Karin Schmidt
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Wege führen nach Rom und ebenso viele Möglichkeiten gibt es, die Notwendigkeit der Behandlung der Thematik Kultur und einer damit verbundenen Konzeption im engeren und weiteren Sinne zu begründen.
Bei genauerem Hinsehen wird schon deutlich, dass die aufgestellte Forderung der Kulturkonferenz, zu der durch das Bildungsministerium Kulturschaffende und Kulturverwaltende am 5. Juni 2002 eingeladen waren, die Begrifflichkeit Kultur in der Gegenwart zu definieren, wichtig und richtig war. So formulierte schon im vergangenen Jahrhundert Hilmar Hoffmann Folgendes: „Kultur ist ganz gewiß nicht das, was gemeinhin als schöner Schein bezeichnet wird. Kultur ist eine Lebensform, ein Lernprozess, Kultur bringt Kommunikationsfiguren hervor, schafft Beziehungseffekte zu Menschen und ihrer Umwelt, zu ihrer Natur, zu ihrer Gestaltung von Städten und Landschaften, weist auf die Zukunft hin – und das immer mit dem Blick auf die Vergangenheit. Kultur ist Lebensform, Gestaltung, Aneignung.“ Also das Leben selbst!
Wie Recht er damit hat, beweist uns unsere Sprache auch selbst, denn Kultur findet Verbindungen mit den unterschiedlichsten Bereichen, die wir wohl kennen, zusammengetragen ob der Vielzahl ihrer Möglichkeiten, die uns erstaunen lassen. Und ich möchte einige, andere sind Ihnen vielleicht auch bekannt, abgesegnet durch den Duden, mal benennen: Wir kennen eine Weltkultur, Landeskultur, Nationalkultur, Stadtkultur, Soziokultur, Kulturwissenschaft, Kulturwerte, Ess- und Trinkkultur, Sprachkultur, Redekultur, Berichtskultur, Kulturgeschichte, Kulturrevolution, Lernkultur, Kirchenkultur, Wohnkultur, Betriebskultur, Lebenskultur, Spaßkultur, Wissenschaftskultur, Kleingartenkultur, Baukultur und nicht zuletzt Streitkultur,
wobei in diesem Hohen Hause leider zu oft bewiesen wird, den Begriffsinhalt dieser Vokabel vielleicht nicht vollständig erfasst zu haben.
Was wollte ich aber mit der Aufzählung eigentlich verdeutlichen? Kultur ist Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens, unterliegt damit Veränderungen, denn gesellschaftliche Verhältnisse verändern sich und werden politisch begleitet gesteuert. Dabei beeinflusst Gesellschaftspolitik auch die Lebenschancen der Menschen, folgt bestimmten Wertvorstellungen, hat also kulturelle Absichten, Ziele und Folgen. Zugleich werden moderne Gesellschaften immer stärker durch kulturelle Faktoren geprägt. Damit wurde in den letzten Jahrzehnten Kulturpolitik immer stärker zur Gesellschaftspolitik.
Die PDS-Fraktion versteht Kulturpolitik darum nicht als ein Einzelressort, sondern als Teil von Gesellschaftspolitik, sieht sie eingebettet in die Vorschläge, mit denen auf die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels reagiert werden soll und muss.
Stichwort Globalisierung: Sie wird von vielen Lohnabhängigen und MittelständlerInnen als ein Bündel von widrigen wirtschaftlichen Sachzwängen erlebt, die letztlich auf eine aggressive soziale Polarisierung hinauslaufen können. Sie ist aber zugleich die weitere Internationalisierung der Märkte und Kommunikation, also auch die der davon geprägten Lebensbereiche wie Arbeitsweise, Konsumform, Freizeitgewohnheiten und Lebensstile. Hinzu kommen neue Informations- und Kommunikationstechnologien, die universelle Bilderwelten und Konsummuster erzeugen.
Die kulturellen Folgen der gegenwärtigen Globalisierung sind noch nicht abzusehen, die Reaktionen darauf vielfältig. Doch sicher ist für die demokratische Kulturpolitik, dass sie alles unterstützen muss, was das Bewusstsein von der einen Welt bekräftigt, die überall den Frieden mit realisierten unteilbaren Menschenrechten dringend benötigt – eine gewaltige Herausforderung an Kulturpolitik.
