Ulrich Maurer

Sitzungen

13/13 13/15 13/22 13/25 13/34 13/36 13/39 13/44 13/48 13/68

Letzte Beiträge

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Debatte beantragt, weil wir es im Zusammenhang mit der Aufklärung der Vorgänge um FlowTex mit einem in der Verfassungsgeschichte des Landes beispiellosen Vorgang zu tun haben.
Wir haben es damit zu tun, dass zunächst das Fragerecht der Fraktion der Grünen gegenüber Herrn Döring mit dem Hinweis auf den Untersuchungsausschuss unterbunden wurde. Anschließend machte Herr Minister Döring vor dem Untersuchungsausschuss von seinem Auskunftsverweigerungsrecht als Beschuldigter in einem Strafverfahren Gebrauch. Jetzt stehen wir vor der Situation, dass das Parlament von einem Mitglied der Landesregierung, bei dem der Anschein besteht, dass mit der Ausübung von Amtsgeschäften Vorteile einhergingen, keinerlei Rechenschaft einfordern kann.
Das ist ein beispielloser Vorgang in der Nachkriegsgeschichte des Landes. Ich will das so deutlich markieren: Es kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in einer Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können müssen, dass die Amtsgeschäfte der Regierung nur nach sachgemäßem Ermessen ausgeübt werden, das Parlament seine Kontrollaufgabe gegenüber dieser Regierung nicht mehr erfüllen kann. Das kann nicht sein.
Wir haben natürlich einmal nachgesehen. Es gibt zwei Beispiele für ähnliche Geschehnisse: Das eine betrifft Roland Koch, das andere Ronald Schill.
Aber in Baden-Württemberg hat es das bisher nicht gegeben.
In den letzten Wochen hatten wir allerdings eine heftige Kommunikation des Ministers mit der Öffentlichkeit – nicht mit dem Parlament. Wir haben insgesamt fünf Versionen. Die erste Version lautete: „Habe zu keinem Zeitpunkt über Umfrage gesprochen oder mit Dritten verhandelt.“ Das war nach dem Brief des Herrn Hunzinger. Wir hatten die zweite Version: „Mein Ministerium war Auftraggeber der Umfrage selber, aber der Minister habe mit niemandem telefoniert oder korrespondiert. Wer bezahlt habe, wisse er nicht. Die FDP habe mit der Umfrage nichts zu tun.“ Wir haben weiterhin die Version: „Das Ministerium war nicht der Auftraggeber der Umfrage. Bei den 10 000 DM für die Umfrage könne es sich um eine Parteispende gehandelt haben.“ Wir haben dann den Widerspruch der Landes-FDP: „Keine
Parteispende.“ Dann gibt es die Version: „Der Minister war doch mit der Umfrage befasst, habe sechs bis sieben Namen genannt – auch den von Frau Morlok –, die die 10 000 DM bezahlen könnten.“ Fünfte Version: „Ich war darüber informiert, dass Frau Morlok die 10 000 DM bezahlen wollte. Wer bezahlt hat, weiß ich aber nicht.“
Das ist die Kommunikation, die mit der Öffentlichkeit geführt wurde. Deswegen wollen wir nach diesen fünf Versionen heute von dem verantwortlichen Minister – der hier im Parlament allerdings nicht unter der Wahrheitspflicht steht – wissen
das ist doch keine Unterstellung; das ist eine Feststellung –, präzise wissen: Welche Aktivitäten hat das verantwortliche Mitglied der Landesregierung zugunsten der Firma FlowWaste oder der Firma FlowTex in den zurückliegenden Jahren unternommen, und welche Vorteile hat er gegebenenfalls von diesen Unternehmen angeboten erhalten bzw. entgegengenommen? Wir wollen wissen, welchen Charakter die Beziehung zu Herrn Hunzinger gehabt hat. Das ist eine durchaus parteiübergreifende Frage. Wir wissen ja, dass Herr Hunzinger in seinem Rennstall schwarze, gelbe, rote und grüne Pferdchen hatte. Aber wir wollen das wissen.
Ja natürlich. Was Sie nicht begreifen, ist: Es handelt sich hier nicht um den Fall klassischer Parteienauseinandersetzung, sondern um den Fall, dass in einer Demokratie, in der eh schon hohe Verdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger besteht, jederzeit Klarheit darüber bestehen muss, ob Amtsgeschäfte unbeeinflusst wahrgenommen werden.
Ich weise Sie darauf hin, dass der Präsident der Bundesbank zurückgetreten ist oder zum Rücktritt gedrängt wurde, obwohl bei ihm nicht die Rede davon war, dass er irgendwelche Aktivitäten zugunsten derer, die ihn eingeladen haben, unternommen hätte. Er ist zurückgetreten. Darauf weise ich Sie hin.
Deswegen wollen wir erneut den Versuch machen, heute hier Klarheit zu erhalten: Für wen hat der Minister was getan? Von wem hat er Vorteile angeboten bekommen oder erhalten? Und wie waren seine Beziehungen zu Herrn Hunzinger?
Ich werde mich dann in der zweiten Runde gegebenenfalls mit den Antworten beschäftigen.
Herr Minister Döring, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Ich weiß jetzt von Ihnen, dass Sie erklären, von FlowTex keine Flüge und kein Catering angenommen zu haben, von Hunzinger kein Darlehen und keine Klamotten. Das war nicht meine Frage. Ich stelle das nur ganz schlicht und ohne Wertung in den Raum. Ich wollte von Ihnen nicht wissen, was Sie nicht angenommen haben.
Nein, Fragen kann man beantworten, in diesem Fall mit einem ganz einfachen Satz. Ich hätte gern den ganz einfachen Satz des Herrn Ministers gehört: Ich habe im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit als Minister von keinem Unternehmen in Baden-Württemberg Vorteile angenommen, die mir angeboten oder nicht angeboten wurden.
Nein, er hat gesagt, er habe kein Catering und keine Flüge angenommen, keine Klamotten und kein Darlehen.
Er kann es doch erklären, Herr Kollege Pfister. Es ist doch blitzschnell erledigt.
Er kann das hier erklären.
Damit ist das erledigt.
Ich erlebe seit Wochen, dass immer nur auf das reagiert wird, was irgendwo gerade in den Ermittlungsakten auftaucht. Ich will jetzt einmal eine freimütige Erklärung, dass nichts war, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Satz, und den kann er hier erklären.
Zweiter Punkt:
Langsam. Es gibt ja auch Dinge, die schon klar sind.
Herr Kollege Hofer,
an Ihre Adresse:
Die Tatsache, dass das Treiben des Herrn Schmider über viele Jahre hinweg begleitet war von einem lokalen Beziehungsgeflecht und ermöglicht wurde durch ein beispielloses Versagen von Behörden des Landes, ist unstreitig.
Und das in dem Kontext kleinzureden ist ein Scherz, den Sie hier getrieben haben.
Ich will Ihnen nur sagen: Wer ist Herr Morlok? Wer ist Herr Eidenmüller? Wer ist die Nichte von Herrn Morlok? Ist das ein Beziehungsgeflecht,
oder ist das kein Beziehungsgeflecht, lieber Herr Kollege Hofer?
Und jetzt, Herr Minister Döring, in der Tat: Ich habe Sie nicht verglichen mit Herrn Schmider und seinen Milliarden.
Aber ganz schlicht: Die finanzielle Größenordnung dieser Umfrage liegt um ungefähr 2 500 DM über der finanziellen Größenordnung der Bewirtungskosten des Bundesbankpräsidenten – wenn Sie einen Vergleich haben wollen. Sie wollten ja einen Vergleich haben.
Diesen Vergleich liefere ich Ihnen jetzt.
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, zitiere ich den Herrn Ministerpräsidenten, dem ich vollumfänglich zustimme. Er hat in seiner Pressekonferenz geäußert, es gebe zwei legitime Möglichkeiten, eine Umfrage zu finanzieren. Wenn sie im Interesse des Landes sei, werde sie auch vom Land bezahlt. Wenn sie im Interesse einer Partei oder eines Politikers gemacht werde, sei dies Sache der Partei: „,Das muss dann schon über die Partei laufen,’ bekräftigte der Premierminister.“
Jetzt wollen wir uns doch einmal anschauen, was wir jetzt wieder gehört haben.
