Nikolaos Sakellariou
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Tut mir Leid, dass wir durch dieses sonderbare Artikelgesetz so durcheinander geraten. Ich spreche jetzt zur Änderung des Unterbringungsgesetzes.
Die Zielsetzung, meine Damen und Herren, die Verbesserung der Sicherheit der Bevölkerung, unterstützen wir selbstverständlich. Allerdings sind wir immer noch der Auffassung, dass die beste Rückfallprävention die Therapie ist.
Das, was mit diesem Unterbringungsgesetz an Änderungen vorgesehen ist, sind zunächst einmal ganz restriktive Maßnahmen. Die drei Blöcke sind aufgezählt worden. Den strengeren Urlaubsregelungen, also der Begrenzung des Urlaubs aus dem geschlossenen Vollzug auf eine Woche, stimmen wir zu. Diese technische Änderung halten wir für richtig.
Wir stimmen auch der Begrenzung des jährlichen Urlaubs im offenen Vollzug auf sechs Wochen zu.
Was die Verschärfung der Vollzugslockerungen angeht, die bislang zur Belastungserprobung dieser ganz schwierigen Klientel unbegrenzt gewährt wurden, so stimmen wir der Begrenzung auf sechs Monate ebenfalls zu. Sie ist im Grunde unproblematisch.
Der einzige Punkt, der vielleicht vertieftere Betrachtung verdient, weil das der Punkt ist, bei dem die Bevölkerung nervös wird, ist der mögliche Fall, dass schwere Sexualverbrecher, schwere Gewaltverbrecher aus einer Therapieeinrichtung flüchten oder, womöglich im Rahmen eben solcher Belastungserprobungen, herauskommen und dann gravierende Verbrechen begehen könnten.
Daher ist die Möglichkeit, ein Zweitgutachten durch die Staatsanwaltschaft zu verlangen, zunächst einmal gut und begrüßenswert. Aber wir müssen vorab einmal klären, dass die Mehrkosten von 300 000 € – das sollten wir im Verfahren letztlich dann auch abklären – nicht bei den Einrichtungen hängen bleiben, sondern als zusätzliche Ausgaben des Landes in Rechnung gestellt werden. Das muss gewährleistet sein.
Auf ein weiteres Problem ist hinzuweisen: Die qualifizierten Zweitgutachten benötigen natürlich Zeit. Da muss man zwischen zwei und drei Monaten rechnen. Wenn sich der Therapieerfolg gerade bei Vorbereitungsmaßnahmen zur Entlassung durch ein solches Zweitgutachten noch einmal um ein Vierteljahr verzögert, besteht die Gefahr, dass in Einzelfällen der Therapieerfolg auf diese Art und Weise gefährdet wird. Im Verfahren muss gesichert sein, dass das nicht geschieht.
Gut, aber darüber muss man sich Gedanken machen.
Ergänzend zu dieser Gesetzesänderung ist noch einmal auf die Belegungssituation hinzuweisen. Wir hatten ja das Thema Maßregelvollzug vor zwei oder drei Jahren hier auch schon einmal diskutiert. Damals habe ich berichtet, dass fünf Personen in einem Dreibettzimmer untergebracht wurden. Ich habe mich wieder erkundigt. Inzwischen sind sechs Personen in einem Dreibettzimmer. In diesem Bereich haben wir also keine Verbesserung. Wer es mit der Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung in Bezug auf solche gefährlichen Straftäter ernst meint, der muss nicht nur das Unterbringungsgesetz ändern, sondern vor allem parallel dazu auch deutlich machen, dass sich die Belegungssituation erheblich verändern und verbessern muss. Nur wenn beides zusammen gemacht wird, kommen wir zum richtigen Ziel.
Aber dieser Änderung des Unterbringungsgesetzes stimmen wir zu.
Danke schön.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal mit dem anfangen, mit dem Kollege Dr. Scheffold aufgehört hat, nämlich mit dem Dank an den Vorsitzenden Birzele, der es in diesem Ausschuss wirklich mit Zeugen der Sonderklasse zu tun hatte. Wir haben ja am eigenen Leib erlebt, wie Herr Hunzinger vor dem Untersuchungsausschuss aufgetreten ist. Wenn mir das jemand erzählt hätte, hätte ich es nicht geglaubt.
Mein Kompliment geht an Herrn Birzele für die Fassung, mit der er das durchgezogen hat.
Meine Damen und Herren, wir reden heute davon – das ist von Dr. Scheffold ein bisschen verharmlost worden –, dass Baden-Württemberg Schauplatz, Dreh- und Angelpunkt eines der gigantischsten Wirtschaftsverbrechen in Deutschland war. Es waren nicht Nordrhein-Westfalen, nicht Bremen oder Sachsen-Anhalt, sondern das war Baden-Würt
temberg. Gerade der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, der immer so hoch gelobt wird, ist Schauplatz dieses wirtschaftspolitischen Desasters gewesen. Dazu kann ich nur sagen: Da wäre ein bisschen mehr Sensibilität erforderlich gewesen. Die Frage ist, warum das gerade hier in Baden-Württemberg möglich war und eben nicht in SachsenAnhalt, Bremen oder Nordrhein-Westfalen – Länder, die für so etwas immer gern als Beispiel herangezogen werden.
Meine Damen und Herren, wir sind in diesen dreidreiviertel Jahren in 48 Sitzungen durch einen tiefen Sumpf gewatet. Das kann man wirklich so sagen. Was mit diesen 1 154 Seiten hier auf dem Tisch liegt, ist die „Sittengeschichte Baden-Württembergs im ausgehenden 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen der CDU und der FDP/DVP einerseits und der örtlichen Wirtschaft andererseits“.
Deswegen hat Kollege Birzele Recht, wenn er uns dies zur Lektüre über Weihnachten empfiehlt.
Das, was dort auftaucht, meine Damen und Herren, lässt uns sprachlos zurück. Es lässt uns vor allem sprachlos zurück, dass in diesem Land ein ehemaliger Schrotthändler zu einem märchenhaften Reichtum kommen konnte und das niemandem auffiel – außer dem kleinen Finanzbeamten, dem kleinen Polizeibeamten. Dieser läuft außen herum, sieht, in welchem Zustand die Gebäude sind und kann sich nicht vorstellen, dass aus dieser Lumpenbude solche Milliardensummen erlöst werden, die es möglich machen, dass sich der Firmenchef mit dem Hubschrauber an seinen zehn Kilometer entfernt liegenden Arbeitsplatz fliegen lässt. Alle, die im Gebäude waren, die sich mit teuersten Rotweinen haben durchfüttern lassen, sind nicht auf diesen Gedanken gekommen.
Vielleicht war das deswegen, weil sich Dr. Kleiser ganz bescheiden im Aschenputtelweg niedergelassen hat. Vielleicht hat das die Beteiligten etwas geblendet und zur Bescheidenheit hingerissen.
Meine Damen und Herren, wir mussten vor dem Hintergrund, dass es sich um einen gigantischen Betrug handelte, klären, inwieweit vonseiten der Behörden pflichtgemäß gehandelt worden ist. Uns ist aufgefallen, dass entweder die Herren Schmider überhaupt nicht angeklagt wurden oder die Verfahren gegen sie eingestellt wurden, auch gegen Zahlung einer Geldbuße. Immer ist die Polizei von BadenWürttemberg mit ihren Vorschlägen und ihren Vorstellungen gegen die Wand gelaufen. Immer haben sich andere
durchgesetzt. Immer stellte sich bei einem Vergleich, wie mit anderen Angeklagten vor der Justiz in Baden-Württemberg umgegangen wird, schon die Frage, ob hier mit gleichem Maßstab gemessen wurde.
Ich will Ihnen einmal ein Beispiel von einer jungen Mutter nennen: Diese hat im November ihr fünftes Kind bekommen und hatte das Pech, mit einem Drogenabhängigen zusammenzuleben. Sie kam im November aus dem Krankenhaus. Das Kind sollte natürlich im Warmen aufwachsen. Sie hatte kein Geld. Sie rief beim Sozialamt an und bestellte Heizölbeihilfe. Sie bekam diese Heizölbeihilfe und wartete, bis das Geld auf dem Konto war. Erst als das Geld auf dem Konto war, hat sie das Heizöl bestellt. Das war absolut korrekt. Was sie nicht wusste, war, dass ihr drogenabhängiger Lebensgefährte das Konto abgeräumt hat. Damit war das Geld nicht mehr da, um das Heizöl im Wert von 400 DM zu bezahlen. Dass das fünfte Kind im November direkt nach der Geburt eine warme Wohnung gebraucht hat, leuchtet wohl ein.
