Jutta Leder
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Ich richte meine Frage an die Senatorin für Stadtentwicklung. Sie bezieht sich auf die jetzt vorliegenden vielfachen Erfahrungen aus dem Quartiersmanagement, das an der Stabilisierung der Berliner Kieze einen großen Anteil hat. Da ist jetzt meine Frage: Hält der Senat die geübte Praxis zur Vergabe der Finanzmittel zur Förderung von Projekten in diesem Rahmen für sinnvoll und für ausreichend transparent?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Prognosen sind immer schwierig. Diese alte Erkenntnis jedoch gilt nicht für das Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen: demografischer Wandel dieser Gesellschaft. Wir wissen heute sehr viel darüber, wie sich die Altersstruktur in den kommenden Jahren verändern wird. Wir können genau berechnen, in welche Richtung die Einwohnerzahlen Berlins sich bewegen werden. Wir kennen zwar den früheren Aufbau der Alterspyramide – unten die Jungen und nach oben wird es mit den Alten immer weniger –, aber wir wissen auch, dass diese Alterspyramide schon lange keine Pyramide mehr ist, sondern ein Pilz. Der Pillenknick und die Unsicherheiten im Zuge der Wende sind die wesentlichen Ursachen dafür, dass nun die zahlenmäßig geringere jüngere Generation den Fuß des Pilzes ausmacht, während die geburtenstarken Jahrgänge der Sechzigerjahre als breiter Kopf des Pilzes statistisch zielsicher dem Seniorenalter entgegenstreben.
Was wir brauchen, sind ganz konkrete Maßnahmen und Vorschläge, wie wir mit unserer Bevölkerungsentwicklung umgehen wollen. Das ist die Herausforderung quer durch alle Ressorts. Daher werden wir den Senat beauftragen, ein Demografiekonzept für Berlin vorzulegen.
In ihrer Klausurtagung im Januar hat sich die SPDFraktion sehr ausführlich mit dem Thema Demografie beschäftigt. Daraus folgt: Wir fürchten dieses Thema nicht. Wir sind gut darauf vorbereitet.
Auch in Zukunft müssen wir uns in Berlin als familien- und kinderfreundliche Stadt positionieren. Junge Menschen müssen gern nach Berlin kommen, gern hier leben und Familien gründen wollen. Wir werden sie brauchen, um den absehbaren Arbeitskräfte- und insbesondere Fachkräftebedarf zu decken. Berlin ist eine der Metropolen mit hoher Anziehungskraft auf junge Menschen. Aber es ist auch noch genug zu tun.
Eines ist ganz einfach: Wir werden insgesamt immer weniger, der Anteil der Älteren wird größer. Daran lässt sich kurzzeitig nichts ändern. Selbst wenn der ungehemmte Kinderwunsch sofort ausbrechen würde und nach dem euphorischen Fußballsommer bereits eine gewisse Realität erwiesen hat, dauert es noch Generationen, bis der Alterspilz wieder zur Pyramide wird.
Inzwischen fehlen uns statistisch gesehen die Mütter, die die Kinder zur Welt bringen. Bleibt eine zweite Möglich
keit, mit der man die Überalterung der Bevölkerung abmildern könnte: die Zuwanderung – aus anderen Bundesländern und aus dem Ausland. Aber auch damit wird man der demografischen Entwicklung nicht grundsätzlich entgegenwirken können.
Es mangelt also nicht an wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen, wie sich die Bevölkerung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln wird. Weshalb also brauchen wir eine Enquetekommission zum demografischen Wandel? Womit genau sollte diese Kommission sich befassen? Was soll herauskommen, was wir nicht ohnehin schon wissen? Ist hier etwa ein Verschiebebahnhof vorgesehen, weil man die grundlegenden Themenfelder fürchtet? Oder weil man – wie in der CDU – immer noch nicht in der Realität angekommen ist, wie man es gut sehen kann bei den Debatten um Zuwanderung und Krippenplätze?
Ein besonderes Augenmerk hat die Fraktion der SPD immer auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelegt, um Frauen, insbesondere Müttern, die Möglichkeit zu eröffnen, ihr häufig auf hohem Niveau ausgebildetes Knowhow beruflich zu nutzen. Berlin ist spitze im Angebot von Kinderbetreuung, erst recht im Vergleich zu Bayern. Das hat gestern der ehemalige Vorzeigebayer in seinem Aschermittwochsklamauk wohl etwas falsch verstanden. Er kann sich ja wohl nur auf die guten Zahlen aus München bezogen haben, einer Stadt, die seit langem sozialdemokratisch regiert wird.
Ansonsten sieht es mit der Kinderbetreuung in Bayern bekanntlich mehr als düster aus.
Eine der positiven Seiten des demografischen Wandels sind die guten beruflichen Möglichkeiten, die sich jungen Menschen eröffnen. Das gilt auch für Berufsgruppen, für die es momentan etwas mau aussieht. Attraktiv sein für junge Menschen, das ist eine der Aufgaben, die sich für Berlin aus dem demografischen Wandel ergeben.
Eine andere Frage: Wie leben wir in zunehmenden Alter? – Die Wirtschaft hat sich bereits längst auf die Alten eingestellt. Sie sind längst eine feste Größe in den um griffige Formulierungen selten verlegenen Marketingabteilungen geworden. Empfahl mir das Werbefernsehen bisher stets Mittelchen gegen das Altern, so werden inzwischen offensiv Pro-Aging-Cremes versprochen.
Die Belegschaften in den Betrieben werden älter. Das ist an sich nicht negativ, da entgegen den landläufigen Meinungen die älteren Mitarbeiter nicht leistungsschwächer sind. Es bedeutet aber, dass wir über unser Bildungssystem erweitert nachdenken müssen und der Bereich Weiterbildung eine höhere Bedeutung bekommt. Lernen wird zu einer Sache, die sich über das ganze Leben erstreckt und nicht nur auf Schule und Ausbildung beschränkt ist.
Wir haben bereits vieles in Angriff genommen, und wenn Sie sich unseren Koalitionsvertrag ansehen, werden Sie herausfinden, dass viele dieser Herausforderungen und Aufgaben dort bereits eingeflossen sind. Warten Sie es ab! Wir werden diesen Vertrag in reale Politik umsetzen, auch und gerade mit dem Wissen um die Veränderung der Bevölkerungsstruktur.
„Ich sorge mich nie um die Zukunft, sie kommt früh genug“, hat Albert Einstein einmal gesagt. Entscheidend ist, dass wir früh genug rechtzeitig, das heißt jetzt, die Weichen stellen. Und wenn wir bei all unseren Entscheidungen nur immer im Hinterkopf haben, was wir heute schon über die Zukunft wissen, dann werden wir den demografischen Wandel meistern. Dazu brauchen wir jedoch keine Enquetekommission. – Vielen Dank!