Es gibt ein Treffen mit dem Herrn Hunzinger; der Herr Hunzinger stellt großherzig in Aussicht, dass eine große Umfrage gemacht werde, an der man sich beteiligen könne.
Wir kennen ja die Fragen. Diese Fragen waren hochgradig parteipolitischer Natur.
Es waren klassische Fragen, wie man sie für die eigene Performance und die Performance der Partei stellt.
Das gibt Herr Hunzinger in Auftrag. Das lerne ich jetzt alles in diesem Kontext.
Dann fragt in einem Wirtschaftsministerium, nämlich im Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg – das wissen wir jetzt von dem damaligen Chef der Pressestelle –, der Minister seinen Pressesprecher, ob eigentlich noch Geld im Etat der Pressestelle des Ministeriums sei, um diese Umfrage zu bezahlen. Das halten Sie für normal?
Doch, die Aussage gibt es, werter Herr Kollege. Da waren Sie dabei.
Der Pressesprecher hat gesagt, er habe damals erklärt, er habe kein Geld mehr. Daran ist es gescheitert.
Daran ist das gescheitert. Das halten Sie für eine normale Gepflogenheit?
Und dann sagt ein Minister zu seiner persönlichen Mitarbeiterin: „Ruf doch mal die Frau Morlok an, ob die das bezahlen kann.“ Das halten Sie für normal? Ich will Ihnen einmal sagen, was ich für normal halte.
Für normal halte ich Folgendes: Wenn eine Partei ihre Performance und die ihres Spitzenmannes vor einem Parteitag testen will – da wurde dies ja eingesetzt; darauf zielte es ja ab –, dann gibt die Partei einen Auftrag an ein Meinungsforschungsinstitut. Vielleicht finanziert sie das über Parteispenden; das ist dann in Ordnung. Aber man trifft sich nicht in einem Ministerbüro und klärt erst einmal, ob es der Pressesprecher aus seinem Etat bezahlen kann. Man lässt dann, wenn dies nicht der Fall ist, nicht jemanden anrufen, der diese Kontakte zu diesem Imperium hat. Dieser Kontaktperson hat man dann auch noch die Adresse von infas gesagt. Man hat nicht gesagt: „Mach uns eine Parteispende!“, sondern man hat gesagt: „Ruf mal bei denen an; die wollen Geld haben.“
Das halten Sie für normal? Ich will Ihnen sagen, was das ist. Das ist eine unglaubliche Verquickung von Aufgaben einer Partei mit den Aufgaben eines Ministeriums und seinen Zuständigkeiten.
Wenn Sie das alles für normal halten – –
Ich höre jetzt sowieso auf.
Wenn Sie das alles für normal halten, was kein Mensch für normal halten kann, dann beschweren Sie sich nicht darüber, dass man Ihnen Fragen über Ihr sonstiges Gebaren stellen muss. Beschweren Sie sich nicht darüber; denn Sie tun Dinge, die nicht normal sind.
Weil Sie gerade das Schmankerl mit der damals anerkannten Firma gemacht haben: Stimmen Sie mir zu, dass es sich bei den Firmen, die den Herrn Bundesbankpräsidenten bewirtet haben, um anerkannte deutsche Firmen handelt?
Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Ministerpräsident hat hier eine erkenntnisreiche Vorlesung über die Ergebnisse und Debatten des Konvents gehalten. Herr Ministerpräsident, ich hätte es besser gefunden, wenn Sie sich am Anfang einfach einmal richtig gefreut hätten
über die Ergebnisse dieses Konvents, die ja unter Ihrer Mitwirkung einen bedeutenden Schritt hin auf das darstellen, was wir, denke ich, gemeinsam am Ende wollen, nämlich ein vereintes Europa, einen Bundesstaat, der gleichberechtigt in der Welt auftreten kann. Herr Ministerpräsident, Sie
haben stattdessen am Anfang wieder etwas jammervoll gesagt, was Ihnen alles nicht gefällt.
Das taten Sie mit richtigen und mit falschen Argumenten. Ein paar würde ich unterschreiben, insbesondere was die kommunale Selbstverwaltung und deren Bedeutung angeht.
Aber ein paar Beispiele waren schon daneben. Ich mache das nur ganz kurz; es ist mir nicht so sehr wichtig.
Warum Sie immer die Vogelschutzgebiete und die Zuständigkeit der Landratsämter bemühen, ist mir unerklärlich. Ich versuche es noch einmal zu sagen: Die Frage, ob ein Frosch in Spaichingen gefressen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist in der Tat lokaler Art. Aber ob die Zugund Singvögel aus Italien zurückkehren, kann der Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises nicht regeln, Herr Ministerpräsident.
Das ist ausgesprochen kein Berlusconi-Problem. Aber keine Sorge, Sie kommen noch auf Ihre Kosten.
Auch weil Sie die Chemieindustrie angesprochen haben – und dann ist das schon sehr grundsätzlich –: Es ist schon notwendig, Herr Ministerpräsident, was den Naturschutz, was den Artenschutz und was die Umwelt angeht, in Europa gleiche Standards durchzusetzen, die eine Verbesserung der Situation in ganz Europa hervorrufen. Das ist schon wichtig.
Das möchte ich, wie gesagt, beispielsweise nicht dem Bürgermeister von Messina überlassen. Das finde ich auf der europäischen Ebene schon richtig angesiedelt.
Hinsichtlich der Bedeutung der kommunalen Daseinsvorsorge und der kommunalen Selbstverwaltung und auch hinsichtlich dessen, was Sie zum Thema Wettbewerb in der Relation zum öffentlichen Sektor gesagt haben, gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht, will aber eines hinzufügen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen uns doch die Frage stellen, durch wen eigentlich der Wettbewerb bedroht ist. Eines der Phänomene in Europa, die mich beschäftigen, ist die Tatsache, dass es auf der einen Seite in der Tat die Versuchung gibt, mit sehr neoliberalen Vorschlägen und Vorstellungen in die deutsche kommunale Selbstverwaltung hineinzuregieren. Auf der anderen Seite aber stelle ich als Ergebnis von Nichtwettbewerb oder von seltsamen Formen von Wettbewerb Vermachtungen in Europa fest, die mit Wettbewerb gar nichts mehr zu tun haben.
Schauen Sie, Kollege Theurer, weil Sie darauf so gierig waren: Das eigentliche Problem Berlusconi – das ist nur ein Synonym – besteht darin, wie es eigentlich möglich ist, dass in einem Europa, in dem so viel Wert auf Wettbewerb ge
legt wird, und zwar so weit gehend, dass, wie gesagt, in die kommunale Fahrpreisgestaltung hineinregiert wird, ein Mann, der gleichzeitig Ministerpräsident ist, praktisch die gesamte Medienwirtschaft eines Mitgliedsstaats der Union kontrolliert. Das kann ja wohl kein Wettbewerb sein, der dort stattfindet.
Wie gesagt, Sie haben darauf kein Wort verschwendet. Das ist so etwas wie das gesammelte Schweigen, das ich zu diesem Thema bei der Union überhaupt feststelle, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es muss ein Europa geben, das auch ein einheitlicher Raum des Rechts ist. Es geht dann natürlich nicht, dass in einem Land über die Zusammenführung von Regierungsmacht und Medienmacht und über Sondergesetze bei gleichzeitiger Blockade europäischer Anstrengungen – etwa in der Zusammenarbeit zur Bekämpfung des internationalen organisierten Verbrechens – ein Sonderraum, eine Verzerrung von Rechtsstaat hergestellt wird und wir alle dazu schweigen, nur weil dieser Mann mächtiger ist, als es beispielsweise im Falle Österreich der Fall war. Das kann nicht sein. Diesbezüglich erwarte ich auch ein klares Bekenntnis von der konservativen Partei, und zwar auch dann, wenn Herr Berlusconi aus Machtgesichtspunkten noch Ihrer EuropäischenVolkspartei angehört. Da müssen Sie klar Position beziehen.
Aber jetzt, Herr Ministerpräsident, will ich über das sprechen, worüber Sie sich als Mitglied des Konvents wirklich freuen könnten. Wenn die Politik in der Tat die Kunst des Möglichen ist, dann ist dieser Konvent ein Erfolg, an dem Sie mitgewirkt haben. Ich fand es auch bemerkenswert, dass Sie an vielen Stellen zu Recht die Übereinstimmung auch mit Positionen der Bundesregierung und der anderen deutschen Länder unterstrichen haben.
