Das, finde ich, hat nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern es geht einfach um Ehrlichkeit. Es ist nämlich keinem geholfen, wenn Kinder in Schulen unterrichtet werden, in denen ihnen einfach nicht Rechnung getragen werden kann.
Ich will das gar nicht unterstellen, dass das der Fall ist. Aber ich möchte, dass wir da genauer hinsehen und uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Gelingensbedingungen und die Situation an den Schulen deutlich und transparent machen.
Natürlich sind beim Thema „Entscheidungsrecht“ die rechtlichen Fakten mehr oder weniger klar. Auch ich habe in der Schulordnung gelesen, ich habe das Schulgesetz gelesen, ich weiß, dass es durchaus an den unterschiedlichsten Stellen klar formuliert ist, dass die Eltern ein Wahlrecht haben und dass sie zu beteiligen sind. Allerdings gibt es im Zusammenhang mit dem Festsetzungsverfahren und der Feststellung, welche Schule für ein Kind mit Behinderung geeignet ist, die Formulierung, dass das Schulamt dies entscheidet. Ich weiß auch, dass es Schulämter gibt, die das sehr gut machen, die die Eltern sehr gut einbinden und wo es auch keinerlei Beschwerden gibt. Es gibt aber an anderen Stellen in Thüringen Schulämter, die das nicht so gut machen und die das Recht an der Stelle auf ihrer Seite sehen. Ich finde, das müssen wir uns schon genau anschauen, wenn wir eine unterschiedliche Situation in ganz Thüringen haben, wie die Eltern bei der Entscheidung berücksichtigt werden, welche Schule ausgewählt wird.
Die bisherigen praktischen Erfahrungen im Zusammenhang mit genau diesen Feststellungsverfahren und dem Prozess der Schulwahl für Kinder mit Behinderungen und dem Gemeinsamen Unterricht als Grundlage für eine Beurteilung der Umsetzung des Gemeinsamen Unterrichts und der damit verbundenen Rechtslage und den Umsetzungsvorgaben, das passt jetzt alles nicht mehr so in das rein, was ich vorher gesagt habe. Denken Sie es sich weg.
Was ich sagen wollte, ist, dass wir einfach auf diese bisherigen Erfahrungen, die in unterschiedlichen Schulamtsbezirken gemacht worden sind, eingehen müssen. Das war Sinn und Zweck der Sache, weshalb wir uns das noch mal ansehen sollten.
Wir nehmen an der Stelle schon sehr ernst, was uns Eltern zurückmelden. Da gibt es Eltern, die sich eben nicht berücksichtigt fühlen, und da gibt es auch Schulleitungen, die nicht so richtig wissen, wie sie mit diesen Entscheidungen des Schulamts umgehen sollen, wenn dann die Schüler vor der Tür stehen. Und es gibt auch Förderschulzentren, die bei dem Versuch verzweifeln, diese Doppelbelastung – nämlich die Betreuung im Gemeinsamen Unterricht in den verschiedenen Regelschulen oder Gemeinschaftsschulen und die Beschulung in der Förderschule – unter einen Hut zu bekommen.
Es sind ganz viele Kritikpunkte, die ich in den Gesprächen mit den Förderschulen, mit den Eltern, mit den Sonderpädagogen, mit den Lehrkräften in Grundschulen und Gemeinschaftsschulen gehört habe, die uns dazu veranlassen, diesen Antrag hier einzubringen. Für uns ist an der Stelle wichtig, dass die betroffenen Kinder im Mittelpunkt stehen und dass der Unterricht gerade von Kindern mit unterschiedlichsten körperlichen und geistigen oder sprachlichen Voraussetzungen aus gedacht wird, denn jedes Kind hat einen Anspruch auf qualitativ guten Unterricht unter Berücksichtigung der eigenen Möglichkeiten, um bestmögliche schulische und persönliche Entwicklungschancen zu erfahren.
Dafür gibt es durchaus ein paar Punkte, auf die wir reagieren müssen. Ich bin manchmal erstaunt, wie unterschiedlich Anträge gelesen werden, weil es uns natürlich überhaupt nicht darum geht, den Thüringer Entwicklungsplan Inklusion zu übergehen. Sondern es geht darum, die Gelingensbedingungen, die auch im Entwicklungsplan nicht ausgeführt sind, für erfolgreichen Gemeinsamen Unterricht deutlich zu machen und den auch hervorzuholen. Ich höre das wohl, dass im Förderplan die Gelingensbedingungen für die einzelnen Schüler dargestellt werden. Ja, aber das geht auch andersrum. Man kann auch einfach sagen: Für eine Schule, die diesem und jenem Förderbedarf gerecht werden möchte, gelten folgende Gelingensbedingungen. Damit wir dann im Nachgang auch einfach prüfen können, ob das gut ist, was da gemacht wird, deswegen müssen diese Gelingensbedingungen aus unserer Sicht zumindest noch mal deutlicher dargestellt werden.
