Friedhelm Helberg
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Jugendgerichtsgesetz ist zuletzt 1990 geändert worden. Es ist dabei in den Grundstrukturen erhalten geblieben. Zugleich hat es aber den Erziehungsgedanken wesentlich verstärkt. Es sind z. B. weitere erzieherisch wirkende Rechtsfolgen in den Katalog der Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel eingefügt worden. Ferner sind die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer abgeschafft und die Strafaussetzung zur Bewährung vorsichtig erweitert worden. Neben weiteren Änderungen ist auch der erzieherische Aspekt verbessert worden. Es war seinerzeit gewissermaßen eine Gesetzesänderung mit Augenmaß von der CDU-Regierung, die von Praxis und Wissenschaft gleichermaßen respektvoll beurteilt worden ist.
Daran gemessen ist Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, geradezu dürftig, erkennbar von der populistischen Erwartung geleitet, damit das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung parteipolitisch zu instrumentalisieren.
Sie wollen die Menschen glauben machen, mit den von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen werde der Schutz vor jugendlichen Straftätern nennenswert verbessert. Dabei sind tatsächlich die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen weder einzeln noch im Ganzen dazu geeignet.
Hinter Ihrem Antrag steht offenbar die Erwartung, mit ansteigender Härte jugendstrafrechtlicher Sanktionen ließen sich Erst- oder Wiederholungstäter abschrecken. Das lässt sich aber weder aus empirischer Sicht noch aus der Erfahrung in der Praxis spezialpräventiv begründen.
Wir sind selbstverständlich daran interessiert, uns jederzeit auch mit Ihnen über wirksame Konzepte bei der Kriminalitätsbekämpfung zu unterhalten.
Das gilt z. B. für das vorgezogene Jugendverfahren. Denn eine angemessene Reaktion auf jugendliche Delinquenz ist notwendig. Aber eindeutig aus Populismus eingebrachte Anträge lehnen wir ebenso entschieden ab.
Statt der von Ihnen hier praktizierten rechtspolitischen Schnellschüsse sollten wir uns verstärkt umfassender Anstrengungen zur Vorbeugung vor jugendlicher Kriminalität zuwenden. Dazu gehört der wichtige Bereich kommunaler Kriminalprävention vor Ort ebenso wie der wichtige Bereich der Förderung der Erziehung in der Familie, der Verbesserung der Sozialisationsbedingungen und die Stärkung der Verantwortungsbereitschaft der Jugendlichen selbst. Da sehe ich auch für Sie von der Union ein breites Betätigungsfeld, dem Sie sich zuwenden könnten.
Andererseits frage ich mich ernsthaft, warum Sie jetzt mit Ihrem Antrag kommen. Sie begründen ihn damit, es habe einen dramatischen Anstieg bei der Jugendkriminalität und insbesondere bei der Jugendgewalt gegeben.
Das war bis 1998 richtig, ist es aber seit 1999 nicht mehr.
Herr Dr. Biester, Sie haben ausgeführt, bei Verkehrsdelikten würde Erwachsenenstrafrecht häufiger angewandt, als das bei anderen Delikten der Fall sei. Das hat eine ganz klare, in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte liegende Begründung: Die Verkehrsdelikte werden regelmäßig durch Strafbefehle geahndet. Da macht man diese Unterscheidung nicht.
Wir wissen, dass einer der Gründe für die gewachsene Jugendkriminalität bis 1998 die Einwanderungspolitik für Aussiedler war. Es gab in den 90er-Jahren erhebliche Integrationsprobleme gerade bei den jungen Aussiedlern der zweiten Generation. Die notwendigen Fördermittel zur Bewältigung der Sprach- und Integrationsprobleme hat die seinerzeitige konservative Bundesregierung trotzdem gekürzt. Für diese Entwicklung bis 1998 tragen Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Ihren Teil an Mitverantwortung.
Nun zu Ihren Anträgen im Einzelnen. Sie schlagen einen so genannten Warn- und Einstiegsarrest vor, der neben einer Bewährungsstrafe angeordnet werden soll. Dieser Antrag zeigt, dass Ihnen die Gerichtswirklichkeit nicht recht geläufig ist. So gut wie alle Jugendlichen, gegen die eine Bewährungsstrafe verhängt wird, haben bereits vorher den kompletten Sanktionenkatalog der Jugendgerichtsbarkeit kennen gelernt.