Ich halte es für das wesentliche Ergebnis, dass durch die weitgehende Durchsetzung des Mehrheitsprinzips, durch die Stärkung des Europäischen Parlaments Fakten geschaffen worden sind, die eine Dynamik hin auf einen europäischen Bundesstaat auslösen. Den wollen wir am Ende. Das will ich ausdrücklich sagen. Die historische Frage ist: Zurück zur Freihandelszone oder hin zu einem europäischen Bundesstaat, der als Macht des Friedens gleichberechtigt – beispielsweise auch mit den USA – in der Welt auftreten kann? Das ist das, worum es eigentlich geht.
Und da, denke ich, ist das Ergebnis des Konvents nicht das Ende dieses Weges, aber ein ganz bedeutender Fortschritt, der Fakten schafft, die es im Ergebnis wahrscheinlicher werden lassen, dass Europa in einigen Jahren das wird, was wir alle uns darunter vorstellen.
Sie, Herr Ministerpräsident, haben zu Recht auf die Fragen der Kompetenzordnung hingewiesen. Es ist nicht ganz so gekommen, wie Sie es ursprünglich wollten, Gott sei Dank. Sie wollten ja enumerative Kataloge haben. Jetzt haben wir
stattdessen eine stärkere Betonung des Subsidiaritätsprinzips; das halte ich auch für richtig.
Sie haben etwas ausführlich darüber geredet, wer jetzt alles wogegen klagen kann. Ich bin dabei ein bisschen erschrocken. Ich habe gerade überlegt, ob es vielleicht ein neues Berufsbild für Subsidiaritätsklagen von Anwälten geben wird. Ich hoffe, dass sich das in den ersten zwei Jahren klären wird. Ich nehme an, dass Sie dies ebenso sehen. Meine Einschätzung geht dahin, dass wir in den Fragen des Subsidiaritätsprinzips sehr rasch zu einer gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommen, sodass danach weniger Prozesse stattfinden und wir klare Verhältnisse bekommen werden.
Sie haben das Thema Migrationspolitik angesprochen. Auch dazu, Herr Ministerpräsident, ein grundsätzliches Wort. Ich weiß nicht so recht, was Sie in Ihrer Schlusspassage andeuten wollten, will Ihnen aber unsere Meinung dazu sagen. Zu einem zusammenwachsenden Europa und zu der Idee des vereinten Europa gehört – dazu haben wir mit dem Schengener Abkommen schon bedeutende Schritte gemacht – ein gemeinsames Grenzregime. Wichtig ist beispielsweise der Vorschlag der deutschen Bundesregierung, dass es dann auch eine europäische Grenzpolizei geben soll – übrigens eine europäische Grenzpolizei, die – das sage ich ganz offen – so gut bezahlt ist, dass sie diversen Versuchungen widerstehen kann. Wenn wir ein einheitliches Grenzregime und keine Binnengrenzen in Europa mehr haben, dann, lieber Herr Ministerpräsident, geht es gar nicht anders, als zu einer einheitlichen Außengrenze zu kommen und dann natürlich auch eine einheitliche europäische Migrationspolitik zu betreiben. Das geht nicht anders.
Im Übrigen sollten Sie daran gar keine Befürchtungen knüpfen. Sie haben auf die ungleiche Verteilung beispielsweise von Flüchtlingen hingewiesen. Ich glaube, dass Sie im Zuge einer europäischen Gesetzgebung eine ausgewogenere Verteilung der Lasten erreichen können, als dies derzeit offensichtlich der Fall ist.
Sie haben zu Recht zwei Defizite angesprochen, denen ich mich zum Schluss widmen möchte.
Das eine betrifft in der Tat die Außen- und Sicherheitspolitik. Sie wissen, dass ich im Grundsatz immer Ihrer Aussage zugestimmt habe, Europa kümmere sich um zu viele Dinge im Kleinen und um zu wenige Dinge im Großen. Wir müssen dies überwinden. Es ist schlecht, dass dort das Prinzip der Mehrheitsentscheidung nicht – und auch nicht nur in schwacher Form – durchgesetzt werden konnte. Es ist unbedingt notwendig, an diesem Punkt über das Ergebnis des Konventsprozesses hinauszukommen.
Es stellt sich die Frage, wie wir darüber hinauskommen. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik nur weiterkommen, wenn einzelne europäische Staaten – Deutschland und Frankreich vorweg – in diesem Prozess vorangehen. Deswegen will ich ausdrücklich sagen – auch dazu haben Sie nichts gesagt –: Ich finde es historisch richtig, dass Deutschland, Frankreich und Belgien beschlossen haben,
mit dem Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion zu beginnen.
Luxemburg, ja. Aber die Streitkräfte Luxemburgs sind nicht ganz so bedeutend.
Ja, gut.
Also, Herr Ministerpräsident: Die Antwort auf dieses Defizit, das Sie selbst genannt haben, kann nur lauten, dass einzelne europäische Staaten auch bei der Abgabe von Souveränitätsrechten vorangehen und dass dieses Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten tatsächlich da stattfindet, wo die Ergebnisse des Konventsprozesses noch unzulänglich sind.
Deswegen hat die deutsch-französische Freundschaft eine ganz herausragende Bedeutung, auch für Baden-Württemberg. Deswegen habe ich in diesem Zusammenhang eine Bitte an Sie und an die Landesregierung. Ich fände es nach dem Ergebnis des Konvents richtig, Herr Ministerpräsident, wenn wir uns im Landtag – auch aufgrund von Vorschlägen von Ihnen – einmal intensiv mit der Frage befassen würden: Was können wir hier tun, um die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen unseren Nationen und den Menschen durch konkrete Projekte zwischen Baden-Württemberg und den angrenzenden französischen Regionen zu vertiefen und zu befestigen? Da fällt mir viel ein, von der Sprache – wo wir übrigens, wie Sie wissen, obwohl aus populistischen Gründen etwas anderes nahe gelegen hätte, in der Frage Französisch mit Ihnen zusammen abgestimmt haben – über grenzüberschreitende Nahverkehrsprojekte bis zu einer sehr viel stärkeren Förderung des Austauschs, der Begegnungen. Ich würde mir von Ihnen einen Katalog wünschen zum Ausbau der deutsch-französischen Freundschaft durch beispielhafte Projekte, die Baden-Württemberg anbietet. Das würde uns, glaube ich, voranbringen.
In diesem Zusammenhang: Wir sollten – ich weiß, wie schwierig das in Frankreich ist – selbst die Frage grenzüberschreitender Institutionen, auch mit Regelungskompetenzen, nicht ausklammern. Das sollten wir, Herr Palmer, immer wieder ausdrücklich anbieten. Ich glaube, dass zwischen Baden und dem Elsass wirklich wichtige, historische Vorhaben möglich wären.
Der zweite Punkt, bei dem das Mehrheitsprinzip leider nicht durchgesetzt wurde – ein sehr wichtiger Punkt –, war die Frage der Steuergesetzgebung. Lassen Sie mich das zum Schluss sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auch da müssen wir weiterkommen. Der Gedanke des Wettbewerbs, der ja vielen so wichtig ist, ist nur dann fair, sozial und in seinen Auswirkungen für die Menschen vertretbar, wenn der Wettbewerb auf der Basis gleicher Mindeststandards stattfindet, nicht nur was die Ökologie angeht, auch was die Arbeitsbedingungen angeht, auch was die Frage einer gerechten Bezahlung angeht. Ein Wettbewerb zwischen
den einen, die auf der Basis von Hungerlöhnen konkurrieren, und den anderen, die das Modell eines Sozialstaats im Hintergrund haben, ist schwer vorstellbar. Ein „negativer“ Wettbewerb in Europa, der so läuft, wie er in der Vergangenheit oft gelaufen ist, nämlich dass man sich im steuerlichen Bereich gegenseitig unterbietet und damit auch die Haushalte der öffentlichen Hand auszehrt, ist auch nicht gut für Europa. Was wir brauchen, sind gleiche Mindeststandards, nicht nur für die Ökologie, sondern auch für die Arbeitnehmerrechte, für den steuerlichen Bereich, und zwar auf der Basis gleicher Ausgangsbedingungen. Dann haben wir in der Tat Einheit in Vielfalt, wie Sie das gesagt haben.
