Protokoll der Sitzung vom 01.06.2023

Wenn wir dann natürlich Handel betreiben mit diesen Regionen und diese Produkte kommen auf unseren Markt, dann haben diese Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil. Aber die Frage ist: Wer muss eigentlich dafür sorgen, dass diese Prinzipien aufrechterhalten werden müssen? Sind es beispielsweise die Zollbeamten, ist es beispielsweise die bundesdeutsche Bürokratie oder sind es die Unternehmer selber, die ganz tief hinein müssen in ihre Lieferketten und eben dementsprechend bürokratisch belastet werden? Da sagen wir: Nein. Deswegen braucht es ganz grundsätzlich eine Reform dieses Vergabegesetzes. Das sehen wir hier nicht. Wir wollen uns der Diskussion aber auch nicht verweigern, weswegen wir uns gleich enthalten werden, werden uns aber weiterhin rege an der Diskussion über eine Reform des Vergabegesetzes bei der CDU beteiligen. Ich glaube, dass daraus im Gegensatz zu dem Gesetzesvorschlag hier und heute tatsächlich etwas Sinnvolles werden kann. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall AfD)

Vielen Dank, Herr Aust. Das Wort hat jetzt für die SPD-Fraktion Frau Abgeordnete Lehmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Debatte zum Vergabegesetz hat zurzeit Hochkonjunktur, nicht nur hier bei uns im Haus – das ist auch nicht der erste Gesetzentwurf, den wir in dieser Legislatur zum Vergabegesetz beschließen –, sondern auch in vielen anderen Bundesländern. Zum Beispiel in Sachsen-Anhalt ist im März eine Novelle des Vergabegesetzes beschlossen worden. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es gerade eine Debatte um die mögliche Modernisierung des Vergabegesetzes, wo es darum geht, die Tariflöhne auch für Kommunen und für alle Landesvergaben zu berücksichtigen. Auf Bundesebene gibt es einen ersten Entwurf zum Tariftreuegesetz, der auch vorsieht, dass Vergaben mit einem Schwellenwert von 10.000 Euro immer der Tariftreue unterliegen. Das zeigt, liebe

Kolleginnen und Kollegen, das Vergabegesetz ist ein Steuerungsinstrument, um gute Arbeitsbedingungen zu sichern, um die Tarifbindung zu stärken und für gute Arbeit und gute Löhne in Thüringen zu sorgen, und zwar damit die Kolleginnen und Kollegen und ihre Familien gut von ihrer Arbeit und gut in Thüringen leben können. Es ist aber auch eine Voraussetzung dafür, dass wir in Zukunft – und das zeigt der Fachkräftebedarf, der sich für Thüringen abzeichnet – überhaupt Menschen finden, die sich dafür entscheiden, bei uns zu arbeiten, dass die Unternehmen, die es in Thüringen gibt, Menschen finden, die für sie arbeiten. Wir sehen eben auch, dass es leider kein Automatismus ist, dass nur der Fachkräftebedarf, der sich auch jetzt in vielen Bereichen schon abzeichnet, nicht dazu führt, dass es automatisch eine Stärkung der Tarifbindung und mehr Mitbestimmung gibt. Deswegen – das haben wir auch in der letzten Debatte zum Vergabegesetzentwurf der CDU schon angedeutet – haben auch wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der bestimmte Forderungen vorsieht, zum Beispiel zum Ersten, dass wir für die öffentlichen Aufträge, die zu zwei Dritteln von den Kommunen vergeben werden, in Zukunft den Geltungsbereich des Vergabegesetzes auch dahin ausweiten und dass es auch hier die Einhaltung der Tariftreueregelung braucht, und darüber hinaus, dass auch alle Bestandteile des Tarifvertrags, nicht nur der Lohn selber, sondern zum Beispiel Zuschläge, die es für Wochenende, für Nachtarbeit etc. gibt, dort berücksichtigt werden. Das Dritte ist, dass wir wollen, dass der vergabespezifische Mindestlohn auf 13,50 Euro angehoben wird.