Diese Frau ist vier Jahre später wegen Betrugs angeklagt worden, und bei einem Anruf beim zuständigen Amtsrichter hat ihr dieser gesagt: „Nehmen Sie sich bloß keinen Anwalt; das würde für Sie noch teurer.“ Die Frau wurde erst im Strafverfahren freigesprochen. Das muss man sich vor dem Hintergrund dessen überlegen, was sich hier im ausgehenden 20. Jahrhundert in Baden-Württemberg bei 1,5 Milliarden DM Schadenssumme abgespielt hat.
Da ging es um 400 DM. Da kann ich nur sagen: Sehr absonderlich.
Absonderlich ist auch, wenn die zuständige Staatsanwältin, die im Nebenberuf oder, sage ich einmal, als Funktionsträgerin die Pressestaatsanwältin dieser Behörde war, sagt, sie habe noch nie in ihrem Leben von Herrn Schmider und nie etwas von FlowTex gehört. Das als Pressestaatsanwältin vor Ort!
Wenn man sich vor Augen führt, dass der Betriebsprüfer Seyfried – Seite 958 –, aus demselben Gäu, ausdrücklich ausgesagt hat:
Natürlich waren mir als Zeitungsleser auch die Presseberichte einerseits über die Firmengruppe einschließlich des Baden-Airparks bekannt, andererseits auch die Geschichte mit dem möglichen Raubüberfall, sodass ich durchaus neugierig war, diese Firma und Herrn Schmider kennen zu lernen.
Das ist ein aufmerksamer Zeitungsleser gewesen. Die Pressestaatsanwältin hatte keinen Schimmer. Die hatte den Namen nicht einmal gehört.
Nun stellt sich die Frage: Warum? Es sollte also untersucht werden, ob eine Sonderbehandlung etwas mit diesen vielfältigen finanziellen und privaten Kontakten zu tun hatte. Richtig ist: Was die Flugreisen angeht, haben wir kein hab
haftes Ergebnis bekommen. Was die Kontakte angeht, konzentrieren wir uns letztlich hauptsächlich auf die Geschichte, die mit „Umfrageaffäre“ zu bezeichnen ist.
Zu den Einzelheiten. Haben die Landesbehörden ihre Pflicht beachtet? Was den Komplex mit den Behörden und der Zusammenarbeit mit den Behörden des Landes Thüringen angeht, ist es eben nicht so, wie Sie sagen, dass hier keine Fragen mehr offen geblieben sind, im Gegenteil.
Die ermittelnden Beamten aus Thüringen haben klipp und klar gesagt: Wir hatten die Durchsuchungsbefehle alle schon in der Tasche und wollten loslegen und sind dann in letzter Sekunde daran gehindert worden, sodass sich letztlich nicht nachweisen ließ, inwieweit da von oben gehandelt wurde.
Nur das ist letztlich nicht nachgewiesen worden, aber alle Indizien sind da, und die Fragen sind unbeantwortet geblieben, sind offen geblieben, und offene Fragen sind in einem Rechtsstaat bei solch heiklen Punkten etwas Verheerendes.
Der nächste Punkt: Bei dem fingierten Raubüberfall, meine Damen und Herren, aus dem Jahr 1986 hat die Kriminalpolizei über 16 Jahre lang gegen die Herrschaften ermittelt. Das ist auf über 200 Seiten niedergelegt. Jedes Mal wurde das Verfahren gegen diese Herrschaften eingestellt. Da muss man schon die Frage stellen, warum und wieso dies geschah. Die Begründung, die die Staatsanwältin geliefert hat, muss man sich auch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Begründung war die, dass die Zeugenaussagen der beiden Täter, die in das Haus Schmiders eingebrochen sind und das zugegeben haben, nicht verwertbar seien. Nach Auffassung der Staatsanwältin war das deswegen nicht möglich, weil ein Anwalt dieser beiden für einen kurzen Moment in die Akte des anderen hat hineinsehen können. Mit dieser Begründung wurden diese Aussagen nicht mehr verwertet, obwohl eigentlich nur noch das Geständnis von Schmider gefehlt hätte, um den Vorgang zum Abschluss zu bringen.
Diesen Vorgang hat nicht einmal ein Richter gesehen. Nicht einmal gesehen hat ihn e i n Richter! Ich erinnere an das Beispiel von vorhin.
Ich will aus demselben Verfahren noch daran erinnern, welche Bedeutung dieser kurze Blick in die Akten des Gegners bei der Einstellung des Verfahrens beim Raubüberfall bedeutete. Bei der Ermittlung wegen der Horizontalbohrsysteme wurden die beiden Zeugen Dr. Kleiser und Schmider nicht nur gemeinsam vernommen. Nein, sie durften in den Vernehmungspausen sogar noch mit ihren Angehörigen telefonieren und während des Gefangenentransports noch angenehm speisen, und zwar mit der Begründung, es sollte
eine angenehme Vernehmungsatmosphäre geschaffen werden.
Da kann ich nur sagen: Wenn man beide Sachverhalte nebeneinander betrachtet, stellen sich doch Fragen, die unbeantwortet geblieben sind.
Den nächsten Punkt hat Herr Kollege Dr. Scheffold schon angesprochen, nämlich die Scheingeschäfte von vor 1996, wo das Steuerstrafverfahren ohne die erforderliche Zustimmung des Gerichts eingestellt worden ist. Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist wirklich wieder ein solcher Fall, in dem Fragen offen geblieben sind, vor allem deswegen, weil auch hier eine völlige Ungleichbehandlung gegenüber anderen Fällen vorliegt. Es wurde nicht einmal geprüft, ob daneben eine nicht steuerliche Straftat vorliegt. Das wurde nicht einmal geprüft, obwohl es da um Umsatzsteuerbetrug mit einem Schaden von 17 Millionen € ging.
Ich will einmal ein Beispiel aus demselben Land BadenWürttemberg bringen. Kürzlich hatte ich jemanden im Petitionsverfahren, der im Alter von sechs Jahren als Flüchtling ins Land kam und hier schon seit über 20 Jahren lebt. Er wollte einen Antrag bei der Härtefallkommission stellen, worauf ein Vermerk zurückkam: „Das kann nicht sein; er ist vorbestraft wegen versuchten Betrugs“, also einer nicht steuerlichen Straftat. Dem bin ich nachgegangen und habe gefragt, welche Straftat da vorliegt, die verhindert, dass sich der Betreffende an die Härtefallkommission wenden kann. Das konnte mir keiner sagen. Nach weiteren Recherchen hat sich herausgestellt: Im Alter von 15 Jahren hatte der Junge eine Schwarzfahrt im Zug gemacht.
Das war „versuchter Betrug“. Und hier werden Schäden von 17 Millionen € gegen ganz geringe Geldauflagen eingestellt, und der nicht steuerliche Straftatbestand wird nicht einmal verfolgt, dem wird nicht nachgegangen. Da kann ich nur sagen: So viele offene Fragen lassen einen letztlich sprachlos zurück.
Lassen Sie mich die Beziehungen zwischen den Herren Schmider und der Politik insgesamt noch einmal kurz an Einzelfällen darstellen: Die Wahlkampffinanzierung bei Bürgermeisterwahlen: Wahlkampffinanzierung Eidenmüller, FDP.
Da bekommt ein Jurist 30 000 DM für seinen Wahlkampf gespendet und spendiert – ein beachtlicher Betrag für eine Oberbürgermeisterwahl – mit der Folge, dass er bis heute nicht begriffen hat, dass es sich dabei um eine Schenkung gehandelt hat, die er hätte anmelden müssen. Er musste dazu gezwungen werden.
Oder der zweite Fall, die OB-Kandidatur des Kandidaten Wendt von der CDU, der sich nahezu seinen gesamten Wahlkampf – 160 000 DM – von einer Person, von einem Unternehmen bezahlen ließ.
Keinen einzigen Pfennig hat er selber bezahlt, aber er hat immerhin den Anstand besessen, das öffentlich zu machen – er ist von selber darauf gekommen –, als er gemerkt hat, dass hier Gelder von jemandem geflossen sind, der strafrechtlich erheblich in Erscheinung getreten ist.
Er hat die Sache nachprüfen lassen. Vorbildlich.
