Protokoll der Sitzung vom 02.10.2020

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Henfling, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident, jetzt bin ich nicht wahnsinnig überrascht über diesen Bericht. Ich muss zugeben, der Teil zum NSU hat mich schon etwas schlucken lassen. Gut, dass Sie den rausgenommen haben, aber ich finde, das darf aus meiner Sicht nicht passieren, dass so was da drinsteht,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

schon gar nicht aus Thüringen heraus und schon gar nicht mit der Geschichte und der Vergangenheit, die wir haben, insbesondere mit Blick auf die NSU-Untersuchungsausschüsse, die wir hier geführt haben, und der guten Aufklärung, die viele Abgeordnete in diesen Ausschüssen geleistet haben. Deswegen sehen Sie mich hier auch immer noch einigermaßen fassungslos, dass so ein Satz tatsächlich in dem Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission landet und es keinem auffällt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, solange wir den Verfassungsschutz haben, müssen wir ihn auch kontrollieren; das steht, glaube ich, außer Frage. Wir haben ja in den letzten Wochen vermehrt über die Frage diskutiert, wie diese Parlamentarische Kontrollkommission aufgestellt ist. Es ist jetzt auch nicht verwunderlich, dass wir nach wie vor der Meinung sind, dass eine Partei wie die AfD, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird – mal abgesehen davon, dass ich den Verfassungsschutz nicht brauche, um zu wissen, wes Geistes Kind die AfD ist –, nicht in eine Parlamentarische Kontrollkommission gehört. Dabei ist es völlig unerheblich, welche Personen insbesondere aus der Thüringer Landtagsfraktion da benannt werden. Das gilt einerseits wegen der Berichtspflicht an den Fraktionsvorsitzenden und natürlich gilt es außerdem – mir ist nicht klar, wer aus Ihrer Fraktion eigentlich nicht hinter Höcke steht. Wenn sich da jemand outen möchte, immer her damit, aber ich würde mal sagen, da gibt es geschlossene Reihen und dementsprechend werden wir da auch nicht lockerlassen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Bericht – und das will ich hier noch mal ganz deut

lich sagen – verharmlost das Phänomen rechter Gewalt in Thüringen. Das finde ich einigermaßen erschreckend. Und, Herr Walk, da nützt es auch nichts, wenn Sie quantitativ aufzählen, wie viele Seiten sich hier mit dem Phänomen „Rechts“ beschäftigen und wie viele Seiten sich mit den anderen Phänomenen beschäftigen. Die Quantität ist hier nicht das Problem. Die Art und Weise, wie dieser Bericht geschrieben wurde, ist das Problem. Sie tun so, als bestünde die rechte Szene in Thüringen aus so ein paar Leuten, die ein paar Liederabende sowie ein bisschen Rechtsrock machen und ein paar Vorträge halten. Sie erwähnen die Thüringer Szene mit keinem Wort in Bezug auf die Gewaltakte, die in den letzten Jahren hier permanent stattfinden. Ich könnte jetzt einfach meinen Browser auf diesem Handy öffnen, auf der Seite von ezra die Chronik von 2018 und 2019 aufrufen und Ihnen wahrscheinlich deutlich über meine Redezeit hinaus Vorfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Thüringen vorlesen. Das alles findet sich hier in diesem Bericht nicht und das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie erwähnen beispielsweise nicht, dass im Oktober 2019 Schüsse auf das Flüchtlingswohnheim in Obermehler gefallen sind. Wir reden hier nicht einfach nur von einer Schubserei auf einer Demonstration, sondern wir reden hier von massiven Gewaltanwendungen.

Sie erwähnen nicht den in diesem Sommer beendeten Prozess gegen den Saalfelder Neonazi Felix Reck, bei dem es um 15 Vorfälle von Gewalttaten, Verstößen gegen das Waffengesetz und Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz ging. Und da sind wir noch nicht bei den alltäglichen Angriffen auf Geflüchtete und auf People of Color in Thüringen, die hier wirklich fast täglich zu verzeichnen sind.