Ich will nicht auf alle Punkte eingehen, die wir im Gesetz geregelt haben, da werden wir in den nächsten Wochen und Monaten noch Zeit dazu haben. Natürlich reagiert auch unser Gesetzentwurf auf die Frage, wie man Bürokratie im Vergabegesetz

(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP: Schafft!)

verringern kann, Herr Montag, wie man Bürokratie verringern kann. Die Beantragung einer Vergabe ist komplex. Das sind öffentliche Mittel, die wir dort vergeben, das sind Steuergelder, die vergeben werden. Das ist insbesondere, das hat auch die Evaluation gezeigt, gerade für kleinere Unternehmen eine größere Herausforderung, weil die nicht so routiniert darin sind, Vergaben zu beantragen. Deswegen schlagen wir vor, dass es eine Landesvergabeberatungsstelle gibt, die genau in diesem Verfahren begleitet, und dass wir die Vergabefahren stärker digitalisieren und zum Beispiel auch die Kommunen dabei unterstützen, indem sie ebenfalls

(Abg. Aust)

auf die Landesvergabeplattform zugreifen können. Aber – und das will ich an dieser Stelle noch mal ganz deutlich sagen – häufiger diskutieren wir hier im Hause, wenn es um die Frage Bürokratieabbau geht, eben auch um die Frage des Standardabbaus. Für uns ist klar, dass die ökologischen und sozialen Kriterien Teil des Vergabegesetztes sind und dass es notwendig ist, dass die in diesem Gesetz stehen, weil es eine Steuerungsfunktion hat und auch haben soll. Und ja, das bringt einen gewissen Aufwand mit sich, aber der hat aus unserer Sicht einen Mehrwert, weil er den Kolleginnen und Kollegen, die in Thüringen leben und arbeiten, zugutekommt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich beantrage die Überweisung an den Wirtschaftsausschuss und freue mich auf die weitere Debatte dort. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lehmann. Ich erteile Herrn Abgeordneten Henkel für die CDU-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Zuschauer, es gibt ja so eine Redewendung „Wer nichts macht, der macht auch nichts falsch.“ Ich glaube, das muss man auch Regierungen und Landesregierungen zugestehen. Wichtig ist, dass man den Willen hat, die Dinge zu korrigieren, wenn man merkt, dass man einen Fehler gemacht hat. Allerdings habe ich bei Rot-Rot-Grün eher den Eindruck, dass hier gilt „wenig tun und möglichst viel falsch machen“. Das passiert nämlich immer dann, wenn man Sachverstand durch Ideologie ersetzt,

(Beifall CDU)

und genau das ist bei dem Vergabegesetz passiert. Rot-Rot-Grün hat hier ein Monstrum an Bürokratie geschaffen zu der Zeit, als Sie noch über eine eigene Mehrheit verfügt haben, was Gott sei Dank nun nicht mehr so ist. Die Folgen waren relativ schnell erkennbar gewesen. Deshalb haben wir uns als CDU vor zwei Jahren schon auf den Weg gemacht und haben ein neues Gesetz eingebracht, einen Gesetzentwurf, der genau diese ideologischen Dinge rausnimmt aus dem Vergabegesetz und unnötige Bürokratie abschafft. Dieses Gesetz, diese Gesetzesvorlage blockieren Sie seit zwei Jahren im Ausschuss. Und dann haben wir

als CDU trotzdem immer gesagt, wir suchen den Konsens, wir müssen doch schauen, was für unser Land gut ist, und haben wenigstens bewirken können, dass Anfang des Jahres 2022 durch das SPD-geführte Wirtschaftsministerium eine Evaluierung des Gesetzes vorgenommen wurde. Und diese Evaluierung – ich sage es –, die hat nicht die CDU-Landtagsfraktion gemacht, sondern das SPDMinisterium. Und siehe da, die Evaluierung kommt zu dem Schluss, dass 90 Prozent der Dinge, die wir als CDU in unserem Antrag, den Sie blockieren im Ausschuss, vorgeschlagen haben, sinnvoll sind.

