Heinz Lehmann

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um ehrlich zu sein, beschränkt sich meine Fähigkeit, mich in der Sprache der Nachbarn auszudrücken, auf wenige, aber wichtige Phrasen, zum Beispiel: Chtěl bych jedno české velké světlé pivo, prosím!
Ich weiß natürlich, dass man in einem Haus, an dem „Obuv“ angeschrieben steht, wahrscheinlich Schuhe
kaufen kann, und in einem Laden mit der Überschrift „Potraviny“ Lebensmittel.
Diese mangelnde Kompetenz ist nicht nur meiner persönlichen Trägheit geschuldet, sie ist auch Ausdruck der damaligen realen Situation. Während meiner Grundschulzeit war die tschechische Grenze noch mit Stacheldraht gesichert. Später, als man als Besucher nach Tschechien und Polen reisen konnte, fand sich stets ein Einheimischer, der einem mit rudimentärem Deutsch weiterhelfen konnte.
Spätestens seit 2004, mit dem Einzug der östlichen Nachbarn in unser gemeinsames europäisches Haus, hat sich das grundlegend verändert. Doppelte Sprachkompetenz ist nachgefragt wie nie, in Wirtschaft, Service, Handel, Tourismus, aber auch im Verein. Die Fähigkeit, die Sprache des Nachbarn zu sprechen, verbessert die individuellen Berufs- und Lebensperspektiven. Das gilt für beide Seiten.
Weil das die Tschechen und die Polen etwas eher begriffen haben als wir, trifft man inzwischen in vielen Branchen mit Kundenbezug deutschsprachige Mitarbeiter aus unseren Nachbarländern an. Das ist nicht zu beanstanden. Das ist der Markt. Das ist auch Ergebnis unserer europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Die europäische Sprachenpolitik setzt auch für uns auf die Formel M+2. Englisch ist als Nummer 1 gesetzt. Die Nummer 2 kann insbesondere in den Grenzregionen die Sprache der Nachbarn sein.
Mit ihrem Antrag zielt die Koalition darauf, die in Kitas und Schulen bereits bei Nachbarschaftssprachprojekten gemachten Erfahrungen auch für bisher nicht beteiligte Einrichtungen zugänglich zu machen sowie der Vermittlung der Nachbarsprache eine stärkere politische Priorität zu verleihen.
Die Grenzregionen sind in Bezug auf das Erlernen der Nachbarsprachen ein besonderes Biotop. Die Kinder müssen nicht abstrakt über Büchern brüten, sondern können, wenn es gescheit gemacht wird, an ihrem Wohnort spielerisch die Sprache der sprichwörtlich nächsten Nachbarn erwerben und erproben.
In meiner Heimatstadt Neusalza-Spremberg feiern wir übermorgen das Richtfest für unsere neue Kita mit 170 Plätzen. Ich würde mir wünschen, dass mit dem Einzug in das neue Haus auch inhaltlich ein Qualitätszuwachs stattfindet. Einen Nachmittag pro Woche sollen in unserem Falle – wir liegen an der tschechischen Grenze – tschechische Fachkräfte die Kinder nach dem neuesten pädagogischen Konzept spielerisch an die Nachbarsprache heranführen.
Das wird aber – bevor Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, nervös werden – so lange ein Wunsch bleiben, solange der Freistaat nicht bei potenziellen Fachkräften in Tschechien und Polen für diese neue Aufgabe wirbt, ihnen eine Anpassungsqualifizierung an das sächsische Anforderungsprofil anbietet, für ihre Anstellung Poolstellen bei der regionalen Bildungsagentur einrichtet, den Kitas die Sachkosten für die zusätzlichen Aufwendungen zuweist und den Kitas zweckgebunden einen angepassten Personalschlüssel gestattet.
Geht nicht? Geht doch! Bei der Vermittlung der sorbischen Sprache nach dem Vitaj-Konzept wird das bereits seit mehreren Jahren sehr erfolgreich praktiziert.
Wir helfen den Grenzregionen zweifelsfrei, indem wir ihnen leicht bessere Konditionen bei der Wirtschaftsförderung anbieten. Wir können den Regionen aber noch besser helfen, wenn wir die dort vorhandenen Stärken als Lernort für die Nachbarsprache nachhaltig stärken,
und zwar nicht wie bisher auf einer temporär angelegten Projektbasis, sondern strukturell und finanziell abgesichert.
Das gilt natürlich nicht nur für meine Heimatstadt, sondern für alle Kitas entlang der sächsischen Landesgrenze zu Tschechien und Polen.
Das ist auch ein nicht zu unterschätzender Baustein für die Stärkung der europäischen regionalen Kohäsion.
Der Bericht der Sächsischen Landesstelle für frühe nachbarschaftliche Bildung, die unter der Leitung von Frau Dr. Gellrich eine hervorragende Arbeit leistet, wurde vor wenigen Tagen vorgelegt. Er liefert für die Sprachvermittlung in Kitas wertvolle Handlungsempfehlungen.
