Ina Muhß

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Das Bundesverkehrsministerium soll kürzlich mitgeteilt haben - jedenfalls stand das in der Zeitung -, dass die Sanierung der B 107 im Abschnitt Mesendorf-Pritzwalk näher rückt, da die zuständige Straßenbauverwaltung des Landes diesen letzten Abschnitt mittlerweile in ihr Planungsprogramm aufgenommen hat. Der Bund finanziert die Maßnahme. Die Planung liegt je doch beim Land. Das ist sehr erfreulich, wenn es denn stimmt.
Ich frage die Landesregierung: Wie sind - vorausgesetzt, diese
Ankündigung entspricht den Tatsachen - der weitere Ablauf und Planungshorizont?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete und Gäste! Vor genau drei Jahren haben wir die Landesregierung beauf tragt, einen Aktionsplan für die Akzeptanz von sexueller Viel falt, für Selbstbestimmung und gegen Homo- und Transphobie in Brandenburg zu erstellen - langer Titel -, denselben bis Ende 2017 vorzulegen und einmal in der Legislaturperiode eine Bi lanz zu erstellen und zu veröffentlichen. All diese Vorgaben hat das Ministerium eingehalten. Im Dezember 2017 wurde der Aktionsplan „Queeres Brandenburg“ - der Kurztitel - von der Landesregierung beschlossen, und heute, am Ende der Legisla turperiode, halten wir den angeforderten Bericht in den Hän den. Schon einmal dafür geht unser Lob an die zuständigen Kolleginnen und Kollegen im MASGF: pünktliche und gute Arbeit!
Da der Aktionsplan allerdings nur 18 Monate wirken konnte, ist es wohl eher ein Zwischenbericht - das hat Kristy auch ge sagt -, denn aus dem Bericht geht klar hervor: Vieles ist ange schoben und auf einem guten Weg, aber dieser Weg wird lang sein.
Entsprechend dem Aktionsplan baut auch der Bericht auf den Handlungsfeldern von erstens „Bildung und Aufklärung“ bis achtens „Arbeitswelt“ auf und bilanziert das Maßnahmenpa ket. Um die acht Handlungsfelder im Einzelnen auszuwerten und Beispiele der Umsetzung zu geben, reichen fünf Minuten Redezeit nicht aus, jedenfalls mir nicht. Darum berichte ich nur von einer Veranstaltung, die mich sehr beeindruckt hat. Sie wissen, dass ich es liebe, Beispiele zu benennen, weil sich Nichtbetroffene dann vielleicht besser in Situationen hinein versetzen können.
Zur Erstellung des Aktionsplans gab es unter anderem drei Di
alogveranstaltungen, eine davon im Potsdamer Filmmuseum, die ich besucht und von der ich Ihnen in meiner damaligen Re de zum Aktionsplan berichtet habe. Auf dieser Veranstaltung habe ich zum ersten Mal von Trakine erfahren, einem internati onalen Verein betroffener Eltern und Angehöriger. Trans-Kin der-Netz e. V. - dafür steht die Abkürzung Trakine - hat bei mir mit dem Glauben aufgeräumt, dass Sexualität und Intersexuali tät erst mit Beginn der Pubertät oder vielleicht sogar noch spä ter zu „Schwierigkeiten“ führen können. Nein, es gibt schon kleine Kinder, die sich anders fühlen, als das Geschlecht ihnen zuschreibt, und die sich nicht „konform“ verhalten, sich und ihre Familien damit in Schwierigkeiten bringen und übrigens auch oft genug selbstmordgefährdet sind.
Ich habe dabei die Mutter eines solchen Kindes kennengelernt, die mich mit ihrem Engagement für ihr Kind sehr beeindruckt hat. Und jetzt, bei der Umsetzung des Aktionsplans, fand eines der Projekte wieder genau dort statt: im Filmmuseum. Es war die Vorführung von „Mädchenseele“, einem Film von Anne Scheschonk, die besagter Verein Trakine organisiert hat. Er zeigt uns das ungewöhnliche Leben eines Mädchens und seiner Familie aus einer Brandenburger Kleinstadt, gar nicht weit von hier. Dieses Mädchen ist als Junge geboren, hat sich aber von klein auf als Mädchen gefühlt, sieht ganz zart aus - mit blonden Zöpfen. Und wer sie nicht kennt, käme nie auf die Idee, dass sie kein Mädchen ist.
Beeindruckend fand ich in dem Film, dass Mutter, Familie, Stadtbewohner mit der Zeit alle den Wunsch des Kindes akzep tiert haben, als Mädchen zu leben. Der Film über den Alltag dieses Kindes war sehr berührend. Und als Mutter und Tochter dann in den Kinosaal kamen, wollte der Beifall gar nicht en den.
Dem Film schloss sich eine Diskussionsrunde mit dem Psycho logen Dr. Erik Schneider an, in der mir erst so richtig bewusst wurde, wie wichtig es gerade für betroffene Kinder ist, dass ihre Eltern sie verständnisvoll begleiten; denn spätestens mit Beginn der Pubertät muss entschieden werden, ob Hormonga ben die weitere körperliche Entwicklung entscheidend verän dern und später dann in der Regel auch zu Operationen führen. Denn das können die Kinder ja selbst nicht entscheiden, son dern nur ihre Sorgeberechtigten sind dazu rechtlich in der La ge. Das sind schwere Entscheidungen, die solche Eltern zu treffen haben und bei denen sie guter Unterstützung bedürfen. Da sind unsere Projektmittel bestens aufgehoben. Und jeder von Ihnen könnte so ein Kind in der Familie haben.
Es gibt noch viele andere Projekte verschiedenster Betroffe nengruppen. Schauen Sie vielleicht einmal in diesen Bericht hinein. Und ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem nächsten Landtag angehören werden, herzlich: Führen Sie die sen Plan unentwegt fort! Denken Sie in fünf Jahren beim nächsten Bericht an meine Worte! Denn laut Landtagsbe schluss ist das Ziel des Aktionsplanes erreicht, wenn es seiner nicht mehr bedarf. Das war seinerzeit meine Formulierung. Und dieser Weg wird ein langer sein. - Danke.
Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Liebe Abgeordnete und Gäs te! Das letzte Plenum dieser Legislatur geht dem Ende zu. Es wurden jede Menge Gesetze verabschiedet und Berichte be sprochen. Wir Sozen aus dem Sozialausschuss - Sylvia und Elisabeth, ihr hört mir ja jetzt auch zu, nicht wahr? -
haben uns geärgert, dass die Berichte so spät gekommen sind - Ähnliches hat Frau Augustin eben auch gesagt - und wir nicht mehr handeln können. Aber ich kann euch und Ihnen sagen: Umsonst geärgert! Der Bericht heute Vormittag zum Aktions plan „Queeres Brandenburg“ hätte eher gar keinen Sinn ge macht, die Laufzeit war so schon sehr kurz. Und zu dem hier vorliegenden siebten Landesgleichstellungsbericht kann ich sagen: Macht euch keine Sorgen, es läuft!
Ich werde dafür gleich ein paar Beispiele bringen, obwohl schon sehr viel gesagt worden ist. Ich werde auch großzügig weglassen, denn wir müssen ja nicht alle fünf oder sechs, die hier dazu sprechen, das Gleiche sagen, dass es der siebte Be richt ist und 25 Jahre usw. Man sagt ja, Wiederholung festigt, aber so viele hören auch nicht mehr zu.
- Ich meine, weil sie nicht da sind.
Der Bericht besteht aus zwei Teilen, das ist, glaube ich, schon gesagt worden. Der zweite Teil ist der Bericht des MWFK zur Verwirklichung der Gleichstellung im Hochschulbereich. Die ser unterliegt nicht der Beschlussfassung der Landesregierung. Aber auch dieser Bericht stellt dar, dass die Hochschulen seit Jahren mit breiten, abgestimmten Maßnahmenkatalogen und auch langfristig konstanten Maßnahmen arbeiten. Dazu gehö ren zum Beispiel die Förderung von Chancengleichheit und familiengerechten Hochschulen mit zahlreichen Projekten und die Professorinnenprogramme II und III, und - das fand ich auch interessant - an dem Professorinnenprogramm III werden jetzt nach den neuesten Vereinbarungen von März alle Hoch schulen teilnehmen. Das sind doch gute Aussichten.
Und noch etwas: Brandenburg ist Spitzenreiter beim Anteil der Professorinnen - jedenfalls unter den Flächenstaaten!
Darüber kann man sich auch mal freuen. Wobei: 29 % und bundesweit 24 % - da ist noch Luft nach oben. Aber immerhin!
In Teil I des Berichts geht es um die Landesverwaltung. Der Bericht ist ja von Kienbaum Consultants für das MASGF er stellt worden. Was die da so alles herausgefunden haben, haben wir schon gehört.
Dass eine konsequente Anwendung des Landesgleichstellungs gesetzes zur erfolgreichen Umsetzung führt, zeigt die Verlaufs betrachtung anhand der Vorgängerberichte; das ist auch gut zu wissen. Die Daten des aktuellen Berichts wurden im Längs schnitt auch mit denen der Vorgängerberichte verglichen und
zeigen eine eindeutig positive Entwicklung. Das macht mir die Hoffnung, die ich zu Anfang geäußert habe. Es läuft!
Im Bericht stehen viele gute Zahlen: Frauenanteil in Aufsichts räten bei 58 %, in den höchsten Einkommensgruppen inzwi schen bei 46 %. Brandenburg belegt auch beim Frauenanteil in der politischen Führungsebene sowie Führungspositionen in Privatwirtschaft und obersten Landesbehörden einen der vor deren Ränge.
Das Fazit lautet also - wir haben es schon gehört -: Erfolge si chern und ausbauen. Es gibt fünf Handlungsempfehlungen, von denen ich keine besonders finde; es ist eigentlich alles ganz natürlich: die Gleichstellungspläne weiter implementie ren; Freistellungsregelungen für GBAs besser umsetzen und sie vernetzen; Talentpools weiblicher Beschäftigter mit Quali fizierungsmaßnahmen und Entwicklungsplänen ausbauen; strukturelle Maßnahmen, die es Frauen ermöglichen, Sitze in Gremien einzunehmen; fünftens weitere Einhaltung der gesetz lichen Berichtspflicht - ich finde, das ist sowieso klar.
Es tut mir leid, dass ich euch bzw. Sie in meiner letzten Rede mit etwas so Trockenem, mit einem so statistischen Thema quälen musste - aber wir sind ja nicht bei „Wünsch dir was!“.
Das war’s, liebe Freunde. Tschüs, auf Wiedersehen, goodbye! Man sieht sich. Macht’s gut!
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete und Gäste! „Ein alter Streit bricht wieder auf“, titelte die „Süddeutsche Zeitung“ am letzten Samstag und meinte den Streit um den § 218 ff. Anlass war das Urteil gegen die Ärztin Kristina Hänel - das ist hier bereits ausgeführt worden - und auch der Satz, mit dem die Richterin das begründet hat.
Es geht konkret um § 219a Strafgesetzbuch. Dieser lautet in Absatz 1:
„Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbrei ten von Schriften seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Ab bruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklä rungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Dieser Paragraf aus dem Jahr 1933 ist tatsächlich ein Relikt, besonders wenn wir bedenken, was das Internet heute für eine Informationsvielfalt bietet. Und es gibt ja mehrere gesetzliche Regelungen für Ärzte bezüglich Information und Werbung. Da wäre als Erstes die Musterberufsordnung der deutschen Ärzte, nach der die berufswidrige Werbung grundsätzlich verboten ist. Berufswidrige Werbung ist insbesondere eine anpreisende, irre führende oder vergleichende Werbung.
Nein. - Verboten ist darüber hinaus jede Form von Werbung mit reißerischen oder marktschreierischen Mitteln.
