Ich könnte jetzt auch noch mal 10 Minuten ausführen, woran jetzt was wie gelegen hat, aber ich glaube, dass Klein-Klein an dieser Stelle und die leider verstrichene Lebenszeit, die wir uns alle genommen haben, führt hier nicht weiter. Es wäre dem Thema auch nicht angemessen. Von daher ist es gut, dass wir heute hier endlich diese Anträge gemeinsam beraten, noch vor dem Jahrestag, und wir das Ganze auch gut abschließen, damit es sich entsprechend auch in Ergebnissen zeitigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus Sicht der CDU verdient nämlich gerade das 70. Jubiläum des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 als Vorläufer der friedlichen Revolution des Herbstes 1989
im Aufbegehren des Volkes gegen die SED-Diktatur und Wegbereiter für die deutsche Wiedervereinigung 1990 eine besondere Berücksichtigung in der Gedenk- und Erinnerungskultur unseres Thüringer Freistaats. So zeigt dieses Jubiläum einmal mehr, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung – so lehrt uns zumindest ein Blick in die deutsche Geschichte – keine Selbstverständlichkeit ist, sondern mitunter hart erkämpft werden muss. Auch das ist heute schon mehrfach angesprochen worden. Allen Freiheitsprogrammen der Moderne, so unterschiedlich sie in der europäischen Historie auch sein mögen, ist aber eines gemein: Sie tragen grundsätzlich das Risiko des Scheiterns in sich. Denn ein Leben in Freiheit und Demokratie in ihren unterschiedlichen Facetten ist ein flüchtiger, geradezu zerbrechlicher Zustand, den es permanent aufs Neue zu bewahren gilt. Wenn diese freiheitlich-demokratischen Werte bedroht werden, müssen diese auch geschützt und verteidigt werden. Anlass dazu bieten die täglichen Herausforderungen unseres gesellschaftlichen Alltags mit seinen Bewährungsproben für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in großem Maße. Neben Kritik und Zweifel ist sie vor allem hartnäckigen Gegnern von links und rechts sowie Angriffen außerhalb unseres Landes, ja, außerhalb Deutschlands ausgesetzt, die sie aushalten und auch abwehren muss. Einem Leben in Freiheit und Demokratie steht ein fremdbestimmtes Leben in Unfreiheit und Unterdrückung entgegen. In allen Zeiten haben sich Menschen dagegen aufgelehnt und ihrem Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung Geltung verschafft, in der Regel immer mit einem persönlichen Opfer und persönlichem Leid. Und wir haben ja heute hier bereits von einigen Kollegen ihre persönlichen Bezüge oder Bezüge in ihrer Familie in diesem Zusammenhang vernehmen dürfen.
Meine Damen und Herren, Freiheitskampf, Unrecht und ertragenes Leid bilden eine Einheit, deren Erinnerung für uns ein Vermächtnis und eine staatspolitische Aufgabe sind. Zusammen mit einer umfassenden Bildungs- und Vermittlungsarbeit soll sie als Bestandteil einer offensiven Demokratiearbeit das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger für die Voraussetzungen und die Zerbrechlichkeit freiheitlich-demokratischer Verhältnisse schärfen. Deshalb halten wir heute und künftig die Ereignisse des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 wach und es wird in der Erinnerungsarbeit auch immer ein Kernpunkt der CDU sein.
Meine Damen und Herren, die Massenproteste Hunderttausender setzten dem sozialistischen System der DDR in den Tagen des 16. und 17. Ju
ni die Idee der Freiheit entgegen. Die brutale Niederschlagung dieses für die SED-Führung überraschenden Aufstands durch die sowjetische Besatzungsmacht und ostdeutsche Sicherheitskräfte führte zu einer weiteren Verschärfung jener Maßnahmen, die der Herrschaftssicherung und Verfestigung von individueller, sozialer und ökonomischer Unfreiheit dienten. Die Bilanz: In mehr als 700 Orten kam es zu Streiks und Kundgebungen und sogar zur Erstürmung von SED- und Polizeieinrichtungen. Mehr als 10.000 DDR-Bürger wurden festgenommen, mindestens 55 Todesopfer sind durch Quellen belegt. Zudem sahen viele nach dem Aufstand keinen anderen Ausweg mehr, als ihre Heimat, ihre Familien und ihre Freunde zu verlassen und in den Westen zu fliehen. Bis zum Mauerbau 1961 kehrten etwa 2,7 Millionen Menschen dem SED-Regime den Rücken und begingen als Ausdruck ihrer Ablehnung des SED- und DDR-Regimes die sogenannte Republikflucht.