Auch da kann ich nur sagen: Dies alles ist ein Blick auf die „Sittengeschichte Baden-Württembergs im ausgehenden 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen der CDU und der FDP/DVP einerseits und der Wirtschaft andererseits“.
Dass da ein oberflächlicher Betrachter einmal von „sizilianischen Verhältnissen“ sprechen kann, kann man nachvollziehen.
Dass im Rahmen dieser Untersuchungen letztlich auch die Umfrageaffäre ans Tageslicht gekommen ist, meine Damen und Herren, war kein blanker Zufall. Nein, das ist Ausdruck einer Sittengeschichte. Da hat sich etwas eingeschlichen. Darauf musste man natürlich kommen, weil sich das großflächig in dieser Form abgespielt hat.
Irgendwann einmal musste das ans Tageslicht kommen. Das war kein Zufall. Da ist durch diesen Ausschuss ein System aufgedeckt worden.
Wir reden von Baden-Württemberg, weil der Betrug in Baden-Württemberg stattgefunden hat und nicht in Rheinland-Pfalz, meine Damen und Herren.
Ich komme zur Vorgeschichte, damit noch einmal klar wird, worum es bei der Umfrageaffäre ging. Sie erinnern sich vielleicht noch – ob Ihnen das noch etwas sagt? – an die „Titanic“-Affäre im Frühjahr 1999, als der Kollege Dr. Döring in einer Spaßzeitschrift stand, die ihm angeboten hatte, ein Erbe anzutreten, und die die Auszahlung absichtlich etwas verzögert hat,
was seinem Image im Februar 1999 nicht gut getan hat.
Dann war natürlich klar, dass der Wunsch bestand, dieses Image in Form einer Imagekampagne, die die besonderen Fähigkeiten herausstreicht, zu verbessern. Das leuchtet natürlich auch ein, besonders vor dem Hintergrund, dass – zwischen Frühjahr 1999 und Mai 1999 – kurz danach der Bundesparteitag der FDP anstand, wo der Kollege Döring als stellvertretender Bundesvorsitzender kandidieren wollte. Dieses gesamte Zusammenspiel passt eindeutig und hat letztlich auch dazu geführt, dass Frau Morlok diese Spende an die FDP als Betriebsausgabe steuerlich geltend gemacht hat. Wieder ein Blick auf die Sittengeschichte hier in Baden-Württemberg!
Wir haben im Ergebnis – jetzt muss ich es kurz machen – vier Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage zu verzeichnen. Die Vorteilsnahme des Kollegen Döring ist nur deswegen nicht zur Anklage gekommen, weil die Unterlagen im Nachtkästchen der Frau Haussmann am 18. Juni 2004, drei Tage nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist, gefunden worden sind. Sonst hätten wir es mit einer zweiten Problematik zu tun gehabt, die womöglich dazu geführt hätte, dass die Zwölfmonatsfrist beim Kollegen Dr. Döring überschritten worden wäre mit der Folge, dass er sämtliche Pensionsansprüche verloren hätte.
Meine Damen und Herren, dass im Rahmen dieser Geschichte noch die so genannte Laubfroschaffäre ans Tageslicht gekommen ist,
wo beim Herrn Hunzinger die Sache mit dem Absender passiert ist, das möchte ich nochmals für das Protokoll zitieren, falls nicht jeder diese Sittengeschichte von vorne bis hinten durcharbeiten kann: „Laubfrosch AG, Im Grünen 6, 70176 Stuttgart“. Die Folge war: Frau Dederer hat ihren Sitz im Ausschuss niedergelegt, und die CDU hat am 18. Oktober dieses Jahres beantragt, die Bewertung, die sich mit diesem Komplex befasst, aus dem Papier zu nehmen.
Wenn Sie sich also darüber informieren wollen, müssen Sie sich rechtshistorisch beschäftigen.
Meine Damen und Herren, der Ausschuss war erfolgreich.
Zwei Minister sind zurückgetreten. Die Gefahr aber, dass so etwas wieder vorkommt, meine Damen und Herren, ist nicht ganz gebannt.
Kopierkosten ins Verhältnis zu setzen zu dem Rücktritt zweier Minister, die zu Recht ihre Ämter aufgegeben haben, ist wirklich der Hammer.
Ganz zum Schluss aber, meine Damen und Herren, weil ich schon überzogen habe: Die Frage muss sich doch stellen, ob in Baden-Württemberg so etwas auch in Zukunft möglich ist. Das ist doch die zentrale Frage. Auch ein Blick in diese Sittengeschichte zeigt: Auf einer Präsidiumssitzung der FDP im Jahr 2004 hat Rechtsanwalt Prasser, der Dr. Döring vertreten hat, gesagt – ich zitiere wortwörtlich –:
Ich kann mich erinnern, dass von einigen Präsidiumsmitgliedern Verärgerung geäußert wurde, dass die Justizministerin nicht anwesend sei, und auch Äußerungen dergestalt fielen, sie solle für ein schnelles Ende der Ermittlungen Sorge tragen, schließlich habe sie ein Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft.
Aus einer Präsidiumssitzung der ehemaligen Rechtsstaatspartei FDP! Da sage noch jemand, dass so etwas nicht auch in Zukunft möglich sei.
Stichwort SWR!
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche viel Spaß bei der Lektüre der neuen Sittengeschichte.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir machen heute zum wiederholten Mal den Versuch, das Kindergartengesetz zu ändern bzw. zu ergänzen. Mir wird auch klar – Herr Schebesta
schaut gerade auf die Uhr –, warum dieser Tagesordnungspunkt heute so spät behandelt wird: Das hängt natürlich damit zusammen, dass Sie, wie ich heute in der Zeitung lesen konnte, schon angekündigt haben, dass Sie uns dieses Mal in allen Punkten folgen wollen, und es Ihnen ein bisschen peinlich war, das in aller Öffentlichkeit am frühen Tag vorgeführt zu bekommen. Das kann ich natürlich verstehen.
Insofern: Willkommen im Klub, meine Damen und Herren, heute zum wiederholten Male!
Es ist festzustellen, dass wir beim damaligen Kindergartengesetz ganz erhebliche Webfehler zu verzeichnen haben, und zwar immer bei Kindergärten – das haben wir von Anfang an vorhergesagt –, die außerhalb der Bedarfsplanung der jeweiligen Kommune waren, aber Kindergärten mit besonderer pädagogischer Prägung bzw. Kindergärten mit überörtlichem Einzugsbereich waren.
Ich will den Fall einer Ingenieurin erzählen, der es bei uns, in meinem Landkreis, so erging: Sie wohnt in einer relativ kleinen Gemeinde, die natürlich nicht Kindergartenplätze für alle Kinder vorhalten kann, deren Mütter außerhalb berufstätig sind, und musste dann in eine größere Gemeinde wechseln, um dort ihr Kind unterzubringen. Diese Kinderbetreuungseinrichtung kommt jetzt in finanzielle Schwierigkeiten, weil die örtliche Gemeinde diese Einrichtung natürlich nicht im Bedarfsplan hat. Das heißt, eine Frau aus dem ländlichen Bereich, die für fünf Kinder die Verantwortung trägt, hat jetzt das Problem, dass sie völlig unsicher ist, wie es jetzt weitergeht und wie sie demnächst ihre Kinder unterbringen kann. Mit ihrer Erwerbstätigkeit hängt ja die Existenz ihrer Familie und ihrer vielen Kinder zusammen.
Dies ist ein Beispiel für eine schwierige Situation für Familien mit Kindern, eine schwierige Situation für Frauen im ländlichen Raum, die durch diesen Webfehler im Kindergartengesetz natürlich besonders benachteiligt werden.
Die finanzielle Beteiligung, um die es hier geht, die dann freiwillig geleistet wurde, weil ja in dem Gesetz ursprünglich doch drinstand, dass eine freiwillige Beteiligung möglich sein sollte, hat dazu geführt, dass einige Bürgermeister – man höre und staune – bereit waren, 50 € pro Kind und Jahr als Zuschuss zu geben. Aber mit diesem Betrag kann man nun für Familien, die auf diese finanzielle Beteiligung angewiesen sind, wirklich keinen Kindergartenplatz aufrechterhalten.