Sie gehören mithin der Gruppe der so genannten sanktionsgehärteten Jugendlichen an, die bereits im Jugendarrest waren. Diese Arresterfahrung hat sie aber offenbar nicht davon abgehalten, erneut straffällig zu werden. Wie Sie die mit einem weiteren Arrest nachhaltig beeindrucken wollen, müssen Sie mir mal erklären.
Es bleiben also nur die Ersttäter, die mit einer Freiheitsstrafe zur Bewährung belegt werden. Bei ihnen hat das erkennende Gericht eine Prognoseentscheidung zu treffen, zu der das erwartete künftige Legalverhalten des jungen Täters vorausgesagt wird. In diesen Fällen eröffnet das Jugendgerichtsgesetz aber dem Jugendrichter neben der Bewährungsstrafe eine Reihe weiterer Möglichkeiten, auf die Straffälligkeit angemessen zu reagieren. Zum einen wird der Verurteilte einem Bewährungshelfer unterstellt. Bereits die daraus folgenden permanenten Kontakte erleben viele Jugendliche als äußerst belastend. Zum anderen können verstärkt Weisungen und Auflagen eingesetzt werden.
Sie hätten gut daran getan, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, vor der Abfassung Ihrer Anträge nachzulesen, welche Position die von der CDU geführte Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage vom 23. Juli 1997 hatte. Darin heißt es u. a.:
„Um einem Anstieg der Jugendkriminalität entgegenzutreten, ist es erforderlich, bei den Ursachen anzusetzen.“
Weiter heißt es:
„Der Bundesregierung liegen keine empirischen Erkenntnisse dergestalt vor, daß durch eine härtere Bestrafung von Gewalttätern eine erhöhte gene
relle Abschreckungswirkung des Jugendstrafrechts gegenüber jungen Menschen erzielt werden kann.“
Noch etwas zu Ihrer Kenntnis in diesem Zusammenhang: In der Begründung zum Gesetz 1990 heißt es:
„Schließlich ist seit langem bekannt, daß die stationären Sanktionen des Jugendstrafrechts Jugendarrest und Jugendstrafe sowie die Untersuchungshaft schädliche Nebenwirkungen für die jugendliche Entwicklung haben können.“
Alles das war von der CDU-geführten Bundesregierung. Das waren vernünftige Ansätze, die Sie hier mit durchsichtigen Absichten über Bord werfen.
Nun zum nächsten Punkt Ihrer Anträge. Für ein Fahrverbot als selbständigem Zuchtmittel besteht kein praktisches Bedürfnis. Darin waren sich in der Anhörung alle Sachverständigen einig. Zum einen ist kaum zu überwachen, ob sich der Jugendliche daran hält, weil z. B. zum Fahren eines Mofa lediglich eine Betriebserlaubnis, eine Fahrerlaubnis dagegen nicht erteilt wird. Zudem soll unter dem Gesichtspunkt des Erziehungsauftrags des Jugendgerichtsgesetzes ein den Jugendlichen vermittelbarer Zusammenhang zwischen der Straftat einerseits und der Rechtsfolge andererseits bestehen. Gerade junge Menschen haben, wie die Praxis zeigt, ein starkes Gefühl für die Tat und ihre Folgen. Empfinden sie die Maßnahme als unangemessen, so führt dies leicht dazu, dass das Erziehungsziel verfehlt wird.
Noch ein Wort zur Meldepflicht.
Ich komme zum Schluss. - Mit Ihrem Antrag haben Sie nun wirklich nichts ausgelassen. Nun wollen Sie auch noch das beschleunigte Jugendverfahren einführen. Dabei hat der Gesetzgeber dies in § 79 JGG aus überlegten Gründen ausgeschlossen. Ich rate Ihnen, die Große Anfrage der CDU in Berlin noch einmal nachzulesen; denn dann wer
den Sie erkennen, was von Ihrem Antrag zu halten ist, nämlich nichts. - Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass die Strafverfolgung dann besonders wirksam ist, wenn sie möglichst zeitnah an das Tatgeschehen anschließt. Das gilt, wie wir wissen, ganz besonders bei jugendlichen Straftätern. In jugendstrafrechtlichen Verfahren sollte deshalb jede unnötige Verzögerung vermieden werden.