Ich habe vieles schon gesagt und die Diskussion ist auch durchaus eine hitzige. Ich verstehe das auch und ich weiß das wirklich sehr zu schätzen – Herr Wolf hat das vorhin gesagt –, dass die regierungstragenden Fraktionen bereit sind, das im Ausschuss mit uns zu diskutieren. Ich weiß das sehr zu schätzen, weil ich weiß, was das auch für Sie bedeutet. Ich glaube aber, dass wir uns damit gemeinsam auf den Weg machen, vielleicht auch die Sachen zu berücksichtigen, die wir mit unserem eigenen Blick nicht so deutlich sehen. Gerade das Thema „Versetzungsoptionen“ zum Beispiel ist ein umstrittenes Thema.
Frau Rothe-Beinlich hat vorhin den Fall in einer Grundschule angesprochen. Das ist nun gerade so, dass ich tatsächlich von Grundschulleiterinnen die Rückmeldung bekomme, dass die Nichtversetzung
in der 1. und 2. Klasse richtig problematisch ist, weil dann einfach die Grundlagen fehlen, um weiterzumachen. Ja, es gibt das Konzept der jahrgangsübergreifenden Arbeit. Aber es gibt auch ganz viele Schulen, die eben keine jahrgangsübergreifende Arbeit machen, auch wenn sie möglicherweise...
Ja, ich weiß, dass es diese Schuleingangsphase ist, das ist überhaupt keine Frage. Und dass wir die im Gesetz stehen haben und dass wir die in irgendwelchen Plänen und Programmen stehen haben, weiß ich auch. Aber ich weiß auch, was in den Schulen vor Ort passiert, und da wird keine Schuleingangsphase gelebt,
sondern die machen 1. Klasse, 2. Klasse, 3. Klasse, 4. Klasse. Da wird in der 2. Klasse nicht das wiederholt, was man in der 1. Klasse nicht richtig mitbekommen hat, vor allem wenn das nur einzelne Schüler betrifft. Wenn man dann natürlich außenherum Auffangkurse macht, wo man die auffangen kann, die das nicht mitmachen können, dann lässt sich das sicher machen, aber so wird es aktuell nicht gelebt und deswegen kriegen wir diese Rückmeldungen von den Schulleitungen.
Wir können das gern im Ausschuss diskutieren und können auch noch mal genauer mit denen ins Benehmen treten, die vor Ort arbeiten. Ich bin da zuversichtlich, denn es geht doch am Ende darum, dass diese inklusive Beschulung, dass die Beschulung von Kindern mit ganz besonderen Herausforderungen zielführend ist und gelingt. Dafür braucht es die Rahmenbedingungen. Im Zweifel braucht es auch einfach noch mal ein Verständnis dafür, was wir darunter verstehen und was wir vielleicht auch von den Pädagoginnen und Pädagogen erwarten und was wir nicht von ihnen erwarten können.
Unser Ziel muss es aus meiner Sicht sein, von Behinderungen betroffenen Kindern und Jugendlichen Voraussetzungen zu schaffen, die ihnen ermöglichen, ihr persönliches Potenzial auszuschöpfen. Deswegen freue ich mich – auch wenn es sicher hitzig und anstrengend, aber hoffentlich konstruktiv wird – auf die Diskussion dazu und danke den Kolleginnen und Kollegen jetzt schon für die Bereitschaft zur Diskussion an der Stelle. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, seit 2009 gelten die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention. Das ist hier schon verschiedentlich gesagt worden –, auch wenn es von dem einen oder anderen eher negativ konnotiert wird. Ich möchte darauf hinweisen, dass die CDU diese Konvention gar nicht gebraucht hat. Als 2009 – übrigens von einer CDU-Kanzlerin – diese Bestimmungen ratifiziert worden sind, hatte die CDU bereits zwölf Jahre zuvor eine veränderte Schuleingangsphase durchgesetzt. Der damalige Bildungsminister war Dieter Althaus. Damit war er deutlicher Vorreiter, bundesweit. Später hat die CDU, immer noch in Alleinregierung, im Jahr 2003 – es ist schon angesprochen worden – durch den Kultusminister Michael Krapp festgesetzt, dass der Gemeinsame Unterricht Vorrang vor dem Förderschulunterricht haben sollte – auch das in CDU-Alleinregierung, sechs Jahre, bevor die UN-Menschenrechtskonvention zum Schutz von Behinderten eingeführt worden ist. Das hat die CDU gar nicht gebraucht. Sie ist vorangegangen, sie war Spitzenreiter dabei. 2010 – mittlerweile hieß der Bildungsminister Christoph Matschie, die Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht – wurden die Zielsetzungen für gelingende schulische Inklusion im Thüringer Bildungsplan für Kinder bis zehn Jahre weiter konkretisiert und ausdifferenziert. Aber nicht nur die Regierung hat da jeweils mitgezogen, sondern auch das Parlament.