Über einige der erforderlichen Rahmenbedingungen sprach ich bereits. Darüber hinaus sind grenzüberschreitende Kita-Partnerschaften rechtssicher – Versicherung und andere Dinge – zu regeln. Die Ausbildung von Erzieherinnen, die Fortbildung pädagogischer Fachkräfte sowie geeignete Beratungsangebote sind als Bestandteile der Qualifizierungsoffensive unverzichtbar. Die Durchgängigkeit des Nachbarsprachenlernens von der Kita über die Grundschule bis hin zu weiterführenden Schulen muss strukturell verlässlich geregelt werden. Wir brauchen ein Konzept des längerfristigen Monitorings und eine intensivere Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit.
Daneben sollten wir von den Erfahrungen anderer Europaregionen beim Erwerb von nachbarschaftlicher Kompetenz lernen. Vor wenigen Monaten hat unser Sächsisches Verbindungsbüro in Brüssel einen Workshop organisiert, bei dem Experten aus dem Saarland über die Frankreichstrategie zum verpflichtenden Erwerb der Nachbarsprache Französisch berichteten. Etliche formalrechtliche Hindernisse, die bei uns noch im Wege stehen oder im Wege zu stehen scheinen, etwa bei der Anerkennung ausländischer Qualifikationen, wurden dort bereits erfolgreich überwunden.
Auf der Nachfolgekonferenz im Ausschuss der Regionen am 7. Juni 2017 in Brüssel werden wir den Erfahrungsaustausch im europäischen Kontext fortführen. Die Situation ist günstiger denn je, weil viele Eltern verstanden haben, dass Kenntnisse in den Sprachen der Nachbarländer nicht nur praktisch, sondern für ihre Kinder auch langfristig karrierefördernd sind. Diesen Umstand sollten wir nutzen und dafür sorgen, dass der Samen bereits in sehr jungem Alter gelegt wird. Nicht jedes Samenkorn wird aufgehen, aber es ist den Versuch allemal wert. Wir werden die Staatsregierung bei ihren konsequenten Schritten hin zu einer konsequenten Strategie zur nachbarschaftlichen Ertüchtigung in den Grenzregionen nach Kräften unterstützen und auch fordern.
Ich würde mir wünschen, dass ich eines Tages mit meinen Enkeltöchtern nach Prag oder Breslau reisen und mich dabei entspannt auf ihre frisch erworbene Nachbarsprachenkompetenz verlassen kann.
Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Frau Staatsministerin! Vielen Dank für die sehr konstruktive Debatte. Ich habe, wie Sie wissen, die Ehre, seit über sieben Jahren den Freistaat im Ausschuss der Regionen in Europa zu vertreten. Wir befassen uns mit komplizierten Überlegungen und Stellungnahmen, wie wir für die Zukunft das Projekt Europa mehr an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts heranführen können. Bei allen Dingen ist am Ende entscheidend, wie die Kohäsion zwischen den Mitgliedsländern, wie die Kohäsion zwischen den Regionen hält.
Wenn wir die kleinen Dinge fördern, also die Sprachfähigkeit über Grenzen hinweg möglich machen, stärken wir die Kohäsion, stärken wir die Standfestigkeit der Europäischen Union. Wir haben heute in diesem Hause ein sehr gutes Beispiel dafür geliefert, dass wir hier Schrittmacher sein wollen. Dafür bedanke ich mich und empfehle Ihnen die Annahme unseres gemeinsamen Antrags.
Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Europaausschuss des Sächsischen Landtags ist am Sonntag von einer Reise nach Israel, in die Palästinensergebiete und Jordanien zurückgekehrt. Wir haben natürlich nicht nur das Asylzentrum in Asrak besucht, sondern wir hatten auch einen sehr interessanten Termin im israelischen Außenministerium. Dort wurden wir durch den zuständigen Referatsleiter darüber informiert, dass es eine neue Strategie der Grassroots-Aktivisten gibt, die darauf abzielt, auf der einen Seite die Produkte aus den Westjordanländern den Kunden zu vergällen und auf der anderen Seite Investitionen in die Westjordangebiete zu verhindern. Bei Unternehmen, die dennoch diesen Weg gehen, wird versucht,
ihre öffentliche Reputation zu beschädigen. Die Wut der BDS richtet sich ihrer Meinung nach nicht gegen das palästinensische Volk, deren Rechte verteidigt werden sollen. In Wahrheit aber geht es gegen die israelische Wirtschaft und letztlich gegen das Existenzrecht Israels als Ganzes.
Als ich unmittelbar nach dem Termin den Antrag der Linksfraktion mit dem Titel „CETA-Freihandelsabkommen ablehnen“ in die Hand bekam, dachte ich daran, dass die LINKEN die gleiche Taktik wie die GrassrootsAktivisten verfolgen. Sie polemisieren gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada. Sie möchten aber in Wahrheit mit allen Mitteln das Freihandels- und Investitionsschutzabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika verhindern. Dumm ist nur, dass die den USA durch TTIP zugeschriebenen Defizite und wohlfeilen Verschwörungstheorien für Kanada kaum zutreffen. Kanada mit seinen 36 Millionen Einwohnern ist keine wirtschaftliche Supermacht. Es ist wohl aber ein Land mit anerkannten und hohen Standards bei der Lebensmittelsicherheit, der Handelsethik, den Verbraucherrechten und auch beim Umweltschutz.