Vielen Dank.
Ich begrüße Frau Dr. Gräßle ausdrücklich im Klub.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Kollegin Gräßle hat pflichtgemäß den außerordentlichen Fleiß des Herrn Ministerpräsidenten gewürdigt. Ich schließe mich dem an. Der Ministerpräsident ist als Mitglied des Konvents außerordentlich fleißig.
Die Frage, ob dieser Fleiß zielführend ist, liebe Frau Kollegin, werden wir anhand der Ergebnisse des Konvents beurteilen.
Die Kernfrage hat Frau Kollegin Gräßle auch angesprochen, allerdings sehr optimistisch. Im Ergebnis wird es jetzt darum gehen, ob wir nach den Ergebnissen des Konvents und der dazu dann stattfindenden Regierungskonferenz in einen Zustand einer erweiterten Freihandelszone zurückfallen oder ob wir auf dem Weg einer Staatsbildung vorankommen. Das Wort „Staatsbildung“ nehme ich ganz bewusst in den Mund, weil das in der Tat die Weichenstellung ist, um die wir da ringen.
Ich hätte es ganz schön gefunden, wenn die Delegation der Deutsch-Französischen Brigade jetzt anwesend gewesen wäre,
weil das in der Tat einer der entscheidenden Punkte ist. Wir stehen vor der Frage, ob die Europäische Union auf dem Feld der Außenpolitik, auf dem Feld der Sicherheitspolitik, in der Frage einer gemeinsamen Außengrenze eines entsprechenden Grenzregimes und auch der Sicherung dieser Außengrenze die notwendigen Schritte in Richtung Staatsbildung geht oder ob sie das nicht schaffen wird. In der Tat ist die wiedergefundene deutsch-französische Einigung ein entscheidender Motor auf diesem Weg. Und in der Tat stehen wir auch vor der sehr entscheidenden Frage, ob wir auch auf dem Feld der Außenpolitik und der Sicherheitspolitik zum Mehrheitsprinzip in der Europäischen Union kommen.
Der erste Testfall wird sein, ob wir, wie sich das bisher optimistisch entwickelt hatte, zu einem sehr weitreichenden gemeinsamen Entwurf des Konvents kommen, der dieses Mehrheitsprinzip festschreibt, der auch die entscheidenden Schritte auf dem Feld der Außenpolitik und der Sicherheitspolitik bis hin zur Notwendigkeit des Aufbaus von Streitkräften der Europäischen Union geht, oder ob wir – es gibt ja neuerdings auch kontroverse Debatten darüber – einen Prozess erleben, der auf der Ebene des Konvents das widerspiegelt, was wir an sehr unterschiedlichen außenpolitischen Orientierungen in Europa vor dem Hintergrund des Irak-Kriegs gesehen haben.
Deswegen will ich ausdrücklich die Tatsache unterstreichen und auch würdigen – Sie haben dazu nichts gesagt –, dass sich Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg auch in der Frage der Schaffung einer europäischen Souveränität auf dem Feld der Verteidigung jetzt als Motoren in die öffentliche Diskussion begeben haben. Ich habe schon bei früheren Gelegenheiten gesagt, dass der Post-Nizza-Prozess ausdrücklich vorgesehen hat, dass einzelne Staaten der Europäischen Union in der Abgabe von Souveränitätsrechten vorangehen können. Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg – ich denke, andere werden sich anschließen – haben sich dazu entschlossen, auf dem Feld der Verteidigung weiter gehend Souveränitätsrechte abzugeben, und zwar nicht – das will ich ausdrücklich betonen – in globaler Gegnerschaft zu den Vereinigten Staaten – die Vereinigten Staaten werden, so hoffe ich, auch wieder einmal eine andere Regierung haben als die derzeitige –,
aber in der Absicht, neben die Vereinigten Staaten einen eigenständigen Pfeiler, auch einen militärischen Pfeiler der Europäischen Union zu stellen.
Übrigens ist mir die Haltung der Union in Deutschland in dieser Frage sehr unklar. Ich will das ausdrücklich sagen.
Sie haben dazu heute auch nichts gesagt. Wir sind entschieden für einen Weg der europäischen Emanzipation. Ich sage das ganz deutlich. Wir sind im so genannten alten Europa eine Wertegemeinschaft – das haben Sie angedeutet, liebe Frau Kollegin –,
die sich allerdings nicht vom angelsächsischen Kapitalismusmodell herleitet. Weil Sie ja derzeit den Debatten in unserer Partei so große Beachtung schenken, will ich Sie darauf hinweisen, dass die Vorstellung von Nichtentwicklung oder Rückführung von Sozialstaat auch nicht der katholischen Soziallehre entspricht.
Da vertraue ich übrigens auf die anhaltenden Grundüberzeugungen des verehrten Ministerpräsidenten. Aber auch das werden wir würdigen.
Wir wünschen uns eine Europäische Union, die ein europäisches Sozialstaatsmodell beinhaltet, eine Europäische Union, die selbstbewusst auch in den globalen Fragen der Politik auftritt, auch auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik, und in der Tat – da stimmen wir überein – auch eine Europäische Union, die sich den Feldern zuwendet, für die sie geeignet ist, und die Felder, die vor Ort besser gelöst werden können, regionalen und nationalen Ebenen überlässt. Da kommen wir, glaube ich, voran.
Es wird so sein, dass die europäische Ebene in jedem Fall, bei jeder Vorlage die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips wird nachweisen müssen. Im Zweifel wird es Klagerechte geben. Es wird dann auch eine Rechtsprechung geben, die das klärt. Wenn wir das verknüpfen können – auch da ziehen wir an einem gemeinsamen Strang – mit einer Neuord
nung der föderalen Strukturen in Deutschland, dann kommen wir, denke ich einmal, zu einem klaren Staatsaufbau.
Liebe Frau Präsidentin, ich werde Sie an Ihrem Abflug in die Steiermark nicht hindern.
Ja, das verbindet sich ja beides.
Also, liebe Frau Kollegin und liebe Union, auch in der Frage der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik so klare Bekenntnisse wie in der Frage des Subsidiaritätsprinzips. Dann wird sich der Fleiß des Ministerpräsidenten lohnen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Oettinger hat sich, finde ich, zu Recht dafür bedankt, dass es möglich war, zu dieser zentralen, uns alle betreffenden Frage einen gemeinsamen Antrag zu entwickeln. Ich finde, heute ist ein wichtiger Tag in diesem Parlament, in dem wir uns ja oft fundamental und auch hart auseinander setzen. Ich denke, dass es eine große Leistung der Fraktionsvorsitzenden ist, dass sie diesen gemeinsamen Antrag zustande gebracht haben. Wenn das, was wir heute hier beschließen, nicht folgenlos bleibt, dann ist der heutige Tag auch ein ganz wichtiger Tag in der Geschichte dieses Parlaments.
Wir verdanken diese Chance, den deutschen Föderalismus neu zu befestigen, ein Stück weit natürlich auch der Tatsache, dass jetzt der Versuch gemacht wird, eine Verfassung der Europäischen Union zu schaffen. Dieser Anlass zwingt uns ja alle, die staatlichen Ordnungen in Europa neu zu überdenken.
Deswegen – da hat Herr Kollege Oettinger Recht – hat sich durch die Debatten des Konvents ein Zeitfenster geöffnet, das wir dazu nutzen können, um in der Tat in Deutschland das Verhältnis zwischen Bund, Ländern, aber auch Kommunen, Herr Kollege Oettinger, neu zu ordnen. Es ist im Übrigen auch gut, dass die Fraktionen von CDU, SPD und FDP/DVP die Fehlentwicklungen korrigieren wollen,
die hier eingetreten sind. Die Ausnahme nenne ich gleich, weil – das sollten wir schon bekennen, Herr Kollege Oettinger, und Sie haben das ja in bemerkenswerter Weise eingeräumt; ich will das quittieren – mindestens diese drei Parteien diese Fehlentwicklung gemeinsam mit zu verantworten haben. Die Grünen genießen insoweit die Gnade der späten Geburt,
jedenfalls für viele Dinge, die da falsch gelaufen sind.