Ohne diesen Gedanken an dieser Stelle weiter ausbauen zu können hoffe ich, dass deutlich erkennbar wurde: Kulturpolitik muss ressortübergreifend als gestaltende Politik begriffen werden. Veränderte gesellschaftliche, politische, kulturelle und finanzielle Rahmenbedingungen verlangen es, Selbstverständnis und Aufgaben zu überprüfen. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass, wie Sie wissen, die PDS-Fraktion seit Jahren darauf drängt, dass eine Kulturentwicklungskonzeption des Landes erstellt wird, und zwar nicht vom grünen Tisch her, sondern als Prozess von unten durch Kommunikation zwischen den kulturellen Verbänden, Vereinen, Kommunen und dem Land.
Die Debatte hat, wie ich am 5. Juni während der Landeskulturkonferenz erleben konnte, auch durch das allerdings schon 1999 erstellte Diskussionspapier des Kulturbeirates an Intensität und Qualität gewonnen. Damit ist ein entscheidender Schritt getan. Richtig ist, dass diese Konzeption eigentlich zum Ende dieser Legislatur vorliegen sollte. Dass das nicht realisiert wurde durch das Ministerium für Wissenschaft, Bildung und Kultur, hat verschiedene Gründe, die konkret analysiert und ausgewertet werden müssen.
Ebenso analytisch aufbereitet werden muss die gegenwärtige kulturelle Situation überhaupt. Die Tatsache, dass eine erfreuliche kulturelle Vielfalt in unserem Bundesland zu verzeichnen ist, erkennt die PDS-Fraktion ebenso an wie die Probleme ihrer weiteren Verbreitung beziehungs
weise Ausdifferenzierung. Letztere – das heißt die besagten Probleme – haben meines Erachtens nichts mit konzeptionsloser Arbeit zu tun, eher damit, dass allgemein der Stellenwert, den Politik der Kultur als nichtproduktiven Bereich angesichts einer forcierten neoliberalen Entwicklung beizumessen bereit ist, stetig sank.
Im Gegensatz dazu vertritt die PDS die Auffassung, dass Kultur in seiner Bedeutsamkeit für die Lebensqualität des Einzelnen wie für die Gesellschaft insgesamt erhöhter Aufmerksamkeit und Förderung bedarf, wobei wir Förderung zum einen nicht als belastende Subvention verstehen, sondern als Investition in den wohl grundlegendsten Bereich menschlichen Lebens, wie am Anfang dargestellt. Zum anderen definieren wir Förderung nicht ausschließlich als Haushaltsfrage, sondern auch als Fragen des kulturellen Klimas von Lebensinhalten, Prioritäten, Dialogen, Vernetzungen et cetera, die zu klären sind. Wir stehen aber nach wie vor zu einer Erhöhung des Landeskulturetats als ressortübergreifende Verpflichtung. Ich bin mir sicher: Würde tatsächlich in gesamtgesellschaftlichen Kategorien gedacht und gerechnet, würde die Anzahl derer, die das für unangebracht oder gar nicht realisierbar halten, merklich kleiner werden.
Aus all diesen Aspekten, zu denen ich weitere hinzufügen könnte, ergibt sich, dass es notwendig ist, die seit über zehn Jahren praktizierte Kulturförderpolitik entsprechend den bestehenden Grundsätzen der vorliegenden Förderrichtlinie unter anderem zu folgenden Problemen auf den Prüfstand zu stellen.
Erstens. Es ist inzwischen eine kulturelle Infrastruktur entstanden, die allein durch Projektförderung nicht erhalten, geschweige denn weiterentwickelt werden kann. Also darf die Frage nach institutioneller Förderung nicht länger weggewischt werden.
Zweitens. Die Dynamisierung von Fördersummen, um adäquat auf Entwicklung von Tarifen und Betriebskosten einschließlich der Musikschulen, Theater und Orchester reagieren zu können, die Trägervielfalt zu erhalten und zu erweitern sowie für angemessene Arbeitsbedingungen sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten von KünstlerInnen, KulturvermittlerInnen und -verwerterInnen muss möglich werden. Der Umstand, dass Theater und Orchester ausschließlich über das FAG durch den Vorwegabzug Fördermittel erhalten, muss verändert werden und nicht zuletzt dahin gehend, dass auch die anderen Ressorts Fördermöglichkeiten für Kunst und Kultur bereitstellen müssen.
