Wir sagen nicht, dass die Etablierung eines Modellprojekts jetzt irgendwie alle Defizite aufhebt, aber wir können damit zumindest Möglichkeiten testen, wie wir Schulen mehr Beinfreiheit in der Schulentwicklung, in der Ausstattung, in der Zusammenarbeit etc. ermöglichen können.
Deswegen bin ich froh, dass Sie bereit sind, das thematisch zu diskutieren. Ich bin auch gespannt, wie die Anzuhörenden darauf reagieren. Möglicherweise ist es ja – zumindest Teile davon – eine Art kreative Lösung, wie sie Denny Möller vorhin angesprochen hat. Wir können natürlich darüber diskutieren, ob eine volle Rechtsfähigkeit oder eine Teilrechtsfähigkeit oder ob andere Wege der Eigenverantwortung da sinnvoller zu etablieren sind als – sagen wir mal – eine volle Rechtsfähigkeit in einer unternehmerischen Struktur, die natürlich in der aktuellen Struktur eine Herausforderung und auch ein Stück weit ein Fremdkörper sein würde. Das ist mir durchaus bewusst. Mir wäre es aber wichtig, dass wir gerade in dem Bereich, in dem wir über Berufe, über Unternehmen, über Wirtschaft sprechen, einfach die Diversität, die an beruflichen Schulen abzubilden ist, ernst nehmen. Dort werden ja nicht nur duale Ausbildungsgänge umgesetzt, sondern da werden Abiturprüfungen abgelegt, da werden vorbereitende Kurse absolviert für Schülerinnen und Schüler, die nicht über das übliche Schulsystem in Thüringen gelaufen sind. Insofern ist das sehr divers und ich habe manchmal den Eindruck, dass gerade auch – sagen wir mal – die personelle Untersetzung, die sich im Ministerium wiederfindet, auf jeden Fall den Anforderungen, die in den Berufsschulen herrschen, nicht gerecht wird.
Aus unserer Sicht ist die Etablierung des Modellprojekts zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Berufsschulen ein erster Schritt zu einer weiteren Veränderung in den Strukturen, hin zu mehr Eigenverantwortung. Wenn es uns gelingt, mehr an schulischer Eigenverantwortung an beruflichen Schulen zu implementieren, dann ist das auch eine Chance, das Bildungssystem an anderen Stellen resilienter zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, es richtig vernommen zu haben, dass wir das im Ausschuss weiter diskutieren. Ich danke Ihnen herzlich dafür. Für uns Freie Demokraten gilt: Wer den Mittelstand von morgen unterrichtet, der sollte auch wie der Mittelstand agieren dürfen, nämlich mit Eigeninitiative und Selbstbestimmung. Und das ist das, wofür wir uns an dieser Stelle einsetzen. Vielen Dank.
Aus den Reihen der Abgeordneten liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Für die Landesregierung erhält Herr Minister Holter das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ich bin ja ein Mensch, der sehr geduldig ist, aber manchmal kann man die Geduld verlieren. Das, was hier vorgetragen wurde, hat mir regelrecht die Schuhe ausgezogen. Ich muss das hier mal so emotional sagen, denn, liebe Frau Baum, der „Tag in der Praxis“ ist eine Initiative aus den Regelschulen heraus, um dort die berufliche Orientierung und damit eine bewusste Berufswahlentscheidung für Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen.
Nicht eine einzige Berufsschule wird infrage gestellt. Sie reden hier wider besseren Wissens, Sie verbreiten hier Märgeschichten, die mit dem Leben und der Realität in Thüringen nichts zu tun haben.
Ja, Sie haben genau darüber gesprochen, dass Berufsschulen infrage gestellt werden und Frau Baum hat
das auch infrage gestellt. Sie müssen mal mit Ihren Landräten reden. Ich habe mit denen ganz konkret die Berufsschullandschaft in Thüringen ausgehandelt: Sie steht und da gibt es überhaupt kein Vertun!
