Der tbb beamtenbund und tarifunion thüringen mahnte Regelungen zum Personalübergang an. Rechtsanwalt Dr. Richard Dewes schlug vor, die Gebietsreform zunächst auf die gemeindliche Ebene zu beschränken und aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus eine Alternative zur Auflösung der Verwaltungsgemeinschaften,
Meine Damen und Herren, für weitere Ausführungen zu inhaltlichen Anhörungsbeiträgen möchte ich auf die Ihnen vorliegenden umfänglichen Stellungnahmen der Anzuhörenden verweisen, die Ihnen im Abgeordneteninformationssystem zur Verfügung stehen. Diese Unterlagen stehen aber auch im Rahmen des Online-Diskussionsforums der Thüringer Öffentlichkeit vollumfänglich zur Verfügung.
In seiner 28. Sitzung am 16. Juni 2016 erfolgte durch den Innen- und Kommunalausschuss die Auswertung der mündlichen Anhörung. Als Einbringerin des Gesetzentwurfs führte die Landesregierung einführend aus. Die Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen und die CDUFraktion stellten jeweils ihre Änderungsanträge inhaltlich vor und zur Diskussion. In einer sehr intensiven Debatte hat der Ausschuss die verschiedenen Positionen zur Notwendigkeit, zu Zielen und zum beabsichtigten Verfahren der Gebietsreform erörtert und abgewogen. Konsens besteht darin, dass sicherzustellen ist, dass die Landkreise und Gemeinden dauerhaft in der Lage sind, die ihnen obliegenden Aufgaben sachgerecht, bürgernah, rechtssicher und eigenverantwortlich wahrzunehmen, denn die Verfassung des Freistaats Thüringen weist den Gemeinden und Landkreisen als eigenständige, handlungsfähige kommunale Selbstverwaltungskörperschaften umfassende Aufgaben zu.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung hat die Weiterentwicklung der kommunalen Ebene des Landes zum Inhalt. Er verfolgt das Ziel, die Verwaltungsund Leistungskraft der Gemeinden und Landkreise weiter zu verbessern, vor allem aber langfristig zu erhalten. Zur Notwendigkeit einer Gebietsreform zum gegenwärtigen Zeitpunkt schließt sich der Ausschuss mit seiner Zustimmung zum Gesetzentwurf den Auffassungen der Landesregierung an.
Eine Gebietsreform ist angesichts der Herausforderungen, vor denen das Land steht, dringend geboten. Die Auswirkungen der demografischen Entwicklung, die zu erwartenden finanziellen Entwicklungen der öffentlichen Haushalte in Thüringen, die Anpassungserfordernisse der öffentlichen Verwaltung durch Spezialisierungsnotwendigkeit entfalten bereits heute einen enormen Handlungsdruck und erfordern zügige Entscheidungen. Der Ausschuss hat die Angaben der Landesregierung zur demografischen Entwicklung noch einmal eingehend hinterfragt. Eine sachverständige Person aus dem Thüringer Landesamt für Statistik hat in der 28. Sitzung am 16. Juni 2016 zu dieser Problematik eingehend ausgeführt und zu Nachfragen Stellung genommen.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Durch Wegzug und den Einbruch der Geburtenzahlen nach der Wende fehlt Thüringen fast eine ganze Generation junger Menschen. Auch wenn gegenwärtig durch die hohen Geburtenzahlen der 80er-Jahre nur ein langsamer Rückgang der Einwohnerzahlen zu verzeichnen ist, wirkt das Fehlen einer Generation vielfältig in die Zukunft.
Vor allem durch das Fehlen der jungen Frauen werden perspektivisch die Geburtenzahlen deutlich sinken oder wie der Präsident des Thüringer Landesrechnungshofs in der Anhörung sehr trefflich formulierte: Keine Kinder bekommen keine Kinder. Es werden in der Folge Beschäftigte in allen Bereichen des Arbeitslebens, aber auch im Bereich des Ehrenamts fehlen. Die Aufgabenprioritäten der Kommunen werden sich durch die Überalterung der Gesellschaft ändern und die Kommunen vor große Herausforderungen stellen. Zudem werden sich die Kommunen damit befassen müssen, wie sie die wirtschaftliche Nutzung der kommunalen Einrichtungen auch bei sinkenden Einwohnerzahlen sicherstellen können.
