Zivilcourage demonstrieren. Auf die Rede von Herrn Möller werde ich aus vielerlei Gründen nicht weiter eingehen.
Vor mittlerweile sieben Jahren fand in Ballstädt der Neonazi-Angriff auf eine Feier der Kirmesgesellschaft statt, bei dem zehn Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Seither warten die Opfer auf Gerechtigkeit und auch auf eine rechtskräftige Verurteilung der Täterinnen und Täter. Den Opfern des Angriffs und ihren Angehörigen gilt unsere volle Solidarität. Ich sage es hier ganz deutlich: Natürlich ist die Unabhängigkeit der Justiz auch für alle von Rot-Rot-Grün – davon bin ich überzeugt – ein hohes Gut. Wir stehen für ein Justizsystem, in dem sich Ministerinnen und Minister aus guten Gründen nicht aktiv in Gerichtsfälle einmischen und per Erlass festlegen, was und mit welcher Priorität strafrechtlich zu verfolgen ist, auch wenn die AfD das gern anders darstellt. Das wäre nämlich nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Die Unparteilichkeit der Staatsanwaltschaften ist eine ganz tragende Säule unseres Rechtsverständnisses. Diese Unparteilichkeit dient dazu, die Justiz aus der politischen Einflusssphäre herauszuhalten.
Dies alles grundsätzlich vorangestellt, können wir aber natürlich den Ärger und auch die Frustration vieler engagierter Menschen und der Betroffenen des Überfalls nachvollziehen. Hier geht es schlicht um eine Haltungsfrage und die kann natürlich auch hier im Parlament diskutiert werden, ja, sie muss sogar diskutiert werden.
Es ist absolut inakzeptabel, dass dieses Verfahren schon so lange dauert und das muss auch gesagt werden können. Es muss gesichert sein, dass auch Verfahren mit schwieriger Beweislast möglichst zügig durchgeführt werden können und sich eben nicht über Jahre hinziehen. Für uns ist völlig klar, dass gerade rechtsextreme Straftaten möglichst zeitnah und natürlich auch adäquat geahndet werden. Dass das Gericht sogenannte Deals mit Nazis vorschlägt, das ist für die Opfer des Überfalls – reden Sie einfach mal mit denen – und auch für die
Ja, so wird es wahrgenommen. Rechtsextreme Straftäter/-innen sollten sich nicht mit sogenannten Deals der Verantwortung faktisch entziehen können. Mir ist die Schwierigkeit durchaus bewusst, dass sie ohne diese vielleicht gar nicht gestehen würden. Das ist eine Ambivalenz, aber auch diese muss hier angesprochen werden können. Das ist auch grundlegend dafür, dass Betroffene und Opfer sich weiterhin trauen, solche Übergriffe überhaupt anzuzeigen – übrigens auch ein großes Problem. Wir sehen in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme von Straftaten mit rechten, rassistischen und antisemitischen Motiven. Die extrem rechte Szene radikalisiert sich weiter. Die Anschläge von Halle und Hanau oder aber auch die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die sich gerade zum zweiten Mal jährte, zeigen ganz deutlich, wie radikal rechtsextreme Straftäter vorgehen. Als Zivilgesellschaft und auch als Politikerinnen und Politiker müssen wir uns dieser Entwicklung ganz entschieden entgegenstellen. So muss es für alle klar sein, dass der Rechtsstaat rechtsextreme Straftäter/-innen natürlich nicht ungeschoren davonkommen lässt. Hier bedarf es Verbesserungen sowohl im Bereich der Polizei als auch der Justiz. So sollte beispielsweise die Ausund Fortbildung bei Polizei und Justiz in diesem Bereich intensiviert werden. Die Grundlagen für die Definition von politisch motivierter Kriminalität müssen überarbeitet werden. Für eine bessere Erfassung müssen auch die Grundlagen für die Kriminalitätsstatistiken, die sogenannten Verfahrensverlaufsstatistiken, reformiert werden. Wir sollten nicht immer weiter darüber diskutieren müssen, ob rechte Tatmotive bei eindeutig rechtsextremen Straftaten während der Ermittlungen oder vor Gericht anerkannt werden.
