Protokoll der Sitzung vom 03.11.2023

Herr Schubert hat mit seinen Ausführungen schon sehr deutlich gemacht – darauf will ich jetzt gar nicht mehr im Detail eingehen –, dass der Vergleich mit Sachsen für Thüringen nur bedingt taugt, weil wir viel mehr Maßnahmen zur Förderung des Handwerks haben als die Sachsen und man sich nicht auf diese eine Maßnahme fokussieren kann. Auch wir – das haben die Kollegen schon gesagt – sind bereit, das im Ausschuss weiter zu diskutieren.

Aber ich finde, dass man schon über eine Sache auch noch mal grundlegend nachdenken muss. Herr Kemmerich hat das jetzt in einem Nebensatz so ein bisschen abgetan. Es gibt Fraktionen in diesem Haus, die in jeder, wirklich jeder Haushaltsdebatte und auch in sonst jeder Debatte, wo es nur irgendwie hinpasst, darauf hinweisen, dass die Landesregierung und die Koalition vermeintlich zu viel Geld ausgeben, dass wir Geld verschwenden, dass man nicht mehr weiß wohin damit,

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Zu Recht!)

die immer wieder sagen, es muss gekürzt werden. Dann erwarte ich aber auch in so einer Debatte hier, dass es konkrete Vorschläge dazu gibt, wie Sie das finanzieren wollen. Wir sind jetzt mitten in der Haushaltsberatung. Wir sind kurz vorm Beschluss des Haushalts. Aber ich will das mal an der Stelle sagen: Ich finde es unredlich, weil auch diese Maßnahme kostet schlicht und ergreifend mehr Geld.

Und weil Herr Kemmerich am Ende seiner Rede noch mal auf einen Punkt verwiesen hat, nämlich auf die Frage der vermeintlichen Leistungsbereitschaft junger Menschen – auch wenn die jungen Leute gerade aufstehen und gehen –: Es gibt eine aktuelle Studie.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Gruppe der FDP)

Es ging vorhin … Herr Henke hat vorhin angemahnt, dass man sich nicht niederbrüllen soll im Parlament. Schön ist es auch, wenn man sich gegenseitig zuhört.

Mäßigen Sie sich bitte. Frau Lehmann hat das Wort.

Es gibt eine aktuelle Studie. Die zeigt auf, dass 79 Prozent der 14- bis 27-Jährigen über sich selbst sagen, sie sind ehrgeizig und leistungsorientiert. Ich wünsche mir, dass wir junge Menschen ernst nehmen, dass wir sagen, wenn sie andere Anforderungen an die Arbeitswelt haben, dass wir das ernst nehmen, dass wir uns ernsthafte Gedanken darum machen, wie wir damit umgehen und wie wir die erfüllen können. Denn das wird die Voraussetzung dafür sein, dass wir noch Fachkräfte finden, und zwar sowohl im Handwerk, als auch in der Industrie, als auch in der Sozialwirtschaft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten? Ach Entschuldigung, Herr Abgeordneter Möller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.

(Zwischenruf aus den Fraktionen DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Müller, mit Ü!)

Müller! Ja, ja! Herr Müller mit „ü“. Bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich habe eben schon mal gesagt, ich werde zur nächsten Plenarsitzung den Namen meiner Frau annehmen, um die Verwirrung dann zu komplettieren, aber ich möchte ganz gern noch mal mit ein paar Sätzen auf Herrn Kemmerich eingehen. Also die Zwischenrufe von Herrn Kemmerich sind die haushaltspolitische Bankrotterklärung. Wenn jemand sagt, dass eine Rücklage, die ja schon eingenommen ist, keine Einnahme ist, dann ist es ungefähr, als wenn Sie ein Sparbuch haben, auf das Sie seit fünf Jahren eingezahlt haben und das Geld steht Ihnen nicht mehr zur Verfügung, weil das ist ja nicht auf dem Tisch liegend.