Und was Sie auch nicht erwähnen: Sie erwähnen zwar die antifaschistische Demonstration in Eisenach im März 2019. Dass aber dieser Demonstration mindestens 18 Angriffe durch Rechtsextremisten auf alternative Jugendliche und People of Color in Eisenach vorangegangen sind, erwähnen Sie nicht. Und das finde ich wirklich armselig.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und es seien noch zwei Sätze in Richtung der AfD gesagt: Sie verharmlosen sowieso alles, was rechts von Ihnen steht, insbesondere die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das geht doch nach Ihrer Meinung gar nicht!)

Ich zitiere gern eine Band, die ich sehr schätze: „Zu Verschwörungstheorien gehören Vernichtungsfantasien.“ Und deswegen ist es völlig egal, ob die Leute legale Waffen oder illegale Waffen besitzen, sie fußen auf Verschwörungstheorien. Und diese Verschwörungsideologien vertreten Sie ja auch. Das verbindet Sie ja unter anderem mit der Reichsbürgerszene und mit Rechtsextremisten. Und dementsprechend wundert es mich nicht wirklich, dass Sie sagen: Ja, mein Gott, wenn so ein paar Leute so eine eigene Justiz aufbauen, dann ist das ja nur so ein bisschen Pillepalle. Aber es ist nicht Pillepalle, sondern diese Leute bewegen sich außerhalb des demokratischen Spektrums, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Kommen Sie mal wieder runter, Frau Henfling!)

Jetzt lassen Sie mich, nachdem ich hier ganz kurz mal geplatzt bin, noch zwei Sätze zu der Diskussion um die Stellen sagen. Ich bin da sehr beim Kollegen Dittes und ich finde diese Diskussion nicht zielführend. Wenn wir wirklich davon ausgehen, dass es der Verfassungsschutz in den letzten Jahren nicht geschafft hat, die vorhandenen Stellen zu besetzen, dann ist es unlogisch, neue Stellen zu fordern. Ich bin da beim Kollegen und sage ganz deutlich: Schauen Sie, was Sie vor Ort haben, was Sie momentan an Stellen zur Verfügung haben, besetzen Sie die entsprechend. Ich glaube, ansonsten müssen wir nicht über neue Stellen reden.

Und der letzte Satz: Ich glaube – und das ist das, was ich erschütternd finde –, dass wir mittlerweile im neunten Jahr der Aufdeckung/der Selbstenttarnung des NSU immer noch darüber diskutieren, ob der Verfassungsschutz notwendig ist oder nicht, das sei mal dahingestellt. Aber ganz ehrlich: Dass Sie immer noch glauben, dass das Konzept der Extremismustheorie ein adäquates Mittel ist, um dem Phänomen in dieser Gesellschaft zu begegnen, das erschüttert mich doch immer wieder aufs Neue, denn ich glaube tatsächlich, dass an der Stelle die Extremismustheorie Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Ich möchte an dieser Stelle die Kolleginnen und Kollegen noch mal darauf aufmerksam machen, dass beim Bewegen innerhalb der Reihen des Plenarsaals doch bitte der Mund- und Nasenschutz zu tragen ist.

Als nächster Redner hat jetzt Herr Abgeordneter Bergner, Fraktion der FDP, das Wort.

Vielen Dank. Herr Präsident, sehr geehrter Herr Präsident Kramer! Ich freue mich auch, Wolfgang Fiedler hier sehen und begrüßen zu dürfen,

(Beifall CDU)

der sehr lange eine sehr gute Arbeit in dieser Kommission geleistet hat und wo ich es schäbig finde, wenn man dann von einer Möchtegern-Kontrolle spricht. Das wird dieser Arbeit nicht gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Es zeigt sich, Thüringen braucht den Schutz der Verfassung und Thüringen braucht den Verfassungsschutz, und zwar einen Verfassungsschutz, der in keiner Richtung blind ist, wenn es um die Feinde dieser Verfassung und die Feinde dieser Demokratie geht, und der genau hinschaut.