Bis zum Jahr 1989 spitzte sich die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Situation in der DDR dramatisch zu. Das Heilsversprechen des allumsorgenden Staats stieß immer deutlicher an materielle Grenzen. Der ideologische Überbau kollidierte zusehends mit den realen Verhältnissen. Zweifel an der tatsächlichen Überlegenheit des sozialistischen Systems wurden immer lauter. Angesichts der prekären Verhältnisse, unter denen die DDR-Bürger ihr alltägliches Leben meistern mussten, gepaart mit einer Herrschaftsordnung, die auf Repression, Denunziation und Kontrolle setzte, ist es rückblickend nicht verwunderlich, dass der Funke von 1953 dann 1989 erneut zündete. Ein Wunder bleibt es dennoch, dass diese Revolution, anders als dies zum damaligen Zeitpunkt zu vermuten war, friedlich verlief. Es war ein Akt der Selbstbefreiung, für den die mutigen Männer und Frauen bereits im Juni 1953 den Weg bereitet hatten. Denn trotz aller Unterschiede hat sich 1989/1990 erfüllt, wofür die Menschen in der DDR 1953 auch auf die Straße gegangen sind – Einheit, Freiheit und Demokratie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das vereinigte Deutschland steht heute vor großen Herausforderungen, die Errungenschaften unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bewahren und sich im Bewusstsein unserer jüngeren deutschen Historie um den Mut der Menschen von 1953 und 1989 für den schwierigen Weg der Freiheit zu entscheiden. Dass der Aufstand vom 17. Juni scheiterte, nimmt nichts von seiner historischen Bedeutung. Wir sollten den 17. Juni als Ereignis der demokratischen Entwicklung in Deutschland begrei
fen. Dessen Legitimation entspringt einem Grundvertrauen in die jeweilige politische Ordnung und der Bereitschaft vieler Bürger, etwas zu ihrer Aufrechterhaltung beizutragen.
Wenig ausgeprägtes oder aber schwindendes Engagement in Parteien, Gewerkschaften oder Vereinen sowie sich mehr und mehr auflösende Bindekräfte der beiden großen christlichen Kirchen sind eine Gefahr, die in Ost- und Westdeutlichland gleichermaßen herrscht. In der Folge wird eine zunehmend kleinere Gruppe von Akteuren in der Verantwortung für das Gemeinwohl genommen, während sich der überwiegende Teil der Bürger in private Lebensräume zurückzuziehen scheint. Dabei lehrt uns gerade die eigene Historie, dass die Freiheit zur persönlichen Selbstentfaltung sich mit dem freiheitlichen Anspruch verbinden muss, an öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen und mit den materiellen Bedingungen dieser Freiheit verantwortungsvoll umzugehen. Diese Form von Freiheit und Verantwortung ist es, welche die CDU stets als Leitlinie ihrer Politik gesehen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die mit unserem Antrag erneuerte Aufforderung zur Erinnerung an das in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR erlittene Unrecht und den Mut der Menschen im Kampf für freiheitlich-demokratische Verhältnisse sehen wir in der CDU-Fraktion als eine beständige staatspolitische Aufgabe, denn für die deutsche Geschichte ist die Erinnerung an die Überwindung einer Diktatur aus eigener Kraft eine einmalige Erfahrung. Diese lebendig zu halten ist unser Anspruch und Verpflichtung zugleich,
schließlich trägt eine lebendige Erinnerungskultur entscheidend dazu bei, die eigene Identität zu definieren und Verantwortung für die eigenen Handlungen zu übernehmen. Denn, meine Damen und Herren, in der Auseinandersetzung mit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts schärfen Bürgerinnen und Bürger ihr Bewusstsein sowohl für die Voraussetzungen als auch für die Zerbrechlichkeit der Demokratie. Gedenken und Erinnern an historische Ereignisse und Personen folgt dabei keinem Selbstzweck, sondern schafft den notwendigen Denkraum, um die Grundlagen und die innere Verfasstheit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu reflektieren. Daher gilt es insbesondere, dem Erinnern und der Aufarbeitung der SED- und der Nazidiktatur breiten öffentlichen Raum zu geben, und dies nicht nur anlässlich runder Gedenktage und Jubiläen, wie in dem Konzept der Landesregierung für eine zeitgemäße Erinnerung heute vor 70 Jahren aus unserer Sicht etwas zu stark fokussiert wird.
