Protokoll der Sitzung vom 12.12.2019

Angesichts der demografischen Entwicklung wird die Pflege schnell zu einem herausragenden Thema: Wer Angehörige pflegt oder gepflegt hat, wer Kranke auf ihrem Weg der Genesung und Therapie begleitet hat, weiß, wie sehr dies auf das Zeitbudget, die Gesundheit und zum Teil auf den Geldbeutel der Familie durchschlägt.

Stimmig ist, was aus Sicht der Bürger und Bürgerinnen in Thüringen gegen diese Missstände hilft. Mehr als 90 Prozent sprechen sich für folgende Maßnahmen aus: für die Gewinnung von Hausärzten für den ländlichen Raum, für die Einrichtung von Gesundheitszentren/Polikliniken, für die Förderung mobiler Arztpraxen, für höhere Gehälter für Pflegekräfte – selbst wenn dies zu höheren Kassenbeiträgen führt – und für die Ausweitung der Medizinstudienplätze; wir werden heute genau darüber auch noch mal sprechen. 81 Prozent sind für die gezielte Anwerbung von Fachkräften im Bereich von Gesundheit und Pflege. Aber – auch das sagen die Thüringerinnen und Thüringer – Telemedizin wird kritisch bewertet, das heißt, die Menschen wollen in der realen Welt behandelt werden und nicht am Monitor.

Die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems färbt anscheinend auch erheblich auf die Demokratiezufriedenheit ab – einer der Punkte, die wir im Wahlkampf dieses Jahres festgestellt haben –, sodass es verschiedene Ursachen gibt, warum das Vertrauen in die Institutionen und demokratischen Prozesse abnimmt. Das hängt oft mit den eigenen Erfahrungen in der Lebenswirklichkeit zusammen. Dieser Thüringen-Monitor gibt auch den Befund einer Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit auch im Gesundheitssystem im Stadt-Land-Gefälle und neue Antworten auf die Sorgen, welche die Menschen in ihren eigenen Lebenswelten, in Erfahrun

(Ministerpräsident Ramelow)

gen sammeln, und auch zur Frage der Demokratiezufriedenheit.

Der Bundesgesundheitsminister hat viel dafür getan, um die Gesundheitsvorsorgung vor allem auch in ländlichen Räumen aufrechtzuerhalten, und Maßnahmen ergriffen, diese zu verbessern. Richtigerweise hat Jens Spahn in dem von der Union geführten Ministerium deshalb einen großen Beitrag geleistet, die Ausbildungskapazitäten zu erhöhen, dem Arbeitskräftemangel im Gesundheitssektor entgegenzutreten; für etliche Gesundheitsberufe ist die Ausbildung vereinfacht und verbessert worden. Das hilft, damit die Berufe attraktiver werden.

Aber ich will auch sagen, dass wir im Jahr 2019 erst noch politische Beschlüsse fassen mussten, damit für solche Ausbildungsberufe das eigene Ausbildungsgeld, das die Auszubildenden zahlen müssen und mussten, erst jetzt abgeschafft wurde. Dann darf uns auch nicht wundern, dass die Berufe jahrelang nicht attraktiv waren. Ich kann überhaupt nicht erkennen, dass bei dem Fachkräftebedarf, den wir in Deutschland haben, die Auszubildenden dafür Schulgeld bezahlen müssen. Das muss umgekehrt sein und das muss Maßgabe in Deutschland sein. Dass wir so lange gebraucht haben, ist auch ein Nachteil, weshalb Demokratiezufriedenheit so stark abgenommen hat.

(Beifall CDU)

Am intensivsten macht sich der Fachkräftemangel innerhalb der Gesundheitsbranche in der Pflegebranche bemerkbar. Mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz werden diese dringend benötigten Fachkräfte besser und einheitlicher bezahlt und wird hoffentlich eine Trendwende erreicht, damit das Berufsbild sozialer, anspruchsvoller, aber auch als sinnstiftender wahrgenommen werden kann. Und mit einem Gesetz plant die unionsgeführte Bundesregierung, die Vor-Ort-Apotheken zu stärken, denn diese sind es, welche die Versorgungssicherheit auch im ländlichen Raum in besonderer Weise aufrechterhalten.

