Vielen Dank, Frau Rothe-Beinlich. Als Nächste hat Frau Abgeordnete Lehmann für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, gestatten Sie mir zunächst eine grundsätzliche Bemerkung: Wenn wir als Politik wollen, dass die Menschen in diesem Land das Gefühl haben, dass wir das Problem und die Herausforderungen, die wir in Sachen Asylpolitik gerade vor uns haben, im Griff haben, dann tut es uns sicherlich nicht gut, uns von jeder öffentlich geäußerten Meinung treiben zu lassen. Und ich muss sagen, wenn wir uns die Diskussion zum Familiennachzug ansehen, dass das gerade eigentlich ad absurdum geführt wird.
Wir haben mal damit angefangen, da war die öffentlich vorherrschende, die politische Meinung, dass das Asyl nicht infrage steht, sondern dass jeder, der hierherkommt, auch das Anrecht hat, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Dann steigen die Zahlen und wir sagen: Wir akzeptieren Menschen aus Krisengebieten und Kriegsflüchtlinge, aber die aus sicheren Herkunftsländern, also vor allem aus den Westbalkanstaaten, haben jetzt nicht mehr unbedingt das Anrecht. Dann kommen fast ausschließlich Kriegsflüchtlinge. Der Anteil von denen, die aus sicheren Herkunftsländern hierherkommen, sinkt auf ein Minimum. Dann diskutieren wir darüber, dass eigentlich nur noch Frauen und Kinder hierherkommen sollen. Dann schränken wir das Asylrecht dahin gehend ein, dass wir denen, die wir eigentlich als besonders schutzbedürftig definieren, nämlich Frauen und Kinder aus Kriegsgebieten, nicht mehr die Möglichkeit geben, nach Deutschland zu kommen. Wir müssen dann darüber nachdenken, welche Konsequenzen das hat. Wenn es dann mehr tote Frauen und Kinder im Mittelmeer gibt, tragen auch wir dafür eine politische Verantwortung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir besprechen das Thema „Flüchtlingspolitik“ häufiger hier im Haus. Wenn ich mir den Antrag der CDUFraktion angucke, dann bin ich mir nicht ganz sicher, ob Sie tatsächlich den Wunsch haben, sich zu dem Thema umfassender zu äußern und sich mit den tatsächlichen Herausforderungen, über die wir in den nächsten Jahren sprechen müssen, auseinanderzusetzen. Es herrscht sicherlich Einigkeit hier im Haus, dass wir im vergangenen Jahr viel geleistet haben, was das Thema „Flüchtlingspolitik“ angeht, und zwar sowohl im Land als auch in den Kommunen, weil die wenigsten tatsächlich auf einen solchen Anstieg vorbereitet waren. Dennoch
das ist richtig – haben wir nach wie vor einiges zu tun. Wir müssen über Standards in der Unterbringung reden, und zwar sowohl in den Erstaufnahmeeinrichtungen als auch in den Kommunen.
Aber wenn es teilweise Monate dauert, um zum Beispiel Regale zu besorgen, damit Kleiderspenden sortiert werden können, ist das etwas, was sicherlich ein Problem ist, wo wir sagen müssen, dass wir das auch tatsächlich lösen müssen.
Der Antrag, den die CDU-Fraktion gestellt hat, ist allerdings hier aus mehrfacher Hinsicht überflüssig. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, was wir am Ende des vergangenen Jahres auf Bundesebene beschlossen haben, ist geltendes Gesetz. Natürlich wird geltendes Gesetz auch in Thüringen umgesetzt.