Vielmehr sehen wir als CDU-Fraktion den Erhalt einer lebendigen Erinnerungskultur als eine permanente gesellschaftspolitische Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger an. Dabei gilt es insbesondere, das Erinnern an und die Aufarbeitung der sowjetischen Besatzungszone und SED-Diktatur nicht als rein ostdeutsches Thema zu verorten, sondern stärker als gesamtdeutsche Aufgabe zu verstehen und mit Leben zu erfüllen. Es bedarf eines gesamtdeutschen Bewusstseins für das in der SBZ und der DDR begangene Unrecht. Sowohl der dauerhafte Zugang zu den Stasiakten im Bestand des Bundesarchivs als auch deren wissenschaftliche Aufarbeitung sind hierfür elementar. Dazu gehören aber auch das Festhalten an der weiteren Aufarbeitung sowie die Erinnerung an das Schicksal sämtlicher Opfergruppen der kommunistischen Gewaltherrschaft, deren Existenz, Leben und Freiheit beeinträchtigt worden sind. Dies schließt die Forderung nach einer Fortsetzung und Erweiterung des Wiedergutmachungsprozesses bezüglich der Opfer von DDR- und SED-Unrecht ein, unter anderem durch eine Novellierung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes sowie eine Erweiterung der Anspruchsberechtigten der sogenannten Opferrente auf weitere Opfergruppen.
Dementsprechend, meine Damen und Herren, gilt es, sowohl auf Bundesebene als auch in den Ländern noch stärker eine umfassende Bildungs- und Vermittlungsarbeit zu etablieren. Im Sinne einer offensiven Demokratiearbeit ist das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger dafür zu schärfen, dass vor allem die aktive Teilnahme am öffentlichen Leben das Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Verhältnisse bildet. Hierfür sollen Möglichkeiten der Kooperation mit den jeweils benachbarten Ländern genutzt und gemeinsame Projekte etabliert werden, in denen die konstitutiven Elemente unserer Demokratie mit den historischen Erfahrungen erlebbar werden. Im Kern geht es dabei um das Erfahrbarmachen einer der Demokratie wesenseigenen Verknüpfung von Freiheit und Verantwortung, wie ich ausgeführt habe, ganz im Sinne der Freiheitskämpfer des 17. Juni 1953 und der friedlichen Revolution von 1989.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die entsprechenden Anträge heute hier im Parlament gut zu Ende zu bringen. Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Herrgott. Als Nächstes erhält Abgeordnete Mitteldorf für die Fraktion Die Linke das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuschauerinnen – nicht mehr auf der Besuchertribüne, aber bestimmt am Livestream! Es ist ja immer ein bisschen das Elend eines letzten Redners oder einer letzten Rednerin, dass sowohl zu den Anträgen als auch zu – in diesem Fall – den historisch-politischen Einordnungen alles schon gesagt ist. Deswegen bin ich auch den Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar, die sowohl ihre persönlichen Erfahrungen geschildert als auch ihren historischen Anspruch deutlich gemacht haben, die eine weitere Aufarbeitung und Erinnerung an die Geschehnisse nicht nur rechtfertigen, sondern auch noch mal unterstreichen. Ich bin auch der Kollegin Astrid Rothe-Beinlich sehr dankbar, dass sie das noch mal eingeordnet hat; die Eingangsrednerin konnte ja offensichtlich weder im Internet noch in ihrem Postfach Informationen zu Veranstaltungen rund um den 17. Juni finden. Wenn man einmal klickt, findet man Veranstaltungen, die bereits ab dem 15. April zu diesem Thema im Freistaat Thüringen losgegangen sind, und noch bis zum 29.09.2023 verschiedene Veranstaltungsformate in dezentraler Form und generationsübergreifender Form – das finde ich nämlich auch besonders wichtig. Das sind alles Punkte, wo ich mir gerade bei der Wichtigkeit dieses Themas wünschen würde, dass man nicht einfach nur hier vorn steht und irgendwas erzählt, sondern vielleicht erstens auch mal an den Ausschussberatungen teilnimmt – das wäre schon das Allererste – und sich zweitens natürlich auch in die inhaltliche Bearbeitung im Ausschuss einbringt.