Nicht mehr lang. Aber ich gönne es ihnen.
Es eröffnet sich jetzt die Chance, Aufgabenverantwortung und Finanzhoheit für jede staatliche Ebene so zu ordnen, dass die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte hin zu einem unüberschaubaren Mischsystem, in dem alle für alles zuständig sind, aber niemand verantwortlich ist, korrigiert werden. Diese Fehlentwicklungen sind übrigens mit ein Grund für den Politikverdruss in unserem Land. Wir kennen das ja alle; und wir sind an diesem Spiel maßgeblich beteiligt.
Herr Kollege Oettinger, wenn etwas nicht zustande kommt und die Bürgerinnen und Bürger sich beschweren, dann sagt der Schultes im Zweifel: „I tät ja scho gern, aber das Land...“ Das Land sagt: „Ich würde ja alles wollen, aber der Bund...“ Und im Zweifel einigen sich dann alle drei Beteiligten darauf, dass die Bürokraten in Brüssel an der ganzen Geschichte schuld gewesen seien. Diese Art und Weise, wie man die Verantwortung im Kreis herumschiebt und wie man – wir erleben das dieser Tage beispielsweise wieder bei dem berühmten Thema Straßenbau – ein großes Schwarzer-Peter-Spiel veranstaltet und auch da versucht, die Schuldzuweisungen rechtzeitig zu verteilen, fördert natürlich den Politikverdruss. Deswegen ist die zentrale Konsequenz aus dem, was unsere Bürgerinnen und Bürger zu Recht verdrießt: Es muss wieder klar sein, wer für welche Aufgabe die alleinige Zuständigkeit und die alleinige Verantwortung hat.
Der muss dann auch dafür hinstehen, wenn es darum geht, ob die Aufgabe erfüllt worden ist oder nicht. Und zu dieser Verantwortlichkeit gehört dann natürlich auch die entsprechende Finanzkompetenz.
Nun könnte man ja ins Grübeln kommen über die Frage, wie das mit der Schwächung der Länder eigentlich zu beurteilen ist. Ich will auf Folgendes hinweisen: Es ist sicherlich so, dass die Länder und ihre Parlamente in dieser Verfassungsgeschichte geschwächt worden sind. Es ist möglicherweise aber nicht so, dass die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen geschwächt worden sind. Ich habe eher den Eindruck, dass die Herren Ministerpräsidenten durch diese Fehlentwicklung gestärkt worden sind – ich will das ganz offen ansprechen –, weil wir natürlich durch diese Mischkompetenz eine Entwicklung dahin gehend bekommen haben, dass der deutsche Bundesrat nicht mehr ein Ort ist, wo versucht wird, die autonomen Entscheidungen der deutschen Länder selbstbestimmt miteinander zu vereinba
ren. Der deutsche Bundesrat ist eine zweite nationale Regierung, eine Nebenregierung geworden. Dadurch ist die Macht der Ministerpräsidenten auf dieser Ebene natürlich außerordentlich gewachsen. Gleichzeitig ist die Macht der Parlamente zurückgegangen, weil die Herren Ministerpräsidenten bei dem, was sie da in der nationalen Nebenregierung machen, ihre Landesparlamente in der Regel nicht fragen.
Ich weiß gar nicht, warum Sie da jetzt reagieren. Das ist ein Problem, das Sie in beiden großen Parteien feststellen können.
Ja, das habe ich schon am Anfang erwähnt. Die wird Ihnen auch noch lange erhalten bleiben.
Gemach, gemach. Sie wollen doch ein bisschen Pfeffer haben. Das können Sie haben.
Was ich zum Beispiel in der Rede des Kollegen Oettinger vermisst habe, war der früher allfällige Hinweis auf die Notwendigkeit einer Länderneugliederung.
Da sind Sie, seitdem Sie durch das Schicksal den Sessel des Ministerpräsidenten des Saarlands erobert haben, in eine seltsame Verstummung verfallen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich bin deswegen ja auch der Meinung, dass die Tatsache, dass wir noch längere Zeit die Bundesregierung stellen, eine bedeutende Chance dafür eröffnet, dass wir uns auf das einigen können, was wir hier geschrieben haben.
Wenn es anders wäre, würden Sie vielleicht auch das wieder vergessen.
Ist ja gut.
Kehren wir wieder zu dem zurück, was wir gemeinsam vertreten wollen.
Ja, das ist so.
Deswegen will ich sagen: Die Beseitigung dieser Fehlentwicklung auch im Bundesrat als einer Nebenregierung und eine Entwicklung zurück zu Ministerpräsidenten in ihrer Rolle als Organe, die primär die Interessen ihres Landes wahrzunehmen haben, sind auch ein wichtiges Ziel. Das ist untrennbar mit dieser notwendigen Neuordnung verbunden.
Übrigens, wenn Sie gestatten: Es wird alsbald wieder eine Nagelprobe geben, nämlich bei der Frage, ob wir uns wenigstens zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat darauf verständigen können, dass die Fehlentwicklungen, die in den Wahlkämpfen der Vergangenheit jedenfalls noch unstrittig waren, beispielsweise die Fehlentwicklung bei der Körperschaftsteuer, auch im Interesse der deutschen Länder wieder korrigiert werden. Darauf will ich ausdrücklich hinweisen.
Es sind also der Abbau und die Aufhebung von Mischkompetenzen und Mischfinanzierungen notwendig. Herr Kollege Oettinger hat das zu Recht so dargestellt. Das sehen wir ganz genauso. Nun müssen wir allerdings, lieber Kollege Oettinger, auch einen Gedanken darauf verschwenden, wie ein notwendiges Maß an Einheitlichkeit in den Zielen des Nationalstaats erhalten werden kann. Wir in der Landtagsfraktion der SPD sind ganz überzeugte Anhänger eines Wettbewerbsföderalismus.
Es gibt andere in Deutschland – das muss man verstehen –,
die aufgrund – wie sie finden – schlechterer Standortbedingungen damit Schwierigkeiten haben. Da ist es ganz egal, ob die schwarz oder rot oder wie auch immer regiert werden. Aber ich sage ausdrücklich: Wir brauchen auf Basis einer neuen, klareren Kompetenzabgrenzung anschließend auch einen Wettbewerb unter den Ländern
über die Erreichung gemeinsamer Ziele und Standards. Das ist mir nun allerdings ganz wichtig.
Wettbewerbsföderalismus hat nur dann Sinn, wenn wir uns beispielsweise im Bildungsbereich auch gemeinsame Messlatten setzen. Nach PISA sind wir mehr als genug dazu aufgerufen. Wenn wir sagen, wir wollten Standards, die in Deutschland erreicht werden müssten, dann werden wir die Länder daran messen, mit welchen Mitteln und Methoden sie diese Standards im Wettbewerb erreichen oder nicht erreichen. Das ist die zentrale Frage.
Zu diesen Standards, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört dann nicht nur die Frage – ich sage es anhand eines Beispiels –, wie viele Schüler in welchem Land das Abitur machen, sondern dazu gehört dann ebenso – auch das ist für uns ein Standard – die Frage: Wie viele Kinder, die von ih
rer familiären oder sozialen Situation her geringere Chancen gehabt haben, erreichen denn diesen Bildungsstandard durch die Politik der Länder?
Weil Sie die Umweltpolitik angesprochen haben: Auch da müssen Standards verabredet werden. Dann wollen wir sehen, wer in den Ländern denn mit seinen Möglichkeiten am meisten für das Ziel eines Naturschutzes bewegt hat. Wer hat anhand solcher Zielsetzungen und Qualitätsstandards am meisten für Emissionsverminderung erreicht?
Herr Kollege Oettinger hat eine Liste von autonomen Steuerarten aufgeführt, von denen er sagt, sie sollten in der alleinigen Hoheit der Länder und ihrer Kommunen sein. Wir sehen das ganz genauso. Verantwortung setzt Finanzautonomie voraus; auch Wettbewerb unter den Ländern setzt Finanzautonomie voraus.
