Thorsten Schäfer-Gümbel

Sitzungen

17/4 17/5 17/10 17/15 17/19

Letzte Beiträge

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Besondere Zeiten erfordern besondere Antworten. Ich glaube, wir haben es heute bei dem Dringlichen Gesetzentwurf, der gemeinsamen von den Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE eingebracht wurde, für ein Gesetz zur Übernahme von Garantien und Bürgschaften zur Stabilisierung von Unternehmen mit einem solchen besonderen Ereignis zu tun.
Es gibt zwei Situationen, die zu diesem Gesetzentwurf führten.
Erstens. Dazu werden wir heute noch ausführlicher zu reden haben. Ich meine die anstehende Auflösung des Hessischen Landtags und die Frage, wie handlungsfähig danach die geschäftsführende Landesregierung sein wird, wenn sie mit konkreten Krisen von Unternehmen umzugehen hat.
Ich sage Ihnen gleich zu Beginn: Die sozialdemokratische Landtagsfraktion hat heute in ihrer Fraktionssitzung einmütig beschlossen, diesen Gesetzentwurf nicht nur mit einzubringen, sondern ihn auch mitzutragen und offensiv mit zu vertreten. Denn es geht um die Frage der Verantwortung für das, was in den nächsten Wochen ansteht.
Ich möchte jetzt auf die zweite besondere Situation zu sprechen kommen. Dabei möchte ich einen kleinen Akzent anders setzen, als es Herr Kollege Milde eben getan hat. Der Gesetzentwurf ist natürlich aus Anlass der Debatte um Opel entstanden. Es handelt sich aber nicht um ein Opel-Gesetz. Das will ich ausdrücklich sagen. Aber natürlich geschah dies aus Anlass der Sorge hinsichtlich der Fragen, ob der Konzernzentrale in den Vereinigten Staaten die Insolvenz droht – ja oder nein – und welche Konsequenzen das für Opel, aber nicht nur für Opel, sondern vor allem auch für die ganzen Zulieferer hat.
Wir reden dabei in der Bundesrepublik insgesamt über immerhin etwa 75.000 bis 80.000 Arbeitsplätze. Die Politik kann nicht zusehen,wenn es um so viele Menschen,um so viele Betriebe, um so viele Strukturen mit den entsprechenden Familien dahinter geht.
Wir haben, nachdem wir in der vergangenen Woche – am Donnerstag im Rahmen von Telefongesprächen – erstmals damit konfrontiert wurden, ausdrücklich unsere Zustimmung zu einem solchen Weg signalisiert. Ich habe eben gesagt: Es ist Ausdruck auch unserer Verantwortung für das, was in den nächsten Wochen und Monaten zu passieren hat. – Wir haben letzte Woche ausdrücklich signalisiert, dass wir uns das als einen gemeinsamen Weg vorstellen.
Gemeinsam heißt eben auch, dass wir gemeinsam die Verantwortung für die Entstehung des Gesetzes – ich will mich ausdrücklich beim Finanzministerium für die Vorarbeiten bedanken –,aber auch für die Öffentlichkeitsarbeit haben, weil wir erst gar nicht den Eindruck erwecken dürfen, dass dieses Thema jetzt sozusagen ein Spielball in einem anstehenden Landtagswahlkampf ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deswegen will ich hier klar sagen: Herr Koch, wir waren über Ihre Pressearbeit am vergangenen Donnerstag schon sehr irritiert. Wir waren sehr irritiert über den Antrag der FDP – nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Methode.
Wir sind auch ausdrücklich irritiert über den Änderungsantrag der LINKEN.
Herr Hahn, bemühen Sie sich jetzt nicht.Wir haben nur zehn Minuten. Sie können anschließend direkt auf mich antworten.
Ja, natürlich war ich gestern auf Einladung der Betriebsräte in Rüsselsheim, nachdem hier sozusagen jeder meint, sich dazu zu äußern. Ich sage das deswegen, weil am letzten Freitag ein Problem entstanden ist, auf das ich jetzt im Wesentlichen eingehen will, weil die Debatte in den letzten drei Tagen leider eine Schieflage erlitten hat, die ein paar Probleme verschärfen könnte. Seit Freitag letzter Woche ist zu bedenken – das hat sehr viel mit Wortwahl zu tun –,dass es sich im konkreten Fall um eine Frage von Sanierung handeln könnte.
Sie alle wissen, dass Sanierungsbürgschaften sofort europarechtlich ganz andere Konsequenzen auslösen, wo wir sozusagen politisch viel „Spaß“ mit den Fragen hätten: Was heißt das für die Beschäftigtensicherung? Was heißt das für die Standortsicherung? Was heißt das für die Sicherung von Investitionen mit allen Sanierungsplänen, die hintendran kommen?
Deswegen haben wir mit den Betriebsräten sehr präzise unsere Sprachregelung definiert, die sich an den realen Problemen orientiert.Was ist das reale Problem bei Opel? – Das reale Problem bei Opel ist, dass Opel nicht eigen
ständig am Kreditmarkt agieren kann. Das hat etwas mit der Konzernstruktur und der Frage zu tun, wie viele Verbindlichkeiten Opel innerhalb des Konzerns gegenüber der Zentrale hat und was passiert, wenn die Konzernzentrale in die Insolvenz geht, also ein Verfahren nach Chapter 11 des Bankruptcy Code in den USA eröffnet wird, und dies automatisch dazu führt, dass bestimmte Forderungen, die die Adam Opel AG gegenüber der Konzernzentrale hat, landestechnisch anders verbucht werden müssen, mit allen Konsequenzen.
Genau für diese Situation – nämlich um die Frage der Vorsorge, wie wir die Zukunftsinvestition eines ansonsten gut aufgestellten Unternehmens bekommen, die Adam Opel AG hat ja nach vielen,vielen Krisen ihre Hausaufgaben in den letzten Jahren gemacht – haben wir gesagt: Das ist ein richtiger Weg. Das, was die Frage der Europatauglichkeit angeht, ist eine völlig andere Thematik. Ich sage das deswegen auch so klar, weil, was Herr Milde zu Recht angesprochen hat, nicht jeder kommen und glauben kann, dass der Staat einspringt, wenn es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten schwierig wird, und das sozusagen ein Generalweg für alle ist.