Im Übrigen – und das ist hier auch schon mehrfach gesagt worden und die Berichterstattung des Kollegen Herrgott hat es auch gezeigt, dass wir uns zu diesen zunächst zwei und dann drei Anträgen wirklich sehr intensiv und sehr lange im Ausschuss befasst haben – wäre es gerade im Hinblick darauf, was heute Ausfluss in den Reden im Landtag ist, noch mal wirklich ein guter Hinweis, ein gutes Zeichen gewesen, wenn Ausschüsse des Thüringer Landtags bereits jetzt öffentlich wären. Denn die Arbeit, die wir uns inhaltlicher Natur im Ausschuss zu ebendiesem Thema gemacht haben, wie wir mit Ausnahme einer Fraktion mit einer Ernsthaftigkeit miteinander diskutiert haben und auch miteinander um Kleinigkeiten gerungen haben – das muss man auch mal sagen –, ist es durchaus wert, dass es schon im Vorfeld einer Plenardebatte für alle sichtbar gewesen wäre. Das ist vielleicht an der Stelle der Appell, wo wir uns um die Öffentlichkeit von Ausschüssen im Thüringer Landtag bemühen, hier
Ich will auf einen Punkt aufmerksam machen, da ich, wie gesagt, auch nicht alles wiederholen möchte, was schon gesagt worden ist. Da geht es um die Generation, die gerade Platz nimmt, und zum Teil auch ein bisschen meine Generation. Ich bin, wie Sie sicherlich wissen, 1985 geboren und bin nicht mehr originäre Person, die DDR und SED erlebt hat, sondern die an verschiedenen Stellen natürlich die – sage ich mal – Nachtrauma-Generation ist, also bin ich natürlich aufgewachsen mit sehr vielen persönlichen Geschichten, die mir meine Eltern, meine Großeltern und später auch Eltern meiner Freundinnen und Freunde erzählt haben, die unfassbar unterschiedlich waren. Es gab keine einheitliche Erzählung, wie das für die einzelnen Menschen war. Natürlich ist es, glaube ich, für Menschen, die dann aufwachsen, alle unterschiedlichen Geschichten gehört haben, umso schwieriger, Dinge einzuordnen und für sich in Zusammenhang zu bringen, vor allem – und das ist mir heute Morgen auch erst wieder eingefallen –, wenn man sich folgenden Umstand vorstellt: Ich bin in Sachsen-Anhalt geboren und bin in Sachsen-Anhalt zur Schule gegangen und habe mit 15 an einem außerschulischen Bildungsprojekt bei der Landesvereinigung „Kulturelle Jugendbildung“ in Sachsen-Anhalt teilgenommen. Da ging es um ein Radioprojekt bzw. ein Audioprojekt zum 17. Juni 1953. Wie gesagt, ich war 15. Und bis zu diesem Zeitpunkt habe ich in der Schule weder im Geschichtsunterricht, weder im Sozialkundeunterricht oder ähnlichen Unterrichtsfächern auch nur irgendetwas zum 17. Juni 1953 gehört.