Meine Damen und Herren, zu den Problemen, die wir dabei haben, gehört eine Koalition, die, wie wir heute wieder ganz deutlich sehen konnten, sich schon bei diesem Thema nicht einig ist. Zu den Problemen, die wir dabei haben, gehört offensichtlich auch eine Mehrheit dieses Hauses, die mit dem Verfassungsschutz auf Kriegsfuß steht.

Herr Kollege Dittes, das, was Sie da als Folklore bezeichnet haben, hat schon auch ein in meinen Augen sehr bedenkliches Verhältnis gezeigt. Ich finde, dass eine Stigmatisierung der Bediensteten des Verfassungsschutzes der Sachlage in keiner Weise gerecht wird. Natürlich muss Politik hinschauen und natürlich muss parlamentarische Kontrolle hinschauen, ob sich irgendwo Netzwerke bilden, die mit unserer parlamentarischen Demokratie nicht vereinbar sind. Aber von vornherein Leute, die ihre Arbeit in den Dienst dieser Demokratie stellen, in einen Verdacht zu stellen, das wird dem Umgang mit dem Verfassungsschutz in keiner Weise gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Ich will deswegen auch klar und deutlich sagen: Die FDP sagt Ja zum Verfassungsschutz, sie sagt Ja zur Notwendigkeit des Verfassungsschutzes. Wir sagen aber auch, dass es eine bessere Ausstattung mit Personal und Technik braucht, dass es mehr Geld dafür braucht, gerade bei den Verhältnissen, wie sie sich in diesem Lande entwickeln. Und wir sagen auch, dass natürlich die Aufgabe der Parlamentarischen Kontrollkommission deutlicher und breiter aufgestellt werden muss. Wir haben

(Abg. Henfling)

kein Verständnis dafür, wenn einzelne Fraktionen dieses Hauses von dieser Kontrolle ausgeschlossen werden, meine Damen und Herren.

(Beifall AfD)

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Deswegen will ich aber trotzdem auch noch mit sagen: Ich meine damit, dass kleine Fraktionen von vornherein ausgeschlossen sind, und das ist nicht gut für eine breit aufgestellte Kontrolle, Frau Kollegin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage aber auch: Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der Bürgerrechte ernst nimmt. Wenn ich da lese, dass eben die Erforderlichkeit der Rückstellung – das ist ja doch ein sehr bürokratisch-sperriger Begriff – zu oft nicht hinreichend begründet war, dann erfüllt mich das mit Sorge. Dann ist das ein Punkt, der, glaube ich, auch in der künftigen Arbeit ernst genommen werden sollte und worauf auch wir, selbst wenn wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission nicht dabei sein können, unser Augenmerk legen werden, nämlich dass Bürgerrechte respektiert und ernst genommen werden, meine Damen und Herren.

Auf jeden Fall aber – sage ich ganz klar und deutlich – ist es ein Thema, wo wir uns nicht dazu hergeben werden, die Kolleginnen und Kollegen des Verfassungsschutzes von vornherein schlechtzumachen, von vornherein unter Verdacht zu stellen, sondern wir stehen dafür, dass erst mal jeder so wahrgenommen wird, wie er ist, wie er seine Arbeit leistet. Und erst dann, wenn sich wirklich ein Verdacht begründet herausgestellt hat, muss man das konkret auf die Person bezogen auch benennen, aber nicht einen Generalverdacht gegenüber den Menschen erzeugen, die für unsere Sicherheit stehen.