Ein Selbstläufer ist ein leistungsfähiges Gesundheitssystem auch in Zukunft mit Sicherheit nicht. Auch das Land Thüringen muss seinen Beitrag leisten, auch in den schwierigen Bedingungen des neuen Thüringer Landtags. Ich will einige Punkte aufzählen, die wir auf die Tagesordnung setzen werden: Heute beginnen wir gemeinsam mit der FDP damit, über mehr Studienplätze für Ärzte und Pharmazeuten zu sprechen. Die zügige und fachkundige Anerkennung von Abschlüssen ist ein weiteres Themenfeld, genauso wie die regionalen Versorgungsverbünde im ländlichen Raum. Der Abbau des Versorgungsgefälles ist für uns zentrale Aufga

be in den nächsten Jahren und dringend notwendige Aufgabe. Mit einer Landarztprämie wollen wir den Allgemeinmedizinern unter die Arme greifen, wenn diese sich auf dem Land niederlassen und in den Beruf gehen.

Der Ausbau der Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Pflegende Angehörige brauchen mehr Unterstützung, da sprechen die Umfragezahlen eine deutliche Sprache. Wir müssen denen helfen, die andere begleiten, weil sie allein mit ihren Gesundheitsproblemen nicht mehr zurechtkommen. Wir sehen, dass die größte Last im Krankheits- und Therapiefall gerade auf den pflegenden Familienangehörigen liegt. Ihnen in besonderer Weise auch aus Landesperspektive zu helfen, muss uns gemeinsam antreiben.

(Beifall CDU)

Aber zurück zur politischen Kultur und zu den gesellschaftlichen Leitbildern. Es gibt ein paar Befunde, die Anlass zur Sorge geben. 14 Prozent der Befragten meinen, Juden passten nicht so recht zu uns, weil sie einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich hätten. Und wenn noch einmal 13 Prozent dazu schweigen oder sich nicht festlegen wollen, dann ist das besorgniserregend. Das unterstreicht noch einmal der Befund, dass ein Fünftel der Antisemiten gewaltbereit sind, mehr als ein doppelt so hoher Wert wie in der Bevölkerung allgemein. Deshalb will ich ganz klar für uns als CDU-Fraktion sagen: Nie wieder, nie wieder Antisemitismus. Das ist das Minimum in unserer Gesellschaft, das uns alle miteinander verbinden muss. Nie wieder!

(Beifall DIE LINKE, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP)

Bei dem immer üppigeren Fragenkatalog des Thüringen-Monitors fragen wir uns allerdings immer häufiger: Können die Befragten das verstehen, was die Interviewer mit ihrer Frage meinen? Und was kann man eigentlich daraus ableiten? Ich will mal vier Beispiele nennen. Es gibt die Aussage A92: „In […] Zeiten [wie diesen] brauchen wir […] eine starke Hand“. Völlige oder überwiegende Zustimmung von 61 Prozent. Wird damit eigentlich der Diktatur das Wort geredet? Ist das Ausfluss eines hysterischen Umgangs mit der Klimafrage, weil angeblich alles so lange dauert? In der Aussage A104 heißt es: „Wir sollten uns wieder stärker auf unsere Traditionen besinnen“ – völlige oder überwiegende Zustimmung bei 69 Prozent. Ist das ein Hinweis auf Ethnozentrismus? Die Zustimmung könnte auch der Einsicht geschuldet sein, dass die öffentliche Ordnung besser funktioniert, wenn sie sich auf ein hohes Maß geteilter Überzeugungen stützen kann.

