Protokoll der Sitzung vom 11.11.2022

Kinder und Jugendliche mit Fluchtbiografie in den Kindergärten und Schulen in Thüringen

Aufgrund des Angriffskriegs Russlands gegenüber der Ukraine, in welchem in den letzten Wochen verstärkt lebensnotwendige Infrastruktur angegriffen und zerstört wurde, wurden nochmals insbesondere Frauen und Kinder zur Flucht gezwungen. Nach wie vor kommen auch Menschen aus anderen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland und in Thüringen an, welche aufgenommen und integriert werden. Dies stellt die Kindergarten- und Schulträger sowie das Land vor Herausforderungen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Kinder und Jugendliche mit Fluchtbiografie wurden zum Schuljahresende 2021/2022 – bis zum Stichtag 15. Oktober 2022 – jeweils erstmals in den Thüringer Kindergärten und Schulen aufgenommen?

2. Welche Kindergarten- und Schulträger haben hierbei welche besonderen Herausforderungen geltend gemacht und wie gelang es, diese zu bewältigen?

3. Welche Auffassungen vertritt die Landesregierung vor diesem Hintergrund zu dem geplanten Auslaufen des Sprach-Kita-Programms des Bundes – auch im Hinblick auf den Bedarf an Sprachförderung in den Thüringer Kindergärten?

4. Wie hoch ist nach der Verwaltungsvorschrift zur Organisation des Schuljahres am Stichtag 15. Oktober 2022 der Bedarf an Deutsch-als-Zweitsprache-Lehrkräften an den Thüringer Schulen und wie kann dem aktuell entsprochen werden?

Vielen Dank.

Für die Landesregierung antwortet das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Frau Ministerin Werner, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich möchte die Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt beantworten:

Zu Frage 1: Kindertageseinrichtungen, Kindergärten: Die Angaben zu Schutz suchenden Kindern mit Migrationshintergrund im Kindergartenalter werden auf Basis der vom Thüringer Landesverwaltungsamt zur Verfügung gestellten Zugangsdaten erho

ben. Des Weiteren wurde für den Monat September 2022 einmalig die tatsächliche Betreuungssituation von Schutz suchenden Kindern aus der Ukraine erfasst. In diesem Zusammenhang wurden auch die Schutz suchenden Kinder und in Thüringer Kindergärten betreuten Kinder erfasst, deren Herkunft nicht die Ukraine ist. Diese Daten wurden bei den örtlich zuständigen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe erhoben. Es ist davon auszugehen, dass die erfassten Kinder einen Aufenthaltsstatus nach § 24 Aufenthaltsgesetz erhalten haben. Somit sind die Daten belastbar. In der Regel sollten sich die Kinder auch noch weiterhin in Thüringen aufhalten. Im Saldo sind dies zum 15.09.2022 3.137 Kinder im Kindergartenalter, also von 0 bis 6 Jahren.

Schule: Für den Schulbereich wird im Rahmen der KMK seit April 2022 wöchentlich die Anzahl der neu in Schulen aufgenommenen Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine erhoben und auf der Internetseite der KMK veröffentlicht. – Das kann man auch öffentlich nachlesen. – Intern wird dabei auch die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an den Schulen abgefragt. Ein Migrationshintergrund liegt vor, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: Erstens, das Kind ist außerhalb Deutschlands geboren. Zweitens, es hat keine deutsche Staatsbürgerschaft oder – drittens – eine nicht deutsche Familiensprache. Das Item „Fluchtbiografie“ wird nicht erfasst. Vom Ausgangspunkt Anfang April, also 13. Kalenderwoche, wurden 19.998 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an Thüringer Schulen erfasst. Zum Schuljahresende mit Stand 18. Juli 2022, 28. KW, waren es 23.887 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, also 3.889 mehr. In diesem Zeitraum waren auch 2.887 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine mit aufgenommen worden. Während der Sommerferien erfolgte keine Abfrage. Mit Stand 18. Oktober, 41. KW, meldeten die Schulen 27.050 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an Thüringer Schulen. Das sind 3.163 Kinder mehr als zum Stand 18. Juli 2022, 28. KW. Ebenso wurden 4.506 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine angemeldet. Das sind 1.619 mehr als am 18. Juli 2022, 28. KW. Bei diesen Angaben muss jedoch berücksichtigt werden, dass nicht immer alle Schulen eine pünktliche Rückmeldung geben. Es fehlen bei den genannten Abfragen jeweils ca. 20 Prozent der Schulrückmeldungen. Eine genaue Rückmeldung wird die Auswertung der großen Schulstatistik geben, die bis Ende des Jahres vorliegen wird.