Zweitens – das haben Sie, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer eben erleben dürfen: Hier prallen zwei politische Konzeptionen aufeinander – die Konzeption „mehr Markt“ und die Konzeption „mehr Staat“. Sie, liebe Frau Baum und sehr geehrte Damen und Herren der FDP, wollen mehr Markt im Bildungswesen und weniger Staat im Bildungswesen.
Das ist ein Weg, den gehe ich nicht mit. Der Staat muss seine Verantwortung im Bildungsbereich auch weiter wahrnehmen können.
Deswegen ist der Antrag aus Ihrer Sicht möglicherweise richtig, aus meiner Sicht ist er der falsche Weg. Ich lehne diesen Antrag ab, ich lehne die ganze Initiative ab, die Sie hier gerade unterbreitet haben,
denn es geht um Markt und nicht um Qualität und eine gute berufliche Bildung in Thüringen. Das ist Ihr Ansatz und das ist hier also noch mal deutlich geworden. Ich sehe keinen Bedarf an diesem Modellprojekt – das will ich deutlich sagen – und es gibt auch keinerlei gesetzliche Voraussetzungen dafür, die Rednerinnen und Redner der Koalition sind darauf eingegangen.
Sie wollen die eigenverantwortliche Schule. Das Schulgesetz ermöglicht die eigenverantwortliche Schule. In meinen Reden und den Gesprächen mit den Schulleiterinnen und Schulleitern mache ich immer deutlich: Es geht um die Eigenverantwortung, und nehmen Sie die Eigenverantwortung wahr! Das ist genau der Weg, den wir jetzt auch gehen werden, denn die Probleme, die wir haben im schulischen Bereich – und die rede ich ja auch nicht weg, die sind ja nun objektiv da –, können wir nur durch die Lösungskompetenz vor Ort lösen und da auch entsprechend anpacken.
Die Schulen befinden sich in einer doppelten Zuständigkeit. Das wissen alle. Es geht um die staatliche Trägerschaft auf der einen Seite durch die Kommunen und auf der anderen Seite eben durch das Land, die sogenannte Kultushoheit. Das wollen Sie aushebeln mit Ihrem Antrag. Sie wollen die Zuständigkeit des Schulträgers aushebeln und Sie wollen die Zuständigkeit des Ministeriums aushebeln und auch des Staatlichen Schulamtes, welches für eine Berufsschule ganz konkret zuständig ist. Das sind Grundfeste, an denen Sie rütteln. Wollen Sie wirklich dieses Fundament des Bildungswesens in Thüringen anfassen und es zerbröseln lassen? Das bedeutet doch, dass Sie mit einem ersten Schritt die Abkopplung vornehmen und die Berufsschulen zu Anstalten des öffentlichen Rechts erklären wollen, so wie das in Ihrem Antrag steht. Das ist ein Weg der Teilprivatisierung und wenn ich das zu Ende denke, bedeutet das die Privatisierung der Schulen in Thüringen.
Selbstverständlich, Herr Montag. Das ist genau das, was in Ihrem Antrag steht, das ist der Geist Ihres Antrags.
(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP: Wir wollen die Eigenverantwortung stärken, dass die Schulen selbst einstellen können!)
Der Markt richtet nicht alles, Herr Montag und Frau Baum. Wenn Sie meinen, durch den Markt werden die Probleme an den Schulen gelöst, dann irren Sie sich. Wir brauchen die staatliche Aufsicht, wir brauchen die Steuerung. Es geht darum, angesichts auch des Mangels, den wir haben, die Ressourcen klug zu bündeln und auch klug zu verteilen.