Die Aussage A109, sobald Krieg und Verfolgung beendet sind, sollten alle Flüchtlinge und Asylsuchenden wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren – völlige oder überwiegende Zustimmung bei 68 Prozent. Ist das aber nur der Hinweis auf Fremdenfeindlichkeit und die Ablehnung von Asylbewerbern oder nicht vielmehr der Wunsch, dass Recht durchgesetzt und der Flüchtlingsschutz seinem Sinn entsprechend gewährt wird? Und die Aussage A103: „Es sollte wieder mehr für die Mehrheit der Leute getan werden“, als sich um Minderheiten zu kümmern – völlige oder überwiegende Zustimmung ebenfalls bei 61 Prozent. Ist das aber schon der Hinweis auf diskriminierende Einstellungen oder nicht doch vielmehr der Wunsch nach anderen politischen Prioritäten? Und wenn aus dem letztgenannten Punkt eine generalisierte Einstellung zu Minderheiten abgeleitet wird, dann fragt man sich, welche Güte und Reichweite diese Feststellung also hat.

Die Befürchtung, dass aus Gedanken Worte und aus Worten Taten werden könnten, sollten und dürfen wir gewiss nicht kleinreden. Wir sollten allerdings auch nicht jedes Maß verlieren und nüchtern Rechenschaft ablegen, wo man eigentlich den Hebel wirklich ansetzen kann. Ich glaube, wir sind gut beraten, auch zu schauen, welche Fragen wir mit welchem Sinn und mit welchem Aufgabenfeld zukünftig mit dem Thüringen-Monitor verknüpfen. Alle Landesprogramme für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit haben anscheinend nichts daran geändert, dass das Volk, die Befragten, in erheblichen Teilen anders tickt, als die Initiatoren und Verfasser dieser Programme es gern hätten. Der ThüringenMonitor stellt diesem Programm kein gutes Zeugnis aus. Eines von beiden muss anscheinend überdacht werden, entweder die Ziele oder die Mittel. Je inflationärer der Thüringen-Monitor sich mit dem Denken, den Einstellungen oder gar mit mangelnder Sensibilität der Thüringerinnen und Thüringer zu ethnischen, kulturellen und sozialen Gruppen beschäftigt, desto häufiger fragen wir uns, ob da nicht über das Ziel hinaus gearbeitet wird. Was ein Staat und ein Land billigerweise leisten kann und muss, das steht im Grundgesetz und das steht in unserer Landesverfassung in Artikel 2: „Niemand darf wegen seiner Herkunft, seiner Abstammung, seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner sozialen Stellung, seiner Sprache, seiner politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung bevorzugt oder benachteiligt werden.“ Das bindet unmittelbar den Staat und seine Institutionen und mittelbar die Bürgerinnen und Bürger unseres Freistaats. Greifbar wird all dies nur auf der Ebene von Handlungen und das kann und muss entsprechen

des Fehlverhalten deutlich markieren, kritisieren und notfalls auch strafrechtlich ahnden, etwa bei hemmungsloser Hetze im Netz oder wo auch immer sonst.

(Beifall CDU)

Diesbezüglich haben wir in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren viel zu viel durchgehen lassen. Das muss sich ändern und deshalb begrüßen wir als CDU-Fraktion ausdrücklich das Maßnahmenpaket des Bundesinnenministers und der Bundesjustizministerin im Oktober gegen Hasskriminalität, was beide dort vorgestellt haben. Für uns gilt ganz klar: In unserer Gesellschaft darf es keinen Platz für Hass und Hetze geben.