Wir haben immer gesagt, dass es sich um eine Vielzahl von Fällen handelt, was ja immer bestritten wurde. Allein in meinem Wahlkreis – den Kollegen Haas und Dr. Noll sind ja die Fälle bekannt, weil alle Beteiligten dort mit ihnen persönlich in Kontakt getreten sind – gibt es drei Kinderbetreuungseinrichtungen, die erheblich unter Druck und die gefährdet sind. Das ist der Waldkindergarten in Gaildorf – er hat schon vor anderthalb Jahren mit allen Beteiligten Kontakt aufgenommen –, das ist der Waldorfkindergarten in Schwäbisch Hall, und das ist der Waldorfkindergarten in Crailsheim.
Alle drei Kindergärten haben keine Probleme mit der Finanzierung durch ihre Sitzgemeinde. Dort verhält sich die
Kommune absolut einwandfrei. Das Problem sind die Gemeinden, die außerhalb der Sitzgemeinde sind und deren Kinder diese Einrichtung besuchen. Dort haben wir ein Problem.
Ich habe alle diese Einrichtungen besucht. Ich muss sagen: Was da aufgebaut wurde, stellenweise ehrenamtlich, ist jetzt in Gefahr. Das ist genau das, was wir befürchtet haben. Eine Trägervielfalt gerät dort ins Wanken, was wir gerade vermeiden wollten und was letztlich auch Gegenstand und Inhalt dieses Gesetzes, das ja gegen unsere Stimme zustande gekommen ist, sein sollte.
Es gibt ein weiteres Problem, das in diesem Bereich zu beobachten ist. Gerade weil die finanzielle Absicherung so unsicher und so gefährdet ist, weil die Mittel nicht ausreichen und weil sich diese Einrichtungen größtenteils durch Familieneinkommen erhalten müssen, haben wir – das haben Sie letztlich zu verantworten – einen neuen Niedriglohnsektor in Baden-Württemberg. In diesen Einrichtungen arbeiten Leute teilweise zum halben Tariflohn und teilweise nur zum Praktikantenlohn. Das haben sie letztlich dieser Unterfinanzierung zu verdanken, die unter Ihrer Aufsicht und im Rahmen dieses Gesetzes letztlich stattgefunden hat.
An dritter Stelle muss gesagt werden: Sämtliche Einrichtungen, die ich besucht habe, hatten eine Petition an den Landtag gerichtet. Ich habe dann festgestellt, dass alle diese Petitionen noch unbearbeitet auf Halde liegen und wir uns mit diesen Problemfällen noch gar nicht haben befassen können. Stattdessen wurde uns immer wieder vorgetragen, es gebe überhaupt kein Problem in diesem Bereich, die Probleme seien an einer Hand abzuzählen, man würde sie in den Griff bekommen usw.
Unser Gesetzentwurf, wie wir ihn heute vorgelegt haben, will Folgendes regeln:
Erstens einen Rechtsanspruch auf einen platzbezogenen Zuschuss der Betreuungseinrichtung. Dieser Anspruch soll sich gegen die Wohnsitzgemeinde, aus der das betreute Kind kommt, richten. Dieser Anspruch soll 63 % der Betriebsausgaben betragen und damit diese Kindergärten, die wir ja dringend brauchen, um die Trägervielfalt in BadenWürttemberg in diesem Bereich aufrechtzuerhalten, mit Kindergärten gleichstellen, die in den Bedarfsplan aufgenommen sind.
Das ist eine vernünftige Lösung, meine Damen und Herren. Es wird höchste Zeit für diese Regelung, denn wir haben schon zwei Jahre verloren, zwei Jahre, in denen sich bei den betroffenen Familien, die auf diese Plätze angewiesen sind, auch die Einkommenssituation verschlechtert hat, weil sie dazu beitragen mussten, die Kindergartenplätze zu finanzieren.
Wir brauchen diese Änderung auch deswegen dringend, weil sie ein Beitrag dazu ist, die Frauenerwerbsquote zu verbessern. Denn in Baden-Württemberg ist nur ein Viertel der Frauen mit Kleinkindern erwerbstätig. Das heißt, wir haben da ein Riesenpotenzial, das noch ausgebaut werden kann. Wir brauchen dies, um die Infrastruktur in BadenWürttemberg hin zu mehr Familienfreundlichkeit zu verbessern.
Ich komme zum Schluss. Es ist höchste Zeit, bevor noch mehr Träger kaputtgehen, diesen Standortnachteil zu beseitigen. Wir haben ja gehört – Kinderland Baden-Württemberg –, dass die Landesregierung Eltern dort unterstützen wird, wo sie Hilfe brauchen. An diesem Punkt brauchen sie Hilfe. Wenn Baden-Württemberg ein kinderfreundliches Land werden will und will, dass hier mehr Kinder gezeugt und geboren werden,
dann genügen, wie man aus der Biologie weiß, keine warmen Worte. Vielmehr bedarf es wirklich handfester Taten.
Dazu fordere ich Sie hiermit auf.
Danke schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich verlese meine Anfrage. Ich frage die Landesregierung:
a) Wie wirkt sich die erlassene Haushaltssperre auf den Baubeginn des Autobahnpolizeireviers Ilshofen aus?
b) Wie wirkt sich die Haushaltssperre konkret auf die für einen Zeitraum vor den Sommerferien geplante Ausschreibung der Gewerke aus?
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung,
oder wie bewerten Sie den Umstand, dass ein Abgeordneter auf eine Nachfrage nach dem Stundenausfall von den Schulleitern erfährt, dass er im Schreiben des Ministeriums als „uneinsichtig“ deklariert wird, wenn er sein Recht wahrnimmt, Zahlen abzufragen?
Sind Sie mit mir der Auffassung, dass dies kein normaler Umgang mit einem Abgeordneten ist, der die Elternanliegen in seinem Wahlkreis verifizieren möchte?
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mir liegt hier ein Antrag vor, wonach ich der Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten zustimmen soll. Ich bin nicht Mitglied des Ständigen Ausschusses und weiß nicht, um welche Person und um welches Delikt es sich handelt.
Um prüfen zu können, ob der Umstand, dass ein Parlamentarier strafrechtlich verfolgt wird, nicht auf andere Beweggründe zurückgeht, brauche ich Informationen darüber, aus welchem Grund hier jemand strafrechtlich angezeigt wurde. Ich bitte um Aufklärung. Ich weiß sonst nicht, wie ich mich hier zu verhalten habe.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung:
a) Stehen die Haushaltsmittel für den Neubau des Autobahnpolizeireviers Ilshofen bei der Bundesautobahnanschlussstelle Kirchberg bereit?
b) Wann ist gegebenenfalls mit dem Abruf dieser Mittel durch die zuständigen Behörden und dem Beginn der Bauarbeiten zu rechnen?
Herr Staatssekretär, können Sie denn sagen, bis zu welchem Zeitpunkt Sie sagen können,
ob sich der Haushalt in einem solchen Zustand befindet, dass die beschlossene Baumaßnahme begonnen werden kann?
Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung:
a) Ist es richtig, dass die Gemeinde Wallhausen (Landkreis Schwäbisch Hall) zum Zeitpunkt der Erstellung der Bundesautobahn im Jahr 1979 nach den damals gültigen Richtlinien auf dem Ausfahrtschild als Ausfahrtziel hätte genannt werden müssen?
b) Weshalb ist das Ausfahrtziel Wallhausen immer noch nicht aufgeführt, obwohl angeblich an mindestens sechs Ausfahrtschildern an Bundesautobahnen in Baden-Württemberg als Ergebnis von vergleichbaren Konfliktlagen mehr als vier Ausfahrtziele genannt sein sollen?
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland wird alle 20 Minuten ein Kind sexuell missbraucht. Das müssen wir uns einmal vor Augen halten, wenn wir heute dieses Thema diskutieren. Uns allen ist klar, dass es keine absolute Sicherheit gibt und auch nie geben wird, aber es ist die Pflicht der Landespolitik, alle erdenklichen Vorkehrungen für den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung zu treffen. Dieser setzt nun einmal eine effektive Behandlung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter unbedingt voraus. In diesem Bereich müssen absolut Prioritäten gesetzt werden. Dazu gehört eben auch die Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, vor allem dann, wenn die entsprechende Behandlung angezeigt ist.
Es ist schon angesprochen worden: Dieser Rechtsanspruch ist nicht nur ein individueller Rechtsanspruch des Gefangenen, des Straftäters, sondern daraus folgt selbstverständlich auch die Verpflichtung der Gesellschaft, Therapieplätze bereitzustellen.