Genau darum geht es nicht. Das ist der entscheidende Punkt. Ich weiß, dass das in der öffentlichen Debatte außerordentlich schwierig zu transportieren ist. Aber ich glaube, wir sind alle gut beraten, genau diesen Unterschied sehr deutlich zu machen, weil ansonsten Türen geöffnet werden, die wir nicht öffnen wollen.
Ich sage das auch vor dem Hintergrund der eben sehr polemisch angesprochenen Variante der Verstaatlichung. Herr Milde, mich hat die gestrige Botschaft auch sehr verwundert; denn um Verstaatlichung kann es ganz sicherlich nicht gehen, wobei wir zur Frage, ob sozusagen der Trabi in der DDR überlebt oder GM in den USA, einmal abwarten, wie das Ende des Jahres aussieht.
Beim Trabi wissen wir es; das ist empirisch belegt. Herr Milde, der entscheidende Punkt ist ein völlig anderer.Wir haben überhaupt kein Interesse daran und können auch gar keines haben, über Verstaatlichungsvarianten nachzudenken. Worüber wir aber sehr wohl ein Interesse haben nachzudenken, ist, dass, wenn öffentliche Mittel für Bürgschaften verwendet werden,anschließend auch die öffentliche Hand – Parlament und Regierungen – Einfluss und Einsicht in das bekommen, was in den Konzernen stattfindet, die wir abgesichert haben, einschließlich der Zulieferer, die dahinter sind. Genau darum geht es.
Das ist der Punkt, warum wir hier über verschiedene Kriterien geredet haben. Ich will ausdrücklich sagen: Wir stimmen dieser Ausweitung, diesem Gesetz zu, weil es um Standortsicherung gehen muss. Es muss um Beschäftigtensicherung gehen, und es geht um Investitionssicherung. Es muss natürlich sichergestellt werden und wird keine ganz einfache Aufgabe sein, dass kein Geld der hessischen oder der bundesdeutschen Steuerzahler – weil die Priorität, dass der Bund Vorgaben machen muss, klar ist – in die Konzernzentrale in den USA abfließt.
Genau unter diesen Voraussetzungen, das haben wir gesagt, werden wir diesen Weg im Wissen mitgehen, dass es
keine Lex Opel ist, die wir hier heute beschließen – keine Lex Opel, sondern es geht um die Ausweitung des Bürgschaftsrahmens, im Übrigen eines Bürgschaftsrahmens, der im Vergleich aller Bundesländer sehr gering ist. Er ist deutlich niedriger als bei vielen anderen Bundesländern. Man wird sicherlich irgendwann sehr grundsätzlich darüber zu reden haben, ob wir vielleicht zukünftig eine Schippe drauflegen müssen.
Lassen Sie mich abschließend zu den Anträgen etwas sagen.Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen.Wir werden den Änderungsantrag der LINKEN ablehnen – nicht, weil das alles falsch ist, was darin steht, sondern weil die Fragen, die aufgeworfen sind, Gegenstand interfraktioneller Gespräche waren und im Einzelfall geprüft werden müssen. Sie müssen im konkreten Einzelfall geprüft werden. Dann gibt es die Situation, dass wir ab einer bestimmten Größe das Notparlament einsetzen, danach den Haushaltsausschuss. Das ist ganz sicherlich auch ein Ergebnis der besonderen Situation, in der wir uns befinden.
Herr Hahn, den Antrag der FDP werden wir in den zuständigen Ausschuss schieben. Ich glaube, da gehört er hin.
Ich glaube, wir sollten alle unseren Beitrag dazu leisten – ich weiß,dass das in den nächsten Wochen nicht so einfach wird –,sehr solide und sehr klar über das zu reden,um was es eigentlich geht, und möglichst den Versuch eindämmen,was nicht allen und auch mir nicht gelingen wird,den Bereich der politischen Profilierung ein bisschen zurückzufahren. Denn das Thema Opel eignet sich nicht, sich über Krisengerede anschließend zu einem neuen Arbeiterführer zu machen. Den haben wir schon in NRW. Die Kopie in Hessen wird nicht funktionieren. – Herzlich Dank.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Vielen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Posch zu Wort gemeldet. Herr Posch, bitte.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag auf Selbstauflösung eines Parlaments, in diesem konkreten Fall des Hessischen Landtags, ist ganz sicherlich der weitreichendste Beschluss, den ein Parlament fassen kann.Dieser Beschluss bedeutet,dass wir – wenn ich sage: „wir“,dann heißt das:110 Abgeordnete – den Auftrag,den uns die Wählerinnen und Wähler am 27.Januar dieses Jahres erteilt haben, eine Regierung zu bilden und Politik zu gestalten,nicht erfüllen können und zurückgeben müssen. Diese Verantwortung tragen alle 110, die einen stärker, die anderen weniger stark.
Deswegen muss in einer solchen Debatte der Blick sowohl zurück als auch nach vorne gerichtet werden. Deshalb hat mich meine Fraktion gebeten, den Blick zurück und nach vorne zu richten. Ich sage Ihnen: Es ist schon sehr verwunderlich – oder vielleicht auch der erste Punkt einer gewissen Normalität –, dass heute, am letzten Tag in der letzten Parlamentsrunde der 17.Wahlperiode zwei inhaltliche Initiativen von allen fünf Fraktionen gemeinsam gestellt werden, nämlich das Unternehmensstabilisierungsgesetz und der Antrag auf Auflösung des Hessischen Landtages. Genau das macht aber auch deutlich, mit was wir es eigentlich in den letzten Monaten hier zu tun hatten.
Natürlich ist mit dem Einzug der Linkspartei in den Hessischen Landtag etwas passiert, was sich alle Wahl- und Parteistrategen in den Zentralen vor dem 27. Januar ausdrücklich nicht gewünscht hatten. Wir sagen das ausdrücklich mit Blick auf die Fraktion DIE LINKE. Unser Wirken vor dem 27. Januar war ganz ausdrücklich, dass Sie in diesem Hause keinen Platz finden. Diesen Auftrag werden wir am 18. Januar ebenfalls wieder angehen. Wir glauben, dass das Thema soziale Gerechtigkeit bei uns besser aufgehoben ist als bei Ihnen.
