Andrea Ypsilanti
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde es einen ganz interessanten Vorgang, dass sich der geschäftsführende Ministerpräsident zu diesem Punkt heute noch einmal zu Wort gemeldet hat. Ich denke, das liegt daran, Herr Ministerpräsident, dass Sie heute etwas vortragen wollten, was Ihr Innenminister nie vorgetragen hätte.
Ich denke, Sie wollten Ihrem Innenminister an dieser Stelle einen Wortbruch ersparen.
Den Vorschlag der GRÜNEN kann man nachvollziehen. Man kann sich entscheiden, ob man ihn teilt oder nicht teilt. Wir haben vorgetragen, dass wir ihn an dieser Stelle in dieser Situation nicht teilen. Herr Koch, Ihnen nehme ich es aber nicht ab, dass es Ihnen an dieser Stelle um den Haushalt und um die Sache geht, denn um den Haushalt ist es Ihnen in den letzten neun Jahren nie gegangen – so, wie er jetzt aussieht.
Ihnen und der CDU-Fraktion geht es allenfalls darum, hier noch einmal zu beweisen, dass man auch eine Jamaikakoalition eingehen kann. Das ist das einzige Ansinnen Ihres Vortrags.
Ich sage noch etwas zu dem Vorschlag der GRÜNEN.Tarek, es trifft zu, dass wir in der Vergangenheit Gehaltserhöhungen für die Beamten später nachvollzogen haben. Wir haben aber klar gesagt, dass wir das diesmal nicht machen. Warum nicht? – Diese Landesregierung hat im Wahlkampf gesagt, es werde keine Sonderopfer für Beamte geben. Genau das hat sie aber gemacht. Die Beamten sind in der „Operation düstere Zukunft“ rasiert worden. Wir haben es alle schon oft gehört: Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld gekürzt, Arbeitszeit verlängert. Wir träfen an dieser Stelle alle, die die 42-Stunden-Woche schon eine lange Zeit mitgetragen haben,
unter anderem die Polizisten und die Lehrer, die im Moment wirklich einen guten Job machen und die wir nicht doppelt bestrafen wollen. Deshalb noch einmal:Auch wir nehmen die Problemlage des Haushalts wahr. Wir nehmen sie auch ernst.Auch wir sagen, wir müssen mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt haben. Aber in dieser Frage haben wir heute mit euch einen Dissens, Genossen – Kolleginnen und Kollegen.
Wenn man sich die Haushaltslage ansieht: Was heißt das denn?
Ich habe die Übersprungshandlung schon verstanden.
Es gibt überhaupt keinen Dissens, wenn es darum geht, die Haushaltslage sehr ernst zu nehmen. Aber was heißt das? Wenn wir im den nächsten Jahren eine noch schwierigere Haushaltslage haben, sollen wir dann mit der Besoldung der Beamtinnen und Beamten noch ganz anders umgehen? Wir können doch die Besoldung der Beamten nicht von der Haushaltslage abhängig machen und nach Gutdünken entscheiden, Kolleginnen und Kollegen.
Das können wir nicht machen. Deshalb an dieser Stelle noch einmal: kein doppeltes Sonderopfer für Beamtinnen und Beamte. Wir werden das Thema heute noch einmal beim Thema Sparkasse haben; davon gehe ich aus. Tarek Al-Wazir, du hast jetzt nicht das vorgetragen, was der Ministerpräsident gerne gehört hätte, nämlich dass es nicht nur um die Besoldung und nicht nur um den Haushalt, sondern um eine ganz neue politische Orientierung deiner Fraktion geht. Das hast du nicht gesagt, aber darauf wird seitens der CDU gewartet. Davon wird deren Abstimmungsverhalten abhängig gemacht werden. Ich kann nur sagen: Offensichtlich ist es so, dass die CDU an vielen Stellen Grundsätzliches über Bord wirft, um wirklich jeden Strohhalm zu fassen, der vielleicht doch noch in Richtung Jamaikakoalition zeigen könnte.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als ich die Überschrift der Aktuellen Stunde von der CDU gelesen habe – „Amt des Bundespräsidenten nicht zum Spielball parteipolitischer Interessen machen“ –, habe ich mich eigentlich über den feinsinnigen Humor gewundert, den Sie heute auf die Tagesordnung gebracht haben. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.
Sie wollen die Debatte um den Bundespräsidenten aus parteitaktischen Spielchen herauslassen, beantragen eine Aktuelle Stunde und bringen ihn damit gerade in den Parteienstreit hinein.
Ich habe mir überlegt, ob das jetzt eine besondere Art von Dialektik ist oder einfach nur Heuchelei. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich entscheide mich für das Zweite.
Von was reden Sie eigentlich? – Wir erinnern uns alle noch an die legendäre SMS, die hieß: Köhler ist raus.
Sie haben damals die Wahl zum Bundespräsidenten nicht nur parteipolitisch instrumentalisiert, Sie haben auch innerparteiliche Spielchen innerhalb Ihrer Truppe gemacht. Sie wollten Frau Merkel damals damit schaden.
Gucken Sie einmal in den Spiegel, bevor Sie eine solche Aktuelle Stunde beantragen.
Es ist für die SPD als große Volkspartei eine Selbstverständlichkeit, eine eigene Kandidatin zur Wahl zu stellen,
insbesondere eine so herausragende Persönlichkeit wie Gesine Schwan.Wir sind stolz darauf.
Herr Müller, Sie haben recht, wenn Sie sagen, Herr Beck habe gesagt, Herr Köhler sei ein guter Präsident.
Wir haben überhaupt keinen Anlass, über den Bundespräsidenten oder über die Amtsführung ein schlechtes Wort zu verlieren.Wenn aber unsere Zurückhaltung dafür missbraucht wird, dass Herr Koch sich dafür hergibt, gerade in Bezug auf Gesine Schwan zu polarisieren, dann ist das schädlich.
Sie missbrauchen im Moment die Kandidatur von Gesine Schwan für parteitaktische Spielchen. Ich wage mir nicht auszudenken, was Sie plakatieren würden, wenn Herr Beck und Gesine Schwan ausländische Namen hätten, um das auch einmal klar zu sagen. Die CDU ist noch die CDU, und Koch ist noch Koch.
Meine Damen und Herren, Gesine Schwan kann eine ganz beeindruckende Biografie vorweisen. Sie war vor der letzten Wahl in der hessischen SPD-Fraktion zu Gast und hat sich vorgestellt.Wir waren beeindruckt von ihr als Person, wir waren beeindruckt von ihrer Offenheit, wir waren beeindruckt von ihrem klaren Denken, ihren klaren Wertvorstellungen und auch von ihrem Humor, wenn ich das einmal sagen darf.
Sie steht als Präsidentin der Europa-Universität Viadrina wie keine andere Person für die Versöhnung zwischen Deutschland und Polen. Frau Schwan stammt von einer Familie ab, die in Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten stand. Die Grausamkeit des Nationalsozialismus hat sie genauso geprägt wie die menschenrechtsverachtenden Erfahrungen aus der DDR. Aus diesem Grund ist sie mit Vehemenz und ohne jegliche Nachsicht im Umgang mit dem Unrechtsregime und heute mit der Linkspartei.
Gesine Schwans großes Anliegen ist, für das Gemeinwohl in diesem Land eine Bahn zu brechen. Gesine Schwans großes Anliegen ist, mit einer klaren Wertvorstellung für das Gemeinwohl gegen Politikverdrossenheit und gegen Demokratieverdrossenheit anzukämpfen.
Meine Damen und Herren, gerade wir Parlamentarier sollten stolz auf eine Person wie Gesine Schwan sein, die es sich nicht einfach macht, in Politikschelte aufzubrechen, sondern für Demokratie zu werben.