Herr Kollege Oettinger, Sie haben eine Steuerart weggelassen,
nämlich die Vermögensteuer. Auch das ist eine bemerkenswerte „saarländische“ Veränderung – ich komme zu dem Beispiel von vorhin zurück –; denn Sie haben – das ist uns ja nicht entgangen – in den Auseinandersetzungen über diese Frage auch mit der sozialdemokratischen Partei durch Ihren Kanzlerkandidaten und viele namhafte Vertreter der Union immer die Auffassung vertreten, dies sei eine Sache der Länder, die Länder sollten dies regeln und die Hoheit für die Einführung der Vermögensteuer haben. Wir sind nach wie vor dieser Auffassung.
Ein kleiner Blick in die Vereinigten Staaten – es ist ja nicht alles schlecht in den USA, bloß weil ihre Regierung eine falsche Politik betreibt – zeigt Ihnen, dass dort die einzelnen Staaten sehr klug mit diesem System der Vermögensteuer umgehen. – Gut, Sie nicken dazu. Dann können wir uns wohl auch darauf noch verständigen.
Und ein Letztes – es war ja nicht möglich, obwohl wir das gerne gehabt hätten, sich schon jetzt darauf zu einigen, liebe Kolleginnen und Kollegen –: All das, was in diesem bemerkenswerten Antrag gesagt wird zur Subsidiarität, zur Vereinbarung von Qualitätsstandards und Zielsetzungen, zur Finanzautonomie, gilt nicht nur im Verhältnis von Bund und Ländern, sondern gilt auch im Verhältnis des Landes zu den Kommunen.
Deswegen: Wenn man gegenüber dem Bund Dinge durchsetzen will, dann muss man natürlich als Landesregierung dieselbe Messlatte im Verhältnis zu den eigenen kommunalen Selbstverwaltungen anlegen –
das sage ich ausdrücklich –, und deswegen ist das ein Punkt, auf den wir in diesem Prozess sehr achten werden. Auch da muss man allerdings Qualitätsstandards setzen, um deren Erfüllung die Kommunen dann konkurrieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sogar der Herr Ministerpräsident selber hat, glaube ich, einmal einen bedeutenden Philosophen hier im Hause zitiert – das ist schon einige Jahre her –, der gesagt hat, es zeige sich nun, dass die Nationalstaaten für die großen Dinge zu klein und für die kleinen Dinge zu groß seien.
Ich denke, das erleben wir aktuell leider wieder sehr bedrückend in Europa. Wenn das wahr ist, dann wäre es in der Tat ein großer Tag und ein großes Jahr, wenn sich die deutschen Länder dafür verbünden würden, dass wir die notwendigen Stärken und Kompetenzen jetzt auf die Europäische Union übertragen, damit sie in selbstbewusster Partnerschaft auch im Verhältnis zu den USA auftreten kann, und gleichzeitig die Regionen Europas und die kommunalen Selbstverwaltungen so stark machen, dass die Aufgabenerfüllung für die Bürgerinnen und Bürger besser wird, als uns das bisher schon gelungen ist.
Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stelle fest, dass die große Regierungsfraktion schon gar nicht mehr zu dem Thema sprechen will. Deswegen bin ich etwas überrascht, sehe mich aber nicht oder nur teilweise in der Lage, die Union hier gleich noch mit zu vertreten. Ich will zu dem Bericht, der uns vorgelegt worden ist und der schon längere Zeit vorliegt und deswegen natürlich zum Teil auch einen überholten Stand reflektiert, zwei kritische Bemerkungen machen.
Die erste ist: Ich habe diesem Bericht entnommen, dass der Ministerpräsident im Konvent der Auffassung ist, dass wesentliche Teile der Migrationspolitik in der Europäischen Union bei den Nationalstaaten verbleiben sollen. Er hat sich da ausdrücklich auf den gesamten Bereich der Aufenthaltsund Arbeitserlaubnisse bezogen. Ich glaube, dass das so nicht gehen wird, sondern dass in Zukunft in der Europäischen Union – so, wie Sie es wollen – mit einer gemeinsamen Außengrenze, auch mit einer gemeinsamen Grenzpolizei – das halten Sie offensichtlich auch für richtig – auch die gesamte Migrationspolitik aus einer Hand gemacht werden muss und diese nicht nationalstaatlich unterschiedlich gehandhabt werden kann, wie sich das offensichtlich der Ministerpräsident noch vorstellt. Die Vorstellung, dass man eine gemeinsame Grenzpolizei und ein gemeinsames Grenzregime hat, aber dann trotzdem im Bereich der Aufenthaltsrechte und der Arbeitserlaubnisse jeder seinen eigenen Stiefel weitermacht, geht mir nicht in den Kopf. Deswegen wollte ich das einmal ausdrücklich ansprechen. Da scheint mir ein gewisser Bruch in Ihrer Argumentation zu liegen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich einen zweiten Punkt benennen. Wenn wir alle – das höre ich ja immer wieder – be
geistert ein Bekenntnis für Europa ablegen, dann sollte sich das, denke ich, auch direkt auf die Praxis der Landesbehörden auswirken. Ich will einen Punkt nennen. Das ist die Art und Weise, wie Baden-Württemberg im Unterschied zu anderen Bundesländern mit dem Wunsch nach der deutschen Staatsbürgerschaft bei EU-Bürgern umgeht. Da stellen wir schon Unterschiede fest, Herr Minister Palmer. Es ist ziemlich absurd, wenn Sie beispielsweise in Baden-Württemberg Bürgerinnen und Bürgern des EU-Staats Griechenland dieselben Auflagen zur Niederlegung ihrer nationalen Staatsbürgerschaft machen wie Bürgerinnen und Bürgern von Ländern, die außerhalb der Europäischen Union liegen. Ich empfinde das als ausgesprochen diskriminierend. Wenn Sie so europabegeistert sind, wie Sie sagen, sollten Sie diese ausländerrechtliche Praxis beenden.
Das waren die zwei kritischen Anmerkungen, die ich machen wollte. Ansonsten gibt es hier im hohen Haus weitgehend Übereinstimmung über die Frage der Stärkung der Länder und Regionen. Ich will nur auf Folgendes hinweisen: Es ist nicht primär eine Frage des Verhältnisses zur Europäischen Union, es ist primär eine Frage des Verhältnisses im föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland. Da werden wir ja gemeinsame Initiativen ergreifen. Ich sehe auch mit Spannung dem Treffen in Lübeck entgegen, das im kommenden Frühjahr stattfinden wird. Ich finde es gut, wenn man den Versuch macht, aus Anlass des europäischen Verfassungsprozesses auch zu einer klareren Aufgabenregelung innerhalb des Bundesstaats Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Europa und der europäische Verfassungsprozess wären ein hervorragender Anlass, Fehlentwicklungen der zurückliegenden Zeit, die von ganz unterschiedlichen Bundesregierungen verschuldet worden sind, zu korrigieren.
Eine der wesentlichen Ursachen von Politikverdrossenheit – das gilt jetzt für alle staatlichen Ebenen einschließlich des bisherigen Tätigwerdens der Kommission beispielsweise in Wettbewerbsfragen – besteht darin, dass wir ein so unübersehbares Ausmaß von Mischkompetenzen zwischen Europa, zwischen den Nationalstaaten, zwischen den Ländern, zwischen den Kommunen, auf allen Ebenen haben, dass im Ergebnis alle für alles zuständig sind, aber keiner mehr für etwas verantwortlich ist, wenn es schief geht. Das ist das Kernproblem der Entwicklung der letzten 40 Jahre.
Wenn wir klug sind, nutzen wir diesen Verfassungsprozess in Europa dazu, um von Europa angefangen über die Nationalstaaten und die ihnen verbleibenden Kompetenzen, über die Länder bis zur Ebene der kommunalen Selbstverwaltung zu versuchen, in einem großen Wurf wieder ein Prinzip einzuführen, das lautet: Es ist klar geregelt, wer für was zuständig ist, wer dafür die Verantwortung trägt und sie auch gegenüber dem Bürger trägt und dafür einsteht, und wer dafür die jeweils erforderliche Finanzhoheit hat – sonst ist das nämlich nicht machbar. Wir bauen Mischfinanzierungen und Mischkompetenzen ab. Wir beenden den Zustand, dass die Bevölkerung nicht exakt weiß, an wen sie ihre berechtigten Forderungen und Anliegen adressieren soll, weil sich im Zweifel alle hinter allen verstecken. Das ist eine der großen Chancen. Das wäre dann auch die richtig verstandene Umsetzung von Subsidiarität. Bisher habe ich den Eindruck, dass es darüber in diesem Parlament ein rela
tiv großes Maß an Einigkeit gibt. Der Wahrheitsgehalt dieser Schwüre wird sich im Prozess erweisen.
Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen meines Vorredners waren in geradezu begnadeter Weise unpolemisch.
Lassen Sie mich doch einmal ausreden! Jetzt wollte ich Herrn Dr. Reinhart gerade loben – ehrlich –, und schon kommt Herr Blenke und ruft dazwischen.
Ihre Ausführungen, Herr Reinhart, waren erstaunlich unpolemisch und phasenweise so weihevoll, dass ich instinktiv auf den Einzug eines Streichorchesters gewartet habe.
Ja.
Es gab ja nur ein oder zwei vorsichtig vorgetragene Passagen. Sie haben es nicht unterlassen können, sich an dem verehrten Herrn Bundeskanzler und an der deutsch-französischen Freundschaft zu reiben.
Ich will Ihnen einmal vorlesen, was der von Ihnen gepriesene Europaminister ausweislich des Berichts über die Beratungen des Ständigen Ausschusses ausgeführt hat:
Hierzu müsse die neue Bundesregierung baldmöglichst Verhandlungen mit Frankreich führen; denn nur dann, wenn auf diesen Gebieten bis Dezember einheitliche Auffassungen erreicht worden seien, könne eine Entscheidung des Europäischen Rats in Kopenhagen erwartet werden, die die Einhaltung des vorgesehenen Zeitplans gewährleiste.
Nun hat Herr Schröder das gemacht, was Herr Palmer wollte. Das ist auch wieder nichts.
Es ist doch völlig klar, dass alles, was Ihnen und uns am Herzen liegt, nur auf der Basis einer Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich funktionieren wird. Für Sie wird kein Geheimnis sein, dass gerade wir Deutschen ein sehr viel stärkeres Interesse daran hatten, eine Agrarpolitik durchzusetzen, die mehr verbraucherorientiert ist, die mehr an ökologischer Qualität orientiert ist – das sage ich ganz offen. Wir haben unsere Bedenken in Teilen zurückgestellt, weil die deutsch-französischen Beziehungen als Voraussetzung für das Gelingen des europäischen Einigungsprozesses von uns höher bewertet worden sind als unsere fachlichen Anliegen. Dies sollten aber gerade Sie nicht kritisieren. Denn Sie sind in ökologischen Fragen ja wesentlich zurückhaltender und, gestützt auf die Bauernverbände, eigentlich immer viel verträglicher gewesen, was die bisherige europäische Agrarpolitik angeht. Sehen Sie es mir nach: Das war Ihre einzige Entgleisung.
Ich finde, die Frage der deutsch-französischen Einigung über das Thema Agrarmarkt wird eigentlich eher von dem berührt, was Sie so zum Besten geben, während wir uns eher ein bisschen verbogen haben – wie gesagt wegen des überragenden Interesses, das wir am Zusammenhalt zwischen Deutschland und Frankreich und am europäischen Prozess insgesamt haben.
Nun will ich mich aber nicht in den weihevollen Sphären – ich glaube, da sind wir uns einig – bezüglich der europäischen Einigungsidee verirren, sondern insbesondere nach der opulenten Parteitagsrede des Kollegen Teufel von heute Morgen, die uns alle erschöpft hat – –
Ich bin von meinem Vorredner deshalb so angenehm überrascht,
weil ich gedacht habe, dass wir jetzt in eine Phase ununterbrochenen Wahlkampfs eintreten. Gott sei Dank scheint Sie diese Phase noch nicht ganz erreicht zu haben.
Nach dieser opulenten Parteitagsrede sollten wir versuchen, über ein paar konkrete Dinge zu sprechen. Die Menschen erwarten von uns angesichts der tiefen ökonomischen Krise nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten westlichen Welt nicht parteipolitisches Gezänk, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern sie erwarten verantwortungsvolle Zusammenarbeit und Ringen um konstruktive Lösungen. Ich finde, dass wir wenigstens bei der Europafrage auf diesem Kurs bleiben sollten.
Sie haben es kurz angetippt: Wir sind in einer entscheidenden Phase, was die Ausarbeitung einer europäischen Ver
fassung angeht. Der Präsident des Konvents hat aus meiner Sicht erstaunlich weit reichende Vorschläge gemacht, was den europäischen Einigungsprozess betrifft. Ich halte dies für eine große Chance. Wir sollten diese große Chance den Menschen in unserem Lande darstellen. Was uns zurzeit im Mehltau von Negativerwartungen in der gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland fehlt, sind positive Visionen, mit denen wir den Menschen signalisieren können, dass es berechtigte Zukunftshoffnungen gibt. Eine der ganz positiven Visionen, die Zukunftshoffnungen auslösen können, ist in der Tat der europäische Einigungsprozess. Es ist völlig klar: Es wird nicht möglich sein, auf der Ebene der alten Nationalstaaten, auch nicht der mittelgroßen Nationalstaaten, in den anarchischen Prozess auf den internationalen Finanzmärkten Regeln einzuziehen.
Es wird auch nicht oder nur sehr begrenzt möglich sein, sich mit nationaler Konjunkturpolitik aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten zu befreien. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame europäische Politik für Wachstum und Beschäftigung. Nur die Europäische Union insgesamt ist in der Lage, eine Finanz- und Wirtschaftspolitik zu formulieren und durchzusetzen, die tatsächlich wieder Wohlstand, Prosperität und auch mehr Sicherheit für die Menschen garantiert. Wir sollten unserer Bevölkerung sagen, dass das Vorantreiben der europäischen Einigungsidee eine der zentralen Voraussetzungen dafür ist, dass es auch mit den einzelnen Nationalstaaten in Europa wirtschaftlich wieder aufwärts geht.
Im Übrigen herrscht auch in Deutschland ein großes Gejammer über die Alleingänge der Vereinigten Staaten und ihr imperiales Gehabe. Ich spreche das ganz offen an. Ich glaube, dass da auch schwere Fehler gemacht werden. Nur: Mit dem Gejammer fange ich nichts an. Das Gejammer müsste in eine positive Antwort münden. Die positive Antwort – das sage ich sehr klar – ist, dass wir die Europäische Union sehr rasch zu einem föderalen Bundesstaat entwickeln müssen, der über ein eigenes Konzept der Außen- und Sicherheitspolitik verfügt, der eine europäische Armee aufbaut, der ein europäisches Grenzregime hat, der eine europäische Grenzpolizei hat und der als ein Block auch in den internationalen Organen auftritt.
Die Zukunft des Nordatlantischen Verteidigungspakts, nachdem der große, böse Feind Warschauer Pakt weggefallen ist, kann nur eine Zukunft der gleichberechtigten Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten sein. Das ist die konstruktive Antwort, anstatt sich wehleidig zurückzuziehen und zu sagen: „Das ist alles ganz schlimm, was die Amerikaner da treiben.“ Das ist zum Teil auch schlimm. Die Antwort muss sein: Europa muss auch außenpolitisch und militärisch so selbstbewusst in seinen Kräften sein können, dass es als gleichberechtigter Partner auftreten kann. Das ist die Antwort, die wir dieser internationalen Situation schulden, die wir heute so sehr beklagen.
Ich finde es richtig, lieber Kollege, dass Sie und auch der ehrenwerte Herr Ministerpräsident immer wieder betonen, wie wichtig es angesichts des europäischen Verfassungsprozesses sei, den föderativen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten. Aber das darf nicht die ausschließliche Botschaft sein, die von uns ausgeht. Vor allem ist es eine Botschaft, die, denke ich, immer so abwartendskeptisch wahrgenommen wird. Wenn ich die Diskussion höre, auch die entsprechenden Beiträge des Ministerpräsidenten, habe ich immer das Gefühl, man hat eigentlich Angst vor diesem europäischen Einigungsprozess. Man ist ängstlich darauf bedacht, keine Kompetenzen zusätzlich abgeben zu müssen. Man ist ängstlich darauf bedacht, sich irgendwelche Klagerechte zu sichern.