Zu Frage 2: Zunächst zu den Kindergärten: Im Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport sind keine besonderen Herausforderungen bekannt, vor die sich die Träger von Kindertages

einrichtungen gestellt sahen. Ausgehend von den verfügbaren Daten sind Platzkapazitäten in Thüringer Kindergärten vorhanden. Zum 01.03.2021 gab es 104.912 Kindergartenplätze, von denen 92.179 belegt waren. Insoweit gab es freie Platzkapazitäten von 12.733 Plätzen. Daher ist davon auszugehen, dass ausreichende Kindergartenplätze für Schutz suchende Kinder mit Fluchthintergrund bestehen.

Zu den Schulen: Schulträger insbesondere aus den kreisfreien Städten – aber auch aus kreisangehörigen Städten – vermelden einen hohen Zuzug ukrainischer Familien. Hier wurde in mehreren Gesprächen von Herrn Minister Holter mit Schulträgern sowie von Schulamtsleitern mit Verantwortlichen vor Ort ein abgestuftes Verfahren abgestimmt. Reichen in den betreffenden Schulen die Platzkapazitäten nicht aus, wird in den Schulämtern eine Aufnahme an anderen Schulen, gegebenenfalls auch bei anderen Schulträgern geprüft. Sofern auch hier die Kapazitäten erschöpft sind, werden in Abstimmung mit dem Schulträger weitere Klassen eingerichtet und dabei gegebenenfalls auch neue Räumlichkeiten genutzt.

Eine Herausforderung für Kindergärten und Schulen stellt die bestehende Sprachbarriere gegenüber neu ankommenden Kindern und Jugendlichen sowie deren Erziehungsberechtigten dar. Das Landesprogramm „Dolmetschen“ des TMMJV bietet thüringenweit eine Lösung für die Überwindung dieser Hürde. Schulen, Schulämter und Kindertagesstätten zählen zu den berechtigten Stellen und können somit Audio- und Videodolmetscherleistungen in über 50 Sprachen kostenfrei abrufen. Neben Sprachen wie Arabisch, Dari, Farsi, Russisch oder Ukrainisch sind auch die seltenen Sprachen Oromo und Bodo von den Leistungen erfasst. Deren Anbindung erfolgt zunächst per Anmeldung über das TMMJV und ist fortlaufend möglich. Am Landesprogramm sind bisher insgesamt 62 Schulen und 80 Kindertagesstätten angeschlossen und können nach Registrierung das Angebot unbegrenzt abrufen. Aktuell befindet sich das Landesprogramm in seiner zweiten Phase und wird mithilfe der GFAW umgesetzt. Die Dienstleistung wird durch die Firma LingaTel GmbH aus München angeboten.

Zu Frage 3: Anfang Juli 2022 hat das zuständige Bundesministerium für die Länder völlig überraschend angekündigt, das Programm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ zum Ende des Jahres bundesseitig auslaufen zu lassen, obwohl im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eine Verstetigung und Weiterentwicklung des Programms festgelegt ist. Seitens der Länder besteht schlicht keine Chance,

das Programm nahtlos in ein Landesprogramm zu überführen. Insbesondere ist die Projektfortführung abhängig von der finanziellen Gesamtsituation in Bezug auf das KiTa-Qualitäts- und ‑Teilhabeverbesserungsgesetz. Grundsätzlich wird die Fortführung des Programms nicht nur von Thüringen begrüßt, die Jugend- und Familienkonferenz hat sich in einem einstimmigen Beschluss für die Fortsetzung und Verstetigung des Sprachkitaprogramms ausgesprochen. Eine Eins-zu-eins-Weiterführung des Programms würde Thüringen rund 8 Millionen Euro pro Jahr kosten. Daher kann die Lösung nur sein, wenn man das Programm in seiner Breite erhalten will, dass es bundesseitig weitergeführt wird. Das ist zum aktuellen Zeitpunkt alternativlos. Bei einer Überführung in ein Landesprogramm könnte dieses gemeinsam mit dem Landesprogramm „Vielfalt“ fortgeführt werden, da sich diese Programme jeweils ergänzen. Der Vielfalt von Kindern wird auch Rechnung getragen, wenn im Bereich der sprachlichen Bildung der Fokus weiterhin auf alltagsintegrierte Umsetzung gerichtet ist und als inklusives Angebot alle Kinder der Kindertageseinrichtungen einschließt. Dies trifft sowohl bei migrationsbedingtem Sprachförderbedarf als auch bei Bedarfen von sogenannten einheimischen Kindern gleichermaßen zu und hat Vorrang vor anderen möglichen Fördermaßnahmen.