Ich möchte daran erinnern, dass schon im Jahr 1996 die baden-württembergische Landesregierung beschlossen hat – ich zitiere aus der Antwort auf unsere Große Anfrage –, zum Schutz der Bevölkerung Verbesserungen der Sicherheit im Justiz- und Maßregelvollzug herbeizuführen. Das war im Jahr 1996. Seitdem – im Moment schreiben wir das Jahr 2003 – wird versprochen und versprochen, und geändert hat sich relativ wenig. Diesen Rechtsanspruch auf einen Therapieplatz, den wir heute einklagen, hat der Bundesgesetzgeber im Januar 1998 beschlossen.
Seitdem, seit 1998, haben Sie Zeit gehabt, sich darauf einzurichten, dass in diesem Land ausreichend Therapieplätze zur Verfügung stehen müssen. Sagen Sie nicht, es hätte Ihnen von der Zeit her nicht gereicht. Das Gegenteil ist richtig; denn die Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, waren Ihnen bekannt. Es hat sich aber nichts getan. Stellen Sie sich also nicht hin und kommen Sie nicht mit Versprechungen für die Zukunft, wenn Sie seit dieser Zeit Bescheid wussten.
Es geht letztlich darum – ich habe von Anfang an darauf hingewiesen –, dass dieser Personenkreis der männlichen Sexualstraftäter effektiv behandelt wird und jemand erst dann entlassen wird, wenn er so behandelt worden ist, dass eine Folgetat so gut wie ausgeschlossen ist. Deshalb geht es heute um die Zahl der Plätze.
Wir haben ja genau diese Problematik im Regelvollzug, wo sich die Leute im Strafvollzug befinden und dort behandelt werden, und dann im Maßregelvollzug, der ja in die Zuständigkeit des Sozialministeriums fällt. Da sieht es so aus: Im Regelvollzug – das hat Herr Kollege Oelmayer ja schon dargestellt – gibt es eine Unterversorgung von 50 Plätzen. Da geht es ja um hochgefährliche Straftäter. Im Maßregelvollzug sind 800 Plätze regelmäßig belegt, aber nur 700
Betten bzw. Patienten sind letztlich vorgesehen. Das heißt, wir haben eine Unterversorgung von 100 Plätzen.
Aber seit 1998 ist Ihnen diese Entwicklung bekannt. Insofern ist es falsch.
Ich möchte Ihnen einmal beschreiben, wie sich das ganz konkret im Maßregelvollzug auswirkt – ich habe vor kurzem mit einem Personalrat gesprochen –: Stellenweise sind dort in Dreibettzimmern fünf Personen untergebracht. Jetzt erklären Sie mir einmal, wie in diesem Rahmen – fünf Personen auf engstem Raum zusammen im Maßregelvollzug, ganz gefährliche Personen – eine sinnvolle Behandlung vorgenommen werden kann, vor allem mit dem Ziel, dass die Leute behandelt herausgehen. Nein, das Gegenteil trifft zu: Die Aggressivität steigt, die Unruhe steigt, und der Therapieerfolg ist von vornherein unter diesen Rahmenbedingungen zum Scheitern verurteilt.
Genau vor diesem Hintergrund stellt sich die Landesregierung hin und verbreitet noch im Mai dieses Jahres die Meldung – ich zitiere –:
Es wird rechtzeitig ein ausreichendes Therapieangebot für Sexualstraftäter geben.
Im August wird ausgeführt – ich zitiere wieder –, dass es keine Versäumnisse der Landesregierung bei der Bereitstellung von Therapieangeboten gibt.
Jetzt kommt der Hammer: Vor wenigen Tagen hat die Forensische Psychiatrie in Wiesloch einen Patientenaufnahmestopp erklärt. Ein Patientenaufnahmestopp bei diesem Personenkreis, bei den Verbrechen, die von diesem begangen werden! Das ist ein Hilfeschrei der Verantwortlichen vor Ort. Alle haben es gewusst. Seit 1998 war klar, dass dieser Termin, der 1. Januar 2003, kommt.
Insofern, meine Damen und Herren, kommt diese Debatte genau zur richtigen Zeit.
Diese Versäumnisse Ihrer Regierung haben natürlich erhebliche Auswirkungen auf das Personal. – Selbstverständlich hat das etwas damit zu tun.
Nein, das ist genau der Bereich, um den es geht. Maßregelvollzug
selbstverständlich – gehört genauso zum Therapieangebot.
Wir haben ja genau diese Probleme an den Schnittstellen, wenn die Sexualstraftäter aus dem Maßregelvollzug zurück
sollen in den Regelvollzug. Genau da gibt es eine Verschiebung, die ein Problem darstellt.
Vor allem sollte man die Auswirkungen auf das Personal berücksichtigen. Denn – auch das habe ich aus berufenem Munde – die Zahl der Sozialtherapieplätze in Baden-Württemberg ist zurzeit so hoch wie vor 25 Jahren.
Diese Zahl stimmt, sie ist belegt. Diese verheerende Situation muss man sich vor dem Hintergrund, dass wir diesen rechtlichen Anspruch seit dem 1. Januar dieses Jahres haben, einmal überlegen, vor allem wenn man weiß, dass die Staatsanwaltschaften und die Gerichte natürlich viel zögerlicher entlassen, viel härter und mit längerem Freiheitsentzug bestrafen und letztlich auch die Verweildauer im Maßregelvollzug – das ist auch schon gesagt worden – erheblich länger ist.
Kommen wir zu Ihrer Spezialdisziplin, dem Ländervergleich. Ich möchte keine lange Liste aufmachen, sondern nur die Länder Bayern und Baden-Württemberg miteinander vergleichen. In Bayern sind die Investitionen in diesem Bereich erheblich höher als in Baden-Württemberg. Pro Einwohner stellt das Land Bayern doppelt so viele Therapieplätze zur Verfügung wie Baden-Württemberg. In Zahlen: In Baden-Württemberg sind es 6,36 Therapieplätze pro 100 000 Einwohner, in Bayern 11,9. Sagen Sie jetzt nicht, die Delinquenz in Bayern sei größer als in Baden-Württemberg. Nein, die Bayern haben die Zeichen der Zeit erkannt und dementsprechend schneller und besser reagiert.
Dieses Missverhältnis hat aber auch ganz dramatische Auswirkungen auf die innere Sicherheit. Wir haben es gerade gehört: Sozialminister Dr. Repnik hat ausdrücklich davon gesprochen, dass gerade diese dramatische Überbelegung inzwischen zu einem Sicherheitsrisiko geworden ist.
Darum brauchen wir eine ausreichende Zahl von Therapieplätzen. Die Resozialisierung hat Verfassungsrang. Außerdem müssen wir auch noch etwas anderes überlegen: Wer fordert, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung schon im Urteil festgeschrieben werden soll – und da sind wir uns ja alle einig, dass diese Möglichkeit geschaffen werden soll –, der muss natürlich im Gegenzug auch dafür sorgen, dass diejenigen, die unter diesem Gesichtspunkt in Haft und in Therapie kommen, auch die Möglichkeit haben, zu beweisen, dass sie eben nicht gefährlich sind. Diese Möglichkeit muss ihnen unter Rechtsstaatsgesichtspunkten zur Verfügung stehen.
Nächster Punkt: Rückfallrisiko. Sexualstraftäter sind sowohl im Maßregelvollzug als auch im Regelstrafvollzug untergebracht. Behandelte Sexualstraftäter haben eine Rückfallquote von 20 %; bei unbehandelten Sexualstraftätern beträgt die Quote 40 %. Das ist der Bereich, in dem wir uns bewegen. Die Versäumnisse in diesem Bereich führen dazu, dass wir die Opfer – –
Nein, die Zahlen beruhen auf internationalen Studien. 40 % würde eine Verdoppelung der Zahl der Opfer in diesem Bereich bedeuten. Insofern fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, das Problem schönzureden!
Handeln Sie endlich!
In diesem Sinne vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal: Willkommen zu Themen der Landespolitik um ca. 11:45 Uhr, nachdem die Sitzung schon seit 9:30 Uhr andauert!
Ich freue mich sehr, meine Damen und Herren, dass wir endlich einmal auch in diesem wichtigen Rahmen die Gelegenheit haben, das bedeutende Thema Strafvollzug,
die Verhältnisse im Strafvollzug von Baden-Württemberg, vor allem eingerahmt von der Debatte über das Thema „Personalabbau und finanzielle Rahmenbedingungen“, zu debattieren.