Sie ist ein Gewinn für uns alle.
Gesine Schwan ist ein ganz kritischer Geist. Sie hat uns auch in der eigenen Partei oft auf die Füße getreten. Ich erinnere einmal an die Ostpolitik von Willy Brandt. Da war ihre Position sehr kritisch.Sie ist auch heute noch eine sehr kritische Person, wenn wir beispielsweise sehen, wie sie sich im „Spiegel“ mit der Partei DIE LINKE auseinandergesetzt hat, obwohl sie um ihre Stimmen wirbt.
Das ist für mich ein Zeichen von Größe. Sie nimmt die Freiheit des Geistes für sich in Anspruch. Das ist gut für eine Wahl zur Bundespräsidentin.
Meine Damen und Herren, es zeigt, wie kleinlich Sie sind, wenn Sie glauben, da würden Weichen für die nächste Bundestagswahl gestellt.
Die Bundesversammlung ist frei; da werden keine Koalitionen geschmiedet. In der Bundesversammlung wird um jede Stimme geworben; genau das machen wir.
Wir werden Sie nicht um Erlaubnis fragen, eine eigene Kandidatin zu nominieren. Ich bin davon überzeugt, dass Gesine Schwan mit ihrem klaren Wertgefüge und ihrem Eintritt für Demokratie und das Gemeinwohl eine herausragende Bundespräsidentin sein wird. Ich bin sehr stolz, dass wir sie nominiert haben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich schon gefragt, welches Kaninchen die Landesregierung noch aus dem Hut zaubert
ja, natürlich –, nachdem die Plenardebatte der letzten Tage Ihnen,das konnte man Ihnen ansehen,nicht wirklich gefallen hat. Ihnen hat nicht gefallen, dass Sie auf Druck, den wir mit der TdL gemacht haben, in Tarifverhandlungen eintreten mussten.
Ihnen hat nicht gefallen, dass wir im Schulgesetz Sachen verabschiedet hatten, die Sie so nicht wollten. Und Ihnen hat natürlich überhaupt nicht gefallen, dass wir das Studienbeitragsgesetz so verabschiedet haben. Ich frage mich schon: Ihre Ministerin hat vorgestern zu diesem Gesetz geredet.Warum hat Ihre Ministerin vorgestern nicht Ihre Bedenken eingebracht?
Wir hatten viele Beratungen im Plenum, in den Ausschüssen. Wenn Sie das Gefühl hatten, dass Sie das im Endeffekt nicht unterzeichnen können, warum haben Sie in den vielen Beratungen, die wir in der Zeit hatten, nicht eingegriffen?
Nichtsdestotrotz, wenn Sie heute konstatieren, dass Sie das Gesetz nicht unterzeichnen werden, werden wir jetzt erneut in die Beratung eintreten. Wir werden dann schauen, ob wir vor der Sommerpause noch eine Sondersitzung machen können; denn was wir im Endeffekt wollen, ist, dass die Studentinnen und Studenten im Wintersemester keine Studiengebühren bezahlen müssen.
Trotzdem muss ich Ihnen sagen, nach so vielen Beratungen, nachdem wir vorgestern noch einmal die Möglichkeit hatten, eine dritte Lesung anzuberaumen, wundern wir uns schon, dass das heute zum Ende der drei Plenartage aufgerufen wurde.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben einen Aufschwung in diesem Land. Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, und die Wirtschaft wächst. Politik hat auch die Aufgabe, denen einen Anteil am Aufschwung zu gewähren, die diesen Aufschwung mit erarbeitet haben, die den Gürtel die ganze Zeit enger geschnallt haben und die jetzt davon bedroht sind, in prekären Arbeitsverhältnissen zu landen.
Unser Ziel bleibt die Vollbeschäftigung.Unser Ziel bleibt, gute Arbeitsverhältnisse zu schaffen.Wer den ganzen Tag arbeiten muss, der soll von dem, was er verdient, leben können.
Diesen gesellschaftlichen Auftrag nehmen die CDU und die geschäftsführende Landesregierung nicht wahr. Sie verweigern sich immer noch der Einführung gesetzlicher Mindestlöhne. Stattdessen werden tarifvertragliche Regelungen empfohlen. Wie Sie mit tarifvertraglichen Regelungen umgehen, haben wir im letzten Jahr erfahren. Sie haben den Gewerkschaften jahrelang verweigert, Tarifverträge auf Augenhöhe zu verhandeln. Sie haben nach Gutsherrenart per Gesetz über die Höhe der Entlohnung entschieden. Sie haben sich erst jetzt und erst unter dem Druck einer anderen parlamentarischen Mehrheit dazu aufraffen können, Tarifverträge für die Angestellten im öffentlichen Dienst abzuschließen. Meine Damen und Herren von der CDU und von der geschäftsführenden Landesregierung, gehen Sie aber davon aus, dass die Angestellten dieses Landes genau das sehr wohl zur Kenntnis genommen haben.
Wir freuen uns natürlich über diese Lohnerhöhung, aber die Weigerung der geschäftsführenden Landesregierung, trotz eines Beschlusses des Landtags in die Tarifgemeinschaft der Länder einzutreten, macht deutlich, dass für die CDU Tarifverträge keine Bausteine unserer sozialen Ordnung sind.
Die Wendigkeit der geschäftsführenden Landesregierung, die wir auch hier immer öfter vor Augen geführt bekommen, zeigt sich natürlich in allen Richtungen. Wenn wir die Energiepolitik betrachten, dann warten wir jeden Tag darauf, dass der Ministerpräsident mit Turnschuhen hier ins Parlament kommt.
Aber es gibt auch die Kehrseite der Medaille.
Wenn Sie irgendwann so öko sind, dass Sie wissen, was ein Flotzmaul ist, dann reden wir wieder darüber.
Die Kehrseite der Medaille konnten wir in der vorletzten Woche im Bundesrat miterleben. Wir erinnern uns, dass die Landesregierung jahrelang eine Verweigerungshaltung zeigte, was die Frage der Tariftreue anging. Dann haben wir erlebt, dass im Wahlkampfjahr kurzfristig doch ein Gesetz zur Tariftreue vorgelegt wurde. Sogar die Gewerkschaften waren überrascht. Die Landesregierung hat aber die erstbeste Gelegenheit ergriffen, dieses Gesetz durch die Hintertür wieder abzuschaffen. Meine Damen und Herren von der CDU, das ist keine nachhaltige Politik.
Wie sollen wir es sonst verstehen, dass die geschäftsführende Landesregierung die Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz abgelehnt hat, die bestehenden Regeln zur Tariftreue in den Ländern, also auch die hessischen, europafest zu machen? Sie nehmen damit in Kauf, dass auch künftig auf hessischen Baustellen Dumpinglöhne gezahlt werden und dass die Tariftreue der Unternehmen dabei auf der Strecke bleibt.Auf ein kurzfristiges sozialpolitisches Wahlkampfhoch folgt also das gewohnte Gerechtigkeitstief der CDU.
So geht man eben nicht mit der Würde der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um. Sie von der CDU nehmen übrigens auch Ihre Verantwortung gegenüber den Unternehmen nicht wahr, die keine Dumpinglöhne bezahlen wollen, die aber, wenn es kein Tariftreuegesetz gibt,Angst haben müssen, im Vergleich mit anderen Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein.
Wir unterstützen den Abschluss starker Tarifverträge, die einen gerechten Lohn, einen gerechten Anteil an dem Erwirtschafteten festschreiben. Wir wissen mittlerweile, wie die Realität aussieht.Die Realität darf man hier nicht ausblenden. Wir wissen, dass es mittlerweile tarifvertraglich festgelegte Löhne gibt, die eben nicht leisten, was sie leisten sollen, dass nämlich die Menschen, die den ganzen Tag arbeiten, von ihrem Lohn leben können. Die Realität ist, dass heute Dumpinglöhne für Tätigkeiten gezahlt werden, die eigentlich als ordentliche Arbeit gelten. Wir wissen auch, dass das nicht nur niedrig Qualifizierte, sondern mittlerweile auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trifft, die eine gute Ausbildung haben. Die machen inzwischen 60 % der Betroffenen aus.