Daneben gibt es das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Dieses untersagt eine Form der Werbung, die sowohl irrefüh rend, nicht in objektiver Weise vergleichend ist, als auch den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber beeinträchtigt oder den Verbraucher unzumutbar belästigt. Unlauterer Wettbewerb liegt auch dann vor, wenn die Anforderungen an Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen nicht erfüllt, Angstge fühle ausgenutzt, Nebenwirkungen verschwiegen werden oder wissenschaftlich umstrittene Wirkungen enthalten sind. - Posi tiv formuliert heißt das: Informationen sind nur zulässig, soweit sie wahr und sachgerecht sind, für den Patienten verständlich dargebracht und im Zusammenhang mit der beruflichen Tätig keit vermittelt werden.
Als ein weiteres Beispiel gibt es auch noch das Heilmittel-Wer begesetz: Verboten bleibt dort, nach vielen Liberalisierungen, jegliche irreführende Werbung, also falsche Behauptungen, ins besondere über Produktwirkungen, oder das Verschweigen oder Verharmlosen von Anwendungsrisiken.
Es wird also auch ohne einen § 219a keine Werbung für Schwangerschaftsabbrüche an Litfaßsäulen geben - aber genau das ist behauptet worden.
Grundsätzlich gestattet ist nach § 27 Abs. 1 der Musterberufs ordnung der deutschen Ärzte die sachlich-berufsbezogene In formation. Heute ist man sich einig, dass dies gerade im Hin blick auf das Patientenwohl nur erwünscht sein kann, denn wer die richtige Entscheidung treffen will, muss umfassend infor miert sein. Das gilt für die Wahl des Arztes genauso wie für die Wahl der Behandlung.
Häufig wird als geeignete Richtlinie die frühere Bundesverfas sungsrichterin Renate Jäger zitiert, die sagte:
„Information, die vom Patienten nachgefragt wird und die von den Leistungserbringern im Gesundheitswesen inhalt lich richtig, in verständlichen Worten, jede Irreführung vermeidend und ohne Übertreibung an den Patienten her angetragen wird, verbessert die Beziehung zwischen Arzt und Patienten und damit die Gesundheitsversorgung.“
Das sollte auch für eine Homepage gelten.
Enden möchte ich mit einem Leserbrief aus der zu Anfang ge nannten „Süddeutschen Zeitung“ von den Ärztinnen Dr. Auch und Dr. Oster aus München. Sie schrieben:
„Als Ärztinnen, die in ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit die Not der Frauen kennengelernt haben, sind wir der Meinung, dass das Angebot und die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs zu einem flächendeckenden ärztlichen Versorgungsauftrag gehören. Ungewollt
schwanger gewordene Frauen haben ein Informations recht und einen Anspruch auf wohnortnahen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Deshalb muss Rechtssicherheit für die den Schwangerschaftsabbruch durchführenden Ärztinnen und Ärzte geschaffen und da mit den militanten Abtreibungsgegnern Grenzen gesetzt werden. Der § 219a ist längst durch das Bundesverfas sungsgericht als antiquiert eingeschätzt worden und muss schnellstmöglich abgeschafft werden. Wir solidarisieren uns mit Kristina Hänel und Friedrich Stapf.“
Dem kann ich mich nur anschließen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete und Gäste! „Dynamik auf dem Arbeitsmarkt bringt Chancen und Heraus forderungen für ganz Brandenburg!“ ist das Thema der Aktuel len Stunde. Das hört sich ein bisschen trocken an.
Wahrscheinlich erwartet nicht unbedingt jemand eine spannen de Diskussion, aber
- schön! - zu Unrecht, wollte ich nämlich sagen, wäre das so! Wir haben nämlich zurzeit auf dem Arbeitsmarkt eine Situati on, wie wir sie vor zehn Jahren noch für unmöglich gehalten hätten. Angesichts der heutigen Zahlen hätten wir wohl jeden Abend eine Flasche Rotkäppchen geöffnet.
Vielleicht sollten wir heute Abend tatsächlich einmal gemein sam auf die Pressemitteilung der Regionaldirektion Berlin
Brandenburg der BA vom 3. Mai anstoßen: Niedrigste Arbeits losigkeit in Brandenburg seit der deutschen Einheit!
Ich füge hinzu: Allein in den letzten 12 Monaten sank die Ar beitslosigkeit in Berlin um 8 % und in Brandenburg sogar um 13,6 %.
Das waren immerhin 14 800 Arbeitslose weniger im Land als vor genau einem Jahr und knapp 20 000 weniger als 2015. Die sind nicht alle in Rente gegangen.
Und es gibt einen stetigen Zuwachs an Arbeitsstellen. 7,1 % Arbeitslose in Brandenburg im April, zum ersten Mal unter 100 000 - das sind grandiose Zahlen, und wir können Hoffnung haben, dass dieser Trend anhält.
Sie werden sich vielleicht erinnern, dass ich schon öfter erzählt habe, dass ich selbst in den 90er-Jahren viele Jahre arbeitsu chend war, acht Jahre, um genau zu sein. Ich kann mich noch sehr gut an dieses Gefühl erinnern, nicht nur nicht die Arbeit zu finden, die ich suche, sondern gar keine Arbeit zu finden. Ich wäre putzen gegangen. Es gab nicht einmal Stellen zum Put zen. Ich glaube, dieses schlimme Gefühl muss man jetzt nicht mehr haben.
Inzwischen - das ist bewiesen - profitieren von diesem Trend auch Langzeitarbeitslose und über 50-Jährige. Die gute Nach richt des gestrigen Tages war, dass die Einnahmen aus Steuern und Finanzausgleich auch in den kommenden Jahren weiter steigen werden. Unser Finanzminister erklärte gestern dazu:
„Dies liegt insbesondere an der anhaltend guten Kon junktur und der guten Beschäftigungssituation in der Bundesrepublik. Diese positive Entwicklung zeigt sich auch in Brandenburg.“
Natürlich sollten wir uns über diese beiden guten Trends wirk lich freuen, ohne Wenn und Aber.
Und doch, wo viel Licht ist, ist auch Schatten. So hört man an gesichts der brummenden Konjunktur aus ganz Deutschland den Ruf, dass Fachkräfte knapp würden, der Arbeitsmarkt in manchen Branchen leergefegt sei. Auch aus Brandenburg hö ren wir das, obwohl ich persönlich manchmal das Gefühl habe, manche Arbeitgeber vermissen einfach, dass 100 Leute vor der Tür stehen; manchmal stehen nur noch zwei da. Aber das ist meine persönliche Meinung.