(Beifall DIE LINKE, CDU, FDP)

Folgender Satz im Thüringen-Monitor ist uns in besonderer Weise aufgefallen, er steht auf Seite 64: „Vielmehr findet die Untersuchung in erster Linie statt, um solche Entwicklungstendenzen der politischen Kultur zu identifizieren, die sich insbesondere dann als problematisch erweisen können, wenn in der Bevölkerung kollektiv geteilte Erwartungen, Wahrnehmungen und Bewertungen mit politischem Handeln und den von den politischen Eliten formulierten politischen Zielen in Konflikt geraten.“ Das muss man wie viele Fragen und Feststellungen mal kurz setzen lassen. Nach unserem Verständnis von politischer Repräsentation und Demokratie sollte eines ganz klar sein: Ausschlaggebend sind in einem demokratisch verfassten Staat im Zweifelsfall nicht die politischen Ziele vermeintlicher politischer Eliten, sondern die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, zumal dann, wenn sie auch noch weitgehend geteilt werden und sich – das sei ausdrücklich hinzugefügt – im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. Ich hoffe, das sieht hier niemand anders. Denn wäre dem nicht so, würden wir über kurz oder lang bei jenen oft zitierten Gedichtzeilen Bertholt Brechts nach dem 17. Juni 1953 landen: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes“, so Bertholt Brecht.

Wir haben bereits zur Debatte über den Abschlussbericht der Enquetekommission „Rassismus und Diskriminierung“ eine Unterscheidung deutlich herausgestellt. Es ist ohne jeden Zweifel richtig und notwendig, gegen Rassismus und Diskriminierung vorzugehen,

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da haben wir einen Auftrag!)

und das schließt alles Handeln dort ein, wo Antisemitismus in dieser Gesellschaft im Raum steht.

Sich da entschieden dagegenzustellen, ist immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Wir haben mit aller Deutlichkeit auch gesagt: Die Auseinandersetzung mit tatsächlicher oder auch nur mit vermeintlicher Diskriminierung ist für uns nicht der Dreh- und Angelpunkt in den Debatten über die Zukunft der freiheitlichen Demokratie, zumal dann, wenn er als Vorwand dient, tief in den gesellschaftlichen Raum einzugreifen. Wir plädieren deshalb sehr dafür, sich auf das zu konzentrieren, was unserem demokratischen Verfassungsstaat, unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, ihren Grundlagen und Regeln tatsächlich Abbruch tut, und diesbezüglich bleiben auch mit der Beratung zum Thüringen-Monitor genug Widersprüche.

Die Verfasser des Thüringen-Monitors und die Beratungen dazu haben auch auf die wahrlich große, erfreuliche Zustimmung zur Demokratie als Staatsidee und die wachsende Demokratiezufriedenheit hingewiesen. Überaus erfreulich ist auch, dass die Zahl der Antidemokraten auf 3 Prozent und jene der Demokratieskeptiker auf 6 Prozent gesunken ist. Antidemokraten sind nach der Definition des Thüringen-Monitors Bürger, die nicht glauben, dass die Demokratie die beste Staatsform ist, und zugleich eine nationale Diktatur als die beste Staatsform anzusehen meinen. So wenige waren es noch nie seit Beginn des Thüringen-Monitors. Es gab Zeiten, da summierten sich die Zahlen der Antidemokraten und Demokratieskeptiker auf 22 Prozent. Ich kann mich noch gut an diese Beratungen erinnern, weil uns die Werte erschrocken haben, und dass die jetzt so erfreulich niedrig auf 3 Prozent und die der Demokratieskeptiker auf 6 Prozent gesunken sind, das kann uns mit Blick auf den Thüringen-Monitor 2019 erfreuen.

Diese Entwicklung ist umso erfreulicher deshalb, bedenkt man, dass es noch nie so viele zufriedene Demokraten gab. 63 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer meinen das, und das sind jene, die meinen, die Demokratie ist die beste Staatsidee und sie funktioniert auch zufriedenstellend. Wir sind dankbar, dass dieser Wert so gemessen wurde.

(Beifall CDU)

63 Prozent – da bleibt auch noch Raum bis zur 100. Deshalb dürfen wir uns auch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass immerhin ein Fünftel der Befragten unter Umständen eine Diktatur im nationalen Interesse für vertretbar hält und ein Viertel gar völlig oder überwiegend zum Sozialismus zurückkehren will; das entspricht im Übrigen auch fast Ihrem Wahlergebnis, aber das nur am Rande bemerkt. Dass vor allen Dingen Arbeitslose, Arbeiter

und Menschen in der Mitte des Lebens das besonders häufig für wünschenswert halten und diese Forderung noch in keiner der unterscheidbaren Gruppen mehrheitsfähig ist, bleibt eben auch bemerkenswerte Randbemerkung mit Blick auf diese Zahlen.