Ein ganz aktuelles Beispiel hatten wir gestern in der Zeitung: „Kunst mit gutem Zweck“. Das Internationale Bildhauersymposium in Bantin wurde gestern von Landwirtschaftsminister Till Backhaus eröffnet. Die neun Teilnehmer der Veranstaltung wollen aus dem vielseitigen Produkt Holz Skulpturen schaffen. Das Symposium wird vom Kultusministerium gefördert.
Politische Gestaltungskonzepte sollen den sozialen, kommunikativen, ästhetischen, technischen Möglichkeiten und Bedürfnissen aller EinwohnerInnen und gesellschaftlichen Schichten Rechnung tragen. Deshalb ist es wesentlich, dass das Land in einer Kulturentwicklungskonzeption unter anderem ermöglicht:
dass aktive und passive Beteiligung am kulturellen Leben tatsächlich Möglichkeit aller ist,
dass der öffentliche Raum für Begegnungen und Austausch der verschiedenen Kulturen bereitgehalten wird,
dass kulturelle Differenzen als kostbares Gut begriffen werden und lokalen wie nationalen Eigenheiten durch praktizierte Chancengleichheit mit einer Kultur der Akzeptanz begegnet wird, wofür ein dichtes Netz soziokultureller Einrichtungen, Institutionen und Projekte Voraussetzung ist,
dass solche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die für die Entfaltung des künstlerischen Schaffens, die Verwertung von Kunst, die kulturelle Vermittlungsarbeit und die Rezeption von Kunst und Kultur förderlich sind,
dass vitales bürgerschaftliches Kulturinteresse und Engagement vor dem Hintergrund der Trägervielfalt gestärkt wird.
Ich denke, es gibt ausreichend Gründe, dass wir die Landesregierung auffordern sollten, den im Antrag genannten Bericht dazu zu geben. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie in meiner Eingangsrede schon dargestellt, sind wir der Auffassung, dass Kulturförderung und Kulturentwicklungskonzeption beides in Überarbeitung zu bringen ist, und ich denke, dass im Unterschied zu dem – zumindest habe ich es so verstanden –, wie Frau Schnoor es hier darstellte, Kulturförderung und Kulturentwicklungskonzeption dahin gehend trennte, Ersteres schneller zu befördern, die Kulturentwicklungskonzeption als die Beschreibung eines Weges und Zieles dahin zunächst beschrieben werden muss und dann punktuell die Förderung auch realistisch ist.
Gut, deswegen habe ich das noch mal so dargestellt. Dann sind wir uns ja dahin gehend einig.
Selbstverständlich begrüßt die PDS-Fraktion die Tatsache, dass die Kulturfördermittel nicht, wie von der Vorgängerregierung in der Mittelfristigen Finanzplanung bereits beschlossen, um jährliche Millionen D-Mark-Summen gekürzt wurden. Es ist ein Erfolg, dass ab 1999 diese Haushaltsmittel in absoluten Zahlen konstant geblieben sind. Soviel ich weiß, ist das in keinem anderen Bundesland so in diesem Zeitraum passiert.
Aber wenn wir heute über Kulturförderung und -entwicklung sprechen, dann gehört nicht dazu, die Augen zu verschließen, dass auch bei gleichbleibenden Summen aufgrund von Erhöhungen der Betriebskosten und der Tarife den Kulturengagierten und KünstlerInnen real weniger zur Verfügung steht.