(Beifall CDU)

Das ist nämlich die Realität. Und jetzt hätten wir natürlich erwartet, dass Ihr Ministerium eine Gesetzesvorlage vorlegt, die genau diese Dinge umsetzt, die Sie in Ihrem eigenen Gutachten festgestellt haben. Aber das ist nicht passiert. Warum es nicht passiert ist, ist mittlerweile klar, weil Sie in Ihren Fraktionen nämlich keine Mehrheit finden. Ich glaube sehr wohl, dass Minister Tiefensee durchaus einsieht, dass es richtig wäre, hier nachzuschärfen. In Gesprächen, die wir mit ihm hatten, hat sich das auch alles rauskristallisiert, aber die Fraktionen scheinen das anders zu sehen. Ich möchte Ihnen mal die wesentlichen Handlungsempfehlungen aus Ihrem Gutachten benennen – ich zitiere –: „Mut zu einer radikalen Verschlankung und Entbürokratisierung, indem auf Regelungen verzichtet wird, die an anderer Stelle […] [schon] geregelt sind.“

(Beifall CDU)

Es geht weiter: „Anwendungsgrenzen verschieben“, dass es eben nicht überall gleich zur Anwendung kommt und Bürokratie erst ab einem gewissen Schwellenwert passiert. Auch das wollen Sie nicht tun, der Minister will es aber tun.

(Beifall CDU)

Zum Thema der Formblätter, die eine irre Bürokratie bedeuten, haben wir einen sehr konstruktiven Vorschlag gemacht in unserem Gesetzentwurf, wie man das regeln kann. Das ignorieren Sie völlig.

(Beifall CDU)

Auch beim Thema „Digitalisierung“ bleiben Sie Antworten schuldig. Einzig und allein das Thema „vergabespezifischer Mindestlohn“ hat in unserem ersten Entwurf noch keinen Einzug gehalten gehabt. Wir haben das nachkorrigiert, weil die Evaluierung gezeigt hat, dass auch die Anwender draußen in der Praxis sagen, das macht Sinn.

So haben Sie eigentlich von uns jetzt einen Antrag liegen seit März dieses Jahres, der eins zu eins

(Abg. Lehmann)

die Vorgaben Ihres Gutachtens, des Ministeriums umsetzen würde. Und Sie lassen es liegen und kommen heute mit einem Antrag, der genau das Gegenteil bewirken wird. Dafür haben wir keinerlei Verständnis, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir über einen schlanken Staat und über Entbürokratisierung sprechen, dann warnen Sie von Rot-Rot-Grün immer davor, dass wir den Abbau von Standards haben wollen. Aber darum geht es doch gar nicht und das haben wir auch nicht vor. Es geht darum, dass wir als Staat, als Wirtschaft und Gesellschaft wieder Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Lassen Sie mich dazu den Präsidenten der DIHK, Peter Adrian, zitieren, der sagt: „Wer gegen hohe Energiepreise, Lieferkettenprobleme und Fachkräftemängel kämpfen muss, freut sich über jede Bürokratie, die verschwindet.“ Wir brauchen also einen Abbau von Verfahren; lediglich den Anstieg von Bürokratie zu bremsen, ist angesichts der vielfältigen Herausforderungen zu wenig. Aber was ist die reale Lage in Deutschland und auch in Thüringen? 14 Stunden Arbeitszeit pro Woche allein für Bürokratiepflichten sind keine Seltenheit mehr in den Betrieben. Das sind 14 Stunden unproduktive Zeit und das in einer Zeit, wo wir über Fachkräftemangel klagen. Gerade im Mittelstand wird diese Zeit bitterlich vermisst, denn da gibt es eben keine großen Verwaltungen wie in großen Konzernen oder bei der Landesverwaltung.