Man sollte allerdings auch diese Befunde nicht dramatisieren, denn nichts deutet darauf hin, dass diese aus Sicht der Befragten Wünschbarkeiten zum handlungsleitenden politischen Prinzip erhoben werden können. Sie geben allerdings Hinweise darauf, wo Alternativen für den Fall gesucht werden, dass das demokratische System nicht liefert. Das spüren wir allenthalben, dass die Skepsis zugenommen hat – gegenüber den Repräsentanten der Demokratie, gegenüber den Institutionen der Demokratie – und dass die Leute sich an manchen Stellen da zurückhalten und Sorgen haben.

Das zeigt auch der Thüringen-Monitor in einem anderen Punkt: Zwei Drittel der Befragten glauben nämlich, dass Leute wie sie keinen Einfluss darauf hätten, was die Regierung tut. 71 Prozent meinen ganz überwiegend, Parteien seien nur an Wählerstimmen interessiert, und zwei Drittel stimmen ganz oder überwiegend folgendem Statement zu: „In unserer Demokratie werden die Anliegen der Menschen nicht mehr wirksam vertreten.“ 47 Prozent denken zumindest, man könne seine Meinung nicht mehr frei äußern, weil man sonst Nachteile erleide.

Ich finde diesen Wert echt besorgniserregend, weil wir uns erinnern, dass vor 30 Jahren zum Ende der auslaufenden DDR die Menschen auch gemeint haben, dass sie nicht mehr frei ihre Meinung sagen könnten und deshalb Nachteile erleiden müssten. Jetzt kann man die Befunde von heute definitiv nicht mit Zeiten der SED-Diktatur vergleichen. Und die Angst, die in dem System der SED-Diktatur geherrscht hat, gibt es heute nicht. Aber dass die Leute erneut in Sorge sind, wenn sie ihre Meinung sagen, dass sie dann Nachteile erleiden, das muss uns skeptisch stimmen, weil wir ein Freiheitsgut vor 30 Jahren gemeinsam erreicht haben, und das ist die Meinungsfreiheit. Die hochzuhalten, die zu verteidigen, die nicht gleich mit Repressionen zu belegen oder die Leute gleich in eine Ecke zu schieben, nur weil sie ihre Meinung sagen, dieses hohe Gut herauszustellen, das muss Aufgabe jedes Demokraten sein. Die Freiheiten, die wir 1989 erkämpft haben, sind unverrückbar und gelten für jedermann in diesem Land.

(Beifall CDU, FDP)

Es sind ernüchternde Zahlen und eine Aufforderung an uns alle: an Abgeordnete, an Fraktionen, an Parteien und – mit Blick auf die Pressetribüne –

auch an die Medien. Ein abgehobener, um sich selbst kreisender politischer Betrieb ist Gift für das Vertrauen in die Demokratie. Deshalb haben wir in der letzten Wahlperiode für die Einführung fakultativer Referenden geworben. Wir werden dieses Werben auch in dieser Wahlperiode erneuern. Wir werden gemeinsam in Ruhe darüber sprechen, wie wir diese Dinge für die Zukunft in diesem Land ausgestalten können.

Die Bürgerinnen und Bürger wollen sehen, dass ihre Interessen gesehen und wahrgenommen werden und Politik dann auch unter dieser Voraussetzung entscheidet. Die Zusammensetzung unseres neuen Landtags dieser 7. Wahlperiode ist aber mit dieser Maßnahme Risiko und Chance zugleich. Auf der harten Seite steht, dass nicht mehr einfach durchregiert werden kann; niemand ist mehr in der Lage, irgendein politisches oder ideologisches Programm zu exekutieren. Diesen Gewinn sollten wir nicht dadurch verspielen, dass wir Entscheidungen irgendwelchen zusätzlichen Gremien vorformulieren. Entscheidungsort und Aushandlungsort sind der Thüringer Landtag und seine Ausschüsse. Und dass der gestärkt ist, das ist gut nach diesem Wahlergebnis.