Und ich halte es schon für erschreckend, dass auch die öffentliche Hand nach oben korrigierte Tarifverträge unterzeichnet, sie sich aber teilweise weigert, für bestimmte Berufsgruppen einzuhalten. Dieses muss auch so deutlich benannt werden.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Kulturentwicklungskonzeption und Kulturförderung muss
deshalb unbedingt etwas zum Problemkreis Kultur/Wirtschaft gesagt werden, denn dies muss in der Konzeption eine wichtige Rolle spielen, was ich nachfolgend begründen möchte:
Aus dem, was ich in der Einbringung des Antrages sagte, geht, so glaube ich, hervor, dass Kultur nicht auf eine Standortfunktion begrenzt werden kann. Ansonsten hieße das vor allem, sie nach ökonomischen, nach Verwertungskriterien zu beurteilen und eine entsprechende Politik zu betreiben. Wenn Kultur die tägliche Lebensqualität vor Ort bestimmt und in diesem Sinne das Kapital der Gemeinde und des Landes ist, dann geht das weit über materielle Werte hinaus. Dann ist damit individueller und gesellschaftlicher Reichtum gemeint. Kulturelle Institutionen und solche der ethischen Produktion sind nicht auf ihre Eigenschaft als Standortfaktor zu reduzieren, aber sie besitzen für Städte und Regionen mehrere wirtschaftliche Dimensionen – neben der eines weichen Standortfaktors die so genannte Umwegrentabilität, das heißt, es werden Wirtschaftsimpulse unter anderem für den Tourismus, den Handel, das Taxiund Beherbergungsgewerbe und so weiter ausgelöst.
Ich denke, es wäre nicht korrekt zu behaupten, die Kulturwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern hätte in den zurückliegenden Jahren keine Entwicklung genommen. Jedoch unstrittig ist die Notwendigkeit, sich den entwicklungsfähigen kulturwirtschaftlichen Potentialen intensiver zu stellen, ohne – und das betone ich besonders – der enormen Kommerzialisierung von Kunst und Kultur das Wort zu reden oder sie noch stärker befördern zu wollen. Musikwirtschaft, Literatur, Buch- und Pressemarkt, Kunstmarkt, Film- und Fernsehwirtschaft, darstellende und Unterhaltskunst, Dessinmarkt, Kulturbauwirtschaft einschließlich Denkmalpflege, Kulturtourismus, kurz, das weite Feld der Kulturwirtschaft mit ihren kulturellen und kulturrelevanten Produktions-, Handels- und Dienstleistungsaktivitäten bietet gezielt zu erschließende und zu erweiternde Möglichkeiten für den Arbeitsmarkt sowie für eine Vervielfältigung kultureller Angebote, aber auch für ein positives kulturelles und kulturhistorisches Image von Orten und Regionen.
Das Wissen darüber hat zugenommen, dass der Kulturund Mediensektor zu den Schlüsselbranchen gehören.
Werden aber entsprechende Schlussfolgerungen gezogen? Michael Söndermann, Vorsitzender des Arbeitskreises Kulturstatistik e. V. mit Sitz in Bonn, schreibt im Jahrbuch für Kulturpolitik 2001 Folgendes, ich zitiere: „Merkwürdig ist nur die Tatsache, dass die Politik und die Verwaltungen nach wie vor auf die traditionellen Industrien als Herzstück der Wirtschaft setzen. Chemie-, Energiewirtschaft und -versorgung oder bestenfalls die Informations- und Kommunikationstechnologie – Branchen sind die Hoffnungsträger der wirtschaftlichen Zukunft. Kulturwirtschaft und kultureller Beschäftigungsmarkt kommen in vielen industrie- und arbeitsmarktpolitischen Grundsatzpapieren und Strategieprogrammen überhaupt nicht vor, denn sie gelten als so genannte nicht marktbestimmende Branchen. In der herkömmlichen ökonomischen Betrachtung werden die Kulturbranchen als Orchideenfelder angesehen, die wohl kaum einen nennenswerten Beitrag zur Bruttowertschöpfung, zur wirtschaftlichen Leistung einer Gesellschaft beitragen können.“ Zitatende.
Die Notwendigkeit einer veränderten Betrachtungsweise ergibt sich aber auch aus einer EU-Studie vom Juni 2001 – von der Generaldirektion Beschäftigung und Soziales vorgelegt –, die für den europäischen Kultur- und Mediensektor ein überdurchschnittliches Beschäftigungsvolumen und -wachstum aufweist. Demnach sind mehr als sieben Millionen Menschen derzeit in Europa im privatwirtschaftlichen und subventionierten Kultur- und Mediensektor im weitesten Sinne erwerbstätig.
Und jetzt, meine Damen und Herren, möchte ich einmal die Kulturwirtschaft der Landwirtschaft, die ja auch heute und gestern schon eine wichtige Rolle spielte, in Deutschland gegenüberstellen.