Um eine schnelle Ermittlungsarbeit und zügigere Gerichtsverhandlung zu ermöglichen, müssen sowohl Polizei als auch Justiz besser ausgestattet werden. Und ja, das wollen wir. Das sage ich ganz deutlich.
Auch sollte die Polizeivertrauensstelle gestärkt und die Einrichtung einer ähnlichen Stelle für den Justizbereich geprüft werden. Diese Einrichtungen müssen so unabhängig wie möglich sein, zum Beispiel indem man sie beim Landtag ansiedelt und ihnen auch eigene Ermittlungskompetenzen überträgt. Außerdem schlagen wir die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Thüringen mit
dem Schwerpunkt „Rechtsextremismus und Hasskriminalität“ vor. Das sind nur einige Vorschläge, wie es in diesem Bereich zu Verbesserungen kommen kann. Für mehr reicht leider die Zeit in einer Aktuellen Stunde nicht.
Als demokratische Fraktionen müssen wir gemeinsam mit dem Innen- und Justizministerium Ansätze erarbeiten, wie wir die Strukturen so optimieren können, dass in Zukunft vernünftige Verfahren mit gerechten Urteilen gewährleistet werden können. Ein Verfahren wie der Ballstädt-Prozess sollte eine unrühmliche Ausnahme und nicht der Regelfall sein. Das sind wir den Opfern rechter Gewalt schuldig. Vielen herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Thüringerinnen und Thüringer, für die Landesregierung nehme ich zur Aktuellen Stunde der SPD-Fraktion wie folgt Stellung: Ich gestehe als Erstes, dass ich relativ lange überlegt habe, wo man hier beginnen muss – so viele lose Enden in der Begründung der SPD-Fraktion, so viele lose Enden in dieser halbstündigen Debatte. In dem Augenblick ist es wichtig, auf das Wichtigste am Anfang zu sprechen zu kommen. Das will ich tun.
Jedes Opfer von Gewalt, jeder und jede Verletzte einer Straftat, insbesondere wenn hier rechtsextreme, rassistische oder andere, ähnliche Tatmotivationen in Rede stehen, empören unsere Gesellschaft zu Recht. Wir wollen und wir werden nicht hinnehmen, dass Gruppen durch Feindlichkeit getrieben Menschen angreifen. Wir werden nicht hinnehmen, dass Frauen in besonderer Weise Opfer von Straftaten werden. Wir werden nicht hinnehmen, dass Kindern Unsagbares angetan und sie verletzt werden, dass ältere Menschen betrogen werden und vieles mehr. Wir werden das niemals hinnehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, darum wird ohne Ansehen der möglichen beschuldigten Person verfolgt, wenn gewaltbereit ein Fest gestürmt wird, wenn ein Regierungspräsident, der sich für Geflüchtete einsetzt, heimtückisch ermordet wird, wenn Einbrüche begangen werden, wenn Un
terliegende drangsaliert werden und vieles mehr. All das wird von unserer unabhängigen Justiz verfolgt. Unsere dem Gesetz verpflichtete Justiz kann dies aber nur, wenn sie tatsächlich unabhängig ist. Die Justiz ist unabhängig ganz oder gar nicht. Etwas Unabhängigkeit oder etwas Abhängigkeit in bestimmten Verfahren, das gibt es nicht und das ist dem Rechtsstaat fremd, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es geht nicht – und damit möchte ich auf Frau Abgeordnete König-Preuss direkt eingehen – um die Frage, wo wir stehen. Ich meine, das ist doch wohl klar. Oder wollen Sie das irgendjemandem absprechen? Es geht darum, dass Gerichte keine Seite haben, auf die sie sich stellen können oder dürfen.