Also, Herr Kemmerich, befassen Sie sich einmal inhaltlich bitte mit dem Haushalt und schreiben Sie mir oder uns bitte einen Änderungsantrag für diese Forderung, die Sie aufgestellt haben

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und kommen Sie nicht in Gespräche rein: Das Haushaltsvolumen ist 1 Milliarde zu hoch, das kürzen Sie jetzt bitte raus.

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Das Sparbuch auch, wenn Sie es halbieren!)

Vorschläge hören wir von Ihnen nie.

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Ich werde nicht aufhören, das zu sagen!)

So, und jetzt noch einmal zur Familienverträglichkeit von Ausbildung, Berufen, Arbeitswelt, wenn Sie sich hier hinstellen und den jungen Leuten und auch den angehenden Meisterinnen und Meistern eine Leistungsbereitschaft absprechen. Ich erlebe es fast jeden Tag bei mir in der Firma mit 35 Kolleginnen und Kollegen, dass das Thema „Familienfreundlichkeit“, dass das Thema „Arbeitszeit“, „Jahresarbeitszeitmodelle“ ein ganz herausragendes Thema ist. Dem dürfen wir uns als Unternehmerinnen und Unternehmer auch für die Zukunft nicht verstellen. Offensichtlich sind Sie in dieser Welt nicht mehr zu Hause, sondern sprechen nur noch vom Hörensagen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten? Herr Abgeordneter Schubert, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kemmerich, auch mich hat Ihre Wortmeldung noch mal nach vorn getrieben. Es ist tatsächlich unfassbar und es macht einen wirklich nur wütend, wie Sie hier immer wieder Postulate vorgeben, für die Sie selber offensichtlich überhaupt nicht einstehen wollen. Was glauben Sie denn, welches Vorbild Sie für Leistungsbereitschaft geben, wenn wir hier im Hohen Haus eine Anhörung machen, zum Beispiel zu so einem wichtigen Thema wie dem Vergabegesetz, und Sie sind während der gesamten Anhörung nur 5 Minuten tatsächlich im Raum anwesend.

(Beifall DIE LINKE)

Welches Beispiel geben Sie denn für Leistungsbereitschaft? Und dann sage ich Ihnen noch was. Es ist am Ende wirklich hanebüchen, dass es gerade Ihre Gruppe ist, die immer wieder das Sonntagsöffnungsverbot hier in unserem Bundesland zur Disposition stellen will, gerade auch im Handel. Es ist doch bekannt, dass die Menschen in Thüringen am längsten arbeiten und im Medianeinkommen die geringsten Einkünfte haben. Unsere Menschen hier im Land sind viel einsatzbereiter als in anderen Bundesländern und das muss doch auch honoriert werden und das negieren Sie ständig mit diesen pauschalen Attitüden, die Sie uns hier vortragen. Es ist wirklich hanebüchen.

(Beifall DIE LINKE)

Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten? Das kann ich nicht erkennen, dann hat für die Landesregierung Herr Staatssekretär Feller das Wort. Und ich bitte darum,

(Zwischenruf Abg. Schubert, DIE LINKE: Ladenöffnungsgesetz!)

dass dann Herr Staatssekretär Feller jetzt auch tatsächlich das Wort hat und Ruhe im Raum herrscht,

(Unruhe Gruppe der FDP)

denn natürlich sind Zwischenrufe – Herr Abgeordneter Kemmerich – es sind Zwischenrufe zugelassen,

(Zwischenruf Abg. Schubert, DIE LINKE: Sie arbeiten ja nicht mal wochentags!)

aber keine Zwiegespräche. Herr Staatssekretär, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Abgeordneten, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und im Livestream! Das ist eine engagierte Debatte über das Handwerk in Thüringen und das ist es zu Recht. Das Handwerk ist eine Macht, es ist ein Rückgrat unserer Wirtschaft in dieser Gesellschaft und es sind viele Beispiele dafür genannt worden, warum das Handwerk so wichtig ist und an welchen Stellen wir Handwerkerinnen und Handwerker dringend benötigen. Daran gibt es keinen Zweifel.

(Beifall Gruppe der FDP)

Und ich sehe auch keinen Zweifel daran, dass alle Fraktionen des Thüringer Landtags diese wichtige Rolle des Handwerks würdigen.