An anderer Stelle suggeriert der Antrag, dass die gesetzliche Regelung viel schärfer wäre, als sie das in den realen Punkten ist. Ich würde gern auf einige Punkte, zum Beispiel die Forderung, dass wir in den Erstaufnahmeeinrichtungen Sachleistungen statt Barleistungen auszahlen müssen, eingehen. Hier wird sowieso schon ein Teil der Leistungen nur in Barzahlung geleistet, weil zum Beispiel Unterbringung und Verpflegung über die Unterkunft zur Verfügung gestellt werden. Jetzt kann man darüber streiten, ob man es sachlich für richtig hält, dass Barleistungen anstatt Sachleistungen ausgezahlt werden. Wo wir uns doch aber einig sind, ist, dass der Verwaltungsaufwand deutlich höher ist, wenn ein individueller Bedarf für diesen kleinen Teil, der momentan noch über Bargeld zur Verfügung gestellt wird, dargestellt werden muss. Wenn Sie sich da unsicher sind, können Sie gern mit Ihren Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern sprechen. Es hat einen Grund, warum wir das auf kommunaler Ebene nicht mehr machen, weil der Aufwand enorm ist, das für so viele Menschen zur Verfügung zu stellen. Es wird auch nicht leichter, wenn wir mehr Menschen versorgen müssen. Das ist eine Ausnahme, die lässt das Gesetz ausdrücklich zu und deswegen ist es auch richtig, dass wir die machen. Wenn Sie es nicht aus sachlichen Gründen richtig finden, dann zumindest aus diesem Verwaltungsgrund.
Sie wollen, dass es einen längeren Verbleib in der Erstaufnahme gibt. Ich glaube, unser aller Ziel ist klar, dass wir sagen: Wir brauchen eine Beschleunigung der Asylverfahren, um schneller Klarheit zu haben, nicht nur für uns und die Verwaltung, sondern auch, um den Menschen Sicherheit und Klarheit zu geben, wie lange sie hier bleiben können. Dass die Bedingungen in der Erstaufnahme noch
nicht ganz optimal sind, das wissen Sie auch, dass es wenig Privatsphäre gibt und es deswegen Ziel sein muss, den Zeitraum so kurz wie möglich zu halten. Das ist sicherlich allen klar.
Wir können das gern mal versuchen, dass wir – fünf oder sechs von uns – in einem der größeren Büros hier im Hause über mehrere Tage zusammen wohnen.
Ich glaube, das fänden die wenigsten von uns tatsächlich witzig. Sie wollen außerdem, dass das Geld, das der Bund für die unbegleiteten Minderjährigen zur Verfügung stellt, vollständig an die Kommunen weitergegeben wird. Ich bin mir da immer nicht ganz sicher, ob Sie die Zahlen verstanden haben. Der Bund stellt für die Betreuung der unbegleiteten Minderjährigen insgesamt für alle Länder 350 Millionen Euro zur Verfügung; Thüringen bekommt davon 9,5 Millionen Euro. Das Land hat – wir haben – ganz real mit dem Haushalt 76 Millionen Euro für die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger zur Verfügung gestellt. Ich glaube, das ist eine ganz einfache Grundrechenart, die sollte sogar Ihnen einleuchten.
Wenn Sie aber – und da würde ich gern noch mal zu meinem Ausgangspunkt zurückkommen – tatsächlich Interesse haben, sich mit dem Thema intensiv zu beschäftigen und darüber zu reden, welche Herausforderungen wir in den kommenden Jahren leisten müssen, dann lassen Sie uns darüber sprechen, wie wir Integration sicherstellen, weil das die gesellschaftspolitische Frage der nächsten Jahre sein wird. Hier hilft es eben nicht, nur über ordnungspolitische Maßnahmen zu reden, die dann noch nicht mal real die Probleme lösen,
sondern wir brauchen eine Diskussion darüber, welche Angebote der Staat machen muss, die wir politisch begleiten müssen, was wir brauchen, damit Integration in Bildung gelingt, damit wir schulische Erstqualifikationen sicherstellen können, damit Kinder in Kindertagesstätten gehen können, damit Jugendhilfe darauf vorbereitet ist, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund da sind, damit wir Integration in Arbeit und Vereinsarbeit schaffen und damit wir Ehrenamtliche unterstützen können. All diese Diskussionen braucht es; das müssen wir tatsächlich dringend klären.
Dazu gehört – und da sind wir uns sicherlich auch einig –, dass die Menschen, die hierherkommen, dieses Angebot auch annehmen und sich integrieren wollen. Dazu gehört aber auch, dass wir eine
Diskussion in unserer Gesellschaft brauchen und dass auch die sich öffnen muss, weil es bei Integration eben nicht um Anpassung geht, sondern darum, wie wir zusammenleben. Diese Frage müssen wir ganz dringend klären. Und, Herr Scherer, ich glaube, dass es diese ernsthaften Spannungen, wie Sie es genannt haben, längst gibt. Denn natürlich wird der Konsens, mit dem wir zusammenleben, infrage gestellt. Das Grundgesetz, auf das wir uns in diesen Tagen immer wieder gern berufen, wird immer wieder von Nazis, von Rassisten, von Menschenfeinden, die in Thüringer Städten demonstrieren oder die Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte angreifen, infrage gestellt. Und das stellt die Basis, auf der wir zusammenleben, sehr wohl infrage.