Der Gesetzgeber hat Jugendverfahren bereits ihrer Art nach als eilbedürftig ausgestaltet. Deshalb sind oft genug nicht die Verfahrensvorschriften, sondern organisatorische Unzulänglichkeiten in beteiligten Behörden für manche zu lange Verfahrensdauer verantwortlich. Möglichkeiten, interne Verfahrensabläufe durch eine verbesserte Organisation insbesondere im Bereich der Staatsanwaltschaften zu beschleunigen und durch verstärkte Kooperation zu optimieren, können zweifellos noch besser und wirksamer genutzt werden, als dies bisher schon geschieht.
In der Gerichtspraxis wie in der Wissenschaft besteht Einigkeit dahin, dass neben dem Beschleunigungsgedanken im Jugendstrafrecht unverzichtbar immer auch die inhaltliche Optimierung des strafrechtlichen Verfahrens zu stehen hat. Deshalb ist davor zu warnen, die zeitliche Beschleunigung im Jugendverfahren als Selbstzweck oder allein aus generalpräventiven Gesichtspunkten zu verfolgen. Denn nicht der „kurze Prozess“ ist Ziel und Aufgabe des Staates im Jugendverfahren, sondern die angemessene Sanktionierung des jugendlichen Fehlverhaltens.
Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Gesetzgeber in § 79 Abs. 2 des Jugendge
richtsgesetzes aus wohl überlegten Gründen das beschleunigte Verfahren für Jugendliche als unzulässig ausgeschlossen hat. In jugendgerichtlichen Verfahren ist eine Einschränkung der Ermittlungspflicht ausdrücklich nur im Bereich des vereinfachten Jugendverfahrens nach §§ 76 bis 78 gestattet. Auch die Verbesserung effektiver Verfahrensabläufe ist nicht zu rechtfertigen, wenn dies nur auf Kosten der Beeinträchtigung von Rechten der Beschuldigten erreichbar ist.
Der Gesetzgeber hat das Jugendstrafrecht schon jetzt als eilbedürftig ausgestaltet, und es gibt bereits eine Reihe wirksamer Instrumentarien zur Verfahrensbeschleunigung. In einem deutlich weniger formalisierten Verfahren können auch jetzt schon im Rahmen der §§ 76 bis 78 JGG Straftaten aus dem Bereich der Klein- und mittleren Kriminalität geahndet werden.
Mit den in Niedersachsen geltenden Diversionsrichtlinien ist die Möglichkeit, auf jugendliches Fehlverhalten schnell und sachgerecht zu reagieren, vorhanden. Jugendliche, die sich das erste Mal wegen eines leichten Delikts verantworten müssen, können deshalb bereits im Zusammenhang mit der polizeilichen Vernehmung eindringlich ermahnt werden. Dadurch erfahren diese Ersttäter eine angemessene und schnelle staatliche Reaktion auf ihre Tat.
Das vorgezogene Jugendverfahren, über dessen Erprobung bei niedersächsischen Amtsgerichten wir hier beraten, ist angesichts der von mir eben erwähnten Möglichkeiten zeitnaher Strafverfolgung deshalb auch nur für Tatvorwürfe bedeutsam, bezüglich derer die Sanktionsmöglichkeiten des vereinfachten Jugendverfahrens als unzureichend angesehen werden. Anwendung kann ein vorrangiges Jugendverfahren darüber hinaus nur bei jugendlichen Straftätern finden, bei denen es aufgrund ihrer persönlichen Entwicklung und der Art und Anzahl der Taten geboten, aber auch möglich ist, dass die Strafverfolgungsbehörden zügig reagieren. Dabei dürfte es vorrangig um die Täter gehen, die eine Reihe von Straftaten begangen haben, die so genannten Intensivtäter, ferner um Täter auffälliger Gewalttaten und um solche, die in der Gefahr stehen, durch ein kriminelles Umfeld in weitere Straffälligkeit abzugleiten.