Die Billiglöhne haben mittlerweile auch Tätigkeitsfelder wie z. B. das Fahren von Linienbussen oder Montagearbeiten erreicht. Realität ist, dass sich die Niedriglöhne immer weiter ausbreiten. Realität ist auch, dass wir mittlerweile 783.000 Beschäftigte in Hessen haben, die zwar vollzeiterwerbstätig sind, aber ein Einkommen haben, das nicht zum Leben ausreicht, und die deshalb Transferleistungen vom Staat erhalten. Meine Damen und Herren, wahr ist auch, dass ein Viertel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor arbeitet. Darauf muss die Politik eine Antwort geben.
Herr Boddenberg, die Antwort, die Sie nach wie vor geben, reicht uns nicht aus. Ihre Antwort ist, dass diejenigen, die von ihrer Erwerbsarbeit nicht leben können, eben Transferleistungen vom Staat erhalten müssen.Wir sagen, dass die Staatskassen nicht dazu da sind, Dumpinglöhne zu subventionieren.
Um auch das klarzustellen: Wer den ganzen Tag arbeitet, muss nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie von dem Lohn für diese Arbeit ernähren können. Es geht nicht nur um Essen und Trinken, sondern übrigens auch um die Teilhabe arbeitender Menschen am sozialen und kulturellen Leben in diesem Land.
Deshalb brauchen wir Regeln. Wir brauchen Regeln, damit die Gesellschaft in diesem Teil zusammenbleiben kann. Wir brauchen Regeln, die dafür sorgen, dass sich nicht die einen auf Kosten der anderen bereichern. Wir brauchen auch verbindliche Regeln dafür, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Unsere Antwort ist: Dort, wo es Tarifparteien gibt, die Löhne und Mindestlöhne aushandeln, sollen diese Vorrang haben.Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, die Initiative zur Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu unterstützen.Aber dort, wo das nicht möglich ist, müssen wir über gesetzliche Mindestlöhne reden.
Vordringlich und vorrangig gilt das mittlerweile für die Leiharbeitsbranche. Meine Damen und Herren von der CDU, auch da setzen Sie sich noch heftig zur Wehr. Wir nehmen zur Kenntnis – das müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen –,dass die Leiharbeitsfirmen,die ihre Mitarbeiter ordentlich entlohnen möchten, einen gesetzlichen Mindestlohn haben wollen. Die wehren sich überhaupt nicht dagegen. Das sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen.
Der Standort Hessen ist auf gute, auf hochwertige Arbeit von gut motivierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angewiesen. Aber ein Hochleistungsland muss meines Erachtens auch ein Hochlohnland sein. Ansonsten verspielen wir auch an dieser Stelle ein Stück unserer Zukunft.
Wir müssen uns der Leiharbeit zuwenden, weil sie mittlerweile leider ein Instrument zur Einführung von Dumpinglöhnen geworden ist.Wir haben in den letzten Jahren eine Zunahme der Leiharbeitsverhältnisse um 60 % feststellen können – mit steigender Tendenz.
Die Leiharbeit hatte einmal einen anderen Sinn. Die Leiharbeit diente den Unternehmen dazu, ihre Auftrags
spitzen abzuarbeiten. Die Leiharbeit hatte auch den Sinn, Langzeitarbeitslose an feste Arbeit heranzuführen.
Was ist passiert? Kleine Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten nutzen die Leiharbeit so gut wie gar nicht. Aber in der Hälfte der Großunternehmen mit mehr als 5.000 Angestellten kommt Leiharbeit vor. Da die Großbetriebe bei der Abarbeitung ihrer Auftragsspitzen mit vielen Mitarbeitern viel flexibler sind, liegt die Annahme nahe, dass die Leiharbeit nicht so sehr zur Flexibilisierung der Arbeit eingesetzt wird, sondern eher zur Lohnsenkung dient.Das haben übrigens auch Untersuchungen des DGB ergeben.
Das gilt auch für den individuellen Klebeeffekt von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die als Leiharbeitnehmerinnen bzw. -arbeitnehmer eingestellt worden sind. Die Hälfte der Betriebe – nur die Hälfte – übernimmt gerade einmal 5 % der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer.
Ich glaube, die Leiharbeit, wie sie heute gehandhabt wird, ist eine Möglichkeit, durch die Hintertür Billiglöhne in Branchen einzuführen, die eigentlich noch gute, tarifvertraglich abgesicherte Arbeitsverhältnisse haben. Durch die zunehmende Umwandlung von normalen Arbeitsverhältnissen in Leiharbeitsverhältnisse wächst natürlich auch der Druck auf die Stammbelegschaften. Wir wissen, dass schon viele Stammbelegschaften durch Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer ausgetauscht worden sind.
Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu ergreifen,die drei Punkte beinhalten muss:Erstens.Nach einer Einarbeitungszeit muss es in einem Betrieb für Leiharbeitnehmer und Stammbelegschaft den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit geben.
Zweitens. Die maximale Verleihzeit und der prozentuale Anteil an der Gesamtbelegschaft müssen begrenzt werden.
Drittens. Die Leiharbeitsbranche muss in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden.
Die Leiharbeiter brauchen Schutz. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen Schutz. Die Unternehmen, die die Arbeit ihrer Mitarbeiter gut bezahlen wollen, brauchen Schutz. Natürlich brauchen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Schutz vor Billig- und Dumpinglöhnen. Deshalb bleibt dieser Punkt auf der Tagesordnung. Dieses Land hat nämlich nicht nur eine Verantwortung für die hessischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern es hat auch eine Verantwortung gegenüber dem Bund.
Daraus werden wir Sie nicht entlassen. Sie suchen offensichtlich nach einem neuen christdemokratischen Programm. Ich kann Ihnen nur empfehlen, auf die CDA zu hören, die genau diesen Vorschlag der Einführung von Mindestlöhnen macht.Wir bleiben dabei:
Wir werden hier immer wieder darüber reden.
Beruhigen Sie sich doch. Herr Boddenberg hat mich etwas gefragt, und Herr Boddenberg soll eine Antwort darauf bekommen.
Herr Boddenberg, ich gehöre zu den Parteimitgliedern, von denen Sie erwarten können, dass sie klar Stellung beziehen,wenn etwas nicht richtig läuft.Natürlich habe auch ich Kritik an der Agenda 2010 geübt. Ich glaube z. B., dass die damals festgelegten Regelsätze heute zu niedrig sind und dass wir viel früher hätten nachsteuern müssen.
Ich sage Ihnen auch, dass bei der Gesetzgebung zur Leiharbeit Probleme bestehen, weil sich die Leiharbeit in eine Richtung entwickelt hat, die wir heute aus sozialpolitischen Gründen nicht mehr mittragen können.
Sie und Ihre Ministerin haben hier aber nichts anderes getan, als zu versuchen, darüber hinwegzutäuschen, dass Sie sich im Bundesrat ganz schäbig verhalten haben.
Sie haben zur Tariftreue vor der Wahl noch schnell ein Gesetz gemacht. Bei der ersten Möglichkeit, die sich geboten hat, haben Sie im Bundesrat aber dafür gesorgt, dass dieses Gesetz nicht mehr zur Anwendung kommen kann, weil Sie verhindert haben,dass es europatauglich gemacht wird. Diese Diskussion haben Sie heute mit einer ganz anderen Diskussion hinwegzuwischen versucht.