Ich glaube, das ist ein grundlegendes Problem, was ich an meiner Person auch festmachen will. Natürlich wusste ich, weil ich in vielen Gesprächen war, meine Eltern und Großeltern auch großen Wert darauf gelegt haben, mit mir diese Gespräche zu führen, was am 17. Juni 1953 passiert ist. Aber eine Aufbereitung, eine Aufarbeitung, eine Einarbeitung und eine Auseinandersetzung damit habe ich nicht in der Schule erfahren, sondern – Gott sei Dank! – in außerschulischen Bildungseinrichtungen. Das ist umso mehr auch für mich ein Appell, noch mal zu sagen, dass es, gerade wenn es um die Frage der Aufarbeitung und die nächsten Generationen geht, wenn sie davon hören und wenn sie auch Zeitzeugenberichte aus DDR-Zeiten hören können, für sie natürlich viel nachvollziehbarer auch ist und an gewisser Stelle sozusagen emotional bindender ist, als wenn sie es – in Anführungsstrichen – nur
in einem Geschichtsbuch lesen und es vielleicht bis heute an Stellen, was ich übrigens emotional nachvollziehen kann, durchaus eine gewisse Vorsicht gibt, wie man das in Schule beibringt. Das ist eine Erfahrung, die ich nach wie vor gemacht habe, wenn ich mit jungen Menschen spreche, die aus der Schule kommen bzw. noch in der Schule sind, und wir uns darüber unterhalten, wie im Geschichtsunterricht, im Sozialkundeunterricht welche Themen wie behandelt werden und nicht alle aus Thüringen sind. Deswegen will ich hier nicht den Bogen schlagen, dass wir diesbezüglich zu einer anderen Debatte kommen, aber es wird immer wieder davon berichtet, dass es Lehrerinnen und Lehrern schwerfällt, schwerer fällt, über solche Ereignisse zu berichten, weil sie zum Teil selbst betroffen waren. Ich sage jetzt mal betroffen nicht unbedingt im Sinne von, dass sie selbst einfach dabei waren, sondern dass sie in einem Staat groß geworden sind, der ihr zu Hause war und über den heute natürlich differenzierter berichtet wird, als es für sie im Zweifelsfalle damals der Fall war. Dass das für Menschen, die Kinder und Jugendliche unterrichten, auch eine emotionale Schwierigkeit darstellt, kann ich super nachvollziehen.
Das bedeutet aber, dass wir umso mehr über die Frage nachdenken müssen, wie wir Formate entwickeln, die Kinder und Jugendliche, die sich immer weiter im zeitlichen Rahmen von den Ereignissen entfernen, einbinden können und wie sie sich auch dafür interessieren können, sich erstens mit diesen Ereignissen zu beschäftigen und zweitens auch für sich selbst die Wichtigkeit zu empfinden, an diese Ereignisse zu erinnern und sie dann eben auch weiterzutragen. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle wirklich an einem Punkt angekommen sind, der immer wichtiger wird, sich zu fragen, wie wir für Kinder und Jugendliche den Zugang zu diesen Themen und Ereignissen sowohl in Schule, aber auch weiterhin in außerschulischen Bildungseinrichtungen sicherstellen können. Da sind wir in Thüringen dank der dezentralen Aufarbeitungslandschaft sehr gut aufgestellt. Ich glaube, dass viel zu selten darüber gesprochen wird – vor allem hier im Landtag, denn man kann sich, glaube ich, auch immer wieder im Klein-Klein verlieren –, was die kleinen, regionalen Projekte leisten, die vor Ort mit Kindern und Jugendlichen, aber natürlich auch mit Erwachsenen zu Themen der SED-Aufarbeitung ins Gespräch kommen, Projekte entwickeln und daraus genau diese Frage entwickeln, auf die der Kollege Herrgott zum Schluss noch mal eingegangen ist, wie selbstverständlich für mich Demokratie ist und wie sehr ich dann als junger Mensch, der heranwächst, begreife, dass Demokratie weder ein Sofa noch eine Selbstverständlichkeit ist und dass
Demokratie und alle Freiheiten, die mit Demokratie auch einhergehen, verteidigt gehören und dass wir alle dafür eine Verantwortung haben. Das lernen wir hoffentlich auch aus historischen Bezügen, aber eben auch, indem wir jetzt in unsere Gesellschaft blicken und erkennen, an welchen Stellen wir immer wieder daran appellieren müssen, dass Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit geschützt gehören und dass es jeder Mensch, der hier ist, verdient hat, als Mensch betrachtet zu werden und dieselben Rechte hat wie alle anderen Menschen
und wir nicht tatenlos zusehen, wenn hier wieder Menschen zweiter Klasse etabliert werden sollen, wo Ängste geschürt werden, wo Menschen bedroht werden und wo Menschen aberkannt wird, dass sie eben auch Menschen sind. Das ist und bleibt unsere Verantwortung. Herzlichen Dank.