Wir haben die vorliegende Große Anfrage eingebracht, um die Fragen des Strafvollzugs und die damit zusammenhängenden Dinge wieder mehr in das öffentliche Bewusstsein hineinzutragen, aber auch, um endlich zu einer verlässlichen Datenbasis zu gelangen, damit wir die Verhältnisse auch entsprechend bewerten können. Das ist besonders wichtig vor dem Hintergrund der leeren Kassen, die gerade angesprochen worden sind. Gerade vor dem Hintergrund des geplanten Personalabbaus und der geplanten Einsparungen muss ganz deutlich gemacht werden: Im Bereich Strafvollzug ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Insofern sind wir hier genau am richtigen Platz, um das aufgegriffene Thema im Anschluss an die vorausgegangene Aktuelle Debatte zu behandeln.
Meine Damen und Herren, viele meinen ja, die Verhältnisse im Strafvollzug stellten ein Thema dar, das nur eine Minderheit betreffe, nämlich die betroffenen Strafgefangenen, ihre Angehörigen und die Vollzugsbediensteten. Aber diese Meinung ist falsch. Denn die Menschen, die sich im Strafvollzug aufhalten, kommen ja auch irgendwann einmal wieder heraus und treffen dann genau auf diejenigen, die sich vorher so sicher geglaubt und gemeint haben, es handle sich um ein Thema ohne große Bedeutung.
Ich meine, wir erweisen der Gesellschaft einen viel größeren Dienst, wenn wir diese Menschen – wenn wir sie schon einmal schnappen, wenn wir sie schon einmal unter den Fittichen des Staates haben – in dieser Zeit so behandeln und so bearbeiten, dass ihr Zustand beim Verlassen des Strafvollzugs besser ist als beim Eintritt. Denn oft sind sie zum ersten Mal in der Situation, dass sie mit Regeln konfrontiert werden, die sie auch nachhaltig einhalten müssen. Auf diesem Weg geben wir ihnen letztlich auch eine Chance, nicht mehr Täter zu sein. Damit wiederum geben wir auch den Opfern eine Chance, keine potenziellen Opfer mehr zu werden.
Aber die Gesellschaft hat ja auch insgesamt die Chance, aus diesen Kostgängern der öffentlichen Hand wieder Steuerund Beitragszahler zu machen – aber das natürlich nur, wenn man die Chancen, die im Strafvollzug liegen, auch erkennt und nutzt.
Dies war ja letztlich auch der Gedanke des Strafvollzugsgesetzes, das vor 25 Jahren in Kraft getreten ist – übrigens eine sozialliberale Glanzleistung, Herr Goll. Insofern können Sie stolz sein, dass auch Sie zu den Urvätern des Gesetzes gehören. Sie haben auch noch das riesige Glück, für diesen urliberalen und auch sozialliberalen Bereich in Baden-Württemberg Verantwortung getragen zu haben.
Das Ziel dieser Reform war es ja letztlich – das haben ja alle, die damals Verantwortung trugen, auch erkannt –, wegzukommen von den unmenschlichen Verwahranstalten. Wir müssen aber als Ergebnis der Großen Anfrage konstatieren, dass wir Gefahr laufen, wieder dort hinzukommen
doch, das müssen wir sagen –, und das vor allem in einem Aufgabenbereich, meine Damen und Herren, der ausschließlich landespolitisch motiviert ist und bei dem die Aufgaben ausschließlich hier im Land verteilt sind. Es ist die Aufgabe des zuständigen Ministers, sich gegenüber seinen Kabinettskollegen durchzusetzen und die erforderlichen Mittel für diesen Bereich zu erkämpfen und zur Verfügung zu stellen.
Herr Minister, wir haben jetzt nach über sieben Jahren Ihrer Amtszeit als Justizminister und als der für den Strafvollzug Zuständige Bilanz zu ziehen. Nachdem Sie angekündigt haben, Ihr Amt zu verlassen, müssen wir uns die Frage stellen: Ist der Strafvollzug heute noch in der Lage, seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen, und was kann er denn überhaupt noch leisten? Dazu haben wir mithilfe der Großen Anfrage Daten und Fakten erhoben.
Zunächst zum Stichwort Überbelegung. Die baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten sind allesamt erheblich überbelegt. Die Zahlen werden zwar immer wieder schöngeredet; dies liegt aber daran, dass der geschlossene und der offene Vollzug immer zusammengerechnet werden, wobei jeder weiß, dass die Klientel für den offenen Vollzug gar nicht vorhanden ist. Das heißt, dort gibt es viele freie Plätze, wäh
rend im geschlossenen Vollzug eine absolute Überbelegung, eine drangvolle Enge herrscht. Deswegen müssen die Zahlen korrekt in Ist- und Sollzahlen im geschlossenen und offenen Vollzug aufgeteilt werden. Dann würden die Zahlen wirklich etwas darüber aussagen, was sich in den badenwürttembergischen Vollzugsanstalten abspielt.
Die Überbelegung hat zum Beispiel auch zur Konsequenz – aus meiner Sicht eine dramatische Situation –, dass in sehr vielen Vollzugsanstalten die Strafgefangenen statt in Betten auf Matratzen schlafen müssen, die tagsüber unter dem Bett des Mitgefangenen gelagert und durch Herausziehen zum Nachtlager werden. Das muss man sich einmal vorstellen. Zwischen null und 16 Matratzen pro Vollzugsanstalt sind regelmäßig im Einsatz, je nachdem, wie hoch die Einlieferungsquoten sind.
Ein dritter Punkt zum Thema Überbelegung: Wir haben es auch mit der Mehrfachbelegung von Einzelzellen zu tun. 60 % der Einzelzellen im baden-württembergischen Strafvollzug sind inzwischen mehrfach belegt. Damit liegen wir unter den westdeutschen Bundesländern an absoluter Spitze, was die Mehrfachbelegung von Einzelzellen angeht – und das, obwohl es einen Rechtsanspruch der Strafgefangenen auf Einzelunterbringung gibt.
Genau; das ist die Frage. Diejenigen, die es wollen, Herr Hauk, haben eine Wartezeit von sechs Monaten, obwohl sie einen Rechtsanspruch haben. Diesen Rechtsanspruch muss die Landesregierung erfüllen. Dies ist nicht lediglich eine Forderung der baden-württembergischen SPD-Landtagsfraktion, sondern das sind internationale Standards, die in jedem Kommentar nachzulesen sind. Dieser gesetzlichen Forderung wird nicht nachgekommen.
Deswegen sagen wir, dass die Gesetze zumindest eingehalten werden sollten. Das erwarte ich jedenfalls von einem Justizminister und der verantwortlichen Regierung.
Es geht aber nicht nur um die verfassungsrechtliche Problematik und die Anwendung der geltenden Gesetze, sondern es geht auch darum, dass die durch die Überbelegung hervorgerufene drangvolle Enge die Vollzugsziele massiv gefährdet, und zwar in mehrerlei Hinsicht.
Wir brauchen den Behandlungsvollzug nicht nur aufgrund gesetzlicher Pflichten, sondern er ist auch aus unserer inneren Überzeugung heraus dringend notwendig. Behandlungsvollzug bedeutet Individualisierung und Differenzierung; denn nur so kann der Personenkreis, der dort behandelt werden soll, auch getrennt behandelt werden, können Opfer von Peinigern getrennt werden, können Wiederholungstäter von Ersttätern getrennt und kann jeder einzeln für sich behandelt werden, damit wir dem Vollzugsziel näher kommen.
Das Problem ist, dass die Bediensteten mit dieser Situation allein gelassen werden und die Enge auf den Fluren und in
den Zellen natürlich auch die Atmosphäre in den Vollzugsanstalten erheblich aufheizt.
Kommen wir zum zweiten Punkt, der in diesem Zusammenhang behandelt werden muss: Das ist der Personalbestand; denn diese überbelegten Anstalten müssen in diesem heiklen grundrechtlichen Bereich mit immer weniger Personal auskommen. Herr Justizminister, das haben Sie inzwischen ja auch selber erkannt; denn Sie waren es, der die Arbeitsgruppe „Sicherheit im Vollzug“ eingesetzt hat, um prüfen zu lassen, wie groß der Personalbedarf ist, um wenigstens die räumlichen Sicherheitsvoraussetzungen einigermaßen einzuhalten. Sie sind dafür zu loben, dass Sie diese Kommission eingesetzt haben. Die Ergebnisse sind uns ja auch bekannt gemacht worden. Da wurde festgehalten, dass allein für die äußeren Rahmenbedingungen, also um die Flucht zu vermeiden, als absolutes Minimum 80 neu zu schaffende Stellen im baden-württembergischen Strafvollzug erforderlich sind. Dabei geht es noch nicht um die Frage des Behandlungsvollzugs, sondern ausschließlich um die Frage der inneren Sicherheit.