Wenn wir also zeigen wollen, dass wir das nicht tolerieren, dann müssen wir zeigen, wie wichtig Integration von Flüchtlingen ist und dass sie gelingen kann. So groß diese Aufgabe auch sein mag, wir müssen zeigen, dass wir eine Idee davon haben, wie wir sie meistern. Dieser Antrag leistet dazu keinen Beitrag. Aus diesem Grund bitte ich um Ablehnung.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Besucher auf der Tribüne und am Livestream, wir diskutieren seit November des letzten Jahres über das Asylpaket II im Bund. Und bis gestern gab es trotz vieler Ankündigungen und vermeintlicher Einigungen kein wirkliches Ergebnis. Hoffen wir, dass nach dem gestrigen Abend nun ein Ergebnis auf dem Tisch liegt, was auch umgesetzt wird, und dass die vereinbarten Regelungen schnell Gesetzescharakter erlangen,
sei es die Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten wie Marokko, Algerien und Tunesien, die Diskussion um die schon lange angekündigten Einreisezentren oder die bessere Unterstützung der Kommunen bei der Unterbringung und Betreuung der Asylbewerber und Flüchtlinge. Auch die Begrenzung des Familiennachzugs ist ein wichtiges Ergebnis des gestrigen Abends, auch wenn die Kollegen auf der linken Seite von mir das etwas anders sehen. Hoffen wir, dass dies schnell Eingang in die Gesetzeslage findet.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich denke, Familie ist Ih- nen so wichtig?)
All diese Maßnahmen sollten dazu dienen, die Verfahren zu beschleunigen und damit schneller Klarheit zu schaffen, wer tatsächlich ein Anrecht auf unseren Schutz in Deutschland hat und hierbleiben darf und wer das Anrecht eben nicht hat und zügig wieder in sein Heimatland zurückkehren muss, meine Damen und Herren.
Doch bevor dieses neue Asylpaket beschlossen ist und umgesetzt werden kann, erwarten wir von der Landesregierung zunächst eine zügige Umsetzung der bereits beschlossenen Asylpakete des letzten Jahres im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, das seit dem Herbst bereits Gesetzeskraft hat. Kollegin Rothe-Beinlich, die Umsetzung ist tatsächlich ein wichtiger Punkt und hier hinkt die Landesregierung in einigen Teil hinterher und schöpft die Möglichkeiten, wie wir sie sehen und wie sie die Gesetze eröffnen, auch nicht aus.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Vielleicht schöpfen wir sie anders aus, als Sie das wollen. Das kann schon sein!)
Da haben wir unterschiedliche Auffassungen. Aber in der Wirkung hat das Gesetz eine ganz klare Zielrichtung und dann sollte die Landesregierung dieses Gesetz auch vollumfänglich ausschöpfen, ansonsten bleibt sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Aber Sie sehen das ja ganz offensichtlich anders.
Meine Damen und Herren, beim Thema „Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten“ ist uns natürlich bewusst, dass diese im Moment weniger als 10 Prozent der Neuzugänge sind, was im Übrigen auch zeigt, dass ein Teil der von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen an dieser Stelle wirkt. Denn Anfang letzten Jahres hatten wir noch weit über 40 Prozent Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten, die hier bei uns Schutz und Asyl gesucht haben, aber eine Anerkennungsquote von unter 1 Prozent. Das liegt nicht an dem Label „sichere Herkunftsstaaten“, sondern daran, dass sie tatsächlich kein Anrecht auf einen Schutzstatus hier bei uns haben. Diese Staaten werden als sichere Herkunftsstaaten klassifiziert, weil eben die Gründe, aus denen die Menschen bei uns Asyl beantragen, zu 99 Prozent der Fälle nicht tragen. Deswegen sind es sichere Herkunftsstaaten und nicht umgekehrt.