Vielen Dank. Dann ein Willkommen an die Schülerinnen und Schüler auf der Tribüne! Wir befinden uns im Tagesordnungspunkt 8 und diskutieren über die Erinnerung an die DDR-Diktatur.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich hätte mich gefreut, wenn es dem Landtag gelungen wäre, zu diesem Ereignis des 17. Juni 1953 und der Erinnerungskultur in unserem Land zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Denn nicht immer schlägt eine Vielzahl von sich dem gleichen Sachverhalt widmenden und in einem Ausschuss beschlossenen Initiativen, die dann parallel beschlossen werden – zum Teil mit einer Jastimme und nur Enthaltungen –, gleich in eine höhere Qualität um. Insofern glaube ich, dass es der Aufarbeitungslandschaft relativ wenig nützt, wenn heute hier drei parlamentarische Initiativen zum selben Thema mit graduell abweichenden Positionen beschlossen werden. Wir werden dafür wenig Dankbarkeit von den Betroffenen der DDR-Diktatur bekommen. Diejenigen, die tagtäglich die Erinnerungsarbeit in diesem Land leisten, werden von dieser eingeschränkten Fähigkeit des Thüringer Landtags, zum Thema „Erinnerungskultur und Aufarbei
tungslandschaft“ zu einer gemeinsamen Position zu kommen, wenig Rückenwind verspüren. Insofern bedauere ich, dass diese Chance, die es gegeben hat, so leichtfertig vertan worden ist, und dass es im Ausschuss nicht die Möglichkeit gab, sich auf eine gemeinsame Position zu verständigen. Denn es fällt – das hat uns die Diskussion gezeigt – denjenigen, die uns zuhören, schwer, die Unterschiede zu beschreiben. Natürlich gibt es Unterschiede. Ich lasse die AfD-Fraktion außen vor, denn wer über den Spanischen Bürgerkrieg spricht und Guernica nicht erwähnt, hat sich hier ein Stück weit außerhalb der Debatte gestellt.
Aber die Fraktionen und die Parlamentarische Gruppe, die hier gesprochen haben, die auch mit bewegenden Worten aus eigenen Erfahrungen bzw. aus der Erfahrung von Betroffenen der DDRDiktatur berichteten, haben es nicht geschafft, gemeinsam zu beschreiben und zu würdigen, was diese Aufarbeitungslandschaft schafft, was wir konkret für eine zeitgemäße Erinnerung an den 17. Juni und die Menschen, die diesen 17. Juni 1953 initiiert haben, die die friedliche Revolution initiiert haben, tun. Herr Bergner von der FDP ist darauf eingegangen, ich will das auch noch mal ganz deutlich machen, weil ich das hier im Plenum auch an anderen Stellen schon einmal gesagt habe: Diejenigen, die sich im September 1989 in Leipzig unter dem graduellen Schutz der internationalen Aufmerksamkeit für die Messe hingestellt haben und für Demokratie in der DDR eingetreten sind, konnten nicht erwarten, dass das die Initialzündung einer friedlichen Revolution sein wird, sondern die machten das in der festen Erwartung, dass sie eingekerkert werden, dass ihre Familie drangsaliert wird etc. etc. Das war der Mut, den es gebraucht hat, sich vor eine Kirche zu stellen und für Meinungsfreiheit in der DDR einzutreten. Diesen Mut gab es eben nicht nur im September 1989, den gab es über die ganze Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Aber bis zum September 1989 war das Ergebnis dieses Mutes eben keine friedliche Revolution.