Sie sind nicht darauf eingegangen, haben keine Stellung bezogen. Ich sage Ihnen, das werden sich die Menschen merken. Sie haben in diesem Bereich nichts dazugelernt,
und deshalb denke ich, dass das Wahlergebnis vom 27. Januar auch heute noch stimmt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister Bouffier,Sie haben es schon gesagt.Wir haben in den letzten Wochen hier wirklich sehr heftige Diskussionen um den Eintritt Hessens in die TdL geführt. Ich kann mich an die letzte Debatte erinnern, als es nicht genug war, dass Sie dazu gesprochen haben, sondern dass als Chef noch einmal in den Ring musste, um die ganze Chose zu erklären, warum die Weigerung so richtig war, die Sie uns hier vorgetragen haben.
Heute stelle ich fest, dass die Landesregierung ihre absolute Blockadehaltung nicht so ganz aufrechterhält. Aber ich sage auch: Der Eintritt des Landes Hessen in die Tarifgemeinschaft der Länder ist damit nicht vom Tisch.
Ich kann Ihren Applaus verstehen, wenn man am 27. Januar so eine Klatsche wie Sie gefangen hat, dass man sich dann freut, wenn man den Angestellten dieses Landes wieder etwas Nettes sagen kann,
nachdem sie jahrelang von Ihnen nichts gehört haben. Aber klar ist doch auch, dass das nicht auf Vernunft und Einsicht basiert, sondern dass es die neuen Mehrheitsverhältnisse in diesem Landtag waren, die Sie unter Druck gesetzt haben, so etwas zu machen.
Wir freuen uns natürlich schon, dass die Angestellten dieses Landes nicht mehr ihren Kollegen in anderen Ländern nachstehen und ein Stück an den Entwicklungen beteiligt werden.
Aber ich sage auch: Es ist ein richtiger Schritt Hessens auf einem weiteren Weg zu sozialer Gerechtigkeit.Den haben Sie nicht zu verantworten, sondern uns zu verdanken, meine Damen und Herren.
Es ist gut, dass ein Ende des Tarifdiktats stattgefunden hat.„Ein Ende des Tarifdiktats“ heißt,dass nicht mehr per Gesetz vorgeschrieben wird, was die Gehaltsentwicklung der Angestellten ist, sondern dass dieser Abschluss zwischen den Tarifvertragsparteien auf Augenhöhe stattgefunden hat und ausgehandelt wurde. Ich stelle auch fest: Was ist eigentlich aus der Diskussion um die Horrorzahlen geworden, die Sie uns im letzten Plenum um die Ohren gehauen haben?
Wenn ich heute Ihre Zahlen lese, stelle ich fest:Wir haben gut gerechnet. Wir haben genau dargelegt, was es kostet. Das ist heute Ihre Bestätigung.
Was immer wir hier einbringen – immer müssen wir jeden Cent der Neuausgaben belegen. Sie aber sind uns heute eine Antwort darauf schuldig geblieben, woher Sie das Geld für diese Tariferhöhung nehmen wollen. Das möchten wir von Ihnen schon noch gerne hören.
Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Der Eintritt in die Tarifgemeinschaft der Länder bleibt auf der Tagesordnung. Das bleibt unsere Forderung.Wie ich gesehen habe, bleibt das auch die Forderung der Gewerkschaften.
Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass Sie das Thema Arbeitszeit nicht verhandelt haben. Das wäre in der TdL auch leichter gewesen.
Übrigens habe ich mit großem Interesse gelesen, dass die Länderkollegen, auch Ihre Länderkollegen, dies sehr begrüßt hätten.
Die Tarifgemeinschaft der Länder wäre durchaus bereit gewesen, das eine oder das andere mit Ihnen zu verhandeln.
Meine Damen und Herren, klar ist auch: Das Beamtenrecht folgt dem Tarifrecht.Auch das haben Sie in der letzten Woche noch vehement in Abrede gestellt.Wir warten darauf, dass Sie dazu einen Gesetzentwurf vorlegen. Den werden wir hier sicher zustimmend beraten.
Zusammenfassend: Das ist ein Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit, der uns zu verdanken ist, der neuen Mehrheit in diesem Land. Die weitere Debatte warten wir ab. Die Rückkehr in die TdL bleibt auf der Tagesordnung.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Vielen Dank, Frau Ypsilanti. – Als nächster Redner hat Herr Greilich für die FDP-Fraktion das Wort.
Die fünf Minuten Redezeit werde ich nicht brauchen. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist mir wichtig, zu sagen, dass ich es schade finde, dass diese Landesregierung nicht begriffen hat, was für eine gute Entscheidung wir heute treffen,
dass die Mehrheit der Menschen in diesem Land das will und dass sie am 27. Januar 2008 an dieser Stelle ein Problem hatte; denn die Studierenden und die Eltern der Studierenden hatten sicherlich – –
Das ist, wie der Tarifvertrag der Länder, ein Schritt in die richtige Richtung: zu mehr Chancengleichheit und zu sozialer Gerechtigkeit in diesem Land. Herr Siebel hat darauf hingewiesen, dass es Untersuchungen gibt, wonach durch die Studienbeiträge mehr Kinder aus bildungsfernen Schichten vom Studium abgehalten werden. Das können und wollen wir uns wegen der Kinder nicht leisten.
Frau Lautenschläger, die Lehre hat sich verbessert. Aber die Lehre an den Universitäten muss auch in Zukunft nicht leiden; denn wir haben gesagt – das war natürlich schon ein schwieriger Akt –, dass die Universitäten auch zukünftig Geld zur Verfügung haben werden.
Ich möchte eine letzte Bemerkung hinzufügen. Es gibt eine Studie aus Österreich – auch dort hat man Studiengebühren eingeführt –, die belegt, dass vor allem junge Frauen von der Aufnahme eines Studiums abgehalten werden. Deshalb ist die Abschaffung der Studiengebühren auch eine Frage der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern.
Das ist ein richtiger Schritt, auf den die Fraktionen, die dem heute zustimmen, stolz sein können. Ich freue mich, dass wir der Chancengleichheit, der Nichtausgrenzung und der sozialen Gerechtigkeit wieder einen Schritt näher gekommen sind.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Vielen Dank, Frau Ypsilanti. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich der Vorsitzende, Herr Tarek Al-Wazir, zu Wort gemeldet. Herr Al-Wazir, Sie haben fünf Minuten Redezeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die SPDFraktion hat den Report der Universität Duisburg zum Anlass genommen,hier noch einmal über das Thema Ausweitung des Niedriglohnsektors zu debattieren, und zwar deshalb,weil wir glauben,dass sich keine politische Ebene dieser verheerenden Entwicklung entziehen kann und dass jede politische Ebene ihre Verantwortung übernehmen muss, auch die Ebene der Landespolitik.
Herr Milde, Sie haben vorhin gesagt, dass das Sozialste, was es in Deutschland gibt, Arbeitsplätze sind. Herr Milde, ein Arbeitsplatz, bei dem man unter 4 c in der Stunde verdient – das ist leider keine Seltenheit mehr –,ist
aber nicht mehr sozial, und darüber müssen wir auch reden.
Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten zehn Jahren eine Ausweitung des Niedriglohnsektors um 43 % gehabt. 2006 waren 22 % aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor beschäftigt. Das sind 6,5 Millionen Erwerbstätige. Durchschnittlich verdienen die Niedriglohnbeschäftigten in Westdeutschland 6,89 c pro Stunde. In Ostdeutschland sind es nur 4,86 c. Aber davon kann wirklich niemand mehr leben.