Wenn ich den Blick zurück richte, will ich ausdrücklich sagen – Herr Wagner hat in seiner bemerkenswerten Art und Weise eben auch gerade versucht, das politisch zu bilanzieren –, dass es in der Tat einen Wortbruch gegeben hat. Dieser Wortbruch – vor der Wahl etwas zuzusagen, was wir nach der Wahl nicht gemacht haben – ist etwas, was in allen 42 Abgeordneten schwer gearbeitet hat. Ich kenne keinen Abgeordnetenkollegen meiner Fraktion, der dieses Thema nachlässig behandelt oder einfach übergangen hat. Wir haben Abwägungen getroffen aus einer Situation heraus, dass die hessischen Verhältnisse Lösungen verursacht haben, die sich keiner von uns gewünscht hat – zumindest wenn ich diesen Teil des Parlaments sehe.
Wir alle kamen mit klaren Botschaften in den Wahlgang des 27. Januar. Ich sage das ausdrücklich, weil die Landeswahlkampfleitung der hessischen SPD klar gesagt hat:Wir werden den Beweis antreten, dass es DIE LINKEN in diesem Parlament nicht braucht, weil wir keine linkspopulistischen Antworten brauchen. – Deswegen hat es niemanden mehr geschmerzt als die hessische Sozialdemokratie, dass wir genau damit gescheitert sind.
Das ist für uns die schlimmste Erkenntnis aus dem 27. Januar gewesen: dass wir, nachdem wir ein grandioses Ergebnis erzielt haben – Herr Koch, Sie eine grandiose Niederlage –, aber unser wichtigstes Ziel, nämlich DIE LINKEN aus dem Hessischen Landtag herauszuhalten, nicht erreicht haben.
Soziale Gerechtigkeit ist eines unserer drei zentralen Ziele.Das konnte nicht erreicht werden.– Weil Frau Wissler diesen Zwischenruf macht, will ich das noch einmal ausdrücklich in den Kanon stellen. Wir sind mit drei zentralen Botschaften angetreten: Erstens. Roland Koch muss weg, weil das System Roland Koch dieses Land zugrunde gerichtet hat.
Weil das keine formale Diskussion mit dem Ministerpräsidenten ist, haben wir zweitens gesagt, dass wir unsere Ziele Bildungsgerechtigkeit, Organisation des Arbeitsschutzes über das Thema gute Arbeit und Organisation der Energiewende, also eine andere Politik in diesem Lande, verwirklichen wollen.
Drittens haben wir gesagt: Das alles erreichen wir ohne DIE LINKEN. Das war der dritte Kanon. – Herr Boddenberg, über Herrn Scheer können wir in den nächsten Wochen gerne noch häufiger diskutieren.
Danach sind hessische Verhältnisse eingetreten. Die Probleme sind nicht so einfach zu lösen, wie dies Herr Wagner eben versucht hat.
Es gab da unter anderem Gespräche mit der FDP. Ich weiß, warum sich die FDP sehr schwer getan hat.
Herr Rentsch, wer sich hierhin stellt und so tut, als hätte es nicht ernsthafte Versuche gegeben, der irrt.
Herr Bouffier, die Frage, wie wir zu einer Großen Koalition stehen, ist in einer bestimmten Situation gestellt worden. Es wäre für uns der doppelte Wortbruch gewesen, Herrn Koch weiter im Amt zu lassen. Denn Sie haben vor uns eine Beugungserklärung ausgebreitet, die Bad-Wildunger Beschlüsse, nach dem Motto: „Herr Koch soll weiter im Amt bleiben. Am Inhalt machen wir ein bisschen was anders.Ansonsten bleibt es, wie es ist.“ Zum Zweiten hätte ein Politikwechsel auch nicht stattgefunden.
Das ist der Punkt, mit dem Sie versucht haben, hessische Verhältnisse zu gestalten. Der Ministerpräsident hat dann eine sehr staatstragende Rede gehalten, nach dem Motto: „Wir machen die Politik der offenen Tür.“ Wir haben sehr oft festgestellt, dass es eher eine Drehtür ist und manchmal die Tür auch vor dem Kopf gelandet ist.
Aber von einer offenen Tür, von einer anderen Form der politischen Kultur haben wir im Hessischen Landtag leider nicht sehr viel erlebt. Da gab es eine harte Rollenverteilung zwischen uns und der Regierung.
In dieser Situation haben wir einen sehr schwierigen Meinungsbildungsprozess eingeleitet, der zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat, nämlich dem Scheitern und heute zur Selbstauflösung des Hessischen Landtags.
Herr Wagner, damit will ich zu einem entscheidenden Punkt kommen, nämlich zu einer vergleichbaren Debatte des Hessischen Landtags am 25. Januar 2001. Dieser Debatte ist ein Beschluss der FDP auf einem Landesparteitag vorangegangen, der mit 184 zu 110 Stimmen gefasst wurde, und zwar nach dem größten Schwarzgeldskandal, den je eine Partei zu verantworten hatte – eine Partei, für die Herr Koch in besonderer Weise steht.
Damals stand die Frage im Raum, ob Sie den Mut haben – so viel zum Thema Moral und politische Kultur –, sich vor die Wählerinnen und Wähler zu stellen und zu sagen: Bewertet das, was angerichtet ist.
Sie haben im Hessischen Landtag mit der Mehrheit von CDU und FDP entschieden. Ich sage das, weil ich auch schon damals FDPler kannte: Das war kein Thema, das in der FDP sehr einfach diskutiert wurde.
Da gab es Leute, die erhebliche Bedenken gegen den einen wie gegen den anderen Weg hatten. Am Ende gab es eine Mehrheitsentscheidung von 184 zu 110, die die Fraktion der FDP geschlossen umgesetzt hat.
Deswegen sage ich Ihnen: Mit dem Thema politische Kultur und Moral in der Politik sollten gerade Sie ein bisschen vorsichtiger umgehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gilt erst recht für das sehr schwierige Verhältnis zwischen dem freien Mandat und dem Mehrheitsprinzip nach unserer Verfassung. Beides sind nämlich Verfassungsprinzipien. Das wollen wir nicht ganz vergessen. Dass das ein Spagat ist, dazu hat Herr Wagner wenige richtige Sätze gesagt.
Natürlich sind hier Grenzen überschritten worden. Ich sage das ausdrücklich. Hier sind auch viele Verletzungen entstanden. Das gilt für 42 sozialdemokratische Abgeordnete. Das gilt für neun grüne Abgeordnete. Das gilt für elf Liberale. Denn ich weiß, dass auch da das eine oder andere Thema diskutiert worden ist. Das gilt für sechs LINKE und für 42 Christdemokraten. Denn Gott sei Dank ist es so, dass bei den Volksparteien teilweise unter
schiedliche Wahrnehmungen über das eine oder andere existieren, auch wenn die veröffentlichte Meinung immer sehr klar und deutlich ist.