Unstrittig ist, dass auch die in den ländlichen Gebieten Thüringens lebenden Menschen dauerhaft Anspruch auf eine angemessene kommunale Daseinsvorsorge haben. Hierfür müssen rechtzeitig die Voraussetzungen geschaffen werden. Zu dieser demografischen Problematik wird voraussehbar eine Verschlechterung der Finanzsituation des Landes – aber auch der Kommunen – treten, denn
wenn sich die Finanzsituation des Landes absehbar verschlechtert, wird sich dies auch auf die Finanzsituation der Gemeinden und Landkreise auswirken. Die sinkenden Einwohnerzahlen werden zu einer Reduzierung der Einnahmen aus dem bundesstaatlichen Finanzausgleich führen. Die Einnahmen nach den Regelungen zum Solidarpakt II laufen bereits im Jahr 2019 aus. Alterung der Gesellschaft und Brüche in den Erwerbsbiografien werden zu einem Ansteigen der Versorgungslasten für die große Zahl der nicht mehr erwerbstätigen Personen aus den geburtenstarken Jahrgängen führen.
Gleichzeitig ist bereits in den nächsten Jahren mit einer deutlichen Verringerung des kommunalen Personalbestands durch Altersabgänge zu rechnen. Somit ist nur noch für einen begrenzten Zeitraum damit zu rechnen, dass erfahrenes Personal in der öffentlichen Verwaltung eine sachgerechte Arbeit in den Verwaltungen gewährleisten und die durch die Reformen anfallenden zusätzlichen Belastungen tragen kann.
Die Einzelheiten zu diesen komplexen Herausforderungen der Zukunft hat die Landesregierung ausführlich in ihren Begründungen zum Gesetzentwurf dargelegt. Der Ausschuss schließt sich dem Ergebnis dieser Analyse an und teilt die Auffassung der Landesregierung, dass aus den dargelegten Gründen die Gebietsreform zeitlich so durchzuführen ist, dass die gegenwärtig noch günstigen Ausgangsbedingungen für die Durchführung der Reform genutzt werden können.
Herr Fiedler, ich trage hier die Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses vor. Dass es da zu unterschiedlichen Abstimmungsergebnissen kam, das, denke ich, ist aus der gelebten Praxis allen Abgeordneten bekannt.
In der Anhörung wurde insbesondere von den kommunalen Spitzenverbänden als Vorstufe einer Gebietsreform Aufgabenkritik gefordert. In der Auswertung wurde deutlich, dass die Gebietsreform einerseits Teil eines geplanten Reformpakets ist, das die Landesregierung zeitgleich bearbeitet. Die Gebietsreform ist aber andererseits keine bloße Folgeer
scheinung der Aufgabenübertragung im Rahmen einer Verwaltungs- und Funktionalreform. Die Gebietsreform dient in erster Linie der Sicherung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Landkreise im Bereich der Selbstverwaltung mit Blick auf die geschilderte Problemsituation.
Die Gemeinden und Landkreise müssen zukunftsfähige Träger der kommunalen Selbstverwaltung werden. Dass das Land auf diese gestärkten kommunalen Gebietskörperschaften weitere Aufgaben übertragen kann, ist lediglich ein weiterer positiver Aspekt. Ob und welche Aufgaben hierfür infrage kommen, ist Gegenstand der Funktional- und Verwaltungsreform. Hiermit wird sich der Landtag heute später auch noch hier befassen.
Des Weiteren hat der Ausschuss die Maßgaben im Gesetzentwurf der Landesregierung für die künftigen kommunalen Strukturen im Licht der Stellungnahmen erörtert. Der Ausschuss schließt sich auch insoweit den Vorschlägen der Landesregierung an. Der Ausschuss hält diese Vorgaben gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung und die zu erwartenden Auswirkungen, aber auch auf künftige Finanzentwicklungen für sachgerecht.
Zu schaffen sind starke Gebietskörperschaften mit bestmöglicher Leistungs- und Gestaltungskraft, die dauerhaft in der Lage sind, die Herausforderungen der Zukunft zu stemmen.
Der Blickpunkt ist die langfristige Entwicklung bis zum Jahr 2035, worauf die Bevölkerungsvorausberechnungen abstellen. Aber auch nach diesem Zeitpunkt sollen Landkreise und Gemeinden existieren, die ohne weitere Gebietsreformmaßnahmen ihre Aufgaben bestmöglich erfüllen.