Wir müssen auch feststellen, dass der Durchschnittsverdienst im Niedriglohnsektor gesunken ist – auch eine Entwicklung, vor der wir immer gewarnt haben. 2004 lag der Verdienst in der Stunde bei 7,25 c. 2005 waren es nur noch 7,16 c, und 2006 betrug der durchschnittliche Verdienst im Niedriglohnsektor nur noch 6,89 c.
Das heißt, auch hier ist eine Spirale nach unten in Gang gesetzt worden. Die Studie belegt leider auch, dass das gesamte Lohnspektrum – auch das haben wir immer wieder thematisiert – nach unten ausfranst. Deshalb ist unsere Forderung nach einem Mindestlohn, der unten wenigstens ein Netz einzieht, die richtige Forderung.
Die Studie sagt dazu – ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten –:
Bemerkenswert ist auch, dass eine Ausdifferenzierung der Löhne nach unten,wie wir sie für Deutschland festgestellt haben, in den europäischen Nachbarländern undenkbar ist,weil gesetzliche Mindestlöhne zwischen 8 und 9 c oder tarifliche Standards dies nicht zulassen.
Das ist ein Beleg dafür, dass die Forderung nach Einführung von Mindestlöhnen nach wie vor richtig ist.
Auch wir wissen natürlich, dass die Einführung von Mindestlöhnen nicht jedes Problem löst, aber ich denke, Politik muss einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Firmen im Lohndumping, also im Wettbewerb darum, den niedrigsten Lohn zu zahlen, nicht gegenseitig Konkurrenz machen.
Die Studie räumt auch mit dem Märchen auf, dass im Niedriglohnsektor nur gering Qualifizierte beschäftigt sind. Es hieß ja immer, denen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Stelle bekommen, muss man zumuten, für einen geringen Lohn zu arbeiten, und der Staat soll den Rest aufstocken. Die Studie belegt aber, dass drei Viertel aller Niedriglöhner eine abgeschlossene Berufsausbildung, zum Teil sogar einen akademischen Abschluss haben.Es ist also nicht nur die mangelnde Qualifikation, die zu Niedriglöhnen führt, sondern es sind die Bedingungen auf einem total deregulierten Arbeitsmarkt und die mangelhafte Tarifbindung.
Weil heute der Girls’ Day stattfindet, haben wir natürlich auch gegenüber den Frauen eine besondere Verantwortung.
Sie wissen, dass die jungen Frauen zwar mit besonders guten Abschlüssen die Schule verlassen, aber wir müssen feststellen, dass im Berufsleben 30 % aller Arbeitnehmerinnen zu Niedriglöhnen beschäftigt werden.Im Vergleich aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellen die Frauen 70 % der zu Niedriglöhnen Beschäftigten. Das ist ein Skandal.
Im internationalen Vergleich ist Deutschland hinsichtlich des Anteils der Beschäftigten mit Niedriglöhnen mittlerweile führend. Diese zweifelhafte Führungsposition würde ich gerne wieder abgeben.
Eine andere Entwicklung, die uns beunruhigen muss, vor der wir ebenfalls immer gewarnt haben – leider bestätigt sich jetzt unsere Warnung –:Auch im Minijobsektor findet eine negative Entwicklung statt. In diesem Sektor arbeiten die meisten Niedriglöhner. Die Minijobs sind weiter auf dem Vormarsch. Der Anteil der Minijobs an der Gesamtbeschäftigung hat sich von 2,6 % im Jahre 1995 auf 7,1 % im Jahr 2006 verdreifacht.
Dazu kommt, dass die Löhne und Gehälter im Minijobsektor gesunken sind. Wenn wir uns heute über die Rentenkassen unterhalten, müssen wir auch wissen, dass viele Arbeitsplätze für Vollzeiterwerbstätige in Minijobs umgewandelt worden sind.Was heißt das für unsere Sozialkassen? Auch darüber müssen wir reden, meine Damen und Herren.
Wir wollen noch einmal darauf hinweisen, dass die Politik nicht zulassen darf, dass sich die Löhne auf dem Arbeitsmarkt im freien Fall befinden. Deshalb müssen wir handeln. Unser Appell an Sie von der CDU und der FDP lautet an dieser Stelle: Geben Sie Ihre Fundamentalopposition gegen die Einführung von Mindestlöhnen auf.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In ihrer Eröffnungsrede am Samstag haben sich alle Fraktionen zu
ihrer Verantwortung bekannt, die wir anlässlich der politischen Sondersituation vor unseren Bürgerinnen und Bürgern und vor unserer Verfassung wahrzunehmen haben.Auch der amtierende Ministerpräsident hat sich dazu bekannt, dass er die Mehrheitsentscheidungen des Landtags respektieren werde, dass er den Fraktionen den Sachverstand der Ministerien zur Verfügung stellen wolle. Herr Ministerpräsident, ich gehe davon aus, dass das für alle fünf Fraktionen im Hessischen Landtag gilt. Sie sagen, dass die Landesregierung dafür eine Politik der offenen Türen anbiete. Wir hören diese Ankündigung gerne und werden das Verhalten der geschäftsführenden Landesregierung jetzt im parlamentarischen Verfahren natürlich daran messen. Aber, Herr Koch, was hätten Sie denn in Ihrer neuen Rolle sonst sagen sollen?
Sie haben beschrieben, was der verfassungsmäßige Auftrag einer geschäftsführenden Landesregierung ist und wo Ihre Kompetenzen gegenüber Mehrheitsbeschlüssen im Landtag liegen.Alles andere hätte auch dem Geist der Hessischen Verfassung widersprochen. Wir werden ab jetzt immer wieder Gelegenheit haben, im parlamentarischen Vollzug Ihre Versprechen zu prüfen. Herr Koch, Sie werden verstehen, dass bei dem einen oder bei der anderen noch eine gewisse Skepsis vorliegt, insbesondere bei den Abgeordneten, die die letzten Jahre hier im Plenum verbracht haben.
Eines ist klar, das werden Sie selber auch gar nicht bestreiten. Herr Koch, ein politisches Neutrum sind Sie sicherlich nicht, aber auch gar kein parteipolitisches. Das gilt übrigens auch für alle anderen Parteien.Die politische Welt ist seit dem 27. Januar für uns alle anders geworden, sie hat sich verändert, aber die politischen Aussagen und Inhalte, für die wir in den letzten Jahren gestanden haben, haben sich nicht verändert.
Nachdem es in der Eröffnungssitzung des neuen Landtags um die formale Aufgabenverteilung und die neue Rollenverantwortung von uns allen gegangen ist, geht es heute um die politische Bewertung der entstandenen Lage. Das kann nicht von den unterschiedlichen Zielen, den Wähleraufträgen, die jede Partei, einschließlich der CDU unter ihrem Landesvorsitzenden Roland Koch, hat, getrennt betrachtet werden.Weder der CDU-Vorsitzende Koch ist ziel- oder wertneutral geworden, noch sind wir es.
Das kann bei aller Auseinandersetzung um politische Inhalte auch nicht ignoriert werden. Sie haben in Ihrer Erklärung und auch am Samstag auf die Regierungszeit unter Holger Börner hingewiesen.Die haben wir uns alle angeschaut, um das eine oder andere daraus zu lernen. Die Regierungszeit unter Holger Börner unterscheidet sich gravierend von dem, was wir heute im Parlament mit der geschäftsführenden Landesregierung haben. Die Lage in Hessen ist eine Ausnahmesituation, und zwar noch mehr, als sie es unter der geschäftsführenden Landesregierung unter Holger Börner war. Holger Börner hatte seinerzeit keine Mehrheit im Parlament und hinter sich. Er hatte aber im Parlament auch keine Mehrheit gegen sich.