Das ist alles gut für die Arbeitslosenquote, aber ein Risiko für weiteres Wirtschaftswachstum, aber auch schon für die Siche rung der jetzigen Bestände an Firmen und Arbeitsplätzen. Die demografische Entwicklung und die niedrigeren Löhne er schweren die Situation hier im Osten der Republik zusätzlich. Das sind unter anderem die Herausforderungen, die in der Überschrift unserer Aktuellen Stunde gemeint sind: Chancen für Wirtschaft, Finanzen, gute Arbeit, Herausforderungen, die
se Chancen möglich zu machen, Chancen für Arbeitslose, ob kurz oder lang, für Menschen mit Beeinträchtigungen, für Schulabgängerinnen und Schulabgänger, für Rückkehrerinnen aus der Familienphase, für Alleinerziehende und Teilzeitbe schäftigte, für Migranten, für Senioren, die länger arbeiten wollen, für zweite oder dritte Chancen im Berufsleben durch Qualifizierungen und auch für Rückkehrer, also Landeskinder, die ihr berufliches Glück erst einmal in anderen, meist westli chen Bundesländern gefunden haben und angesichts der guten Arbeitsmarktsituation jetzt an Rückzug in die Heimat denken! All diese Menschen können unsere Chance sein, dem Fach kräftemangel entgegenzuwirken. Das ist das Reservoir, aus dem wir schöpfen müssen.
Zum Thema Rückkehrer wird später noch mein Kollege Stohn sprechen. Ich bringe in Erinnerung, was wir für die anderen Gruppen in meiner Aufzählung schon tun - im Land und vieles auch im Bund gemeinsam mit der CDU.
Ein ganz großer Baustein im Land zur Sicherung der Arbeits kräfte ist die aktuelle Strategie „Fachkräfte bilden, halten und für Brandenburg gewinnen“. Damit werden Unternehmen bei ihrer Fachkräfteentwicklung unterstützt.
Zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses haben wir den „Brandenburgischen Ausbildungskonsens“ zur Stärkung der dualen Berufsausbildung mit unseren Partnern fortgeschrieben.
Förderungen zur Umsetzung guter Arbeit bietet das „Arbeits politische Programm Brandenburg - In Menschen investieren - Regionen stärken“. Das enthält zum Beispiel Förderprogram me zur beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie zur Integra tion in den Arbeitsmarkt.
Die aktuell größte Fördermaßnahme ist das Programm „Integ rationsbegleitung für Langzeitarbeitslose und Familienbedarfs gemeinschaften“, bei dem besonders benachteiligte Langzeit arbeitslose und Erwerbslose mit Kindern von Integrationsbe gleitern mit individuell passenden Angeboten unterstützt wer den, damit auch sie wieder in Arbeit kommen. Ich glaube, auf diesem Gebiet haben wir besonders viel Arbeit zu leisten, denn wir haben einen großen, festen Block von Langzeitarbeitslo sen, auf die man viel Mühe verwenden muss, um sie wieder fit fürs Berufsleben zu machen.
Wir müssen aber auch die, die im Beruf sind, bedenken. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Menschen ein Spagat. Dazu bedarf es eines exzellenten Kinderbetreuungs systems - wir haben hier gestern über das Kita-Anpassungsge setz diskutiert -, aber auch Programme wie ElterngeldPlus und Familienarbeitszeit könnten helfen. Die gibt es leider noch nicht. Das ist ein Auftrag für die Wahlprogramme.
Was es im Gegensatz zum Letztgenannten schon gibt, ist die Flexirente, um ältere Arbeitnehmer länger in den Betrieben zu halten. Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen unter anderem auch die beruflichen Chancen für Menschen mit Beeinträchti gung verbessert werden.
Eine immerwährende Herausforderung wird die Möglichkeit, aber auch die Einforderung des lebenslangen Lernens sein, der
Qualifizierung im Beruf, aber auch Aufstiegsqualifizierung, Umschulung und nicht zuletzt die Vorbereitung und Begleitung von Industrie 4.0.
Ich habe jetzt viele Herausforderungen und Chancen angespro chen und setze nun auf die Vervollständigung des Themas durch die Redebeiträge der Kolleginnen und Kollegen. - Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Werte Gäste! Die Koalitionsfraktionen bringen hier heute einen Entwurf zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Bran denburgischen Ladenöffnungsgesetzes ein. Der Bedarf daran ist uns über längere Zeit und von verschiedenen Stellen signali siert worden.
Wie Sie vielleicht wissen, liegt die Kompetenz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten als Folge der Föderalismusreform in Deutschland seit 2006 in der Hand der Länder. Davor gab es bundesweite Regelungen. Jetzt hat jedes Bundesland ein eige nes Ladenöffnungsgesetz. Diese sind durchaus sehr unter schiedlich.
Das Brandenburgische Ladenöffnungsgesetz trat am 29. No vember 2006 in Kraft, also vor fast genau zehn Jahren, und er laubte kurz gesagt die Öffnung der Geschäfte von Montag bis Samstag von 0 Uhr bis 24 Uhr sowie an sechs Sonn- und Feier tagen nach ordnungsbehördlicher Genehmigung. Einige Sonn- und Feiertage - das gilt so ähnlich in allen Bundesländern - sind komplett davon ausgeschlossen, zum Beispiel Oster- und Pfingstsonntag. In einem ersten Gesetz zur Änderung der La
denöffnungszeiten im Jahr 2010 gab es marginale Änderungen zur Konkretisierung.
Man kann sofort erkennen, dass das eine sehr weitreichende Regelung ist. Theoretisch könnten Geschäfte also von Montag 0 Uhr durchgehend bis Samstag 24 Uhr geöffnet sein, plus sechs Sonntage im Jahr. Praktisch gibt es dafür an den meisten Orten gar keinen Bedarf. Einen fast rund um die Uhr geöffne ten Supermarkt kenne ich eigentlich nur vom Bahnhof Fried richstraße in Berlin. Sicherlich gibt es in Berlin weitere, aber die kenne ich nicht. Um die Supermärkte geht es in der Regel gar nicht, wenn die Industrie- und Handelskammern Branden burgs und der Handelsverband Berlin-Brandenburg wie seit langem eine schnellstmögliche Novellierung dieses Gesetzes fordern. Es geht ihnen vor allem um die Entwicklung der In nenstädte.