Verfügbare Zahlen besagen, dass es in der Kulturwirtschaft knapp 60.000 selbstständige KünstlerInnen und KulturunternehmerInnen gibt, die Musik, Buch, Kunst, Film und darstellende Künste in der Produktion und in der Dienstleistung bedienen. Dieser eng abgegrenzte Branchenbegriff umfasst die Kulturmärkte im engeren Sinne, also noch ohne Phono-, Presse- und Werbemärkte. Diese werden in der Regel bei den Kultur- und Medienwirtschaftsanalysen eingebunden. Die Gesamtumsätze der so definierten Kulturwirtschaft liegen schon im Jahre 1996 bei 70 Milliarden DM beziehungsweise 35,4 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von einem Prozent der Gesamtwirtschaft in Deutschland. Diese Zahlen werden sich inzwischen mit Sicherheit erhöht haben. Von den insgesamt über eine Million Arbeitsplätzen im Kultur- und Mediensektor lassen sich für die Kulturwirtschaft allein rund 385.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zuordnen.
Nun zur Landwirtschaft. Es mag frappieren, aber dort finden sich auffallend ähnliche Zahlen und Strukturen. Die Anzahl von 57.800 Unternehmen im landwirtschaftlichen Sektor liegt nur geringfügig unterhalb der Gesamtangabe d er Kulturwirtschaftsunternehmen. Der Anhaltswert der Landwirtschaft für die Wirtschaftsleistung fällt im Vergleichsjahr ’96 sogar deutlich hinter die kulturwirtschaftliche Umsatzleistung zurück und erreicht nur 40 Milliarden DM oder 21,1 Milliarden Euro. Auch der Umfang der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne Saison- und geringfügig Beschäftigte in der Landwirtschaft liegt mit 365.000 Personen hinter dem der Kulturwirtschaft.
Obwohl schon diese wenigen Strukturdaten zu den beiden Branchen frappierende Gemeinsamkeiten aufweisen, ist festzustellen, dass die Sensibilität der Politik für Landwirtschaft sicher nicht nur aus aktuellem Anlass höher als für die Belange der Kulturwirtschaft ist. Änderungen sind aus gesagtem Grund notwendig.
Ich meine, dass es immer dringender wird, jährliche Kulturberichte zu erstellen, wie das zum Beispiel auf den Gebieten der Umwelt oder der Gesundheit der Fall ist. Die bisher einzige Analyse der Kulturwirtschaft MecklenburgVorpommerns, vorgelegt vom Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern, stammt vom April 1997.
Des Weiteren braucht Kulturpolitik endlich verlässliche, an reale Strukturen gebundene Grundlagenarbeit. Eine verantwortlich getragene empirische Kulturforschung und Statistik kann dazu wichtige Beiträge leisten. Noch fehlt sie. Und ich wiederhole eine Forderung der PDS-Fraktion: Wir brauchen dringend spezielle Förderprogramme und die punktgenaue Öffnung bestehender Förderungen der Ressorts. Sie sind ebenso unverzichtbar wie spezifische, strukturelle Regelungen zur Erweiterung der Gestaltungsspielräume.
Erfahrungen einholen kann man zu dieser Thematik zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Dort hat das Wirtschaftsministerium ein eigenes Fachreferat Kulturwirtschaft eingerichtet. Das kümmert sich um Förder-, Qualifizierungs- und Marketingprobleme für alle Teilbranchen der Kulturwirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf einen weiteren Aspekt verweisen, der in Bezug auf Kulturentwicklungskonzeption und Kulturförderung Beachtung finden muss. Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zwei Wochen auf der BDI-Jahrestagung davon sprach, dass zu den wichtigen Fragen der kommenden Wahlperiode die Neuordnung des Föderalismus gehöre – so, wie Herr Friese es ja auch darstellte –, wird er den Bereich Kultur eingeschlossen haben, denn bekanntlich ist Kulturpolitik eine föderal organisierte öffentliche Gemeinschaftsaufgabe, die wesentlich von den Kommunen und Ländern wahrgenommen wird.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die PDS für die Wahrung des kulturellen Föderalismus eintritt, aber zugleich die Notwendigkeit sieht, ihn im Sinne eines kooperativen Kulturföderalismus weiterzuentwickeln.