Insofern geht es heute darum, wie wir diese Geschichten dieser mutigen Menschen und der Rahmenbedingungen der Diktatur in der DDR, gegen die sich diese mutigen Menschen aufgelehnt haben – übrigens mit ganz unterschiedlichen Ansätzen, mit einem Ansatz eines tatsächlichen demokratischen Sozialismus, mit dem Ansatz einer Überwindung jeglicher Form von Sozialismen, mit einem starken Motiv, das religiös geprägt war – erzählen. All diese unterschiedlichen Beweggründe haben Menschen dazu gebracht, immer wieder an unter
schiedlichen Stellen gegen das System zu arbeiten, zeitweise im Versuch, das System von innen heraus zu reformieren, bis zu der Erkenntnis, dass dieses System nicht reformierbar war. All das ist Gegenstand von Erinnerungskultur und Aufarbeitungsarbeit. Es geht darum, konkrete Lebensgeschichten und anhand dieser konkreten Lebensgeschichten Diktatur als System zu beschreiben. Unsere Aufgabe als politische Akteure besteht in zweierlei Hinsicht. Es geht zum einen darum, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass diese Erinnerungskultur stattfinden kann. Und es geht zum anderen darum, als demokratische Akteure zu zeigen, was wir in der Verpflichtung derjenigen, die für Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung eingetreten sind, heute tun und was wir denjenigen, liebe Schülerinnen und Schüler, die auf der Tribüne zuhören, auch in unserem eigenen Handeln als Motivation mitgeben möchten, sich tagtäglich für diese demokratischen Werte einzusetzen. Vor dem Hintergrund – sage ich noch mal – haben wir eigentlich die Chance gehabt, hier zu einer gemeinsamen Position zu kommen, die haben wir leichtfertig ein Stück weit aus der Hand gegeben. Das soll uns nicht daran hindern, es beim nächsten Mal gemeinsam besser zu machen. Das wäre mein Wunsch aus dem, was jetzt hier in der Diskussion auch betrachtet worden ist.
Ich will drei Dinge deutlich machen. Zum einen, es ist hier auch gesagt worden: Das, was wir heute diskutieren, hat eine längere Vorgeschichte. Es gibt so Bilder, die mit der friedlichen Revolution in der DDR, mit Volksaufstand, Mauerbau verbunden sind. Das sind eben die Panzer am Checkpoint Charlie, das ist der eine Soldat, der seine Waffe wegwirft und über den Stacheldrahtzaun Bernauer Straße noch nach Westberlin rüberspringt. Klar, das hat ganz viel mit Berlin und der besonderen Konfrontationssituation in Berlin zu tun, aber die Staatsgrenze der DDR war lang und sie umfasste einen viel, viel größeren Raum als das kleine Berlin. Der längste Teil der DDR-Staatsgrenze umfasst das Gebiet des heutigen Thüringens. Die Abriegelung der Mauer, 1961 vollendet, begann 1952 hier in Thüringen. Deshalb haben wir in Übereinstimmung mit der Mehrheit des Thüringer Landtags als Landesregierung das Jahr 1952 zum Ausgangspunkt einer längeren Aufarbeitungs- und Erzählgeschichte genommen, um eben diese Abriegelung der DDR-Staatsgrenze und die Geschichten der Menschen, die davon betroffen waren, zu erzählen. Wir haben gesagt, dass das quasi auch dazu führt, den Volksaufstand in der DDR 1953 zu erzählen. Erzählen heißt, die unterschiedlichen Orte, die Menschen, die Ereignisse, die Rahmenbedingungen zum Gegenstand dieser Erzählung zu machen.