Ich will Ihnen aber sagen: Gerade wenn wir über politische Kultur in Hessen reden, geht es auch um die Frage, wer bereit ist, sich in welcher Form zu öffnen. Wir haben die Erfahrung aus neun Jahren, in denen Sie konsequent Ihren Apparat eingesetzt haben, um alles, was auch nur nach sozial-ökologischem Fortschritt aussah, niederzumachen. Das haben wir dauerhaft erlebt. Damit müssen Sie selbstkritisch umgehen.
Ich könnte jetzt viel zu den Teilmeldungen sagen: zum Landessportbund, den Feuerwehren, der Polizei, nach dem Motto, wie schwer das da alles ist und dass das alles, wenn Rot-Grün unter Linkstolerierung ist, abgeräumt wird.
Herr Wagner hat Gott sei Dank den Koalitionsvertrag hochgehalten. Ich sage Ihnen: Das hat alles nichts mit der realen Basis des Koalitionsvertrages zu tun.
Damit will ich zu der Frage kommen, um was es am 18. Januar eigentlich geht.
Ich will Ihnen das ausdrücklich erläutern, auch mit der Charakterisierung meiner Person. Herr Wagner, ich nehme diesen Punkt gleich sehr offensiv auf, und zwar auf zwei Ebenen. Im Moment wird sehr viel über mich gesprochen, von der Brille bis zu weiß Gott was. Ich sage Ihnen, wir machen hier keinen Wettbewerb nach dem Motto: „Wer wird Germany’s next Topmodel?“ Im Übrigen, diesen Wettbewerb mit Herrn Koch würde ich bestehen.
Was heißt „billig“? Ich könnte Ihnen ganz viele E-Mails zeigen, in denen sich die Menschen gerade über die Brillenmodelle von Herrn Koch und mir auseinandersetzen. Das ist weder für ihn noch für mich sehr freundlich. Das ist so.
Ich sage Ihnen: Politik – das ist der eigentliche Punkt – ist deutlich mehr als Inszenierung und Unterhaltung. Politik ist, das habe ich in den letzten Tagen mehrfach gesagt, die Kunst des handlungsorientierten Kompromisses. Wir müssen heute allesamt eingestehen, dass wir genau das nicht geschafft haben.
Worum geht es am 18. Januar? Die zentralen Themen dieses Landes sind nach wie vor unbeantwortet. Das gilt für das Thema Bildungsgerechtigkeit.Gerade nach gestern ist
deutlich geworden, dass die zentrale Frage, nämlich wie wir soziale Herkunft auf der einen Seite und Bildungserfolg auf der anderen Seite organisieren,nach wie vor nicht gelöst ist.
Nicht gelöst ist auch die Frage, wie wir Beschäftigung sichern. Es ist schon verwunderlich, wenn gerade die, die permanent danach geschrien und gerufen haben: „Wenig Staat und wenig Kontrolle“, sich jetzt aufführen wie der letzte Arbeiterführer. Das ist bei Herrn Rüttgers schon schiefgegangen. Herr Koch, das geht auch bei Ihnen schief. Das nimmt Ihnen niemand ab.
Das gilt auch für das Thema Energiewende. Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, wie wir Mobilität und Energieversorgung organisieren. Ganz sicher ist das eines der ganz großen Themen.
Letztlich ist natürlich die Frage, wie wir mit der Wirtschaftskrise umgehen, das vierte große Thema, über das wir zu reden haben.Wir haben heute einen gemeinsamen Punkt behandelt. Da sind auch Differenzen klar geworden. Diese Differenzen werden sicherlich auch in den nächsten Wochen klar werden. Herr Wagner, wir haben aus den hessischen Verhältnissen gelernt.
Wir werden mit diesem Neuanfang, den wir gemacht haben,vor die Wählerinnen und Wähler gehen und ihnen sagen, wo wir Fehler gemacht haben, nämlich taktische und personelle Fehler und nicht inhaltliche Fehler.
Das werden wir sehr offen sagen. Der entscheidende Punkt ist, wenn ich mir die beiden Volksparteien anschaue, dass wir dabei offensichtlich die Einzigen sind. In Bayern ist nach einer krachenden Wahlniederlage kein Stein auf dem anderen geblieben. Dort ist über die Frage diskutiert worden, was falsch gemacht wurde.
Das Einzige, was wir aus der Hessen-Union dazu erfahren, ist:Alles bleibt wie immer.
Auf diese Auseinandersetzung freue ich mich, denn es geht in der Tat um Alt gegen Neu, es geht um alte Ideen gegen neue Ideen. Ich glaube, dass wir dabei sehr gut aufgestellt sind.
Letzter Punkt. Wir gehen sehr offen in diese Wahlauseinandersetzung.Die Themen sind nach wie vor brandaktuell und nicht gelöst.
Ich werde mich den Debatten sehr offen stellen, und nicht nur ich, sondern die gesamte Sozialdemokratie, auch mit allen Fehlern. Ich wünsche mir, dass aus den hessischen Verhältnissen nicht nur die hessische SPD lernt, sondern alle anderen auch. Dazu sind wir jetzt aufgefordert. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich haben wir verabredet, uns alle ganz kurz zu fassen, niemand sollte länger als 60 Sekunden reden. Ich befürchte, nach diesem Vortrag von Herrn Schaus wird das nicht ganz funktionieren.Aber ich versuche es trotzdem.
Herr Schaus, das, was wir heute hier beschließen, bezeichne ich als einen Durchbruch.
Genauso ist das auch in der Region kommuniziert worden, denn dies ist seit langem das erste Mal, dass sich in einer sehr breiten politischen und regionalen Allianz viele – nicht alle, das haben wir gerade gehört – hinter einer Idee sammeln können.
Ich sage Ihnen: Offensichtlich gibt es bei der Linkspartei immer noch ein sehr grundlegendes Missverständnis darüber, was eine Internationale Bauausstellung ist. Eine internationale Bauausstellung ist nicht irgendein Regionalentwicklungskonversionsprojekt. Deswegen geht es nicht vorrangig und zuerst um die Frage, wo ich im Sinne einer nachholenden Entwicklung etwas Strukturpolitisches organisieren kann, sondern darum, wie ich einen bestimmten Raum optimieren kann – und zwar im Rahmen einer internationalen Bauausstellung, immer vor dem Hintergrund einer erstmaligen, modellhaften Entwicklung.