Der denkwürdige Beschluss zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist hier angesprochen worden, der damals von allen Fraktionen in diesem Parlament beschlossen worden ist – von allen. Ich war damals in der Situation, relativ neu im Koalitionsarbeitskreis mit der CDU zusammenzusitzen. Damals waren meine Kollegen von der CDU Volker Emde – der war Vorsitzender –, Maik Kowalleck war dabei, Mario Voigt war dabei. Wir haben das nicht nur beschlossen, wir haben das nicht nur beraten, wir sind dabei angetrieben worden von einer FDP-Kollegin, nämlich Franka Hitzing. Die hat nicht nur einfach mitgemacht, die war Motor dieser Debatte, die hat immer mehr gefordert. Wir haben bei Weitem nicht so viel umgesetzt, wie sie gefordert hat.
Und hinter all das weichen Sie jetzt zurück. Das liegt nicht daran, dass Frau Baum schlechter ist als
Frau Hitzing, das will ich gar nicht behaupten. Aber ich glaube, es liegt ein bisschen daran, dass unter Herrn Barth die FDP mehr war als ein Anhängsel der CDU.
Kommen wir zurück zu dem Anspruch, den Sie hier verkünden. Sie haben hier einen populistischen Kurs der Inklusionsfeindlichkeit angesteuert, der genau das negiert, was damals in der CDU Konsens war, in Ihrer Partei. Ihre Partei war Vorreiter. Das ist nicht erst vor zehn Jahren gewesen, das ist schon fast 20 Jahre her, dass Ihre Partei das gemacht hat. Das alles kassieren Sie ein.
Im Vorblatt Ihres Entwurfs steht drin: rücksichtsloses Vorantreiben der Inklusion. Dazu hat Torsten Wolf vorhin schon ein bisschen was zur Entwicklung der Schülerzahlen und Förderzentren gesagt. Sie schreiben von „willkürlichen Lernortentscheidungen“. Mit Verlaub, bei etwa 12.000 betroffenen Schülern sind im laufenden Schuljahr vier Widersprüche eingegangen. Das ist nicht mal 1 Promille, das sind 0,3 Promille – 0,3 Promille Widersprüche.
Ja, Frau Baum, aber Sie können alle einreichen, das steht doch jedem frei. Wenn es aber nur vier von 12.000 tun, kann der Druck und das Leiden nicht so groß sein und vor allem nicht die Willkür.
Wir möchten an diesem Punkt noch einmal darauf hinweisen – Franziska Baum hat es eben gesagt –, dass bestimmte Dinge wie die Schuleingangsphase vor Ort nicht gelebt werden. Ja, wenn das Gesetz nicht umgesetzt wird, mache ich es nicht neu, dann
setze ich es durch. Das ist doch der Anspruch, den wir haben. Wir müssen die bestehenden Regelungen durchsetzen und nicht einfach über Bord werfen, weil sie vor Ort nicht gelebt werden. Das ist allerdings ein Problem, das deutlich länger währt, als Herr Holter Minister ist. Das war auch schon in der CDU-Landesregierung, in der Alleinregierung, ein Problem.
Wir als SPD werden uns dieser Rückabwicklung der Inklusion nicht anschließen. Wir werden nicht all das kassieren, was wir über Jahre hier mit der CDU gemeinsam und teilweise mit der FDP gemeinsam erreicht haben. Wir werden das nicht alles über Bord werfen, wir werden es nicht einfach kassieren. Aber – und das verspreche ich Ihnen – wir werden es im Ausschuss sehr intensiv beraten und wir werden uns nicht darauf beschränken, zu verhindern, dass der größte Unsinn hier Gesetz wird, der teilweise da drin ist. Wir werden ganz klare Akzente setzen.
Ich möchte es hier an fünf Punkten deutlich machen. Als Erstes werden wir – und das hat Minister Holter dankenswerterweise auch schon angeregt – die Abschaffung der Besonderen Leistungsfeststellung in das Gesetz hineinschreiben lassen. Wir wollen diesen Aufwand für Schüler und Lehrer endlich kassieren. Ich glaube, das ist lange überfällig.
Wir wollen zweitens Elternrechte stärken, Partizipation erweitern, zum Beispiel bei der Frage, was für ein Konzept wird in der Schule gelebt, wird es eine Gemeinschaftsschule und Ähnliches. Da werden wir sehr gern die Elternrechte weiter stärken, auch gegenüber den Schulträgern.
Wir werden uns drittens am erfolgreichen Jenaer Modell orientieren und die Regelschulen in Thüringen zu Gemeinschaftsschulen als sozial gerechten Ort des längeren gemeinsamen Lernens entwickeln mit einer individuellen Förderung aller Schüler und wir werden …