Dazu gehört beispielsweise auch, die Geschichte von Zwangskollektivierung zu erzählen. Dazu gehört es, die Geschichte derjenigen zu erzählen, die als Heimatvertriebene und Kriegsflüchtlinge in die sowjetische Besatzungszone gekommen sind, die sich dann aber eben nicht als Kriegsflüchtlinge und Heimatvertriebene organisieren, Geschichten aus ihrer Heimat erzählen konnten, sondern die euphemistisch als Umsiedler beschrieben wurden, deren Geschichte es nicht geben durfte, die Neubauern wurden und dann, nachdem sie als Kriegsflüchtlinge, Heimatvertriebene traumatisiert waren, eine erneute Traumatisierung durch die Kollektivierung ihres als Neubauern übertragenen Eigentums bekommen haben. All diese Geschichten wirken in den Erzählungen von Thüringerinnen und Thüringern heute mit, wirken auch in den Erzählungen der Kinder, die im Alter meiner Eltern sind, mit, die sich mehr oder weniger arrangierten, mit den Schwierigkeiten das Leben führten, über das Herr Bergner hier unter anderem berichtet hat.
Auf diese Geschichten kommen eben auch die Geschichten des Transformationsprozesses nach der friedlichen Revolution. All das verknüpft sich zu einem großen Erzählstamm und der gehört zu unserer Thüringer Landesgeschichte, zu dem, womit wir uns auseinandersetzen. Natürlich gibt es Orte, an denen diese Geschichten, dieses Wissen vermittelt werden soll. Das ist Schule, ganz klar. Aber ersetzen wir den Begriff „Schule“ durch „Bildung“ und „kulturelle Bildung“ durch das, was wir in Thüringen an Möglichkeiten haben. Ich will Verena Zeltner hier als eine Person erwähnen, Autorin, die in Neustadt an der Orla lebt, die unter anderem 2015 das Buch „Kornblumenkinder“ publiziert hat. Ein ganz wunderbares, rührendes Buch über die Geschichte eines Kindes, eines Mädchens, das sich freut, mit ihren Großeltern im Sommer nach New York fliegen zu können, der Großvater muss ins Krankenhaus und ihr fällt seine Lebensgeschichte in die Hände und sie beschäftigt sich das erste Mal mit der „Aktion Kornblume“, auch hier der dramatische euphemistische Begriff für die Zwangsumsiedlung von Menschen. Hier werden in einer sehr einfachen Kinderbuchform die Geschichte und die dramatische Geschichte von entwurzelten Menschen erzählt. Das ist eine Form von Erinnerungsarbeit, die wichtig ist, die das in dezentraler, in individueller Form ersetzt, was Menschen in Heimatstuben etc. in unserem Land tun.
Wir haben tatsächlich noch eine ganze Reihe von Fragen, die noch offen sind und mit denen wir uns auseinandersetzen. Die Volkskundliche Beratungsstelle, die wir hier in Thüringen in Hohenfelden im Volkskundemuseum haben, setzt sich unter anderem gerade an Orten wie den Heimatstuben damit
auseinander, welche Geschichten dort erzählt werden, welche Objekte es in den Heimatstuben gibt und ob einzelne dieser Objekte in die Heimatstuben aufgrund von Umsiedlung oder Enteignung gekommen sind. Wie gehen wir damit um, machen wir den Leuten einen Vorwurf, dass sie bisher dafür zu wenig Bewusstsein haben, oder schaffen wir Bewusstsein, erzählen die anhand dieser Objekte die Geschichten von Menschen? Das ist Aufarbeitungsarbeit und das ist eine Erzählstruktur, in der es darum geht, Erinnerungen wachzuhalten.
„Erinnerungen wachzuhalten“ heißt, dafür Sorge zu tragen, dass die Zukunft nicht die Vergangenheit ist, die durch eine andere Tür wieder hereinkommt. Wenn wir in dem Sinne in wenigen Tagen den 70. Jahrestag des 17. Juni 1953 begehen und uns erinnern, dann lassen Sie uns gemeinsam im Bewusstsein dafür sein, dass die Jahrestage quasi Erinnerungstage sind, an denen wir uns in jedem Fall erinnern müssen. Aber die Jahrestage, an denen wir zum Teil umfangreiche Reden, Publikationen usw. formulieren, sind nur die Zwischenereignisse zwischen unserer Alltagsarbeit, und zwar im Sinne und in der Verpflichtung derjenigen, die die Freiheit erkämpft haben, die jeden Tag für Freiheit eingetreten sind. Vielen Dank.