Gerichte haben keine Seite, auf die sie sich stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Darum geht es in einer Debatte zu einem laufenden Verfahren, das die SPD in dieser Form beantragt hat. Gerichte haben keine Seite, auf die sie sich stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Genau das verbietet sich in einem Rechtsstaat.
Es ist für mich deshalb außerordentlich bedauerlich, dass mit dieser Aktuellen Stunde die gute Regel, eine Gewalt – hier die Legislative – sagt der anderen Gewalt – nämlich hier der Judikativen – niemals, was sie tun und lassen soll – niemals, meine sehr verehrten Damen und Herren –, dass mit dieser guten Regel gebrochen wurde.
Ich sehe es in verfassungsrechtlicher Hinsicht als höchst problematisch an, dass hier ein laufendes gerichtliches Verfahren zum Gegenstand einer parlamentarischen Debatte gemacht wird, weil dies den Kernbereich der rechtsprechenden Gewalt trifft. Bereits der Versuch, meine sehr verehrten Damen und Herren, oder der Anschein des Versuchs einer solchen Einflussnahme ist mit dem Gewaltenteilungsprinzip als Element des Rechtsstaatsprinzips unvereinbar. Die rechtsprechende Gewalt muss ihre Aufgabe in vollständiger Unabhängigkeit wahrnehmen können. Dies schließt aus, dass sich ein Parlament mit laufenden Strafverfahren befasst und das inhaltlich bewertet. Die Begründung der SPDFraktion ist eine solche inhaltliche Bewertung. Wer da unsicher ist, dem empfehle ich einen Blick in das Thüringer Petitionsgesetz, in dem es für unmöglich
erklärt wird, dass eine Petition auch nur geprüft wird, wenn es um ein laufendes Verfahren geht. Wer da unsicher ist, dem empfehle ich einen Blick in die Debatten des Bundestags und dort auch in die Dokumente zu der Frage des Untersuchungsausschusses, weil nämlich sehr klar in der Literatur ist, dass ein Untersuchungsausschuss zwar ein laufendes Verfahren gleichzeitig begleiten darf – mit unterschiedlichen Zielrichtungen –, aber niemals eingreifen darf, niemals sagen darf, welche Verurteilung in Ordnung wäre und welche nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gibt es nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es vieles braucht, um den Rechtsruck in unserem Land abzuwenden, dem etwas entgegenzusetzen. Es braucht, meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich die Zivilgesellschaft, es braucht Bildung – Bildung ist sehr wichtig, Herr Möller.
Es braucht Vereine und Verbände, wie die Feuerwehr, wie den Sport, es braucht Kirchen und Glaubensgemeinschaften, aber eben auch den Staat, meine sehr verehrten Damen und Herren, und seine Institutionen. Damit braucht es auch eine unabhängige Justiz. Egal, welchen Wert man der einzelnen Gruppe – Zivilgesellschaft, Vereine, Verbände, Kirchen – oder dem Staat zuordnen möchte, eins ist doch wohl klar: Niemals wird der Kampf gegen den Rechtsruck in unserer Gesellschaft gelingen können gegen oder ohne den Rechtsstaat. Das Engagement gegen die Rechten, meine sehr verehrten Damen und Herren, und den Rechtsruck, den es tatsächlich zu befürchten gibt in unserer Gesellschaft, dieses Engagement kann es doch nur im Rechtsstaat und mit dem Rechtsstaat geben. Alles andere ist doch unvernünftig. Es kann doch nicht gelingen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man den Rechtsstaat vor die Tür schiebt und sagt: Ich suche mir aus, welche seiner Prinzipien heute für mich gelten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, um allen Missverständnissen vorzubeugen: Auch die Justiz muss mit Kritik umgehen können und sie kann das
