betrachtet wird. Wie gesagt, es ist gefährlich, eine solche Haltung einzunehmen, denn die kann missbraucht werden. Genau das wollten weder die Verfassungsväter in Thüringen noch im Bund.

Entscheiden Sie daher bitte selbst, wem Sie das Scheitern an der Erfüllung dieses Aufklärungsversprechens im Sinne einer schuldhaften Unterlassung zuordnen wollen. Ich hoffe, dass vielleicht ein künftiges Parlament diesen Widerspruch noch juristisch aufklärt, sodass klar ist, was müssen Parlamentarier wissen dürfen, was darf eine Regierung auf keinen Fall weitergeben. Es ist offengeblieben, und das war zum Nachteil unseres Aufklärungsauftrags.

Ich möchte an dieser Stelle den vielen Danke sagen, die mitgewirkt haben, den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, den Mitarbeitern der Fraktionen, aber auch den Mitarbeitern der Landesregierung, den Vertretern der Landesregierung sowie

auch der interessierten Öffentlichkeit, die immer hinter uns gestanden hat und gesagt hat: Ja, es ist von Interesse, auch wir wollen wissen, was gewesen ist. Ich möchte an dieser Stelle aber auch einmal Namen nennen – unter der Beachtung des Persönlichkeitsschutzes – von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, die besonders belastet waren, und ich fange mit den Protokollantinnen Frau Lütz und Frau Mägdefrau an, die manchmal wirklich rund um die Uhr zwar nicht bei uns im Ausschuss gesessen, aber dann die Protokolle anzufertigen hatten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein besonderer Dank gilt Frau Wagner, die unzählige Akten archiviert und auch Inhaltsangaben zu den vielen Materialien angefertigt hat, die uns im letzten und auch in diesem Ausschuss vollkommen unsortiert übergeben wurden. Sie wusste immer, wo etwas aufzufinden ist und sie ist deshalb ein unverzichtbares Lexikon und Wahrerin unserer Informationsmittel gewesen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Noack-Wolf möchte ich besonders danken für die sehr umfangreichen Zuarbeiten und Mithilfen bei der Abfassung eines 2.204 Seiten langen Abschlussberichts. Nun, das ist also schon beinah übermenschlich, was man da zu leisten hat, um dies alles so zusammenzuführen, wie Sie das getan haben. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das alles geschah natürlich auch unter tätiger Mithilfe und freundlicher Überwachung im positiven Sinne der Kollegen aus der Landtagsverwaltung, Herrn Riemann und Herrn Dr. Burfeind. Und wenn ich jetzt andere nicht genannt habe, sind sie selbstverständlich in diesen Dank eingeschlossen.

(Beifall im Hause)

Noch einmal zurück zum Inhalt. Was machen wir heute? Wir ziehen keinen Schlussstrich. Der Untersuchungsausschuss ist davon überzeugt, dass der NSU und dessen Taten nicht als historisch abgeschlossenes Ereignis betrachtet werden können. Sowohl die handelnden Personen als auch deren Taten erfahren bis heute positive Reflexion innerhalb der rechten Szene. Was wir uns damals niemals hätten vorstellen können, passiert: Der NSU wird verherrlicht, es wird auf ihn Bezug genommen in kriminellen Aktivitäten, anonymen Hetzaufforderungen, anonymen Mordaufrufen. Teile des Unterstützernetzwerks, was wir identifizieren konnten,

sind weiterhin aktiv. Die bedingungslose Aufklärung, die rückhaltlose Aufklärung des NSU-Komplexes, wie sie einst versprochen wurde, ist unerlässlich für eine Gesellschaft, die künftig derartige Taten verhindern will.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir fantasieren hier nicht nur. Wir ziehen keinen Schlussstrich, denn es ist nicht vorbei. Am 19. August 2019 hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden verfügt, dass zwei Autoren, Stefan Aust und Dirk Laabs, darüber Auskunft zu erteilen ist, wie oft der Name Stephan E., das ist der Tatverdächtige im Mordfall Lübcke, dessen wir hier auch in diesem Rund gedacht haben, im Zwischenbericht von 2013 und im Abschlussbericht von 2014 des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz zum NSU-Komplex genannt wird. Die Auskunft ist mittlerweile erteilt worden: elf Mal. Elf Mal, verehrte Kolleginnen und Kollegen, kommt der Name Stephan E. im Abschlussbericht des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz zum NSU-Komplex vor. Das sind Akten, Berichte, die von der Hessischen Landesregierung mal eben vorsorglich für 120 Jahre gesperrt worden sind. Das Gericht hat auch festgestellt – mittlerweile hat auch der Gesetzgeber in Hessen reagiert –: Sperren kann man nur für 30 Jahre. Aber, wir sehen, es ist nicht vorbei.