Zu Frage 4: Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache als solche gibt es nicht, es gibt Lehrerinnen und Lehrer mit einer Qualifikation für Deutsch als Zweitsprache – die sogenannten DaZ-Lehrer – in unterschiedlicher Ausprägung. Eine entsprechende Qualifizierung über ESF-Mittel fand für circa 200 Lehrerinnen und Lehrer in den Jahren 2014 bis 2020 statt. Auch Lehrerinnen und Lehrer für Deutsch und Fremdsprachen haben die Expertise, DaZ zu unterrichten. Im Grundsatz können – wie in anderen Fächern auch – alle Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen einer Unterrichtsbeauftragung DaZ-Unterricht erteilen. Entsprechend organisieren die Schulen den DaZ-Unterricht für neu zugezogene Schülerinnen und Schüler ohne ausreichende Deutschkenntnisse. Der genaue Bedarf kann erst nach Auswertung der großen Schulstatistik bis Ende des Jahres ermittelt werden. Um vorhandene personelle Ressourcen bündeln zu können, werden gemäß § 45 a Abs. 5 und 6 Thüringer Schulordnung Intensivsprachkurse an geeigneten Stützpunktschulen eingerichtet. Hier erhalten Schülerinnen und Schüler mit wenigen bzw. ohne Kenntnisse der deutschen Sprache DaZ-Unterricht im Umfang von 15 Wochenstunden. Intensivsprachkurse können innerhalb einer Schule klassenstufenübergreifend, in der Sekundarstufe I auch schul- und schulartübergreifend eingerichtet werden. Die restli

(Ministerin Werner)

che Unterrichtszeit nehmen sie am Unterricht ihrer Regelklasse teil. Es werden durch die staatlichen Schulämter laufend neue Intensivsprachkursstandorte eingerichtet.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Frau Ministerin. Es gibt keine Nachfragen.

(Zuruf Abg. Tischner, CDU: Doch!)

Herr Abgeordneter Tischner, bitte.

Ich dachte, der Kollege Wolf möchte erst, ich wollte den Vortritt lassen. Zwei Nachfragen, Frau Ministerin: Sie haben am Ende gesagt, dass Willkommensklassen/Vorschaltgruppen eingerichtet wurden. Können Sie noch mal konkret sagen – vielleicht auch nachliefern – für die einzelnen Schulämter, wie viele das sind?

Und die zweite Frage ist: Sie haben von fast 5.000 zusätzlichen Kindern gesprochen, die wir beschulen wollen und möchten. Wie viel zusätzliches Personal wurde für diese rund 5.000 Kinder zusätzlich eingestellt?

Frau Ministerin.

Die Antworten zu den beiden Fragen würde ich Ihnen nachliefern.

Danke.

Gut. Damit kommen wir zur nächsten Mündlichen Anfrage, und zwar der des Abgeordneten Henkel in der Drucksache 7/6620.

(Zwischenruf Abg. Bühl, CDU: Ich muss sie nur kurz raussuchen!)

Die Mündliche Anfrage wird durch Abgeordneten Bühl gestellt.

Kollege Henkel hat hier einen ganz schönen Vortext aufgeschrieben.