Das Berufsschulnetz ist gut und effizient aufgestellt. 2021 haben wir einen intensiven Diskussionsprozess darüber gehabt – der hat nicht öffentlich stattgefunden, kaum öffentlich stattgefunden, der ist in Ruhe abgelaufen –, wobei es mir gelungen ist, mich gemeinsam mit den Schulträgern, mit den Landrätinnen und Landräten, mit den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern zu einigen – bis auf einen, mit dem
konnte ich mich nicht einigen. Aber wir haben uns mit allen bis auf den einen in Hildburghausen, den Herrn Müller, geeinigt, wie die Berufsschullandschaft ganz konkret aussieht. Das war ein Aushandlungsprozess.
Die Frage, die Sie hier auch in diesem Zusammenhang immer aufwerfen, Frau Baum, ist: Wie viele Schülerinnen und Schüler müssen in einer Berufsschulklasse sein? Aber wollen Sie wirklich die Anzahl der Schülerinnen und Schüler so reduzieren, dass dann eine Effizienz auch des Lehrereinsatzes nicht mehr gegeben ist? Das hat was mit staatlicher Steuerung zu tun. Deswegen bin ich der Überzeugung, wir haben eine gute Berufsschullandschaft. Das haben wir mit den Schulträgern, mit den Landräten, den Landkreisen und den kreisfreien Städten geeint. Das war ein schwieriger Prozess, ganz klar. Der hat auch Zeit erfordert. Aber am Ende haben wir uns geeinigt. Das ist Demokratie, das ist gelebte Demokratie, im Gegensatz zu dem, was die AfD will. Die will einen autoritären Staat, das hat Herr Thrum ja noch mal ganz deutlich gesagt.
Dabei wird es auch ganz klar, was Sie wollen, Frau Baum. Es wird ein oder zwei Gewinner vielleicht geben, aber die große Mehrzahl wird dabei verlieren. Es wird zu einer Kannibalisierung führen und wir werden dann nicht mehr steuern können. Deswegen, meine Damen und Herren, halte ich diesen Antrag für falsch. Das ist der falsche Weg. Das ist nicht mein Weg. Das ist auch nicht der Weg der Landesregierung, weil es geht um möglichst gleiche Chancen für Stadt und Land. Es geht um möglichst gleiche Chancen für Menschen. Wir wollen eine gute Vernetzung der Berufsschulen mit der lokalen und der regionalen Wirtschaft, klar, überall im Land und es ist natürlich auch notwendig, dass überall Lehrkräfte an allen Berufsschulen so eingesetzt werden, dass der Unterricht auch stattfinden kann. Dazu läuft die Lehrergewinnungskampagne auf Hochtouren. Solange es dann noch zusätzliche Initiativen aus den Schulen gibt – und die gibt es ja inzwischen schon –, kann ich die nur ausdrücklich unterstützen.
Aber Sie wissen auch, es ist ein weiter Weg. Ich habe diese Themen und diese Probleme nie beiseitegeschoben, sondern ich habe sie mit dem Ministerium und auch mit der Koalition ganz proaktiv angefasst, um jetzt Lehrkräfte einzustellen, und wir stellen Lehrkräfte ein. Und Sie wissen auch, dass wir über Seiteneinstieg gehen, Nachqualifizierung. Es gibt keinen anderen Weg, als diesen Weg weiterzugehen. Aber Ihren Weg halte ich für den falschen. Abgekoppelte berufsbildende Anstalten lehne ich, lehnen wir als Landesregierung ab. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
So, vielen Dank, Herr Minister. Lassen Sie mich bitte einen Augenblick blättern. Wir sind hier gerade im Wechsel, wie Sie gesehen haben.
Weitere Wortmeldungen sehe ich jetzt keine. Ausschussüberweisung wurde beantragt an den Bildungsausschuss. Weitere Ausschüsse? Nicht.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Ausschussüberweisung. Wer der Überweisung an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen aus den Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, der SPD, der CDU, der AfD und der Gruppe der FDP. Damit ist die Ausschussüberweisung angenommen. Ich bedanke mich dafür.
Entschuldigung. Beide fraktionslose Abgeordnete, danke schön, also auch zwei fraktionslose Abgeordnete. Das muss natürlich für das Protokoll auch korrekt sein.