Nur, Herr Kemmerich, Sie erzählen zwei Geschichten im Lande – auch hier in diesen Hohen Haus – mit der Begründung zu Ihrem Antrag und beide sind falsch. Die erste Geschichte ist, dass der Mangel an Auszubildenden im Handwerk und der Mangel an Meisterinnen und Meistern im Handwerk irgendetwas mit Akademisierung – die AfD nennt es sogar Überakademisierung, manchmal hört man von Ihnen auch Akademisierungswahn – zu tun hatte. Das ist schlicht falsch. Der Grund, warum wir in diesem Land zu wenig Azubis haben, hängt einzig und allein daran, dass vor 16, vor 17, vor 18 Jahren in diesem Land weniger Kinder geboren wurden, als wir heute Bedarf an Ausbildungskräften haben. Das ist der Grund. Der zweite Grund ist, dass es uns nicht gelungen ist in dieser Zeit,

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Die Quote der Studierenden in diesen Jahren …!)

Sie dürfen gleich! – dieses Defizit damit auszugleichen, dass wir geregelte Zuwanderung haben aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland, die diese Lücken, die wir demografiebedingt in unserem Land haben, füllen können. Das ist der Grund dafür, warum wir an dieser Stelle zu wenige haben.

Sie, die Sie eine Partei sind, die gelegentlich das Adjektiv „freiheitlich“ in den Mund nimmt, sollte die Freiheit der Berufswahl hoch schätzen. Jeder Jugendliche, jeder junge Mensch hat das Recht, sich zu entscheiden, ob er Facharbeiter in der Industrie, ob er Handwerker oder ob er Student werden will und eine solche Ausbildung machen will.

(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP: Das stellen wir doch nicht infrage!)

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kemmerich?

Ja, bitte.

Herr Kemmerich, bitte.

Herzlichen Dank. Herr Feller, Sie reflektieren gerade über die Geburtenrate vor 16 Jahren. Wenn wir den Vergleich der Übertrittsquote von der Schule an die Universität oder in die Handwerksberufe vor 15, 16 oder auch meinethalben 20 Jahren – ich kenne eine von dem Jahr 2002 – ziehen, dann ist ein deutlicher Anstieg des Übergangs von Schule zur Universität zu vermelden. Kennen Sie die Statistik, teilen Sie die Statistik, oder wie beurteilen Sie die Zahlen aus dem Jahr 2002?

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja ein komischer Leistungsgedanke!)

Ja, selbstverständlich kenne ich diese Statistik und die hat gute Gründe. Der eine Aspekt dabei ist, dass wir tatsächlich manche Berufe, die in der Vergangenheit – also 2002 – noch reine Ausbildungsberufe waren, akademisiert haben. Das ist im Bereich der nicht medizinischen Gesundheitsberufe beispielsweise

(Staatssekretär Feller)

so: Physiotherapie, Hebammen usw. Das ist eine Entwicklung, die es in ganz Europa und auch in ganz Deutschland zu Recht gibt, weil diese Berufe inzwischen so hohe Ansprüche haben, dass eine akademische Ausbildung gerechtfertigt ist. Das hat aber nichts mit Handwerk zu tun.

Der zweite Aspekt, auf den ich hingewiesen habe, ist: Wir haben in all diesen Bereichen Bedarf. Wir haben Bedarf an Informatikern, wir haben Bedarf an Maschinenbauern, an Elektrotechnikern – an allen akademischen Berufen. Es ist nicht so, dass wir in irgendeinem Bereich dieser Gesellschaft keine Bedarfe haben. Deswegen macht es keinen Sinn, das gegeneinander auszuspielen. Wir haben zu wenig Akademikerinnen und Akademiker, wir haben zu wenig Facharbeiter und wir haben zu wenig junge Leute im Handwerk. Das ist die Folge einer demografischen Entwicklung und eine Folge der nicht hinreichend gelungenen Zuwanderung nach Thüringen und nach Deutschland insgesamt.