Der Bürgermeister von Treuenbrietzen, Michael Knape, zum Beispiel, der auch der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen“ in Brandenburg ist, for dert eine höhere Flexibilität und Selbstbestimmung der Städte und eine Lockerung für kleinere, inhabergeführte Läden in his torischen Innenstädten. Von ihm stammt das Zitat:
„Nur so erhöhen wir die Attraktivität der Städte und ma chen sie lebendiger.“
Wir erinnern uns an die Diskussionen in Potsdam, in dessen Holländischem Viertel die Sonntagsumsätze bis zu ein Drittel des Wochenumsatzes ausmachten, bis die Stadt die Schließzei ten konsequent durchsetzte. Ich kann mir durchaus vorstellen, bei einem entspannten Sonntagsspaziergang oder als Tagestou rist dort zu schlendern und vielleicht mehr zu kaufen, als ich vorhatte.
Des Weiteren wird von den Verbänden auf die Konkurrenz durch den Onlinehandel, aber vor allem durch Berlin als un mittelbarem und dominantem Nachbarn hingewiesen. Dort sind acht Sonntage für das ganze Stadtgebiet und zwei flexible Sonntage zur Selbstfestlegung durch den Unternehmer zu be stimmtem Anlass erlaubt.
Wie man hört, ist in Berlin der Reformationstag der umsatz stärkste Tag des ganzen Jahres, weil dort Arbeitstag und in al len umgebenden Bundesländern Feiertag ist, den viele zum Shoppen in Berlin nutzen. Das ist schon eine beeindruckende Aussage und macht die Forderung der Händler verständlich. Aber, meine sehr verehrten Zuhörer, all das ist natürlich nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite - und die wiegt schwer - ist der besondere Schutz der Sonn- und Feiertage durch unser Grundgesetz. Das Grundgesetz der Bundesrepub lik Deutschland nimmt in Artikel 140 Bezug auf die Weimarer Verfassung von 1919:
„Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhe bung gesetzlich geschützt.“
Das ist eine wunderbare Formulierung, wie ich finde. Sie ist so schön, dass ich sie wiederhole: Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Hier sind sich die Gewerkschaften und die Kirchen einig und protestieren uniso no gegen eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten am Sonn
tag. Auch sie haben gute Argumente. Besonders schön finde ich das Argument der Funktion eines arbeitsfreien Sonntags als eine Art kollektive Burn-out-Prophylaxe.
Selbstverständlich ist es der Tag der Woche der gemeinsamen freien Zeit vor allem mit Familie und Freunden. Und auch das Argument trägt, dass der freie Sonntag eine wesentliche sozial- und gesellschaftspolitische Dimension besitzt, die nicht preis gegeben werden sollte.
Natürlich ist uns allen klar, dass es bedeutende Bereiche in un serer Gesellschaft gibt, in denen Tag und Nacht, Sonn- wie Fei ertag gearbeitet werden muss. Diese sind als Ausnahmen ver fassungsgemäß streng geregelt. Dabei wird unterschieden in Arbeiten trotz des Sonntags - das sind die für die Gesellschaft unentbehrlichen Tätigkeiten wie in Krankenhäusern, Pflege heimen oder bei der Polizei - und Arbeiten für den Sonntag. Diese Tätigkeiten - wie vom Pfarrer, aber auch von den Gastro nomen oder dem Bäcker unserer Sonntagsbrötchen - sind not wendig, damit der Sonntag der Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung sein kann.
Und es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2009, in dem geklärt ist, dass das Einkaufen oder Verkaufen selbst nicht der seelischen Erhebung dient und somit nicht dem Zweck der Sonn- und Feiertagsruhe. Das wird manche Frau vielleicht anders sehen - aber, werte Kolleginnen, das sollte ein Scherz sein.
Ich glaube, wir sind uns hier alle einig, dass zwischen einem freien Tag innerhalb der Woche und einem freien Sonntag Wel ten liegen. Ein Sonntag in meiner heimatlichen Kleinstadt - aus der wir heute Gäste haben; Grüße auf die Tribüne - fühlt sich eigentlich immer wie ein Feiertag an. Wenn ich durch die Stadt gehe - alle Geschäfte sind geschlossen, wenige Menschen un terwegs -, ist dort eine Ruhe, bei der ich automatisch innerlich runterfahre. Ja, das ist für mich auch ohne Kirche seelische Er hebung.
Dann gilt es natürlich auch an den Schutz der Arbeitnehmer zu denken, der im Arbeitszeitgesetz und durch besondere Arbeits schutzregelungen in den Landesgesetzen geregelt ist.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Hochverehrte Präsidentin! Wir haben hier ein Dilemma: die Argumente von zwei Seiten, die Gegensätzliches verlangen und die wir beide nachvollziehen können. Und wir haben einen Kompromiss vorschlag: Unser Gesetzentwurf sieht keine radikale Ände rung des Brandenburgischen Ladenöffnungsgesetzes vor. Es ist eher ein kleines Zugeständnis für den Handel - aber im merhin.
Der Kompromiss besteht darin, an fünf Sonntagen in der gan zen Kommune die Öffnung zu erlauben und an weiteren fünf Sonntagen in einem Stadtgebiet, aber in keinem Ortsteil an mehr als insgesamt sechs Sonntagen - und das zu den gleichen Bedingungen wie bisher.
Wir wollen mit Ihnen im zuständigen Ausschuss darüber dis kutieren. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt, und werbe schon jetzt für unseren Vorschlag. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäs te! Toleranz und Vielfalt, das sind zwei Begriffe, die wir oft gehört oder selbst benutzt haben, besonders oft seit dem letzten Sommer. Die meisten von Ihnen hier im Saal werden mir zu stimmen, dass Toleranz und Vielfalt zum Fundament unserer Demokratie gehören. Die Toleranz verbinden wir Brandenbur
ger besonders mit Friedrich dem Großen, der schon jeden nach seiner Fasson glücklich werden lassen wollte. Das ist seit lan gem Teil unserer Geschichte.