(Beifall CDU, FDP)

Aber ich will auch sagen, das Wahlergebnis sagt für uns alle, aber eben auch für die amtierende Regierung: Ein Weiter-So kann es nicht geben. Ich hätte mir gewünscht, dass die Wortwahl der heutigen Regierungserklärung mehr auf diese Situation eingegangen wäre.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hat er doch gemacht!)

Ich will es mit einem wichtigen Satz sagen, der ziemlich zum Schluss der Regierungserklärung gefallen ist: Dass gesagt wird, „[w]ir werden die Ideen der demokratischen Opposition vorurteilsfrei prüfen“, ist eine nette Formulierung, aber entspricht nicht den Zuständen in diesem Landtag. Wir wollen nicht, dass eine Seite prüft, ob die anderen vielleicht mal recht haben könnten und dabei sein könnten.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Richtig!)

Die Chance in diesem Landtag ist, dass wir hier gemeinsame Ideen für dieses Land entwickeln – gemeinsam, und nicht die einen prüfen und geben ein paar Brotkrumen ab. So stellen wir uns die Arbeit nach diesen schwierigen und komplizierten Mehrheitsverhältnissen in diesem Landtag nicht vor. Ich hoffe, sie werden auch nicht zur Schule und zum Maßstab werden.

(Beifall CDU, FDP)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Dann müssen Sie auch mit uns reden wollen, aber das lehnen Sie ja ab!)

Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Ort und die Chance dieses demokratisch legitimierten Landtags auch nutzen, neue Formen der Gemeinsamkeit und der Arbeit hier zu finden in gegenseitiger Anerkennung und Respekt, damit die Idee, die eine Fraktion einbringt, auch gemeinsam in die Arbeitsprozesse kommt, wir dort schauen, ob es weitere Ideen gibt, die wir dann für das Land umsetzen können. Wenn wir die Arbeit so verstehen – nicht, die eine Seite prüft wohlwollend, ob die andere vielleicht recht haben könnte –, sondern weil wir hier in diesem Parlament gemeinsam Ideen für dieses Land entwickeln, nicht in Gremien vor dem Parlament, nicht mehr in Koalitionsausschüssen, die es in dieser Wahlperiode so in dieser Form vermutlich nicht geben kann, sondern hier gestärkt in den Ausschüssen dieses Landtags, die wir heute auch berufen, und im Parlament hier in seiner Gesamtheit, wenn uns das gelingt, dass wir auch nach diesem komplizierten Wahlergebnis dadurch Prozesse schaffen, welche die Attraktivität der parlamentarischen Demokratie erhöhen, dann ist das auch die Chance, von der wir nach dieser Landtagswahlentscheidung am 27. Oktober sprechen. Das ist eine hohe Verantwortung für jeden einzelnen Abgeordneten und für jede einzelne Fraktion. Ich bin überzeugt, dass am Ende dieser Legislaturperiode der Landtag in seiner Gesamtheit daran gemessen wird, ob er mit diesen Umständen konstruktiv umgeht und tatsächlich liefert und vor allen Dingen geliefert hat. Darauf kommt es an, Wort und Tat zusammenzuführen und das, was man ankündigt, durch Handlung auch zu belegen, damit die Bürgerinnen und Bürger dieses Freistaats Thüringen sehen, dass für das Land das Beste in diesem Landtag gemeinsam beschlossen und auf den Weg gebracht wird – egal wie kompliziert die Wahlergebnisse waren. Wir wollen dazu unseren Beitrag leisten. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Das Wort erhält nun für die Fraktion Die Linke Abgeordnete Hennig-Wellsow. Bitte schön.