Er stand, unterstützt von der SPD, in der Mitte zwischen den unvereinbaren Positionen von CDU und den damals neu in den Landtag gewählten GRÜNEN. Herr Koch,
wenn Sie heute ohne Erinnerung an die letzten neun Jahre oder an die Zeiten im Wahlkampf – ich sage es einmal vorsichtig – hemmungslos um die GRÜNEN werben, dann können Sie das vor allen Dingen deshalb, weil es die große und über Hessen hinausgehende bleibende politische Leistung von Holger Börner war, die basisdemokratisch orientierten GRÜNEN mit der parlamentarischen Mehrheit zu versöhnen und sie konstruktiv zu integrieren.
Sie wissen alle, Holger Börner hat die Dachlatte nie ausgepackt, sondern er hat es mit guten Worten probiert.
Es war manchmal nicht so einfach. Ich habe in der Zwischenzeit auch einmal in das Tagebuch von Joschka Fischer hineingeguckt, es war eine ganz spannende Zeit. Da haben wir es heute sehr gut, würde ich einmal sagen.
Im Gegensatz zu Holger Börner hat die geschäftsführende Regierung Koch eine Wählermehrheit und dementsprechend Parlamentsmehrheit gegen sich, wenn es sein muss.
Der zweite gravierende Unterschied zu Holger Börner als geschäftsführender Ministerpräsident ist: Er wurde 1982 nicht von den Wählern abgewählt. Die SPD hatte damals zwar leicht verloren, die GRÜNEN kamen zum ersten Mal in den Landtag, und die FDP ist damals aus dem Landtag herausgefallen. Wir haben heute aber die Situation, wenn sich drei Fraktionen zusammenschließen, können Sie in der Tat eine Mehrheit gegen sich haben. Das müssen Sie bei allem Mut für neue Wege immer wieder berücksichtigen.
Herr Koch hat in seiner Regierungserklärung auf seine Bilanz hingewiesen. Ich habe mich an dieser Stelle gefragt:Warum haben Sie, wenn Sie so gerne auf Ihre Bilanz hinweisen, mit dieser Bilanz eigentlich keinen Wahlkampf gemacht?
Warum war es denn notwendig, dass Sie von Ihrer Bilanz auf andere Themen ausgewichen sind? – Ich sage Ihnen, warum Sie es getan haben: Die Bilanz war nämlich nicht so gut, dass man damit eine Wahl hätte gewinnen können. Sie haben im Wahlkampf 25 % Ihrer Wähler verloren.
Deshalb besteht der Landtag heute aus Mandatsträgern, die nicht zuletzt für die Ablösung dieser Regierung gewählt worden sind. Daraus ergibt sich klipp und klar die politische Bewertung. Die geschäftsführende Landesregierung Koch hat zwar ein von der Verfassung vorgegebenes beschränktes Mandat. Wir respektieren das – damit das ganz klar ist. Sie haben jedoch kein erneutes politisches Mandat.
Sie unterliegen damit einer zweifachen Beschränkung. Faktisch können Sie sich nur auf 42 Mandatsträger stüt
zen, solange die FDP, Ihr Wunschpartner, als selbstständige Partei agiert, was ich unterstelle und erwarte.
Hinzu kommt,dass diese Landesregierung auch nach dem Ausscheiden – –
Sagen Sie etwas anderes, Herr Hahn.
Das kann man nicht wirklich vertreten. – Meine Damen und Herren, man sollte auch nicht unterschätzen, dass in Ihrem Kabinett jetzt zwei Ressortchefs fehlen, die Sie ersetzen müssen. Das wird als geschäftsführende Regierung sicherlich nicht einfach.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns damit in Hessen in einer doppelten politischen Ausnahmesituation. Nach der Hessischen Verfassung ist die Konstruktion einer geschäftsführenden Landesregierung nicht als Dauerzustand für eine ganze Legislaturperiode geeignet. Dieser Zustand sollte so bald wie möglich überwunden werden. Es ist eigentlich nur ein vorübergehender Zustand, der nicht als Dauerzustand gewertet werden kann. Deshalb darf das mittelfristige Ziel nicht aus den Augen verloren werden, eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit zu bilden und zu wählen.
Ich will an dieser Stelle auch noch einmal auf das eingehen, was Sie vorgeschlagen haben, nämlich mit unabhängigen Moderatoren und mit externem Sachverstand zu arbeiten. Wissen Sie, das Versprechen der geschäftsführenden Landesregierung, dass den Landtagsfraktionen der Sachverstand der Ministerien helfend zur Verfügung gestellt werde, macht das Problem in Wirklichkeit nicht kleiner. Herr Koch, das gilt auch für Ihre Ankündigung, dass Sie mit unabhängigen Moderatoren arbeiten wollen. Hier sollten wir uns nicht in die Tasche lügen. Wir alle wissen, es gibt in Wahrheit keinen wert- und interessenneutralen und somit auch keinen politikneutralen Sachverstand. Das würde Menschen ohne Werte und Interessen voraussetzen, die es aber nicht gibt. Deshalb unterscheiden sich auch die Parteien in ihren Wertvorstellungen, Interessen und Prioritäten.
An dieser Stelle sollte man auch noch einmal darauf hinweisen, dass Sie in der Vergangenheit externen Sachverstand hatten. Sie haben sich Herrn Borchert in die Staatskanzlei geholt. Herr Borchert hat seinen externen Sachverstand dort sehr lange eingebracht.Nachdem er ihn eingebracht hatte, haben Sie ihn ignoriert, sodass Herr Borchert hinterher gesagt hat: Ich war Hofnarr der Landesregierung. – So weit zum externen Sachverstand.
Oder reden wir über die Mediation; Sie wollen schließlich auch Moderatoren haben. Reden wir über die Mediation im Zusammenhang mit dem Ausbau des Flughafens. Sie erfolgte überparteilich und hat lange gewährt. Sehen Sie sich einmal an, was Sie aus diesem Mediationsergebnis hinterher gemacht haben.
Deshalb sind wir an dieser Stelle wirklich skeptisch. Ich möchte den Mitarbeitern in den Ministerien nicht zu nahe treten. Aber auch deren Sachverstand kann eine politische Entscheidung über die strittigen politischen Fragen nicht ersetzen.
Jedenfalls kann ich hier schon einmal sagen,dass wir nicht auf Moderatoren warten, sondern unsere politischen Initiativen im direkten Dialog mit den Fraktionen vorantreiben werden, mit denen es an diesen Punkten inhaltliche Schnittmengen und Übereinstimmungen gibt.
Ich finde, es muss auch in dieser Sondersituation darum gehen, dass wir die unterschiedlichen Ziele darstellen und Meinungsverschiedenheiten offen austragen, sodass die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, für welche politischen Inhalte die jeweiligen Fraktionen und Parteien stehen, um sich dann ihr eigenes Urteil zu bilden.
Es wäre schon viel gewonnen – das ist der versöhnliche Teil –, wenn dabei auf Zerrbilder, Entstellungen und persönliche Verunglimpfungen verzichtet würde. Die haben hier die politische Atmosphäre in der Vergangenheit in der Tat des Öfteren vergiftet. Ich glaube, wir alle können uns ins Stammbuch schreiben, dass wir in Zukunft etwas vorsichtiger miteinander umgehen.
Herr Koch,ich will mir an dieser Stelle trotzdem nicht den kleinen Seitenhieb versagen,
Sie darauf hinzuweisen, dass schon viel gewonnen wäre, wenn der Landtag im Sinne der angebotenen offenen Türen künftig die Informationen bekäme,die er für seine Arbeit wirklich braucht. Ich denke an Informationen, die in der Vergangenheit selbst den Untersuchungsausschüssen nicht zur Verfügung gestellt worden sind.