Zum vorliegenden Antrag ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Vorarbeiten für eine Sachlösung im Justizministerium vor der Einbringung des CDU-Antrags inhaltlich schon weit fortgeschritten
waren, wie nicht nur mir, sondern sicherlich auch der antragstellenden Fraktion bekannt sein dürfte. Es werden bereits jetzt in mehreren Vorhaben Lösungsstrategien verfolgt. Zum einen hat die Kommission „Jugend“ des Landespräventionsrates in ihrem Abschlussbericht, in erster Auflage 2001 veröffentlicht, konkrete Vorschläge zur Prävention von Jugenddelinquenz unterbreitet, an deren Umsetzung gearbeitet wird, z. B. Vereinfachung institutsinterner Verfahrensabläufe, Vorrang personenbezogener Ermittlungstätigkeit, direkte Information der Jugendhilfe bereits durch die Polizei usw. Zum anderen arbeitet das Niedersächsische Justizministerium, wie mir von dort bestätigt worden ist, bereits jetzt an der Einführung des im Entschließungsantrag geforderten vorgezogenen Jugendverfahrens. Zurzeit werden Erfahrungen anderer Bundesländer gesammelt. Insbesondere das in Schleswig-Holstein eingeführte Flensburger Modell ist erfolgreich im Amtsgerichtsbezirk Flensburg in Anlehnung an Wiesbadener Erfahrungen entwickelt und inzwischen bereits auf drei Landgerichtsbezirke ausgedehnt worden.
Im Haus des Jugendrechts in Bad Cannstadt bei Stuttgart wird schließlich unter einem Dach Kooperation praktiziert wie beim Flensburger Modell. Ziel ist auch hier, den Jugendlichen zügig mit seiner Tat und ihren Folgen zu konfrontieren.
Anders als in Brandenburg, wo das vorrangige Jugendverfahren sogleich flächendeckend eingeführt wurde und offenbar nur eine begrenzte Akzeptanz findet, dürften angesichts der bekannten Erfahrungen Modellprojekte Erfolg versprechender sein.
Auch in Niedersachsen, meine Damen und Herren, gibt es bereits jetzt mehrere Projekte, in denen die Zusammenarbeit der an einem Jugendverfahren Beteiligten optimiert wird. In Cuxhaven läuft seit etwa 1998 die vernetzte präventionsorientierte Sachbearbeitung bei jugendlichen Intensivtätern, und das so genannte Oldenburger Modell verfolgt im vereinfachten Jugendverfahren die Optimierung und Verbesserung der Zusammenarbeit aller am Verfahren beteiligten Institutionen.
Im Rechtsausschuss werden wir uns aber auch mit den Bedenken auseinander zu setzen haben, die es gegenüber bestimmten Formen des vorgezogenen Jugendverfahrens durchaus auch gibt. Denn Adhoc-Absprachen zwischen den Verfahrensbeteiligten sind auch unter dem Vorrang des Jugendgerichtsgesetzes zu beurteilen.
Eines werden wir stets zu beachten haben: Noch wichtiger als die Beschleunigung von Verfahrensabläufen im Jugendstrafverfahren ist es, eine persönlichkeitsadäquate Einwirkung auf jugendliche Straftäter zu erreichen. Sie hat deshalb auch grundsätzlich Vorrang vor einer erzieherisch verstandenen Beschleunigung.
Gleichzeitig ist immer zu bedenken, dass es auch aus erzieherischen Gründen im Einzelfall angezeigt sein kann, das Verfahren mit aller Sorgfalt und Akribie vorzubereiten, mindestens aber dann, wenn die Persönlichkeitserforschung des jugendlichen Straftäters in kurzer Zeit nicht leistbar ist.
Immer werden wir bei der Frage der Verfahrensbeschleunigung auch zu bedenken haben, dass die Rechte der Beschuldigten und ihr Anspruch auf eine angemessene Verteidigung nicht beschnitten werden. Alle Möglichkeiten der eben von mir genannten Modelle, aber auch die bei der Staatsanwaltschaft Bremen durch Anweisung des Behördenleiters organisierte Bündelung von Fällen mit deren sofortiger Eintragung in einem Sonderdezernat werden wir im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen sorgfältig zu diskutieren haben. Dabei, meine Damen und Herren, wird sich zeigen, dass auch in Niedersachsen in der Praxis einige dieser Möglichkeiten schon genutzt und im Justizministerium bereits jetzt Lösungsstrategien erarbeitet werden. - Danke schön.