Was ich an Ihrer Position überhaupt nicht verstehen kann, ist, dies zu einem Gegenspiel zwischen Mittel- und Nordhessen zu machen. Das sage ich ausdrücklich als mittelhessischer Abgeordneter.
Zur Erklärung nehme ich einmal zwei Leitbilder dessen, was wir dabei diskutieren. Das ist das Thema der baulichen Verdichtung,der energetischen Versorgung der Region, aber auch die Frage der Organisation von Mobilität und Verkehr.
Da ist doch gerade das Rhein-Main-Gebiet mit seiner hohen Verdichtung, seiner hohen Belastungssituation genau der Raum, bei dem wir fragen können: Wie können sich Metropolregionen in Zukunft anders entwickeln? Das ist das I-Tüpfelchen, von dem wir es für richtig halten, sich damit zu beschäftigen.
Dazu gibt es nun eine Studie von Herrn Jourdan, der ein paar Bilder entwickelt hat. Dazu sagen vier Fraktionen in diesem Hause: Diese Machbarkeitsstudie ist nicht die Grundlage; aber die Idee einer internationalen Bauausstellung ist das richtige Modell, um sich mit diesen Herausforderungen, die unbestreitbar vorliegen, ernsthaft zu beschäftigen.
Damit wir nicht irgendwo Geld für irgendetwas ausgeben, hat sich dieser Landtag entschieden, mit der Region gemeinsam, und nicht von oben herab dieses Projekt zu entwickeln.
Deswegen nutze ich nicht alle Zeit, sondern komme nach drei Minuten zum Schluss. Herr Schaus, das ist ein guter Tag für die Region Frankfurt/Rhein-Main, weil wir im
breiten politischen Konsens die Herausforderungen dieser Region angehen wollen. Es wäre gut, wenn Sie sich daran beteiligten und daraus nicht eine Neiddebatte zwischen Regionen machten.
Das enthebt uns nicht der Aufgabe, Antworten auf regionalpolitische Fragen zu geben.Aber die IBA Rhein-Main ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Region. – Herzlichen Dank.
Die Fachkraft der Union erklärt sich. – Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine lieben Besucherinnen und Besucher, Sie haben eben einen sehr untauglichen Versuch zur Beschreibung der realen Welt erlebt, die Sie wahrscheinlich besser kennen als viele andere, und sind einer wunderbaren Welt von ordnungspolitischen Fantasien begegnet.
Frau Müller-Klepper, deswegen will ich vier Bemerkungen machen.
Erstens. Wir haben wiederholt und immer wieder gesagt, dass tarifliche Lösungen Vorrang haben.
Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass durch Ihre politischen Aktivitäten, unter anderem durch das Zertrümmern der Tariflandschaft, die Kampf- und Arbeitskraft der Gewerkschaften geschwächt ist
und sie an vielen Stellen überhaupt nicht mehr in der Lage sind, tarifliche Lösungen herbeizuführen – weil es den zweiten starken Partner gar nicht mehr gibt, den Sie auch gar nicht wollen.
Zweite Bemerkung. Frau Müller-Klepper, Ihre Bemerkung zum Thema Leiharbeit ist natürlich insofern völlig daneben, weil wir ausdrücklich immer wieder gesagt haben, dass wir das Instrument der Leiharbeit für sinnvoll und notwendig halten.
Herr Boddenberg,es wäre für Sie wirklich sehr hilfreich, wenn Sie wenigstens einmal in Ihrem Leben einfach nur zuhören würden.Das könnte dann vielleicht auch Ihre Ergebnisse verbessern.
Bei der Leiharbeit gibt es zwei völlig verschiedene Entwicklungen. Bei den Fachleiharbeitern gibt es inzwischen eine Situation, in der die Leiharbeit zusammengebrochen ist, weil wir einen solch großen Fachkräftemangel haben, dass das kein interessantes Instrument mehr ist.
Beim Niedriglohn wird die Stammbelegschaft durch den Einsatz von Leiharbeit systematisch reduziert, um das Gesamtlohnniveau in den Betrieben zu senken. Das ist der Punkt, über den wir reden.
Dritte Bemerkung.
Frau Präsidentin, meine dritte Bemerkung ganz kurz. – Ihre Form der Staatslohntheorie mit dem Aufstocken ist völliger Unfug. Der Mindestlohn zerstört nicht Arbeit, sondern er schafft Arbeit. Ein Blick über die Grenzen Deutschlands würde Ihnen bei der Einsicht sehr helfen, die richtige Politik zu machen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil uns die Kollegin Beer Zentralismus vorgeworfen hat.
Liebe Kollegin Nicola Beer, das ist an dieser Stelle nun wirklich der absurdeste Vorwurf an die SPD, weil die Einzigen, die mit der Dringlichkeitserklärung und deren anschließender Durchsetzung für eine zentralistische Lösung gesorgt haben, hier auf der Regierungsbank sitzen.
Herr Bouffier,es ist so.Sie haben von oben herab gesagt, wie es zu funktionieren hat.
Wenn Sie behaupten, es werde über die Köpfe in der Region hinweg entschieden, wie das eben auch Frau Lautenschläger ausgeführt hat, dann ist das eine Verkehrung der tatsächlichen Verhältnisse. Sie wissen, dass das Fondsmodell die Region gespalten und eben nicht zusammengeführt hat. Am Fonds beteiligen sich der Main-TaunusKreis, der Hochtaunuskreis, die Stadt Frankfurt und jetzt interessanterweise auch die Stadt Darmstadt. Wie beteiligt sich denn die Stadt Darmstadt? Wenn ich den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung richtig ver
standen habe, lautet der: Es gibt dafür keine kommunalen Mittel, sondern der Beitrag zum Fonds soll ausschließlich aus Sponsorenmitteln erwirtschaftet werden. – Hanau, Offenbach oder auch der Landkreis Offenbach beteiligen sich an diesem Fonds beispielsweise derzeit nicht.