einrichtungen verbleiben. Das hat auch seinen vollkommen richtigen Grund: Zum einen, um die Kraft und die Anstrengungen hinsichtlich der Integrationsmaßnahmen in den Kommunen auf die Menschen zu konzentrieren, die eine Bleibeperspektive hier in Deutschland haben. Zum anderen, um die Bewerber aus sicheren Herkunftsstaaten nach einem zügigen Verfahren unter sechs Monaten – was wir ja alle anstreben – und einer erfolgten Ablehnung direkt aus den Erstaufnahmeeinrichtungen auch wieder in ihre Heimatländer zurückzuschicken, entweder durch freiwillige Ausreise oder, wenn dies nach einem Monat nicht erfolgt, durch zwangsweise Rückführung in die Heimatländer. Der Einwand, dafür gäbe es in Thüringen keine Kapazitäten, trägt an dieser Stelle nicht, da es sich im Moment, wie gesagt, um lediglich 10 Prozent der Neuzugänge pro Monat handelt. Selbst wenn die Bundesregierung per Gesetzeskraft weitere sichere Herkunftsstaaten wie die drei genannten ausweist, wird dies die Zugangszahlen aus sicheren Herkunftsstaaten maximal auf 20 Prozent in Thüringen verdoppeln. Das ist immer noch keine Größenordnung, bei der wir darüber sprechen, dass unsere Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht ausreichen würden, um diese Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten für sechs Monate dort zu beherbergen, bis die Verfahren abgeschlossen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erwarten von der Landesregierung, dass bestandskräftige Ausreiseverpflichtungen konsequent umgesetzt werden. In den letzten zwei Monaten des alten Jahres – und dafür habe ich den Innenminister im Dezember schon sehr deutlich gelobt – war es ein richtiger Weg, der hier eingeschlagen wurde. Wir erwarten, dass dieser so fortgesetzt wird und diesem nicht bereits nach zwei Monaten zu Beginn des Jahres 2016 wieder die Puste ausgeht. Abschiebehindernisse müssen konsequent nach drei Monaten überprüft werden und nicht erst nach sechs Monaten wie bisher. Wenn die Hinderungsgründe weggefallen sind, ist konsequent abzuschieben, meine Damen und Herren, ohne Ankündigung und wenn es nicht anders geht, auch nachts. Menschen, die abgeschoben werden, wissen dies bereits sehr lange,
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das ist gar nicht wahr, Herr Herrgott. Das ist eine falsche Annahme!)
mit der bestandskräftigen Ablehnung ihres Asylantrags und dem Verstreichen der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise. Eine nochmalige Ankündigung des konkreten Abschiebetermins führt dieses gesamte System der Zwangsausweisung ad absurdum, meine Damen und Herren, und ist deswegen nicht durchzuführen.
Bei Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind und bei denen ein Ausreisedatum und eine Reisemöglichkeit zur freiwilligen Ausreise feststehen, sind die Leistungen auf das konkrete Ausreisedatum zu befristen. Sollte der Ausreisepflichtige schuldhaft die Möglichkeit der Ausreise nicht wahrnehmen, sind ihm nur noch Leistungen für das unabdingbar Notwendige zu gewähren, bis er zwangsweise in sein Heimatland zurückgeführt wird. Dieses Vorgehen minimiert Fehlanreize und trägt womöglich sogar zu einer verstärkten Wahrnehmung der Möglichkeiten der freiwilligen Ausreise bei, was natürlich von uns allen zu begrüßen wäre, weil die freiwillige Ausreise eben das kostengünstigere Element im Gegensatz zur zwangsweisen Abschiebung ist. Aber wer nicht freiwillig ausreist, muss in letzter Konsequenz zwangsweise nach Hause zurückgeführt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Rückkehr zum Sachleistungsprinzip, gerade in Erstaufnahmeeinrichtungen, ist ein wichtiger Punkt der im Herbst getroffenen Entscheidungen. Die konsequente Reduzierung von möglichen Fehlanreizen für nicht berechtigte Asylbewerber, Flüchtlinge und Migranten ist ein Baustein, um den Zustrom von nicht Berechtigten weiter zu reduzieren.
(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren!)