Stichwortartig zusammengefasst: Als Ergebnis der Arbeitsgruppe haben wir die Zahl 80 als Mindestanforderung erhalten. Die Koalitionsvereinbarungen haben ausdrücklich vorgesehen, diese Zahl 1 : 1 umzusetzen. Sie haben den Bediensteten 40 Stellen versprochen, und bis heute sind null zugesagt. Das heißt, allein in diesem Bereich haben wir ein Defizit von mindestens 80 Planstellen, wobei wir, um auf den Standard des bundesdeutschen Verhältnisses zwischen Gefangenen und Bediensteten zu kommen, insgesamt über 600 Bedienstete zusätzlich einstellen müssten.
Beispiel Überstundenentwicklung – nur um jetzt stichwortartig auf diesen Bereich einzugehen –: Von 7 423 Überstunden im Jahr 1999 ist der Berg auf 92 500 Überstunden innerhalb von zwei Jahren angewachsen.
Er hat sich damit mehr als verzehnfacht. Der aktuelle Überstundenstand – so wurde mir gestern gesagt – beträgt 120 000 Überstunden bei den Bediensteten in den badenwürttembergischen Vollzugsanstalten.
Das ist verheerend, wenn man bedenkt: 17,5 Krankheitstage im Schnitt pro Person, 77 Überstunden pro Planstelle im Vollzug, und das vor dem Hintergrund, dass die Strafgefangenen in den baden-württembergischen Vollzugsanstalten immer problematischer und immer schwieriger werden – die Russlanddeutschen sind eine schwierige Klientel, die natürlich besonderer Behandlung bedarf – und durch diese schlechte Personalausstattung immer mehr Straftaten innerhalb des Strafvollzugs stattfinden, die oftmals schwerer sind als die Straftaten, derentwegen die Leute in den Strafvollzug gekommen sind. Und das unter den Augen des Justizministers! Da muss man sich schon fragen, ob das noch in Ordnung ist.
Wir dürfen auch die Ursachen der Kriminalität in diesem Bereich nicht aus den Augen lassen, denn bei dem Personenkreis, den ich gerade angesprochen habe – ich erinnere an die gestrige Debatte zur Integration –, haben wir uns sehr schwere Versäumnisse wieder bei der Landespolitik, wieder bei der Landesaufgabe vorzuwerfen, die letztlich in den Strafvollzug gemündet sind. Die Verpflichtung, in diesem Bereich tätig zu werden, ist in besonderem Maße dadurch gegeben, dass es sich um zum Teil hausgemachte Probleme handelt, vor allem weil wir ja vor dem Hintergrund des Rückgangs der Geburtenraten auf diese Leute, vor allem auf diese jungen Leute als zukünftige Steuerzahler und Beitragszahler angewiesen sind.
Wir haben es in Baden-Württemberg ausschließlich noch mit dem Verwahrvollzug zu tun, wenn man sich die Wirklichkeit anschaut. Behandlungsvollzug ist nicht mehr möglich. Drogentherapien werden nicht mehr gemacht. Es gibt nur noch Drogenvermittlungsmöglichkeiten. 50 % der Strafgefangenen sind drogenabhängig. Wartezeiten von jugendlichen Ersttätern im Drogenbereich betragen elf bis zwölf Wochen, bis sie zum ersten Mal Kontakt mit einem Therapeuten bekommen, bei Erwachsenen 24 Wochen. Das ist eine dramatische Situation.
Erst kürzlich wollte ich am Montagmorgen in Schwäbisch Hall an mein Postfach gehen, um die Post abzuholen.
Da sah ich vor der öffentlichen Toilette einen Krankenwagen. Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. Am nächsten Morgen las ich in der Zeitung: Da war ein Entlassener aus der Strafanstalt in Schwäbisch Hall. Der ist am Freitag entlassen worden und am Montag wegen einer Überdosis tot aufgefunden worden. Ich meine, das sind die Auswirkungen, wenn man die Leute nicht während der Zeit im Vollzug behandelt und ihnen nicht die Chance zur Therapie gibt. Denn wer den normalen Strafvollzug vernachlässigt, vernachlässigt nicht nur die Bediensteten und die Strafgefangenen, sondern auch ihre potenziellen Opfer.
Herr Minister, der Strafvollzug in Baden-Württemberg liegt – das muss man sagen – am Boden, und das, obwohl es sich hier um einen erheblich grundrechtsrelevanten Bereich handelt, der Ihnen als Verfassungsrichter geradezu am Herzen liegen müsste. Es war Ihre Aufgabe gewesen, sich gegenüber Ihren Kabinettskollegen durchzusetzen, um die Mittel freizuschaufeln. Aber in Baden-Württemberg hat der Finanzminister die Richtlinien der Justizpolitik bestimmt. Insofern bekommt Ihr freiwilliger Rücktritt
auch eine ganz andere Färbung und einen ganz anderen Geschmack. Das muss man schon sagen. Denn da verlässt nicht jemand die Bühne, wenn es am schönsten ist, sondern da verlässt jemand ein sinkendes Schiff.
In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich fasse mich jetzt wirklich ganz kurz.
Ich finde es schade, dass schon jetzt das Lob an den Minister ausgesprochen worden ist, bevor die Aussprache zu Ende war.
Es wurde gesagt, ich hätte ein Zerrbild gezeichnet. Deswegen noch drei Punkte.
Herr Minister, Sie haben gesagt, Sie seien stolz darauf, dass Sie keine Stellen im Strafvollzug abgebaut hätten. Dazu kann ich nur sagen: Wo hätten Sie sie denn abbauen sol
len? Es wäre doch gar nicht mehr möglich, im baden-württembergischen Strafvollzug überhaupt noch eine Stelle abzubauen. Darauf können Sie doch gar nicht stolz sein. Das war das absolute Minimum, was Sie zu machen hatten.
Der zweite Stichpunkt: Überbelegung. Sie haben gesagt, auf die ältere Bausubstanz müsse Rücksicht genommen werden, damit § 18 des Strafvollzugsgesetzes vollends zur Geltung kommen könne. Es ist aber so, dass zum Beispiel in Schwäbisch Hall gerade die neuen Zellen schon auf neun Quadratmeter ausgelegt werden und insofern schon einkalkuliert ist, dass diese Einzelzellen für den Mehrfachvollzug vorgesehen sind. Das heißt: Dort wird sehenden Auges gegen § 18 des Strafvollzugsgesetzes verstoßen.
Drittens, zum Zerrbild. Ich will noch einmal sagen: Auch ich bin in den Strafvollzugsanstalten gewesen. Das, was ich hier wiedergegeben habe, worüber ich hier berichtet habe, ist doch das Ergebnis der Gespräche mit den Bediensteten, die Sie gerade so wortreich gelobt haben. Insofern ist es eine Missachtung der Bedürfnisse dieser Personen, sie auf der einen Seite zu loben, auf der anderen Seite, wenn ihre Bedürfnisse so vorgetragen werden, wie ich es gemacht habe, dies als Zerrbild zu bezeichnen. Denn wir haben doch tatsächlich Gewalttaten im Strafvollzug. Die Hälfte der 690 Übergriffe von Gefangenen untereinander aus den letzten zehn Jahren stammen aus den letzten vier Jahren. Das heißt: Es ist eine exorbitante Steigerung zu sehen.
Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Ich war letztens auf einer Tagung im Landtag in Mainz, in der gerade dieser Bereich beraten wurde. Eine Folge der unzureichenden Personalausstattung im Vollzug ist es gerade, dass die Straftaten – und das sind oft schwerste Straftaten –, die im Vollzug begangen werden, gar nicht aufgedeckt werden. Das ist ja das Problem. Wir bräuchten ja eine Aufdeckung, damit wir in dieser Beziehung etwas machen können.