Sehr spannend dabei ist, Herr Milde, dass der Antrag, der von der CDU- und der SPD-Kreistagsfraktion gemeinsam beschlossen wurde, ausdrücklich eine massive Anhebung der Mittel für die Kultur gGmbH, nämlich von 10 auf 50 Cent, in Aussicht stellt und außerdem festhält
ich komme gleich dazu, Frau Lautenschläger, Sie hätten Ihren Zwischenruf vielleicht ein bisschen zurückstellen sollen –, dass der zusätzliche Beitrag auf 2 c pro Einwohner angehoben wird, wenn die inhaltlichen Kriterien für eine Kooperation, die Zusammenführung des Fonds und des aus der kommunalen Welt gewachsenen Ansatzes der Kultur gGmbH, erfüllt sind. So lautet der Beschluss des Landkreises Offenbach, der von einer großen Koalition geführt wird. Herr Honka, sind Sie Mitglied des Kreistages? – Leider nein.Aber Herr Lortz ist Mitglied des Kreisausschusses. Das heißt, in der CDU-Fraktion ist zumindest bekannt, dass es auch andere Vorschläge zur Frage des Umgangs gibt.
Deshalb ist der Vorwurf, das sei über die Köpfe hinweg entschieden worden, falsch. Im Gegenteil, das, was Sie hier betreiben, bedeutet die Spaltung der Kulturregion. Frau Harting hat es Ihnen heute sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben: Sie haben dieses Thema ein Dreivierteljahr lethargisch vor sich hergeschoben,haben nicht entschieden und sind jetzt im Lichte einer parlamentarischen Initiative zu dem Ergebnis gekommen, dass Sie das innerhalb von vier Tagen durchziehen müssen. Ich sage ausdrücklich, dass damit überhaupt keine kritische Bemerkung in Richtung von Herrn Beck gemacht wird. Herr Beck ist eine hoch anerkannte Persönlichkeit.
Er ist sicherlich ein absoluter Gewinn für die Kulturregion Frankfurt/Rhein-Main. Das ist aber an seine Tätigkeit im Kulturfonds gebunden.
Lassen Sie mich zum Schluss folgende Bemerkung machen. Ich zucke zunehmend zusammen, wenn hier immer von „Leuchttürmen“ gesprochen wird. Sprachbilder sind häufig sehr verräterisch. Mit Verlaub, ein Leuchtturm ist eine Warnboje; er hat eine Gefahrenabwehrfunktion. Deshalb hoffe ich, dass Ihre Leuchttürme nicht zu Windlichtern werden. Der Kulturregion tun Sie jedenfalls keinen Gefallen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich zu Beginn der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt meiner besonderen Freude darüber Ausdruck geben, dass die Zeit der Selbstblockade bei einem der größten Infrastrukturprojekte für das Rhein-MainGebiet offensichtlich beendet ist.
Anders kann man den Dringlichen Entschließungsantrag der Union und der FDP nicht verstehen, wobei ich sagen muss, dass die Position der Liberalen schon in der letzten Periode sehr eindeutig und klar war.
Ich will zunächst an die Entstehungsgeschichte der Debatte über die Internationale Bauausstellung im RheinMain-Gebiet erinnern. Wir erinnern uns: Als im vergangenen Jahr die Machbarkeitsstudie von Prof. Jourdan vorlag, haben wir, nachdem in den verschiedensten kommunalen und Wirtschaftskreisen im Rhein-Main-Gebiet über die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit dieses Ansatzes diskutiert wurde, ein eigenes Programmpapier formuliert, in dem wir als Sozialdemokraten betont haben, dass wir ein solches Projekt für notwendig und für sinnvoll halten.Wir halten das Projekt deswegen für sinnvoll, weil eine Internationale Bauausstellung modellhaft Antworten auf die besonderen städteplanerischen und regionalplanerischen Herausforderungen der Metropolregion Frankfurt/ Rhein-Main geben kann.
Wir waren hochgradig darüber verwundert, dass die Union zu diesem Zeitpunkt nicht bereit und nicht willens war, diesen Weg mitzugehen, obwohl Teile der Union in der kommunalen Familie und auch das Land selbst an diesem Prozess beteiligt waren. Wir haben das deswegen nicht verstanden, weil eine IBA sowohl die Integrationsfähigkeit der Region beweisen als auch ein Identifikationsprojekt für die Region werden könnte, mit dem wesentliche Blockaden in der Region überwindbar wären.
Ich will dabei gar nicht verniedlichen, dass in der Debatte um die Machbarkeitsstudie und bei dem, was innerhalb und außerhalb der Landesregierung diskutiert wurde, unterschiedliche Interessen eine gewisse Rolle gespielt haben. Wir werden über das wesentliche Thema morgen diskutieren, nämlich über die Frage: Erlaubt sich diese Landesregeierung, neben dem Thema Kulturregion, wo sie sich selbst in Schwierigkeiten gebracht hat, eine zweite Baustelle in der Region aufzumachen? Über diesen Punkt werden wir morgen diskutieren, auch wenn die Entscheidungen des heutigen Tages, die zu parlamentarischen Initiativen getroffen werden, die ganz offensichtlich im Lichte gewisser Anträge entstanden sind und in den letzten Tagen in großer Hektik mit den kommunalen Christdemokraten verabredet wurden, morgen sicherlich separat zu würdigen sind.
Wissen wollen wir ganz viel, aber heute wollen wir erst einmal entscheiden.
Es ist ganz einfach, Herr Boddenberg. Wir reden über die Frage, warum zwei Ihrer Leute kurzfristig berufen werden, obwohl der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung von einem „neuen Stil“ und „neuer Kooperation“ gesprochen hat, warum Sie jetzt, nachdem Sie ein Dreivierteljahr nicht in der Lage waren, Personalentscheidungen zu treffen, diese jetzt im Schweinsgalopp auf schnellstem Weg durchsetzen, nachdem ein Antrag aus dem Parlament eingereicht worden ist, der die Frage der Kulturregion in diesem Hause noch einmal thematisieren will. Sie tun dies, damit Fakten gesetzt werden, damit Sie nicht mehr in die Lage kommen, mit uns über politische Positionen diskutieren zu müssen.Genau das wird Gegenstand der morgigen Debatte sein.
So viel zu der Frage, wie ernst das Angebot zur Kooperation in Wirklichkeit gemeint war.
Herr Boddenberg, das war der eigentliche Grund dafür. Sie waren wegen dieser Großbaustelle offensichtlich nicht in der Lage, im vergangenen Jahr einen zweiten Entscheidungsprozess durchzuführen. Jetzt Sie sind in der Tat offensichtlich weitergekommen, und das ist gut so.