Ich erinnere auch an die periodischen Sicherheitsüberprüfungen der Atomkraftwerke in Biblis, deren Ergebnisse der Öffentlichkeit bis heute vorenthalten werden. Ich denke, ein Vorgehen im Sinne einer Politik der offenen Türen könnte auch dazu beitragen, die Bevölkerung an dieser Stelle besser zu informieren. Auch da können wir die Probe aufs Exempel machen.
Herr Koch, auch angesichts der schwierigen Situation lassen wir Ihnen nicht ohne Weiteres durchgehen – Sie haben gemerkt,dass das an einigen Punkten,die Sie genannt haben, bei manchen unserer Kollegen doch zu erheblichem Kopfschütteln geführt hat –, dass Sie jetzt die Rolle des Kreide fressenden Wolfs im Schafspelz angenommen haben. Das war zu heftig. Der Sprung war zu groß.
„Neue Agentur“.
Herr Boddenberg, an Ihrer Stelle hätte ich die alte Agentur auch gefeuert. Nach diesem Wahlkampf hätte ich die alte Agentur auch entlassen. Schauen wir einmal.
Wissen Sie, es kam so unvermittelt: gestern noch haltlose Unterstellungen,heute ein differenzierter Gesprächspartner; gestern Ausgrenzungskampagne, heute staatsmännische Gesten;gestern Grünenverleumder,heute Brautwerber.All das ging heute Morgen ein bisschen schnell.
Herr Koch, meine Damen und Herren von der CDU, ich glaube,dass Sie,wenn Sie auch nur eine Stimme mehr hätten und die parlamentarische Mehrheit stellen könnten, genau die gleiche Politik machen würden wie vor neun Jahren.
Sie, wir und auch die Bürgerinnen und Bürger Hessens wissen: Sie wollen den Machterhalt für sich selbst und für die CDU.
Dieser Versuch ist legitim, natürlich. – Aber nach außen eine Charmeoffensive zu starten und nach innen den beinharten Konservativen zu geben, dem die Idee der sozialen Gerechtigkeit doch eher fremd ist:
Ich denke, dass Politikerinnen und Politiker lernfähig sein müssen. Das glaube ich, und ich spreche es auch dem Herrn Ministerpräsidenten nicht ab. Aber die Wandlung kam zu schnell.
Ich will an einem Punkt klarmachen, warum wir dem Braten noch nicht trauen. Ich finde, es ist kein Zufall, dass Sie Ihre aktuelle Werbung um die GRÜNEN damit begründet haben, dass deren Wähler in der Regel finanziell bessergestellt und überdurchschnittlich gut gebildet seien und dass die GRÜNEN angesichts der gutbürgerlichen Herkunft ihrer Klientel eigentlich ein natürlicher Partner von CDU und FDP seien.
Das war in einem Interview im „Focus“ zu lesen.
Sie sind quasi mit einem Regierungsauftrag geboren, wie Sie ihn eigentlich für die bürgerlichen Parteien beanspruchen.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie es selbst gemerkt haben: Sie haben wieder eine Ausgrenzungsstrategie gefahren. Die zweite Ausgrenzungsstrategie fahren Sie, indem Sie sagen, die LINKE sei für Sie kein Gesprächspartner; sie komme für Kooperationsgespräche in diesem Parlament nicht infrage. Das ist eine Ausgrenzungsstrategie, und deshalb glaube ich, dass Sie nach wie vor jemand bleiben, der gern an einer Spaltung arbeitet.
Natürlich wollen Sie über das Zwischenstadium einer geschäftsführenden Regierung Ihre Regierungsmacht wieder dauerhaft sichern: entweder über Neuwahlen zu einem für Sie günstigen Zeitpunkt – daran arbeiten Sie – oder auch über eine Jamaikakoalition, was dann, nach Ihrem Buch, sozusagen ein legitimer Wortbruch wäre. Ein solcher Wortbruch unterscheidet sich offenbar von anderen Wortbrüchen.
Ich plädiere dafür, die tatsächlich vorhandenen politischen Differenzen in der Sache nicht zu verschleiern, son
dern auszutragen. Wir werden die politisch-inhaltlichen Ziele, für die wir gewählt worden sind, unverwässert in Landtagsinitiativen umsetzen und uns um Mehrheiten dafür bemühen. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass die Inhalte, für die wir gewählt worden sind, auch nach der Wahl noch gelten.
Zu den Inhalten meiner Politik, die ich im Wahlkampf vertreten habe, stehe ich heute nach wie vor. Genauso ist es bei meiner Partei und meiner gesamten Fraktion.
Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger verstehen, dass auch Kompromisse gemacht werden müssen, wenn die jeweils erforderliche Mehrheit nicht ausreicht – solange, inhaltlich gesehen, nicht das Gegenteil dessen herauskommt, was sie gewählt haben. Die Mehrheit in Hessen hat den Politikwechsel gewählt, und dafür steht meine Fraktion nach wie vor.
Da das immer wieder im Gespräch war und wir alle uns um Mehrheiten bemühen: Ich kann mit Sicherheit sagen, dass wir – und auch Sie, meine Damen und Herren von der Union – unsere politischen Inhalte in einer Großen Koalition nicht wiederfinden würden. Es gibt manchmal Situationen, in denen das die Ultima Ratio sein kann. Große Koalitionen verfügen meistens über satte Mehrheiten, dafür aber über geringe Schnittmengen.
Sie lähmen sich oft wechselseitig und unterdrücken die parlamentarische Willensbildung mehr als alles andere. Ich bin davon überzeugt, dass sie zu Wahl- und Demokratiemüdigkeit führen.
Wählen heißt, unterscheiden zu können zwischen verschiedenen politischen Inhalten und Zielen.Ich bin davon überzeugt,nur das motiviert die Menschen zur politischen Teilhabe und im Endeffekt auch dazu, zur Wahl zu gehen.
Meine Damen und Herren, wir werden also unsere zentralen Vorhaben für einen Politikwechsel in Hessen als Landtagsinitiativen einbringen und dafür um Mehrheiten ringen. Wir werden begründen, warum diese für die soziale, für die wirtschaftliche und für die ökologische Zukunft Hessens geboten sind. Selbst erteilte Freisprüche der Landesregierung für vorhandene Missstände und Fehlentwicklungen werden wir nicht zulassen. Ich freue mich darauf, jetzt im parlamentarischen Rahmen den inhaltlichen Dialog mit Ihnen aufzunehmen.
Wir werden auch Anträge stellen – ich sage das auch –, die die Verordnungspraxis der Landesregierung und deren Abstimmungsverhalten im Bundesrat betreffen. Eine geschäftsführende Landesregierung hat meiner Meinung nach auch dafür nur ein eingeschränktes Mandat, das sie nicht gegen eine festgestellte Landtagsmehrheit in Anspruch nehmen kann.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass eine bloße Parlamentsmehrheit für politische Willenserklärungen und Gesetze kein vollwertiger Ersatz für ein Regierungs
mandat sind.Trotzdem haben für uns die Realisierung unseres politischen Programms durch Landtagsmehrheiten und das Ziel einer Regierungsbildung unter sozialdemokratischer Führung Vorrang vor dem Ruf nach Neuwahlen – um auch das klar zu sagen.
Die Wählerinnen und Wähler haben uns einen Auftrag erteilt, und keine Partei sollte sich auf Brechts Satire vom 17. Juni zurückziehen, wonach es einfacher wäre, die Regierung löse das Volk auf und wähle ein anderes. So einfach sollten wir es uns nicht machen.So einfach wollen wir nicht vorgehen. Deshalb steht für uns die inhaltliche Arbeit im Vordergrund.
Ich sage es ganz klar: Natürlich haben sich die Umfragezahlen anders entwickelt. Niemand sollte im Moment Neuwahlen anstreben. Wir tun das nicht, und wir wollen das auch nicht, weil wir glauben, dass wir unsere Inhalte hier einbringen können. Ich sage an dieser Stelle aber auch klipp und klar: Wir haben auch keine Angst davor, weil unsere Themen nach wie vor richtig sind.