Es ist also kein Zerrbild. Wir haben hier wirklich ernsthafte Probleme im personellen Bereich.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vor 15 Jahren zum ersten Mal im Gemeinderat der Stadt Schwäbisch Hall zu Gast war, wurde das Thema Erweiterung der Kindergartenöffnungszeiten diskutiert. Die Kindergartenöffnungszeiten sollten von bislang von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr auf 7:30 Uhr bis 12:30 Uhr erweitert werden. Wir haben es zwar geschafft, diese Kindergartenöffnungszeiten mehrheitlich durchzubekommen, aber nur gegen den vehementen Widerstand der CDU, die ausdrücklich erklärt hat das ist gerade einmal 14 Jahre her und geschah in einer so weltoffenen Stadt wie Schwäbisch Hall , man wolle die Öffnungszeiten gerade nicht in einer Form gestalten, die die Frauen womöglich noch animierte, arbeiten zu gehen.
Da muss ich sagen, meine Damen und Herren: Das erklärt vieles von dem, was Ihre Position ist. Wir wissen ja, wie lange die CDU in diesem Land regiert. Das erklärt letztlich auch, warum wir diese Position bei der Kinderbetreuung haben, die wir heute und derzeit in Baden-Württemberg haben.
Weil wir jetzt bei diesem Thema sind, sage ich noch etwas dazu. Wir sind ja quasi in der dritten Runde. Wir sind jetzt bei der Kinderbetreuung hier in Baden-Württemberg. Erlauben Sie mir daher noch ein paar kurze Vorbemerkungen, und zwar zunächst einmal wieder aus meinem Wahlkreis, aus Schwäbisch Hall.
Dort ist es so, meine Damen und Herren, dass 60 % aller Sozialhilfebezieher allein erziehende Frauen sind. Das muss man sich vor diesem Hintergrund mit dieser miserablen Kinderbetreuung bei uns in Baden-Württemberg einmal vorstellen. Das ist schon eine geschlechtsspezifische Diskriminierung. Ausgerechnet Frauen leiden unter dieser Situation.
Ich meine, das ist ein Skandal.
Zweite Vorbemerkung: In demselben Atemzug, in dem hier permanent der Facharbeitermangel beklagt wird, lassen wir es zu, dass die am besten ausgebildete Frauengeneration sich in diesem Land quasi totläuft, indem sie für andere Aufgaben, sage ich einmal, nicht die Möglichkeit hat, Familie und Beruf zu verbinden.
Zum Thema Chancengleichheit durch Kinderbetreuung und Kindertagesbetreuung ist hier schon viel gesagt worden.
Letztlich komme ich zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie betrifft natürlich genau diesen Bereich. Frau Rastätter hat heute schon die Verweigerung von Frauen angesprochen, Kinder zu bekommen, weil die Frauen darin erhebliche Probleme für ihre Zukunft und für ihre wirtschaftliche Absicherung sehen. Die Anzahl und die Größe der Familien gehen immer weiter zurück. Wenn man aber ins europäische Ausland schaut, dann merkt man, dass dort, wo die Kinderbetreuung hervorragend ist, wo es eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt, Geburtenraten erzielt werden so sage ich einmal mathematisch , auf die wir hier nur neidisch schauen können.
Meine Damen und Herren, die SPD legt mit dem heute in Erster Beratung zu diskutierenden Gesetzentwurf eines Kindertagesbetreuungsgesetzes ein umfassendes Konzept zur Weiterentwicklung des Betreuungsangebots für Kinder in Baden-Württemberg vor.
Danke schön. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass dieser Gesetzentwurf das Ergebnis eines intensiven Dialogs ist. Wir haben als Fraktion ein
Jahr lang in beinahe jedem Wahlkreis hier in Baden-Württemberg unseren Gesetzentwurf vorgestellt und mit Erzieherinnen, mit Eltern, mit kommunalen Vertretern sowie mit Einrichtungsträgern diskutiert. Insofern ist das ein ganz neues Verfahren gewesen, wie wir mit so einem Entwurf zunächst einmal in die Bevölkerung gegangen sind, bevor wir dieses Papier hier vorgestellt haben und letztlich zur Abstimmung stellen.
Dabei ist herausgekommen, dass erstens ganz einmütig beklagt wurde, dass wir hier im Land Baden-Württemberg ganz erhebliche Betreuungsdefizite haben. Zweitens gibt es eine ganz erhebliche Verunsicherung bei allen Beteiligten in diesem Bereich, weil sie gar nicht wissen, wie es letztlich weitergeht. Wir wissen genau: Das Kindergartengesetz hat ein Verfallsdatum zum 31. Dezember dieses Jahres.
Aber was danach kommen soll und wie sich die Zukunft sowohl der Träger als auch der Erzieher und Erzieherinnen, als auch natürlich der Eltern und derjenigen, die in diesem Bereich planen müssen die jungen Mütter oder diejenigen, die erst dorthin kommen wollen , gestaltet, bleibt offen. Insofern haben wir hier einen Stillstand und Verunsicherung. Das ist natürlich das Gegenteil von dem, was wir brauchen, wenn wir eine vernünftige Kinderbetreuung haben wollen.
Obwohl wir nun schon Mitte des Jahres 2002 haben, ist noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar, in welche Richtung es gehen soll, wie eine partnerschaftliche Lösung in dieser Hinsicht gefunden werden soll.
In kaum einem anderen Bereich der Landespolitik ist der Stillstand unerträglicher und die Konzeptionslosigkeit der Landesregierung offenkundiger als bei diesem wichtigen Thema Kinderbetreuung, was wiederum schwerpunktmäßig die Frauen trifft. Ich meine, letztlich ist das ja eine konsequente Geschichte im Blick auf die gesamte Landespolitik zu dieser Thematik.
Die SPD-Fraktion will, dass endlich Schluss ist mit dieser konzeptionslosen Politik. Wir legen deshalb heute dieses umfassende Kinderbetreuungsgesetz vor, das alle Betreuungsangebote für Kinder von null bis 14 Jahren umfasst und für alle Tageseinrichtungen sowie für die Tagespflege endlich einen verlässlichen Rahmen schafft.
Wir wollen in den nächsten drei Jahren 35 000 neue Betreuungsplätze für Kinder schaffen, darunter 10 000 neue Plätze für Kleinkinder und rund 25 000 neue Betreuungsplätze für Schulkinder.
Letztlich haben wir zu registrieren, dass unsere Initiativen in dieser Hinsicht hektische Betriebsamkeit bei den Regierungsfraktionen ausgelöst haben.
Wir sind darüber natürlich sehr erfreut. Jetzt schauen wir einmal, was daraus wird. Wir haben ja bis jetzt nur die Ankündigung bekommen, dass am 23. Juli wohl irgendein Gesetzentwurf von der Landesregierung beschlossen werden soll. Noch wissen wir nicht, was da kommen soll. Wir sind gespannt. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Große Hoffnungen machen wir uns nicht.
Das kann ja gar nicht sein. Ich rede heute zum ersten Mal. Wie kann das dann die gleiche Leier sein?
Noch einmal kurz zu den inhaltlichen Schwerpunkten: Wir wollen zunächst einmal den Ausbau des Betreuungsangebots. Da sind wir einhellig einer Meinung. Zweitens wollen wir das ist ganz wichtig die Sicherung der pädagogischen Qualität. Denn eines ist sicher: Wir haben heute den ganzen Vormittag lang darüber gesprochen, wie wichtig und wie bedeutend es ist, den Bildungsauftrag in die Kindergärten hineinzutragen.
Dann habe ich natürlich auch die Pflicht, das Personal, welches sich mit diesem Kleinkindbereich und mit diesen Kindern bis 14 Jahren befasst, so qualifiziert auszubilden, dass die Kinder zur Vorbereitung auf die Schule etwas davon haben.
Dazu brauchen wir natürlich nicht nur entsprechend qualifizierte Leute, sondern auch die Festschreibung von solchen elementaren Dingen wie dem Raumbedarf, um diese Kleinkindbetreuung wirksam durchführen zu können.
Dass ausgerechnet das reiche Baden-Württemberg das kann man gar nicht oft genug betonen beim Kinderbetreuungsangebot im bundesweiten Vergleich eine absolute Schlusslichtposition hat, das würde mir an Ihrer Stelle sehr zu denken geben.
Ich will das einmal auflisten: Zum Stichtag 31. Dezember 1998 das ist die aktuellste Vergleichsstatistik, die uns zur Verfügung steht
gab es für 1 000 Kinder im Alter von bis zu drei Jahren im Durchschnitt der alten Bundesländer wie gesagt: wir nehmen nur die alten Bundesländer 28 Betreuungsplätze, in Baden-Württemberg gerade einmal 13. Das ist also weniger als die Hälfte. Wir sind da ganz unten.