Was dem Mittelstand wirklich helfen würde, wäre eine spürbare Reduzierung des Erfüllungsaufwands der Bürokratie. Es ist auch nicht nur die Wirtschaft, die darunter leitet, auch seitens des Staats werden viele Stunden wertvolle Arbeitszeit in sinnlosem Papierkrieg verschwendet. Man könnte jetzt natürlich sagen: Das liegt nicht nur allein am Vergabegesetz. Natürlich nicht, aber es zieht sich durch alle Bereiche unserer Gesellschaft, unseres Landes. Und das liegt wie eine Krankheit auf unserem Land. Das Vergabegesetz ist aber eine sehr anschauliche Ausprägung für dieses Problem. Und deshalb hätten wir eben erwartet, dass Ihr Gesetzentwurf hier in die richtige Richtung geht. Das tut er nicht. Denn statt dem Gutachten zu folgen und Mut zu einer radikalen Entbürokratisierung aufzubringen, tun Sie genau das Gegenteil. Ihr Entwurf sorgt nicht dafür, dass es weniger Arbeitszeit für den Erfüllungsaufwand beim Vergabegesetz braucht. Ihr Entwurf sorgt nicht dafür, dass Personal für wichtige und produktive Arbeiten eingesetzt werden kann, sondern bindet noch mehr Personal für Selbstverwaltung und Bürokratiebewältigung.

Aber auf der anderen Seite scheinen Sie verstanden zu haben, dass Sie tatsächlich mehr Bürokratie produzieren. Und jetzt kommt es, das haut eigentlich dem Fass den Boden aus: Sie haben es ja doch scheinbar verstanden und sagen, das Ding ist so komplex und so schwierig, dass sowieso keiner mehr damit klarkommt. Und was machen wir? Wir schaffen eine Landesvergabeberatungsstelle. Allein der Name haut mich um.

(Beifall CDU)

Ich dachte, es wäre ein schlechter Scherz. Aber es ist ja scheinbar Ihr Wille, Bürokratie durch eine neue Behörde bekämpfen zu wollen.

(Beifall CDU)

Und bei Ihrer Einstellungspraxis weiß ich genau, da werden keine Experten und keine Praktiker sitzen, sondern Ideologen, die das ganze Geschäft noch weiter erschweren werden.

(Beifall CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, statt Personal für Bürokratieaufgaben zu befreien, schaffen Sie zusätzliche Stellen, die sich ausschließlich mit Bürokratieaufgaben befassen. So wird das nichts mit dem Kampf gegen den Fachkräftemangel. Und damit Ihre Landesvergabeberatungsstelle auch genug Kunden – Kunden kann man es gar nicht nennen, man müsste sagen, Opfer – hat, die Sie beraten –

(Beifall CDU)

oder sagen wir besser: belehren – können, sollen aus den allermeisten Kann-Vorschriften für die Kommunen jetzt auch noch Muss- und Soll-Vorschriften werden. Die Kommunen haben schon jetzt das Problem, kaum noch Firmen für ihre Aufträge zu finden.

(Beifall CDU)

Und die Kommunen haben auch jetzt schon genug Verwaltungskosten,

(Beifall CDU)

ohne dass sie noch Mitarbeiter abstellen müssen für weitere komplizierte Verfahren. Wir müssen gerade im kommunalen Bereich darauf achten, dass auch in Zukunft noch Aufträge ausgeführt werden können. Eine Anwendung des Vergabegesetzes in seiner vorgeschlagenen Form in den Kommunen würde die Anzahl der Bieter noch weiter reduzieren. Weniger Bieter bedeutet weniger Wettbewerb, was wiederum höhere Preise bedeutet. Und wo Preise steigen, können Kommunen an anderer Stelle eben nicht investieren, nicht bauen und auch nicht in die Energie- und Wärmewende investieren.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, nur zu, Verschlankung sieht anders aus. Dieser Gesetzentwurf zeigt schon die Lust von Rot-Rot-Grün auf Kontrolle. Es zeigt, dass Rot-Rot-Grün hier auf dem Holzweg ist, den wir nicht mitgehen werden. Wir freuen uns darauf, dass wir den Antrag im Ausschuss besprechen können, gemeinsam mit den Menschen, die sich tagtäglich damit beschäftigen, mit den Experten, die Ahnung davon haben.

(Zwischenruf Abg. Güngör, DIE LINKE: Die Arbeitnehmer?)

Nein, die Handwerker, die die Arbeit tun. Die Handwerker.

(Beifall CDU, AfD)

Ja, dass Sie mit Handwerkern nichts tun haben und dass Sie keinen Draht zu denen haben, sie auch nicht verstehen, ist mir völlig klar.