Die Vielfalt wiederum, werte Kollegen und Gäste, müssen wir uns immer wieder erschließen, erarbeiten, bewusst machen. Die Vielfalt auf unserer lieben Erde ist unglaublich groß und umfasst zahllose verschiedene Kategorien. Nur ein kleiner Baustein dieser Vielfalt sind Geschlecht und Sexualität uns Menschen betreffend und hier Thema unseres Antrags.
LSBTTIQ lautet die Abkürzung für lesbisch, schwul, bi, Trans gender, transsexuell, Intersexuelle und queer. So groß ist die Vielfalt der Menschen, die eben nicht nur klar weiblich oder männlich sind, und das sind immerhin 5 - 10 % der Bevölke rung.
Liebe Kollegen, das sind durchschnittlich ein bis zwei Schüler in jeder Schulklasse; das muss man sich einmal bewusst ma chen. Das sind Kinder, die in der Regel in ihrer Persönlich keitsentwicklung zu wenig unterstützt werden und sich selbst als abweichend von der Norm erleben. Für sie ist es schwer, ein positives Selbstbildnis zu erleben. Warum eigentlich? Ha ben Sie auch - Sie alle - vielleicht bei der Vorbereitung zu die sem Antrag gelesen, dass „Schwuchtel“, „Schwuler“ und „Les be“ zu den am häufigsten von Kindern gebrauchten Schimpf wörtern gehören? Wo haben sie das her? Und muss das wirk lich sein?
Werte Kollegen! Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich noch an seine Pubertät erinnern kann, an das Erwachen und Herausbil den der eigenen Sexualität. Bei den meisten hier ist das schon eine ganze Weile her. Ich jedenfalls kann mich trotz meines ho hen Alters noch gut erinnern, und ich fand das nicht so toll. Diese Jahre waren mit vielen emotionalen Turbulenzen ver bunden, und ich kann mir vorstellen, dass das noch viel schwieriger für Menschen ist, die feststellen, dass sie anders sind als die meisten anderen. Und manche Menschen benöti gen Jahrzehnte, um zu erkennen oder sich einzugestehen, dass sie eben LSBTTI oder Q sind. Da sind dann auch noch Partner und Kinder mit betroffen. Und dann kommen die Reaktionen der Öffentlichkeit dazu, die Diskriminierungen des Alltags, von denen nach wie vor fast jede und jeder betroffen ist, der oder dem man das „Anderssein“ auf irgendeine Art ansieht.
Meine Damen und Herren, auf der Internetseite der Bundesstif tung Magnus Hirschfeld steht „Wissen schafft Akzeptanz“ - ein toller Spruch. Und ich sage: Wir müssen das Wissen schaffen.
Wir haben Ihnen heute einen Antrag dazu mit dem langen Titel „Aktionsplan für Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, für Selbstbestimmung und gegen Homo- und Trans phobie in Brandenburg“ vorgelegt. Wir wollen vorhandene Ak tivitäten in diesem Plan zusammenführen und, liebe Kristy, er mitteln, was sich bewährt hat oder was vielleicht noch fehlt, und das in einem partizipativen Prozess. Den werden wir be gleiten, kritisch begleiten. Auch diesen Plan werden wir disku tieren. Mit gezielter Aufklärung und Informationen wollen wir Vorurteile gegenüber und Ängste vor betroffenen Menschen abbauen und die Akzeptanz ihnen gegenüber stärken. Wir wol len diesen Menschen eine diskriminierungsfreie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Wie wir das im Detail erreichen wollen, können Sie in diesem Antrag nachlesen.
Klar ist: Der Abbau von Diskriminierung und Homophobie ist eine Querschnittsaufgabe und betrifft alle Lebensbereiche, du sagtest es, Kristy. Die Vorbildfunktion von Staat und Politik sollte eine entscheidende Rolle spielen. Ziel ist: Für alle Men schen ist selbstverständlich: Vielfalt ist normal.
Schließen möchte ich meinen Vortrag einmal ganz anders, nämlich mit einer Leseempfehlung. Der Sommer steht bevor, viele haben ihren Urlaub geplant, und im Vorfeld dieses Rede beitrags fiel mir sofort ein Buch ein, das mich in dieser Bezie hung sehr beeindruckt hat. Ich habe es vor mehreren Jahren gelesen, und ich wusste gar nicht - das habe ich erst jetzt erfah ren -, dass es sogar den Pulitzer-Preis bekommen hat. Es ist das Buch „Middlesex“ von Jeffrey Eugenides.
Dieses Buch hat mich so beeindruckt, und ich habe es - im Ge gensatz zu vielen anderen Büchern, die ich danach gelesen ha be - nicht vergessen. Es beschäftigt sich mit einem jungen Menschen, dem langsam und schmerzhaft seine Intersexualität bewusst wird. Zweites großes Thema dieses Buches ist der Völkermord an den Armeniern, ein anderes recht aktuelles Thema.
Ich bitte Sie, nehmen Sie das Buch mit in den Urlaub; ich hatte es auch aus der Bibliothek.
Für den Antrag bitten wir um Ihre Zustimmung, und ich bedan ke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Es ist schwierig, jetzt wieder auf ein ernstes Thema zu spre chen zu kommen.
Ich versuche es trotzdem. - Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gäste haben wir auch noch - herzlich willkommen!
Mit unserem Antrag fordern wir heute die Fortschreibung des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms ein. Sie werden vielleicht sagen: Das haben wir jetzt jahrelang gemacht, nun muss es auch mal gut sein! - Ich will nicht hoffen, dass von den Kollegen jemand so denkt.
Aber auszuschließen ist es nicht.
Andere werden denken: Na, das ist doch selbstverständlich, da müssen und werden wir weitermachen! - Aber, das sage ich Ih nen, nicht alles, was selbstverständlich ist, funktioniert auch automatisch. Da muss man dranbleiben, schieben, drücken, ziehen, damit es weitergeht.