Die geplante Änderung der Thüringer Verordnung über das Biosphärenreservat Rhön sieht die Öffnung des Reservats für den Bau von Windkraftanlagen vor. Dies zieht nach Ansicht des Fragestellers deutliche Auswirkungen auf bisherige Artenschutzprojekte nach sich, die mit Mitteln der Europäischen Union gefördert wurden. So ist entsprechend der Förderbedingungen festgelegt, dass der durch die geförderten Projekte erreichte Verbesserungszustand unter anderem in Bezug auf Biodiversität und Artenschutz im Biosphärenreservat auch zukünftig erhalten bleiben muss. Strafzahlungen und Rückforderungen sind vorgesehen, wenn es durch bewusste Fehlhandlungen oder auch durch Unterlassung seitens des Fördermittelempfängers zu einer Verschlechterung des erreichten Zustands kommt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Auswirkungen für das Biosphärenreservat Rhön werden durch die geplante Aufhebung des Bauverbots von Windkraftanlagen im Reservat erwartet, zum Beispiel mit Blick auf den Erhaltungszustand streng geschützter und vom Aussterben bedrohter Arten?

2. Wie wird das Risiko eingeschätzt, dass der Freistaat Thüringen durch die geplante Änderung der Thüringer Verordnung über das Biosphärenreservat Rhön im Falle einer Prüfung durch die EU Fördermittel – zum Beispiel für den Artenschutz – zurückzahlen muss?

3. Wie wird die Möglichkeit der Aberkennung von Titeln wie „Biosphärenreservat“, „Sternenpark“ oder „Europäisches Kulturerbe“ durch die Öffnung des Reservats für Windkraftanlagen eingeschätzt?

4. Wie werden mögliche Einbußen der Tourismusbranche beurteilt sowie daraus abzuleitende Haftungsansprüche gegenüber dem Land, die durch die Öffnung des Biosphärenreservats für Windkraftanlagen verursacht werden?

Für die Landesregierung antwortet das Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz, Herr Staatssekretär Dr. Vogel, bitte.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident, sehr geehrte Damen und Herren, die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Henkel beantworte ich für die Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Die Landesregierung geht davon aus, dass bei einer Zulassung von Windenergieanlagen bzw. deren Bau alle gesetzlichen Vorgaben zum

(Ministerin Werner)

Arten- und Gebietsschutz entsprechend der dazu erlassenen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen eingehalten werden. Dies erfolgt auch unabhängig von der Biosphärenreservatsverordnung.

Zu Frage 2: Sowohl bei der Auswahl von Vorranggebieten für die Windenergienutzung auf Planungsebene als auch in den Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen sind die Belange des Artenschutzes zu prüfen und zu beachten. Deshalb sieht die Landesregierung keinen Anlass für die Annahme eines derartigen Risikos.

Zu Frage 3: Das Deutsche Nationalkomitee zum UNESCO-Programm „Der Mensch und die Biosphäre“, das an der Evaluierung von Biosphärenreservaten maßgeblich beteiligt ist, ist der Auffassung, dass Kern- und Pflegezonen vollständig von der Windenergienutzung freigehalten werden sollen. In der Entwicklungszone wäre die Windenergienutzung bei Einhaltung hoher Standards denkbar. Daher besteht für die Landesregierung aktuell kein Anlass anzunehmen, dass der Titel „UNESCO-Biosphärenreservat“ gefährdet wäre. Der Titel „Sternenpark“ erscheint aus Sicht der Landesregierung durch die mögliche Errichtung von Windenergieanlagen in der Entwicklungszone ebenfalls nicht gefährdet. Grundsätzlich bestehen bereits technische Möglichkeiten, die Befeuerung von Windenergieanlagen so zu steuern, dass eine Lichtverschmutzung in der Nacht auf ein Mindestmaß reduziert wird. Das Europäische Kulturerbe wird durch die geplanten Änderungen der Thüringer Verordnung über das Biosphärenreservat Rhön nicht berührt, weil die Rhön keine EKS-Stätte ist, also nicht mit dem Europäischen Kulturerbesiegel als Schutzkriterium ausgezeichnet wurde.

Zu Frage 4: Die Landesregierung sieht keinen Anlass anzunehmen, dass die Tourismusbranche Haftungsansprüche geltend machen könnte, wenn Vorranggebiete für eine Windenergienutzung in den Regionalplan Südwestthüringen in der Entwicklungszone des Biosphärenreservats Rhön aufgenommen werden würden.

Vielen Dank.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Nachfragen kann ich nicht erkennen. Doch, Frau Abgeordnete Hoffmann, bitte.