Jetzt kommen wir wieder zur Internationalen Bauausstellung. Die Selbstblockade ist beendet, und das ist gut so. Was kann eine Internationale Bauausstellung für die Region leisten? Ich will seitens meiner Fraktion ausdrücklich sagen, dass es bei einer Internationalen Bauausstellung nicht nur um schönes Bauen geht, sondern um konzeptionelle Lösungen für die sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen der Region. Es geht eben nicht nur um die Verbindung von Architektur, Stadt- und
Regionalentwicklung, sondern auch um die Auseinandersetzung mit lebens- und sozialreformerischen Ansätzen und Anforderungen. Das wird den einen oder anderen überraschen, aber wer sich mit dem Konzeptansatz der IBA beschäftigt hat, wird das wissen.
Deshalb ist die Internationale Bauausstellung aus unserer Sicht das Integrations- und Identifikationsprojekt in und für die Region Rhein-Main. Das ist die Chance, die eine Internationale Bauausstellung aus unserer Sicht bietet. Ich will ausdrücklich hinzufügen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Man sollte allerdings nicht den Eindruck vermitteln, dass eine Internationale Bauausstellung bei aller Gewichtigkeit dieses Projektes eine universelle Antwort auf alle Probleme des Raumes geben könnte. Es wäre vielmehr ein Teilbeitrag.
Gut,dass auch die CDU das verstanden hat.– Deswegen ist das eine Frage, in der es nicht um eine nahezu religiöse Überhöhung des konzeptionellen Ansatzes geht, aber sehr wohl um eine ernsthafte Auseinandersetzung.
Ich will etwas zu den Bedingungen sagen, die nötig sind, damit die Internationale Bauausstellung aus unserer Sicht so funktionieren kann. Es geht in der Tat um die Verbindung von Leben,Arbeit, Umwelt und Verkehr in einer auf das höchste Maß belasteten, gleichzeitig aber prosperierenden Region. Diese Widersprüchlichkeit bietet Chancen und Gefahren. Genau an dieser Stelle will die Internationale Bauausstellung eine Antwort bieten. Deswegen kann die Internationale Bauausstellung weit über den Horizont einzelner Projekte hinaus konzeptionelle Anregungen gerade im Hinblick auf den Stadt-Umland-Konflikt geben.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dazu ist es aber absolut notwendig, dass dieser Prozess anders als in den letzten Monaten organisiert wird. Was heißt das? Für mich ist völlig klar, auch nach den in Vorbereitung dieses Tagesordnungspunktes mit vielen Kolleginnen und Kollegen geführten Gesprächen, dass die Internationale Bauausstellung der Region vom Land keinesfalls aufoktroyiert werden darf.
Eine Internationale Bauausstellung kann nur funktionieren, wenn sie von der Region getragen wird. Das gilt für die Bürgerinnen und Bürger, für die Politiker und für die Vertreter der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kultur. Letztlich geht es nämlich um eine Verbindung dieser Fragen.
Deswegen geht es letztendlich nicht um die Entscheidung, dass das Land Hessen eine Internationale Bauausstellung im Rhein-Main-Gebiet organisiert, sondern darum, dass wir einen Prozess – einen Meinungsbildungsprozess – in der Region und mit der Region organisieren. Das Land kann hierbei Moderator, Mediator und Initiator sein. Aber es kann ganz sicherlich nicht die Ersatzmaßnahmen durchführen, die es hier an anderer Stelle – das Thema Kultur habe ich eben schon angesprochen – immer wieder vorgenommen hat.
Ich will aber ausdrücklich sagen, dass genau diese Bedingung erfüllt ist. Wenn Sie die Zeitungen der letzten Tage aufmerksam gelesen und verfolgt haben, was dort im Zusammenhang mit der Wirtschaftinitiative Frankfurt Rhein-Main, der IHK Frankfurt und mit vielen anderen
Akteuren steht, die sich immer wieder positiv auf die Durchführung einer Internationalen Bauausstellung bezogen haben, konnten Sie feststellen, dass es eine Grundsympathie für ein solches Projekt gibt.
Alle Entscheidungsträgerinnen und -träger wissen nämlich, dass wir diesen Herausforderungen eigentlich nicht länger ausweichen dürfen. Vor allem müssen wir endlich weg von isolierten Teilentscheidungen hin zu einem gemeinsamen Konzept zur Bewältigung dieser Herausforderung. Das ist eben die Durchführung einer Internationalen Bauausstellung.
Ich will aber auch ein paar Bemerkungen zu der vorliegenden Machbarkeitsstudie machen.Wir hatten dazu eine Anhörung im Ausschuss, in der die Machbarkeitsstudie in aller Breite vorgestellt wurde. Ich will hier ausdrücklich sagen, dass die Machbarkeitsstudie ein paar interessante Ideen enthält. Aber ich glaube, dass wir uns darin einig sind: Die jetzt vorliegende Machbarkeitsstudie ist sicherlich kein Masterplan zur Umsetzung der Ideen für eine Internationale Bauausstellung. Sie ist nicht mehr als eine erste Hinführung auf dieses Thema.
Der Inhalt ist aber ganz sicherlich nicht umsetzungsfähig. Viele Aspekte, die uns im Sinne von Herausforderungen wichtig sind – Demografie, Mobilität, Integration und Klimaneutralität –,werden in der Machbarkeitsstudie von Herrn Prof. Jourdan überhaupt nicht behandelt. Das Landschaftsstadtbild ist sicherlich interessant.Aber es ist, sowohl städteplanerisch als auch regionalpolitisch, aus unserer Sicht eine völlig unzureichende Antwort.
Ich sage das auch deswegen,weil wir nicht wollen,dass die Internationale Bauausstellung zu einem Sammelsurium aus aneinandergereihten Einzelprojekten wird. Es geht eben nicht nur um schönes Bauen, sondern vor allem um ein nachhaltiges Entwicklungsmodell, das auf die drängenden Fragen der Region – Stichwort: Soziales, Ökonomie und Ökologie – Antworten findet.
Deswegen sage ich hier noch einmal sehr deutlich: Die Machbarkeitsstudie ist eine erste Hinführung. Sie ist sicherlich kein Handlungskonzept. Das muss erst entwickelt werden.Aber nach den Gesprächen, die in den letzten 48 Stunden geführt worden sind, habe ich den Eindruck, dass darüber Einigkeit besteht.
Der vorletzte Punkt betrifft die Organisation.Wir sind davon überzeugt – die Beispiele der vergangenen Internationalen Bauausstellungen zeigen das deutlich –, dass wir, wenn wir dahin gelangen, dass die Region sie trägt, letztlich nicht umhinkommen werden, eine eigenständige Trägergesellschaft zu bilden, die die Internationale Bauausstellung umsetzt. Dabei wird das Land sicherlich einen Finanzierungsanteil erbringen müssen.