(Beifall FDP)

In diesem Sinne wünsche ich der Arbeit der Kommission weiter eine gute Zukunft. Ich wünsche dem Verfassungsschutz weiter eine gute Zukunft, dass er eben dieses Land, diese Demokratie und diese Verfassung erfolgreich schützen kann, meine Damen und Herren. Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Es gibt den nochmaligen Redewunsch aus den Reihen der CDUFraktion. Herr Abgeordneter Walk, Sie haben noch 2 Minuten Redezeit.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will noch mal kurz auf das Erwähnte von Frau Kollegin Henfling eingehen. Frau Kollegin Henfling, Sie haben sozusagen vorgeworfen, dass wir im Bericht – der übrigens, ich will das noch mal klarstellen, weil selbst in meiner Fraktion jetzt noch mal Fragen aufkamen, ein Tätigkeitsbericht ist, der in der Parlamentarischen Kontrollkommission einstimmig verabschiedet wurde. Sie unterstellen, dass wir Vorfälle rassistischer Gewalt dort nicht berücksichtigt hätten, und verweisen auf die Opferschutzorganisation ezra. Ich will nur sagen: Grundlage des Berichts sind ausschließlich und ganz allein die offiziellen Verlautbarungen der Landesregierung. Das macht sich fest in der Thüringer Kriminalstatistik vom LKA und da im besonderen Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Alles das, was Sie auch von anderen Organisationen erwähnen, findet sich in der Statistik wieder. Das ist unsere Grundlage.

Da sagt die Statistik: im Bereich Rechtsextremismus 1.301 Fälle, im Bereich Linksextremismus 646 Fälle. Das ist Grundlage unseres Tätigkeitsberichts. Wir vertrauen im Übrigen darauf, dass die Angaben der Landesregierung, die wir nicht nur durch Kleine Anfragen, durch Mündliche Anfragen, aber auch im Innenausschuss bekommen und erhalten, selbstverständlich richtig sind. Das sind – wie gesagt – die Basisdinge, die wir dem Bericht zugrunde legen.

Abschließend will ich vielleicht noch mal das erwähnen, was eben möglicherweise ein bisschen untergegangen ist. Ich habe es im Bericht schon gesagt und ich finde, dahinter sollten sich alle im Hohen Hause auch versammeln können. Es ging dabei um den Gewaltbegriff und ich hatte erwähnt, dass eines doch klar sein muss: Gewalt gegen Personen und Sachen ist nie legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung.

(Beifall AfD, CDU)

Vielmehr bedarf es des Konsenses, dass politischer Protest nur friedlich erfolgen darf. Gruppierungen, die diesen Konsens verlassen, davon ist die Parlamentarische Kontrollkommission fest überzeugt, diskreditieren sich selbst. Herzlichen Dank.

(Beifall AfD, CDU, FDP)

Vielen Dank. Ich erteile das Wort nochmals Frau Abgeordneter Henfling. Es ist noch 1 Minute Redezeit.

(Abg. Bergner)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch ganz kurz auf das Thema „Politisch motivierte Kriminalität“ eingehen. Vielleicht haben wir da ein ähnliches Problem wie mit der Extremismustheorie. Die Frage stellt sich nämlich, ob die Erhebungen, wie sie in dieser Statistik tatsächlich stattfinden, geeignet sind, um Phänomenbereiche explizit zu beschreiben. Wenn sie nämlich alltägliche rassistische Gewalt gegen Menschen, vorgelagerte Gewalt beispielsweise zu der antifaschistischen Demonstration, ausblenden, bekommen Sie kein analytisch tiefgehendes und vor allen Dingen kein breites Bild. Vielleicht sollten Sie sich dann eben mal fragen, ob die Informationen, die Sie vonseiten der Landesregierung und dem Verfassungsschutz an dieser Stelle bekommen, wirklich dazu beitragen, dass wir ein gutes, differenziertes Bild auf die Thüringer Geschehnisse bekommen. Das ist doch die Frage, die Sie sich an dieser Stelle stellen müssen.