Das heißt, ohne verantwortungsbewusste Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden sowie der EU und ohne eine Neubestimmung jeweiliger Aufgaben- und Verantwortungsbereiche werden die künftigen Aufgaben der Kulturförderung nicht zu leisten sein. Dabei zu klärende kulturpolitische Sachverhalte sind unter anderem:
die Perspektiven der sich in Finanznot befindlichen Kommunen als entscheidende Trägerinnen, Finanziers und Orte von Kultur zu untersuchen,
das sich ändernde Verhältnis zwischen den kulturellen AnbieterInnen und TrägerInnen – öffentliche Hand, gemeinnütziger Sektor, bürgerschaftliches Engagement und Wirtschaft, sprich Trägerpluralismus,
die Erfordernisse und Auswirkungen des europäischen Einigungsprozesses in ihrer Dialektik von Chancen und Risiken für den Kulturföderalismus in Deutschland
sowie der Einzug moderner Medien in die Produktion und Konsumtion kultureller Güter.
Ich meine, bei Kunst und Kultur im engeren Sinne müssen wir an der grundsätzlich festgelegten beziehungsweise verfassungsrechtlich abgesicherten Kompetenzverteilung festhalten. Trotz aller aktuellen Probleme sprechen dafür die erreichte kulturelle Vielfalt und Dichte, die eng mit den föderalen Strukturen der Bundesrepublik verbunden sind. Für die Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist entscheidend, dass in allen Bundesländern, also auch in unserem, vielfältige Möglichkeiten kulturellen Ausdrucks und kultureller beziehungsweise künstlerischer Produktion und Konsumtion gegeben sind. Regional unterschiedliche konkrete Inhalte und Formen dieses kulturellen Lebens – also das Wie – beeinträchtigen nicht die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, sondern bereichern sie, insbesondere in Verbindung mit der wachsenden Mobilität der Menschen.
Allerdings kann diese Kompetenzverteilung zukünftig nur tragfähig sein, wenn die Länder und in deren Folge die Kommunen in die Lage versetzt werden, ihre Verantwortung für die Bereitstellung günstiger Rahmenbedingungen für ein vielfältiges kulturelles Leben und künstlerisches Schaffen tatsächlich wahrzunehmen. Insofern sind hier auch die Wirtschafts- und FinanzpolitikerInnen gefragt. Außerdem will ich noch einmal darauf verweisen, dass die Entwicklung in den Bereichen Kommunen, Trägerpluralismus, europäischer Einigungsprozess und moderne Medien erheblichen Einfluss darauf haben wird, wohin die Reise in diesem Bereich gehen wird.
Ein letzter Gedanke: Die das Bund-Länder-Verhältnis betreffenden Forderungen nach einer Kulturstaatsklausel und nach Einbeziehung des Kulturbereichs in die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern finden auf kommunaler Ebene ihre Entsprechung in der Forderung, wie die sozialen so auch die kulturellen Aufgaben gesetzlich zu Pflichtaufgaben zu machen. Gegenüber dieser verführerischen Forderung werden jedoch auch Bedenken dahin gehend geltend gemacht, dass durch diese Forderung der kommunalen Kulturarbeit nicht mehr Geld zur Verfügung stünde und zugleich die Selbstverwaltung und Selbstbestimmung der Kommunen noch weiter beschnitten würden.
Aus dieser Sicht greifen wir den Vorschlag des Deutschen Städtetages auf und fordern, dass die Förderung der Kultur als unverzichtbare freiwillige Pflichtaufgabe der Kommunen deklariert wird. Deren Umsetzung hat allerdings eine grundlegende Reform der Kommunalfinanzen zur Voraussetzung. Damit wird die Forderung nach dieser grundlegenden kommunalen Finanzreform gegenüber der Forderung nach der Kulturförderung als eine von oben verordnete und auszuführende Pflichtaufgabe der Kommunen zur grundlegenden Forderung auch aus kulturpolitischer Sicht. Und da schließt sich der Kreis, mit dem ich begonnen habe, dass Förderung und Konzeption zusammengehören. – In diesem Sinne herzlichen Dank.