Es gibt eine Mehrheit in diesem Land, in diesem Landtag, die wieder ein tolerantes und weltoffenes Hessen will und die weiß, dass unser Land seine menschliche Lebensqualität nur so erhalten und globalisierungsfähig bleiben kann. Es gibt eine Mehrheit, die nicht die gesamte Wirtschaft einem weiteren Konzentrationsprozess ausliefern will und die weiß, dass es deshalb bei der Stärkung regionaler Wirtschaftskraft und des Mittelstandes einen neuen landespolitischen Schwerpunkt geben muss. Es gibt eine Mehrheit, die tatsächlich gleiche Bildungschancen ohne willkürliche Frühauslese will und die weiß, dass dafür die Studiengebühren aufgehoben werden müssen, eine G-8Reform durchgesetzt werden muss und Ganztagsschulen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eingeführt werden müssen. Es gibt eine Mehrheit, die mehr soziale Gerechtigkeit nicht nur für sich selbst will und die will, dass sich Hessen für gesetzliche Mindestlöhne einsetzt und die weiß, dass das soziale Netz neu geknüpft werden muss und neue Initiativen für die Gleichberechtigung der Geschlechter ergriffen werden müssen.
Es gibt eine Mehrheit, die dauerhaft gesicherte und umweltfreundliche Energieversorgung will und die weiß, dass dafür ein schneller und umfassender Wechsel zu erneuerbaren Energien vollzogen werden muss. Wir haben uns sehr gefreut, dass Sie in diese Richtung denken.
Das und anderes mehr ist der Politikwechsel zu einer sozialen Moderne. Meine Damen und Herren, das ist unser Wählerauftrag, und das ist die Zukunft Hessens.
Bei aller Notwendigkeit, sich der Zukunft zuzuwenden, dürfen die Versäumnisse der letzten Jahre nicht unter den Teppich gekehrt werden, zumal sich aus diesen Versäum
nissen zu einem Teil die Notwendigkeit für einen Politikwechsel begründet.
Herr Koch, Sie haben gesagt, wir würden die Landesregierung piesacken wollen. Ich sage Ihnen: Das haben Sie uns fälschlicherweise in den Mund gelegt.
Sie haben gleich noch nachgelegt, dass wir Ihnen nur den Rasen zertrampeln wollen, wenn wir schon nicht mitspielen wollen.
Meine Damen und Herren, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass selbst Herr Rüssmann sich von Ihnen falsch verstanden gefühlt hat.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen weiteren Exkurs. Meine Damen und Herren,zum Spiel:Nicht meine Mannschaft hat Spieler vom Feld gestellt bekommen, sondern es war Ihre Mannschaft, die Spieler vom Feld gestellt bekommen hat.
Meine Damen und Herren, Herr Koch, zweitens sollten Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass Sie hier keine Heimspiele mehr haben, sondern das werden Auswärtsspiele werden.
Drittens. Bei Rüssmann hat etwas geklingelt.
Herr Metz, ich gehe davon aus, dass das Beispiel eher von Ihnen kam, weil Herr Rüssmann Schalke-04-Spieler war.
Er war ein guter Spieler. Man hat zu ihm auch „Knochenbrecher“ gesagt.
Was noch viel spannender ist – Herr Metz, ich weiß nicht, ob Sie das wissen,ob Sie sich das Beispiel dann ausgesucht hätten –: Rolf Rüssmann war einer der Hauptangeklagten im Bundesliga-Bestechungsskandal und wurde 1973 rechtskräftig verurteilt.
Was noch interessanter ist: Herr Koch, eben dieser Rüssmann war beim entscheidenden verschobenen Spiel Schalke gegen Bielefeld – 0 : 1 – mit von der Partie.Wegen diesem Geschiebe sind die Offenbacher Kickers abgestiegen. Lieber Tarek, das solltest du nicht vergessen.
Ein bisschen Spaß muss auch sein.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir das Werben von Herrn Koch zu Jamaika anschaue, fällt mir ein ganz anderes Zitat ein, nämlich das von Andi Möller. Andi Möller wurde gefragt, wo er demnächst spielt. Da hat er gesagt: „Madrid, Mailand – egal, Hauptsache Italien.“ – So viel zu Jamaika.
Meine Damen und Herren, ich kann festhalten: Anhand des Fußballs lassen sich die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse manchmal gut aufklären.
Meine Damen und Herren, nein, keine Nadelstiche, sondern wir werden die politische Nagelprobe für diese Inhalte im Landtag machen und in konkrete Gesetze, Anträge und andere Initiativen leiten.
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung von vier verschiedenen Ebenen gesprochen. Die erste Ebene war die des gesetzgebenden Handelns. Da sind Sie auf 50 Gesetze gekommen. Herr Koch, das sind meistens die Gesetze, die turnusgemäß anstehen, weil Sie ihre Geltungsdauer begrenzt haben. Ich kann Ihnen versprechen: Vieles davon wird Routine sein.Trotzdem werden wir uns jedes Gesetz daraufhin anschauen, ob es noch einmal neu so verabschiedet werden kann. Das ist klar.
Die zweite Ebene war die der Zukunftsprojekte ohne Gesetzgebungsbedarf. Da habe ich bei Ihnen eigentlich nur drei konkrete Vorschläge herausgehört. Dazu sage ich das, was ich bereits am Samstag gesagt habe: Wir werden alle Initiativen der Landesregierung mit großer Offenheit prüfen und werden dann sehen, ob es an manchen Stellen Verbesserungen oder Änderungsvorschläge geben kann.
Die dritte Ebene ist allerdings die Ebene, bei der es spannend wird: Das sind die Entscheidungen von grundsätzlicher landespolitischer Bedeutung. Ich gehe davon aus, dass wir an dieser Stelle den größten Diskussionsbedarf im Parlament haben werden.
Bei uns gehört zu der Ebene der Gesetze und Initiativen, die unmittelbar anstehen und weitreichende Bedeutung haben, dazu, dass wir heute einen Antrag einbringen, dass Hessen in die Tarifgemeinschaft deutscher Länder zurückkehrt. Die Bezahlung der Landesbediensteten nach Gutsherrenart, Klüngel für Parteigänger und Drohgebärden gegenüber Andersdenkenden müssen ein Ende haben.
Deshalb werden wir das Personalvertretungsrecht wieder demokratisieren. Der öffentliche Dienst muss auch wieder Schrittmacher in der Frauenförderung werden.
Wir teilen auch nicht die konservative und von Ihnen in Hessen leider praktizierte Auffassung, dass eine Marktwirtschaft sich unbeschadet ihres sozialen Netzes entledi
gen kann. Wir glauben, dass sozialer Ausgleich, soziale Gerechtigkeit und sozialer Frieden Grundlagen für eine erfolgreiche Wirtschaft und für eine erfolgreiche Gesellschaft sind. Um das soziale Netz neu zu knüpfen, werden wir im Rahmen der nächsten Haushaltsberatungen auf ein verlässliches Sozialbudget hinwirken, das den Trägern wieder mehr Gestaltungsfreiheit und Planungssicherheit gibt.
Um gezielte Maßnahmen gegen Armut und insbesondere Kinderarmut zu ergreifen, brauchen wir eine Datengrundlage. Diese brauchen nicht nur wir als Volksvertreterinnen und Volksvertreter, sondern diese brauchen alle, die mit dem Thema Armutsbekämpfungen befasst sind. Deshalb werden wir einen umfassenden Armuts- und Reichtumsbericht von der geschäftsführenden Landesregierung einfordern, um daraus ein Programm zur Armutsbekämpfung zu erarbeiten.