Die Interessierten unter Ihnen werden noch wissen, dass nach der Landtagswahl 2009 im Koalitionsvertrag die Ausarbeitung eines Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms beschlos sen wurde. Am 8. März 2011, dem 100. Internationalen Frau entag, wurde es für die Jahre 2011 bis 2014 in Kraft gesetzt.
Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass wir damit nach Berlin erst das zweite deutsche Bundesland waren, das seine Frauen- und Gleichstellungspolitik in dieser Form - also als Landespro gramm mit Maßnahmenkatalog - auf den Weg gebracht hat. Andere Bundesländer wie Hamburg und Niedersachsen folgten, weil auch sie erkannten, dass auf diesem Wege am ehesten Erfolge in der Gleichstellungspolitik zu erreichen sein werden.
Ehe ich nun auf die Notwendigkeit der Fortschreibung zu spre chen komme, muss ich auf das Programm selbst und seine Wir kung eingehen. Dieses Programm sollte die Geschlechterge rechtigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen und Politik feldern voranbringen und helfen, strukturelle geschlechtsspezi fische Benachteiligungen abzubauen. Es geht um gleiche Chancen für Frauen und Männer, Mädchen und Jungen in allen Lebensphasen, um ein faires Verhältnis der Geschlechter. Da Sie, meine Kolleginnen und Kollegen hier im Saal, fortschritt lich und im Hier und Jetzt leben, wissen Sie, dass eine aktive Gleichstellungspolitik alle Lebensbereiche des modernen, vor- und nachsorgenden Sozialstaates entscheidend mitprägt. Die Gewährleistung von Schutz, Beteiligung, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit gibt Frauen wie Männern die notwendige Sicherheit. Darum ist Gleichstellungspolitik eine zentrale Vo raussetzung für die Überwindung sozialer Ungleichheiten und ein wichtiger Standortvorteil im Wettbewerb der Regionen.
Nun konkret zum Programm: Es besteht aus drei Teilen. Es existiert ja nach wie vor, auch wenn es zeitlich bereits abge laufen ist. Teil I ist das Gleichstellungspolitische Programm der Landesregierung Brandenburg und beinhaltete die Pro grammatik für die Legislaturperiode. Es formulierte Ziele und Handlungsschwerpunkte, und zwar politikfeldübergreifend - es ist entscheidend, dass alle Ministerien davon betroffen sind. Dabei wurden Gruppen mit besonderen Bedarfslagen berück sichtigt, zum Beispiel Alleinerziehende, Ältere oder Zugewan derte.
Wesentliche Ziele des Programms waren die Veränderung von Rollenbildern, Geschlechtergerechtigkeit in der Gesundheit, die Förderung von Chancengleichheit in Bildung, Ausbildung, Studium und beim Berufsübergang, die Sicherung gleicher Er werbschancen von Frauen und Männern - die Betonung liegt auf „gleicher“ -, eine Balance von Arbeit, Familie und Frei zeit - auch für Männer -, die Förderung der Partizipation von Frauen - zum Beispiel in der Politik -, die Verbesserung der Lebensqualität in den ländlichen Räumen sowie die Stärkung von Kooperationen und Netzwerken.
Teil II enthält das Maßnahmenpaket der Landesregierung mit dem Titel „Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit“. Dieser Teil enthält in 76 Maßnahmen konkrete Schritte zur Er reichung der genannten Ziele.
Teil III, ein besonders wichtiger Teil, umfasste die Fortschrei bung des Landesaktionsplanes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder. Der Aktionsplan wurde 2001 von der damaligen Landesregierung erstellt und in den Jahren 2006, 2009 und 2011 überprüft und weiterentwickelt. Dieser Plan zur Bekämpfung von Gewalt gliedert sich in sieben Hand lungsfelder, von Prävention und Öffentlichkeitsarbeit bis zu Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt. Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt: ein gerade sehr aktuelles, aber auch ein uraltes und in den weitaus meisten Fällen häusliches Thema. 45 konkrete Maßnahmen sind in Teil III aufgelistet.
Das Gleichstellungspolitische Rahmenprogramm sollte eine Plattform bieten, auf der neue Aktivitäten angestoßen und be reits laufende effektiv aufeinander abgestimmt werden. Die Frage ist, ob und wie das nun gelungen ist. Im Jahr 2014 zog die damalige Landesgleichstellungsbeauftragte Sabine Hübner eine Zwischenbilanz dieses umfassenden Programms, und zwar anhand der konkret geplanten Maßnahmen. Darauf stüt zen wir uns nun.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel vortragen, mit dem Sie in dieser Bilanz wahrscheinlich nicht rechnen würden. Sie erinnern sich an das politische Ziel der Geschlechtergerechtigkeit in der Ge sundheit. Ich zitiere aus dem Resümee von Frau Dr. Bargfrede, Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Onkologische Versorgung Brandenburg e. V.:
„Es mag in diesem Kontext paradox klingen, aber Gleich stellung in der Gesundheit heißt unter anderem, bestehen de Unterschiede zu berücksichtigen. Zum Beispiel neh men Frauen deutlich häufiger Angebote zur Krebsfrüher kennung in Anspruch. Um mit unseren Angeboten mehr Männer zu erreichen, müssen wir sie anders und gezielter ansprechen.“
Sie ahnen es vielleicht: Es geht um Öffentlichkeitsarbeit und Früherkennungsmaßnahmen bei Darmkrebs, von dem Männer ab 50 Jahren besonders häufig betroffen sind. Hier sind schon große Erfolge erzielt worden, nämlich eine Halbierung der Zahlen. Die Initiative der Landesarbeitsgemeinschaft Onkolo gische Versorgung Brandenburg zur Prävention von Darm krebs wurde durch unser Rahmenprogramm unterstützt. Das ist, wie ich finde, eine Maßnahme, die man hier zunächst eher nicht vermutet hätte.