auch. Jede Richterin und jeder Richter kennt das, dass ihre Urteile, insbesondere wenn es besondere Verfahren sind, diskutiert werden, dass über ihre Verfahrensführung diskutiert wird. Aber sicher! Es gibt eine eigene Gruppe in unseren Medien, die sich insbesondere darauf spezialisiert hat, aus Gerichten zu berichten. Jede Richterin und jeder Richter kann das, meine sehr verehrten Damen und Herren, und sie müssen es auch. Justiz muss kritikfähig sein, da gibt es doch gar keine Frage. Es ist nur die Frage, greift man mit einer solchen Begründung ein, wie sie die SPD-Fraktion hier aufgestellt hat, indem man sagt, ein Ergebnis darf es auf keinen Fall geben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Um das noch mal zu unterstreichen: Es gibt eine ganz wunderbare Passage in der aktuellen Kommentierung unserer Thüringer Verfassung, und zwar Randnummer 25 zu Artikel 86. Der Verfasser dieses Kommentarteils ist der uns allen bekannte Dr. Dette. Zitat: „Richterliche Tätigkeit ist ein Teil der Gesellschaft und spielt sich nicht losgelöst gleichsam hinter Mauern ab. Aufgrund dieses sozialen Kontextes sind Richter erst recht nicht von der Ausübung kommunikativer Grundrechte durch Dritte frei. Verbände, Presse, Funk und Fernsehen haben daher die richterliche Unabhängigkeit keineswegs so zu achten wie die anderen Gewalten.“
Ich schließe den ersten Teil der Aktuellen Stunde und rufe auf den zweiten Teil der Aktuellen Stunde
b) auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Gegen jeden Antisemitismus in Thüringen – das Existenzrecht Israels ist Staatsräson in Deutschland“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 7/3354 -
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Henfling.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Präsidentin, wir begehen derzeit in Thüringen das Themenjahr
„Neun Jahrhunderte jüdisches Leben in Thüringen“. Die Geschichte jüdischen Lebens in Thüringen und Deutschland ist auch immer begleitet von antisemitischen Angriffen, von Morden und von Pogromen. Ein Beispiel ist hier das Erfurter Pogrom von 1349. Dazu heißt es in der Cronica St. Petri Erfordensis moderna: „Im selben Jahr zwischen Mariä Reinigung und Fastnacht wurden die Juden in allen Städten, Burgen und Dörfern Thüringens erschlagen, […] weil sie Quellen und Brunnen verseucht hatten, wie damals für sie erwiesen galt, weil viele Säcke voll Gift in den Brunnen gefunden worden sein sollten. Im selben Jahr, am Tag des heiligen Benedikt, der damals auf den Sonnabend vor Laetare fiel, wurden die Juden in Erfurt entgegen dem Willen des Rates von der Bürgergemeinde erschlagen, hundert oder mehr. Die andern aber, mehr als dreitausend, haben sich, als sie sahen, dass sie den Händen der Christen nicht entkommen konnten, aus einer Art Frömmigkeit in ihren eigenen Häusern selbst verbrannt. Nach drei Tagen wurden sie auf Lastkarren zu ihrem Friedhof vor dem Moritztor gebracht und dort begraben. Mögen sie in der Hölle ruhn!“ Heute reden wir über dieses Thema aufgrund unter anderem eines Brandanschlags auf eine israelische Flagge am Nordhäuser Rathaus, aber eben auch aufgrund von alltäglichen antisemitischen Übergriffen auf Jüdinnen und Juden in Thüringen. Dieser Anschlag reiht sich ein in bundesweite Proteste im Zusammenhang mit der neuesten Eskalation palästinensischer Raketenangriffe auf Israel und der darauffolgenden Gegenangriffe Israels. Wir betreiben als Bundesland keine Außenpolitik, deshalb werde ich hier auch nicht näher auf diesen Konflikt eingehen, zumal Antisemitismus in Deutschland nicht den Staat Israel braucht, den gibt es auch so.
Aber lassen Sie mich eins sagen: Das Selbstverteidigungsrecht Israels darf auch hier nicht infrage stehen und zum Glück hat Israel den Iron Dome.