Meine Damen und Herren, es ist klar, dass hier sozusagen ein Spagat erforderlich ist: Auf der einen Seite stehen Effizienzgesichtspunkte, auf der anderen Seite die Bedingungen für die bürgerschaftliche Teilnahme der Basis der kommunalen Selbstverwaltung. Der Bürgernähe und den Möglichkeiten der bürgerschaftlichen Teilnahme hat die Landesregierung ein besonderes Gewicht bei der Erarbeitung der Leitvorstellungen des Gesetzentwurfs für das Vorschaltgesetz eingeräumt. Die vorgesehenen Strukturvorgaben einschließlich der Größenmaßstäbe wurden auf Basis einer Abwägung zwischen den Zielen der Gebietsreform und den Vor- und Nachteilen der verschiedenen Regelungsoptionen für die bürgerschaftliche Teilhabe gewählt. Es wurde berücksichtigt, dass einerseits ein Spannungsverhältnis zwischen Verwaltungseffizienz und Bürgernähe besteht, andererseits die wirksame Teilnahme der Bürger an den kommunalen Angelegenheiten eine hinreichend leistungs- und verantwortungsfähige Selbstverwaltungssubstanz voraussetzt, die insbesondere bei kleinen und Kleinstge
meinden kaum gegeben ist. Aus diesem Grund wurden Größenvorgaben für Landkreise und Gemeinden einschließlich der Flächenobergrenze von 3.000 Quadratkilometern für Landkreise im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr zurückhaltend gewählt.
An dieser Stelle möchte ich noch auf Folgendes verweisen: Das Vorschaltgesetz setzt für die Entscheidungen über die konkreten Neugliederungsmaßnahmen, die in späteren Gesetzen zu regeln sind, einen Rahmen. Es besteht Einigkeit, dass die einzelnen Neugliederungsmaßnahmen nur aus Gründen des öffentlichen Wohls durchzuführen sind.
Bei den konkreten Neugliederungsmaßnahmen wird deshalb eine umfassende Sachverhaltsermittlung und Bewertung aller Umstände der konkreten Einzelfälle vorzunehmen sein.
Auf die Kritik des Thüringischen Landkreistags eingehend, wonach für die Landkreise keine Freiwilligkeitsphase vorgesehen sei, sieht auch der Ausschuss keinen Raum für eine solche Freiwilligkeitsphase.
Der Verzicht trägt den Anforderungen einer landesweit ausgewogenen und sinnvollen Entwicklung Rechnung. Die Gliederung der Landkreise ist nicht nur für diese selbst von Bedeutung, der Kreiszuschnitt berührt auch die Interessen der Gemeinden und deren Neugliederungsoptionen, die für eine optimale Entwicklung einen gebietlichen Rahmen brauchen.
Zudem ist Ziel einer Kreisgebietsreform auch der Ausgleich bestehender regionaler Unterschiede durch die Fusion von Landkreisen mit unterschiedlicher Wirtschafts-, Finanz- und Leistungskraft. Im Falle einer Freiwilligkeitsphase besteht die Gefahr der Verstärkung bestehender Unterschiede durch Zusammenschlüsse.
Ein weiteres wichtiges Thema in den Stellungnahmen der Anhörungen ist die Frage, welche Lösung für die kleinen Gemeinden im ländlichen Raum, die bislang Verwaltungsgemeinschaften und erfüllenden Gemeinden zugeordnet sind, die richtige ist. Es wurde die Erhaltung der Rechtsinstitute der Verwaltungsgemeinschaft und erfüllenden Gemeinde gefordert, aber auch die Einführung neuer Rechtsinstitute, wie der Verbandsgemeinde, vorgeschlagen. Der Innenausschuss hat sich diesen Forderungen nicht angeschlossen
und stimmt insoweit der Auffassung der Landesregierung zu, wonach die bestmögliche Verbesserung der Leistungsstärke gerade auf der Ebene dieser kleinen Gemeinden durch die Bildung größerer Gemeinden zu erzielen ist. Nur durch ein gemeinsames großes Gemeindegebiet mit einer ausreichenden Anzahl an Einwohnern kann eine ausreichende Gestaltungskraft der örtlichen Gemeinschaft erreicht werden.