Aber auch hier sage ich ganz klar, dass nicht das Land Hessen die Ersatzmaßnahme für die Region formuliert und dass deswegen auch die Region adäquat an der Umsetzung der Internationalen Bauausstellung zu beteiligen ist. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass es dabei einerseits um die Finanzierung der Gesellschaft geht, die all das konzeptionell entwickeln und anschließend umsetzen muss. Es geht andererseits sicherlich auch um die Mittel, die notwendig sind, um IBA-Exzellenzprojekte umzusetzen.
Der Punkt, an dem das Land sicherlich am meisten in die Verantwortung genommen wird, betrifft die Grundfinanzierung und Bündelung von Förderwegen, so, wie das beispielsweise in NRW, aber auch in Hamburg derzeit pas
siert.Wir sagen sehr deutlich:Wir werden sicherlich nicht einen eigenen Projekttopf bilden können – das ist unsere Auffassung –, aus dem dann große Verkehrsprojekte separat finanziert werden, sondern das muss aus den bestehenden Töpfen kommen. Dazu werden wir die Fördermittel bündeln müssen.Wir werden auch neue Fördermittel heben müssen. Beides halte ich für möglich, und ich weiß, dass das Haus daran arbeitet. Insofern bin ich an dieser Stelle sehr zuversichtlich, dass wir am Ende zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen.
Das ist meine abschließende Bemerkung:Ich glaube,es ist notwendig, dass wir auf der Grundlage der beiden jetzt vorliegenden Entschließungsanträge und unter Umständen auch aufgrund der Entschließungsanträge, die aus anderen Fraktionen kommen, in den Ausschussberatungen zu einer gemeinsamen Beschlussfassung gelangen; denn Projekte von einer solchen Dimension sind letztlich keine Projekte, die in einem großen politischen Streit zu entscheiden und anschließend umzusetzen sind. Das heißt aber auch – das will ich einschränkend sagen –,es muss erkennbar sein, dass es sich um einen wirklich neuen Entwicklungspfad handelt.
Sie können am Beispiel der großen Bauausstellungen, die hochgradig umstritten waren – etwa in Berlin –, sehen, dass das anschließend nicht funktioniert.Aber dort, wo es einen politischen Grundkonsens gab, waren die Internationalen Bauausstellungen ein wirklicher Gewinn für die jeweils betroffenen Regionen.
Deswegen sollten wir im Ausschuss alles dafür tun, dass wir zu einer gemeinsamen Entscheidungsbasis finden, mit der aus unserer Sicht zunächst der Prozess beschrieben wird, durch den wir zu einer gemeinsamen Entschließung kommen. Heute kann es ganz sicherlich noch keine Entschließung zu dem geben, was wir konkret machen. Ich habe schließlich bereits auf die Defizite der Machbarkeitsstudie hingewiesen.
In diesem Sinne glaube ich, dass wir unter dem Strich inzwischen auf einem guten Weg sind.Wenn das die Rednerinnen und Redner der anderen Fraktionen auch so sehen, ist das heute, glaube ich, ein guter Tag für die Region Frankfurt/Rhein-Main. Wenn wir das konsequent weiter entwickeln, wird es für die Region viele weitere gute Tage geben. – Herzlichen Dank.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Vielen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Als nächste Rednerin hat Frau Beer für die Fraktion der FDP das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Frank Kaufmann, es ist wie fast immer, wenn du redest: am Anfang große Erheiterung und am Ende gelegentlich auch ein bisschen Ärger. Deswegen möchte ich gerne drei Bemerkungen machen.
Zu der Frage der Heranführung der Machbarkeitsstudie möchte ich dir gerne Folgendes auf den Weg geben, damit es im Protokoll auch überhaupt keine Irritationen gibt: Herr Corts, der ehemalige Wissenschaftsminister,
hat im Plenarsaal einmal erklärt, dass die Studie von Herrn Jourdan nichts Besseres als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sei, so das wörtliche Zitat. Ich maße mir so etwas nicht an.Aber genau die Punkte, die du eben beschrieben hast, machen deutlich, warum die Machbarkeitsstudie keine hinreichende Plattform dafür ist, als Handlungsrahmen, als Masterplan, oder wie auch immer, für eine IBA Rhein-Main zu stehen, sondern bestenfalls mit dem Bild der Landschaftsstadt einen möglichen konzeptionellen Ansatz bietet, mehr aber auch nicht. Man hätte das sicherlich sehr viel deutlicher und prägnanter sagen können. Ich wollte es ein bisschen diplomatischer sagen. Jetzt mache ich einen Nachtrag, damit das klar ist.
Das gilt insbesondere auch für die Frage, ob Airport City der Fokus der IBA Rhein-Main ist.Genau das ist nicht unser Thema. Ich habe mehrfach darauf verwiesen: Es geht um ein neues Entwicklungsmodell und um die Frage, was Bauen, soziale Moderne und soziale Lebensverhältnisse miteinander zu tun haben. Das klären wir vielleicht einmal beim Essen, denn das würde in der Tat zu weit führen.
Aber es geht genau um die Verbindung von Leben, Arbeit, Umwelt und Verkehr, nämlich um die Frage, wie bei
spielsweise die Funktionstrennung von Wohnen und Arbeit aufgehoben wird, wie wir andere konzeptionelle Antworten finden und dann auch konkret umsetzen. Deswegen ist Airport City ausdrücklich nicht das Thema.Deswegen ist auch das, was Herr Jourdan zum Thema grüner Flughafen schreibt, aus meiner Sicht, mit Verlaub, Unfug. Es ist überhaupt nicht tragfähig,auch wenn es der Versuch war, die Region sozusagen philosophisch zu befrieden.
Letzter Punkt: die Frage des Leitbildes.Wir haben im Moment noch kein Leitbild. Aber die IBA bietet als Modellausstellung – –
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Herr Schäfer-Gümbel, Sie müssen zum Schluss kommen. Die zwei Minuten sind um.
Ich komme zum Ende. – Das ist eben keine Antwort. Klar ist: Die IBA ist kein Ersatz für die Verfasstheit dieser Region. Das Thema werden wir an anderer Stelle klären.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Danke schön, Herr Schäfer-Gümbel. – Als Nächstem darf ich Herrn Kollegen Schaus für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen. Bitte, Herr Schaus.