Ein anderes Beispiel, das ich nennen möchte, ist die Gewalt gegen Frauen. 35 % der deutschen Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2013 im Land Brandenburg 3 843 Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt registriert - eine unvorstellbare Menge. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder ist seit Jah ren Schwerpunkt der Frauen- und Gleichstellungspolitik in Brandenburg. Ich glaube, ich sage nicht zu viel, wenn ich da rauf hinweise, dass wir hier ganz neu denken müssen, wenn wir an die Flüchtlingsfrauen, die Migrantinnen denken, die jetzt in dieses Programm aufgenommen werden müssen - auch das gehört dazu. Jedenfalls waren es viele Maßnahmen, die man hier nicht alle aufzählen kann. Ja, es wurden Erfolge er zielt, es ging voran, aber vieles kann eben noch verbessert wer den.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen allen wird klar sein, dass diese Aufgaben nie fertig und erledigt sein werden; eine Fortschreibung ist unabdingbar. Es muss neue Maßnah menkataloge geben, die Ergebnisse des Vorgängerprogramms müssen selbstverständlich einfließen, die Erarbeitung eines Leitbildes nach dem Vorbild anderer Bundesländer wird emp fohlen - das hatten wir bisher nicht -, und ein breiter Beteili gungs- und Kommunikationsprozess, begleitet durch gute Öf fentlichkeitsarbeit, soll erfolgen. Besondere Berücksichtigung und Unterstützung sollen unsere kommunalen Gleichstellungs beauftragten erhalten. All das können Sie in unserem Antrag nachlesen.
Werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Durch meine Ausführungen werden Sie zweifellos erkannt haben, dass auf dem Gebiet der Gleichstellung immer noch große Aufgaben vor uns liegen, die wir durch viele einzelne Maßnahmen in un serem täglichen Leben bearbeiten und erledigen wollen und müssen. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Opfer von Zwangsprostitution besser schützen“ - die CDU-Fraktion hat uns einen Antrag vorgelegt, über den wir uns nur wundern können, und zwar sowohl hinsichtlich des Zeitpunktes als auch hinsichtlich des Inhalts. Ich will versuchen, diese Verwunderung zu erklären.
Das älteste Gewerbe der Welt - so wird Prostitution oft noch genannt. Dabei weiß man inzwischen, dass es Prostitution keineswegs seit Anbeginn der Menschheit gibt; sie entstand mit dem Patriarchat.
In Gesellschaften, in denen Frauen weniger Rechte hatten und die patriarchal strukturiert waren, gab es die Prostitution.
Je höher das Ansehen der Frau ist, desto seltener finden wir Prostitution. Es gab in den vergangenen Jahrhunderten schlechte und sehr schlechte Zeiten für Huren. Aber es gab auch Völker, in denen Prostitution völlig unbekannt war.
Im Jahr 2002 haben die Grünen und die SPD den Versuch unternommen, die Arbeitsbedingungen der Frauen und Männer im Gewerbe zu verbessern und sie rechtlich zu stärken. Mit dem Prostitutionsgesetz sollten selbstbestimmte - ich betone: selbstbestimmte - sexuelle Dienstleistungen vom rechtlichen Makel der Sittenwidrigkeit befreit werden.
Die Anmeldung eines Gewerbes, der Abschluss einer Krankenversicherung und natürlich auch die Meldung beim Finanzamt sind seitdem möglich. Die Frage, ob die Prostitution dadurch eine Arbeit wie jede andere geworden ist, wird wohl jeder hier im Saal mit Nein beantworten. Auch mit der Selbstbestimmung ist es oft nicht weit her.
Ja, es besteht Handlungsbedarf. Das ergab sich schon aus der Evaluation des Gesetzes im Jahr 2007 und wurde 2013 durch Alice Schwarzer mit dem Bild der Prostitution als moderner Sklaverei erneut in die öffentliche Debatte gebracht.
Im April dieses Jahres gab es nun eine Entschließung des Bundesrates über Maßnahmen zur Regulierung von Prostitution und Prostitutionsstätten. Infolge dieser fand im Juni 2014 eine Anhörung mit 34 Expertinnen und Experten statt. Herr Lakenmacher, ich nehme an, Sie haben sich auch die Mühe gemacht, sich die Aufzeichnung dieser Anhörung einmal anzuschauen - da gab es sehr viel Material zu lesen; ich habe auch nicht alles geschafft, aber einiges schon. Besonders beeindruckt hat mich das Statement von Wiltrud Schenk; die begann ihre Anhörung mit folgenden Worten:
„Prostitution ist eine Dienstleistung - Menschenhandel ein Verbrechen. Ein Verbrechen wird nicht durch die Reglementierung einer Dienstleistung verhindert - das geht nur mit anderen Mitteln.“
Dem schließe ich mich an; zum Inhalt Ihres Antrags passt das gut.
Die Novelle des Prostitutionsgesetzes ist in der Erarbeitung, Eckpunkte wurden bereits vorgelegt. Demnach sollen im Mittelpunkt des neuen Prostitutionsschutzgesetzes der Schutz der Prostituierten vor Gewalt, Ausbeutung durch Zuhälter und Menschenhandel sowie der Erhalt ihrer Gesundheit stehen. In die Regulierungspflicht der Länder fallen dann vor allem Kontrolle - wie und durch wen - und Beratung bis hin zu Aussteigerprogrammen. Das würde wie in der Vergangenheit wieder dazu führen, dass die Regelungen von Bundesland zu Bundesland verschieden sind. Hier scheinen mir jedenfalls klare Regelungen auf Bundesebene sehr viel sinnvoller, aber ich vertraue da erst einmal auf die Kolleginnen und Kollegen in Berlin.
Nun noch einmal zu Ihrem Antrag: Wir haben auf Bundesebene eine gemeinsame Regierung, die dabei ist, den Gesetzentwurf zu erarbeiten. Wollen wir uns jetzt gegenseitig zur Arbeit auffordern? Und was die acht Anstriche Ihres Antrags betrifft, so scheinen sie mir doch gänzlich von Ihrer Bundestagsfraktion abgeschrieben zu sein, und dort besteht ja auch zuallererst der Regelungsbedarf. Sie haben die Kompetenzen durcheinandergebracht. Wenn der Gesetzentwurf vorliegt, werden wir uns auch hier mit dem Thema befassen. Da es aber noch nicht so weit ist und Ihr Antrag auch in weiten Teilen inhaltlich danebenliegt, lehnen wir ihn ab.