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern, dass der Thüringer Landtag bereits im Jahr 2008 festgestellt hat, dass die Verwaltungsgemeinschaften strukturelle Defizite aufweisen. Im Landtagsbeschluss vom 15. Dezember 2011 wurde nochmals festgestellt, dass die Institute der Verwaltungsgemeinschaft und der erfüllenden Gemeinde künftig keinen Vertrauens- und Bestandsschutz mehr genießen und ihre Weiterentwicklung zur Landgemeinde angestrebt wird. Die Bildung und Änderung von Verwaltungsgemeinschaften sollte künftig nicht mehr erfolgen. Die Defizite der Verwaltungsgemeinschaften sind also seit Längerem hinlänglich bekannt. Einige Gemeinden haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode auf freiwilliger Basis Landgemeinden gebildet. Die Koalitionsfraktionen haben sich vor dem Hintergrund der Debatte um das Rechtsinstitut der Verwaltungsgemeinschaft intensiv mit dem Aspekt der bürgerlichen Teilhabe auseinandergesetzt und in ihrem Änderungsantrag noch weitere Vorschläge zur Stärkung des Ortsteil- und Ortschaftsrechts unterbreitet. Diese sind Gegenstand der Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses. Bislang sieht die Thüringer Kommunalordnung vor, dass das Gebiet der aufgelösten Gemeinden in die Ortsteilbzw. Ortschaftsverfassung übergeleitet wird, sodass die bisherigen Amtsträger als Ortsteil- bzw. Ortschaftsorgane den Prozess des Zusammenwachsens in der neuen Gemeinde begleiten können. Im Ergebnis der in der Anhörung gewonnenen Erkenntnis soll jedoch den Gemeinden ermöglicht werden, ihre bisherigen kleinteiligen Ortsteil- bzw. Ortschaftsstrukturen auf Wunsch in die neue Gemeinde bzw. Landgemeinde überzuleiten. In der Vorbereitung der konkreten Neugliederungsgesetze kann diese Möglichkeit beantragt werden. Vor dem Hintergrund, dass sich möglicherweise die Mitgliedsgemeinden von bisherigen Verwaltungsgemeinschaften zu besonderen großen und damit leistungsstarken Landgemeinden mit großen Ortschaften zusammenschließen wollen, hat der Ausschuss zudem hierfür besondere Übergangsregelungen vorgesehen. Diese wurden bereits unter dem Stichwort „Große Landgemeinde“ in der Öffentlichkeit debattiert. Tatsächlich handelt es sich nicht um ein neues Gemeindemodell, sondern um eine zeitlich befristete Möglichkeit zur Erweiterung der Ortschaftsrechte, die den Ortschaften den Übergang in die neue Große Landgemeinde erleichtern soll. Zudem enthält die Beschlussempfeh
lung eine Möglichkeit, den Gemeinderat nach einer Neugliederung für einen Übergangszeitraum ohne zahlenmäßige Begrenzung zu erweitern. Damit können die Chancen örtlicher Kandidaten für den Gemeinderat erhöht werden. Um den besonderen Schwierigkeiten nach einer Neugliederungsmaßnahme Rechnung tragen zu können, sollen die Gemeinden die Möglichkeit erhalten, die Aufwandsentschädigungsregelungen für die bisherigen ehrenamtlichen Bürgermeister dahin gehend flexibel zu gestalten, dass die Aufwandsentschädigung bis zur nächsten Wahl des Gemeinderats bis zu einer Höhe von 100 Prozent der bisherigen Aufwandsentschädigung für die nunmehr Ortsteil- und Ortschaftsbürgermeister fortgezahlt werden kann.
Zudem wird in der Beschlussempfehlung ein Vorschlag zur Dynamisierung des Budgets für die Ortsteile mit Ortsteilverfassung und der Ortschaften aufgegriffen. In diesem Punkt bestand ein inhaltlicher Konsens zwischen den Ausschussmitgliedern.
Schließlich noch ein Wort in Reaktion auf die geäußerte Sorge, dass erhebliche Kosten durch die Gebietsreform zu erwarten seien und dass die reformbedingten Leistungssteigerungen und Synergieeffekte nicht eintreten können. Das Ziel der Reform beschränkt sich nicht auf eine bloße Kostenreduzierung und Erzielung von Effizienzrenditen. Ziel ist vielmehr die dauerhafte Erhaltung und Verbesserung der umfassenden Leistungs- und Gestaltungskraft der Kommunen. Das Vorschaltgesetz setzt dafür den Rahmen, der dann in den konkreten Neugliederungsgesetzen umgesetzt wird.
Im Prozess der Gemeindeneugliederung sollen selbstverständlich die Gemeinden unterstützt werden. Das Vorschaltgesetz sieht Strukturbegleithilfen und die Förderung freiwilliger Gemeindeneugliederungen in Höhe von 155 Millionen Euro vor. Die Regelungen hierfür wurden durch den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen überarbeitet, die ursprünglich vorgesehene Intention wurde beibehalten. Die Frage einer finanziellen Förderung auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte wurde in der Anhörung angesprochen und es wurde darauf hingewiesen, dass im Rahmen von Kreisgebietsreformen in anderen Bundesländern unter anderem eine sogenannte Anschubfinanzierung gewährt wurde. Ob dies in Thüringen ebenfalls erfolgen soll, wird im Rahmen des konkreten Neugliederungsgesetzes bzw. bei künftigen Haushaltsaufstellungen zu entscheiden sein.