In etlichen der gern zitierten OECD-Studien rangiert Kanada deutlich vor Deutschland. Die Kollegen, denen die informelle Partnerschaft der Alberta-Sachsen
Initiative ein Anliegen ist, konnten sich bei den Besuchen in Edmonton oder Gesprächen mit kanadischen Parlamentariern im Sächsischen Landtag davon ein Bild machen. Zum Beispiel ist ihr Umgang mit Minderheiten, den First Nations, vorbildlich. Die Transparenz auch in heiklen Fragen ist ungewöhnlich.
Bei den durch den Verein Partnerschaft der Parlamente organisierten Studienreisen gehört ein Trip in die oil sands region nach Fort McMurray zum Standardprogramm. Einige ehemalige Abgeordnete der GRÜNEN haben die Chance genutzt und sich ein Bild davon gemacht. An der Bonität des Kandidaten Kanada kann unsere Ablehnung wohl nicht liegen. Es bleibt die Kritik am Zustandekommen des Vertragsentwurfs. Diese kann ich auch nicht im vollen Umfang teilen.
Wie Sie wissen, vertrete ich seit sechs Jahren die Interessen des Freistaates Sachsen im Europäischen Ausschuss der Regionen. Dort bin ich in der Fachkommission ECON tätig, die insbesondere auch für die Handelspolitik zuständig ist. Während der gesamten Zeit waren wir wiederholt mit dem Komplex CETA, TTIP und TISA, dem Vertrag für Dienstleistungen, befasst. Die Handelskommissare De Gucht und Cecilia Malmström haben über den Stand der Verhandlungen informiert und die Anregungen der Mitglieder des Ausschusses der Regionen entgegengenommen.
Allein in den vergangenen sechs Monaten hat der AdR dazu drei Stellungnahmen mit großer Mehrheit verabschiedet. Zwei dieser Stellungnahmen wurden durch deutsche Kollegen erarbeitet: zu TTIP durch den Kollegen Töns von der SPD aus Nordrhein-Westfalen und zu TISA durch den Kollegen Markov aus Brandenburg von der
Linksfraktion. Sie alle waren durchweg konstruktiv. Die jüngste Befassung mit dem Thema erfolgte in der MaiPlenartagung zum Thema „Eine verantwortungsbewusstere Handels- und Investitionspolitik“. Natürlich geht es bei diesen Stellungnahmen nicht um jedes Detail. Das wäre eine Überforderung. Wir achten aber auf die Plausibilität der vorgeschlagenen Lösungen. Wir verzichten natürlich bewusst darauf, uns mit juristischen Spitzfindigkeiten, wie etwa in dem Antrag der Linksfraktion im Deutschen Bundestag enthalten, gegenseitig die Zeit zu stehlen.
Nach erfolgter Rechtsförmlichkeitsprüfung geht es nun um die konkrete Inkraftsetzung des CETA-Abkommens. Aus der Sicht der Bundesregierung sind alle wesentlichen Elemente, auch die des modernen Investitionsschutzes, im Vertragswerk enthalten. Die Aufzählung der Punkte ist bereits erfolgt. Das möchte ich mir aus Zeitgründen ersparen. Sollte es schließlich zu einem gemischten Abkommen kommen, müssten vor der vollständigen Inkraftsetzung noch die nationalen Parlamente zustimmen. Es liegt aber im originären Interesse Deutschlands, dass der logische Schritt hin zur Erweiterung eines barrierefreien Marktes erfolgen kann.
Mit dem Gemeinsamen Europäischen Markt haben wir Deutsche in den letzten Jahren hervorragende Erfahrungen gemacht. Von den 1,2 Billionen Euro des deutschen Exportvolumens gehen zwei Drittel in den europäischen Markt mit einem ordentlichen Gewinn, wie es die Steuerdaten auch ausweisen. Für Vertragsprojekte dieser Dimensionen ist es wichtig, die Erwartungen und Befürchtungen der Bürger mit auf die Waagschale zu legen. Das ist, soweit der AdR betroffen war, auch geschehen.
Bei der Informationspolitik über diese komplexe Materie, das gebe ich zu, gibt es nach oben noch deutlich Luft. Es ist die Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik, um in keine nachteilige Situation zu geraten, die Rahmenbedingungen laufend an die globalen Erfordernisse anzupassen. Das ist aus meiner Sicht mit CETA weitgehend gelungen. Auch auf die Gefahr hin, linke und affiliierte GrassrootsAktivisten damit zu enttäuschen, empfehle ich Ihnen, dem vorliegenden Antrag – CETA-Freihandelsabkommen ablehnen – Ihre Zustimmung zu verweigern.
Ja, mit Gottes Hilfe.