Ich sehe das völlig anders. Ich sage Ihnen – da haben wir ja vielleicht eine gemeinsame Meinung –, wenn es eine Chance gibt, den Fehlentwicklungsprozess im deutschen Bundesstaat mit einer immer stärkeren Verlagerung auf den Bund und einer Auflösung von Kompetenzen der Länder zu korrigieren, dann gibt es diese Chance genau jetzt, genau im Zusammenhang mit diesem Prozess der Ausarbeitung einer europäischen Verfassung. Jetzt ist der Moment, in dem die Zuständigkeiten neu überdacht werden müssen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt Tempo und Druck machen – wir werden ja auch einen interfraktionellen Antrag haben –, um zu einer Neubefestigung des föderativen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland im Zuge dieses europäischen Einigungsprozesses zu kommen. Da können wir in der Tat eine riesengroße Koalition schließen – das ist mein Eindruck, das deutet sich auch an –, aber, wie gesagt, nicht aus Angst vor Brüssel, sondern aus der Erkenntnis, dass der Verfassungsprozess in Europa die Voraussetzung und die Chance dafür ist, dass wir das, was an Fehlentwicklungen in Deutschland stattgefunden hat, auch wieder korrigieren werden.
Um es unter Bezug auf die aktuelle Finanzdebatte konkret zu machen, lieber Kollege: Ich habe ein Interview des Herrn Landtagspräsidenten gelesen. Der Tenor war: „Am besten wäre es, wir hätten wieder autonome Steuern für die Länder.“
Ein kühnes Wort! Das unterschreibe ich. Nun frage ich Sie einmal: Wie wäre es denn, wenn Sie den Vorschlag anderer Länder zur Wiedereinführung der Vermögensteuer und das Thema Erbschaftsteuer zum Gegenstand der Länderautonomie machen würden?
Ich mache Ihnen einmal diesen Vorschlag. Wenn es denn so wichtig ist – das finde ich auch –, wieder zunehmend eine eigene Steuerhoheit der Länder zu begründen, um den föderativen Aufbau zu stärken, dann lassen Sie uns doch die Vorschläge, die jetzt gemacht werden, so aufgreifen, dass wir sagen: Die Kompetenz zur Erhebung und Festsetzung von Vermögen- und Erbschaftsteuer geht ausschließlich an die Länder.
Dann ist es ja prima, dann haben wir an dieser Stelle einen interessanten Einigungsprozess erreicht.
Ich weiß nicht, ob es bei Ihnen zentralistische Denkverbote gibt. Bei uns gibt es keine zentralistischen Denkverbote. Deswegen sage ich Ihnen ausdrücklich: Wir sind in einer wirtschaftlichen Situation, in der es nicht denkbar ist, die Arbeitnehmereinkommen steuerlich stärker zu belasten. Es ist nicht denkbar, Leistung insgesamt steuerlich stärker zu belasten. Wir müssen alle, die leistungsbereit sind –
das gilt über die ganze Gesellschaft hinweg –, steuerlich entlasten und dürfen sie nicht belasten.
Aber es ist ja nun so, werter Herr Kollege, dass die Einkommens- und vor allem die Vermögensentwicklung in der Gesellschaft in Deutschland, wie übrigens auch in Amerika, in Frankreich und in England, außerordentlich auseinander gedriftet ist. Deswegen: Wenn der Staat nun einmal mit den gegenwärtigen finanziellen Schwierigkeiten zu ringen hat, kann die Antwort sicherlich nicht darin bestehen, den Faktor Arbeit hoch zu belasten.
Sie kann auch nicht darin bestehen, unternehmerische Initiative zu belasten,
wohl aber in der Belastung dieser völlig auseinander entwickelten Vermögenssubstanz.
Eine kleine Zwischenbemerkung: Das Geld, werte Frau Fauser, das die kleinen Leute an den Börsen verloren haben, zum Teil auch auf Ratschläge diverser Nachrichtenorgane und Sender hin, ist ja nicht verbrannt. Das können Sie besichtigen: in den Jachthäfen dieser Welt und in diversen anderen Bauten. Das ist nicht verloren gegangen.
Nix Klassenkampf!
Lieber Gott, sind Sie auch in einem Jachthafen zu finden?
Haben Sie da ein persönliches Problem?
Deswegen sage ich Ihnen: Gerade wenn Sie die Finanzen von Ländern und Kommunen wieder stärken wollen und auf der anderen Seite Leistung nicht bestrafen wollen, ist das eigentlich der richtige Weg.
In der Tat, wunderbar: Dann treten wir – wie Sie sagen – in eine interessante Konkurrenz ein, dann können die Länder selbst entscheiden,
was sie zur Sicherung ihrer Bildungsanstrengungen benötigen. Da liegt ja unser eigentliches Problem. Die Europäische Union geht das übrigens an und macht im Moment im Bildungs- und Kulturbereich die engagiertesten Programme, mit zunehmenden Ausgaben und Investitionen. Da liegt unser entscheidendes Problem. Es darf nicht sein, dass die Misere der öffentlichen Haushalte in Europa dazu führt, dass das einzige, worauf wir in der Europäischen Union unseren Wohlstand in Zukunft gründen können, nämlich Innovationsfähigkeit, Kreativität der Menschen und hoher Bildungsstandard, jetzt auch beschädigt wird.
Mein Vorschlag: Es ist mehr als gerecht, dass diejenigen, die in den letzten zehn Jahren von der sich extrem auseinander entwickelnden Vermögensverteilung profitiert haben, ihren Beitrag – und zwar bei Steuerautonomie der Länder – dazu leisten, dass diese Innovations- und Bildungsanstrengungen in Deutschland wieder unternommen werden.
Aber ich halte Ihre Zustimmung ausdrücklich fest. Wir können uns bei diesem Vorschlag also verständigen. Das finde ich sehr positiv. Wenn Sie und wir das in Ihren und unseren Gremien weitertragen, können wir an dieser Stelle etwas erreichen. Denn eine Stärkung des Föderalismus im Zuge des europäischen Einigungsprozesses wird es nur dann geben, wenn das Substanz hat. Auf weihevolle Präsidentenerklärungen gebe ich da nichts. Es wird nur etwas werden, wenn wir die Mischfinanzierungen entflechten.
Ich sage Ihnen auch die Stichworte. Das ist gar nicht so einfach, auch nicht für das Land Baden-Württemberg: Agrarund Küstenschutz
ist beispielsweise ein solches Stichwort. Wenn wir das wieder entflechten und an die Länder geben, wenn wir eine Steuerautonomie der Länder begründen, wenn wir diesen Weg gehen und substanzielle Entscheidungen treffen, wird es zu einer Stärkung des föderativen Aufbaus kommen. Dann bin ich in der Tat sehr wohl für einen Wettbewerb der Länder. Das wird uns weiterbringen. Aber es muss dann natürlich auch – das sage ich zum Schluss – Kriterien für die Frage geben, wer in diesem Wettbewerb am besten abschneidet, gerade am Beispiel der Bildungspolitik.
Gerade für einen Wettbewerb brauchen Sie Zielvorgaben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie brauchen Standards, an denen man sich messen lassen muss. Das gilt zum Beispiel für Bildungsstandards. Wir brauchen in ganz Deutschland einheitliche Bildungsstandards. Sie müssen sehr wohl für die ganze Nation verabredet werden,
damit man sich daran messen kann.
Nennen Sie nicht Bremen!
Das bringt mich auf einen Gedanken. Früher hat der ehrenwerte Herr Ministerpräsident immer wilde Reden für eine Länderneuordnung gehalten.
Da hat er immer über Bremen und das Saarland geredet.
Seitdem ihr dort aber am Regieren seid, höre ich da gar nichts mehr von ihm. Die bevorstehende Annektierung des Saarlands war nur en vogue, solange dort Lafontaine Ministerpräsident war.
Seitdem höre ich nichts mehr von der dringend notwendigen Länderneuordnung, wie ich das früher immer von Ihnen gehört habe. Sprechen Sie also nicht über Bremen und das Saarland. Bremen ist jetzt zum Teil Ihr Problem, und das Saarland ist ganz Ihr Problem. Schweigen Sie stille! Es geht um etwas anderes. Es geht um einen Wettbewerb unter den Ländern und um mehr Autonomie für die Länder, aber um einen Wettbewerb, der sich an Standards bemisst.
Das gilt übrigens nicht nur für das Abitur, sondern das gilt beispielsweise auch für Betreuungsangebote.