Deswegen haben wir auch gemeinsame Forderungen, das sind Forderungen, die von allen Fraktionen, allen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses getragen worden sind, am Ende unseres Ausschussberichts gestellt. Darin ist eben auch die zentrale Forderung von allen, die im Ausschuss mitgearbeitet haben, enthalten, die Forderung, die unter Ziffer 1 steht: „Die demokratische und parlamentarische Kontrolle der handelnden Behörden, insbesondere hinsichtlich des Einsatzes von menschlichen Quellen bei der Polizei in der Strafverfolgung müssen verbessert werden.“ Und ich wiederhole es noch mal, was auch in unserer gemeinsamen Empfehlung steht: „Kontrollfreie Räume sind einem demokratischen Rechtsstaat fremd.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Einsatz von menschlichen Quellen muss wegen des Eingriffs in Grundrechte durch eine parlamentarische Instanz kontrolliert werden, dies muss auch für Quellen der Polizei gelten“ – ebenso wie wir das für Quellen des Verfassungsschutzes schon lange haben. „Dazu muss der Einsatz dieser Mittel auf eine verfassungsrechtlich gebotene stabile Grundlage gestellt werden.“

Ich möchte hier auch einmal persönlich hinzufügen, wir hatten in der letzten Legislatur oder auch in an

deren Untersuchungsausschüssen auch gerade des Bundestags immer den Satz zu hören, Quellenschutz kann nicht zu Täterschutz werden. Und ich finde, dass wir inzwischen auf einer noch schwerwiegenderen Stufe angelangt sind, und ich möchte es so zusammenfassen: Quellenschutz kann und darf nicht dazu missbraucht werden, um die Gewaltenteilung auszuhebeln, deren größter Fan hier vor Ihnen steht.

„Wegen der Auslegung“ – das ist Ziffer 2 unserer gemeinsamen Empfehlungen – „der Landesregierung des BVerfG-Beschlusses“, den ich in seinem entscheidenden Teil eben zitiert habe, „vom 13. Juni 2017 und der Änderung des BVerfSchG konnte der Untersuchungskomplex hinsichtlich des Einsatzes von menschlichen Quellen der Polizei im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität sowie der rechtsextremen Szene [von uns] nicht abgeschlossen werden.“ Das tut uns leid und das tut uns weh. „Insofern sich der Landtag der 7. Legislaturperiode zur Klärung dieser Rechtsfragen“ – unabhängig davon, ob das noch mal ein Untersuchungsausschuss sein soll oder etwas anderes – „entscheidet, sollten [nach unserem Wunsch] in die Untersuchungen auch die noch offenen Fragen einfließen.“

Vielleicht noch mal zum Schluss etwas, was auch von den Praktikern, die wirklich auch selbst ein großes Interesse an der Aufklärung hatten und haben, kam: Wir drängen darauf, dass es auch in der Polizei auf Dauer angelegte Ermittlungsstrukturen gibt, die insbesondere im Phänomenbereich Rechtsextremismus durch spezialisierte Kenntnisse die Aufklärung von Straftaten und vor allem von Strukturen ermöglichen und von denen Sie hier zahllose, vielleicht nicht zahllose, aber sehr viele in unserem Bericht ausführlich dargestellt finden. Dort eingesetztes Personal sollte keinen unnötigen Rotationen unterliegen und regelmäßige fachgerechte Fortbildung erhalten.

Ein weiteres gemeinsames Ziel – alle will ich Ihnen jetzt nicht noch zumuten –: Der Ausschuss befürwortet weiterhin größtmögliche Transparenz seiner Arbeitsweise und seines Arbeitsergebnisses. Die Landesregierung soll dafür Sorge tragen, dass alle Unterlagen der Untersuchungsausschüsse 5/1 und 6/1 jetzt nicht wieder auseinandergefleddert werden und in verschiedenen Bereichen versickern, sondern dem Staatsarchiv zugeführt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.