Adolf Spotka
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in der gesamten Bundesrepublik eine paradoxe Situation.
Wir haben zunehmend Personalengpässe trotz einer ausreichenden Zahl formal qualifizierter Personen zu verzeichnen. Wir haben Fachkräftemangel trotz Massenarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Angebot und Nachfrage, Anforderungsprofile der Wirtschaft und Eignungsprofile der Arbeitsuchenden passen am deutschen Arbeitsmarkt nicht mehr zusammen. Der Personalnotstand wird trotz Massenarbeitslosigkeit zur Wachstumsbremse, insbesondere in innovativen Technologiefeldern.
Es ist nicht nur so, dass in einer Welt der sich beschleunigenden Entwicklung einmal erworbene Qualifikationen schnell verschleißen und Erwerbsbiografien wertlos werden - nein, bereits frisch ausgebildete Jungakademiker sind als Kompetenzträger nicht brauchbar oder müssen über teure Kompetenzentwicklungsprogramme, die sich nur Großunternehmen leisten können, für den Berufsalltag fit gemacht werden. Der Nachentwicklungsaufwand der Unternehmen, um Absolventen im Innovationsbereich fit oder beschäftigungsfähig zu machen, liegt derzeit im Durchschnitt bereits bei 18 Monaten zusätzlicher betrieblicher Anlernzeit.
In kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sich das nicht leisten können, wird deshalb vielfach nach dem Motto verfahren: Besser eine Stelle unbesetzt las
sen, als das Risiko einer kostspieligen Fehlbesetzung eingehen.
Schließlich wird die Kluft zwischen dem Bedarf an Fachkräften, die im konkreten betrieblichen Anwendungszusammenhang praktisch und versiert mit modernen Technologien umgehen können, und dem Angebot an theoretischen Spezialisten von den Hochschulen, die in größerem Umfang ausgebildet und vielfach zum Teil bis zu ihrem 26. oder 28. Lebensjahr dort praxisfern verwahrt werden, immer größer.
Analysiert man die auftretenden Personalengpässe, wird schnell deutlich, dass gerade die mittlere Kompetenzebene zwischen gewerblichem und akademischem Ausbildungsbereich fehlt, dass für Kompetenzen in den Anwendungsbereichen moderner Technologien zumeist überhaupt keine professionellen Entwicklungspfade existieren.
Bei den Ausbildungsvolumina an den Hochschulen ging einfach die Anbindung an die sich immer schneller verändernden praktischen Erfordernisse einer innovierenden Wirtschaft weitgehend verloren. Ein Ingenieur - ich kenne das aus eigener Erfahrung - hat im Verlauf seines Studiums meist nur einige Wochen Betriebspraktikum und ein Naturwissenschaftler sieht während seiner Studienzeit so gut wie nie ein Unternehmen von innen.
Der Mangel an Verzahnung von Bildungs- und Beschäftigungssystem ist im Hochschulbereich gravierend. Das stellt auch die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände in ihrem Papier „Für eine neue Bildungsoffensive“ fest.
Dies betrifft den Hochschulbereich. Aber, meine Damen und Herren, auf der anderen Seite kann die klassische gewerbliche Berufsausbildung, die auf relativ niedrigem Niveau verharrt, an zu langsamen Anpassungsmechanismen krankt und von begabten jungen Menschen immer weniger frequentiert wird, das heute beispielsweise an einen Facharbeiter der Informationstechnologie oder der Biotechnologie gestellte Anforderungsniveau überhaupt nicht mehr erreichen.
Das duale System wird so sehr gelobt. Lassen Sie mich einmal vortragen, was Lothar Späth in einer Rede vor dem „Liberalen Netzwerk“ in Bielefeld sagte. Ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, zitieren:
„Wie muss also Bildungswesen aufgebaut sein? Ich glaube, es gibt keine Regeln, wie man Bildungswesen aufbauen kann. Ich weiß nur eines: Dieses alte duale System interessiert niemanden mehr, obwohl es heute immer noch so gelobt wird. Natürlich ist es wichtig, dass die Leute eine disziplinierte Ausbildung bekommen. Aber wenn ich zum Beispiel an die Metallindustrie denke: Was wird denn da noch geschliffen? Höchstenfalls der Lehrling vom Meister. Das mag sein und das schadet dem auch nicht. So weit gehe ich mit. Aber dass er später Fertigungsautomaten
bedienen muss und dass er alles andere mit den Fertigungsautomaten machen kann, dass er Elektronik verstehen muss, dass ist immer noch nicht ausdiskutiert.“
Wo aber, meine Damen und Herren, liegt die Lösung? Eines kann man klar sagen: Mit Zuwanderung, mit der Ausweitung des Greencardmodells auf alle innovierenden Wirtschaftsbranchen ist das Problem nicht zu lösen.
Man muss vielmehr von der Ursache dieser Situation ausgehen. Ein verschultes und praxisfernes Ausbildungswesen sowohl im gewerblichen wie im akademischen Bereich führt immer weiter in die Sackgasse. Man schafft vor allen Dingen Formalqualifikationen, die kaum einem anwendungsbezogenen Aufbau beruflicher Handlungsfähigkeit entsprechen.
In der Anhörung des Wirtschaftsausschusses zum Thema „Entwicklungsperspektiven der Informationsgesellschaft und Multimediawirtschaft in Sachsen-Anhalt“ wurde von den Geladenen mehrfach auf dieses Problem hingewiesen, insbesondere auf den Widerspruch zwischen unbesetzten Stellen im IT-Bereich und Arbeit- suchenden aus dem IT-Bereich. Wie Recht sie haben.
Was soeben gesagt wurde, gilt selbstverständlich auch für alle anderen Bereiche. Es geht um die Abkehr von einer vorwiegend auf Wissensvermittlung reduzierten Lernkultur hin zu einer - ich sage es einmal so - kompetenzfundierten Lernkultur, die also den Erfahrungserwerb im Prozess berufspraktischer Tätigkeit mehr als bisher in den Mittelpunkt stellt. Empirische Forschungen weisen darauf hin, dass Ausbildungsformen, die sich durch eine stärkere Handlungsnähe auszeichnen, eine wesentlich höhere Bildungseffizienz haben. Die Professionalisierung des Erfahrungserwerbs, also der Entwicklung der praktischen Handlungsfähigkeit, stellt damit die entscheidende Reserve zur anforderungsgerechten Aktivierung technischer Kompetenzen dar.
Deshalb, meine Damen und Herren, müssen sowohl im Hochschulbereich als auch in der gewerblichen Ausbildung verstärkt Dualisierungsmöglichkeiten, das heißt die Integration von theoretischem Wissensaufbau und praktischer Berufstätigkeit, genutzt werden. Das bedeutet für den Hochschulbereich die erweitere Einrichtung von dualisierten Studiengängen, im gewerblichen Bereich hingegen so genannte kooperative Ausbildungsformen, zum Beispiel durch Parallelisierung der gewerblichen Lehre mit einem berufsbegleitenden Studium oder durch Verzahnung von Meisterlehrgängen mit Studieninhalten von Fachhochschulstudiengängen sowie durch viele andere Möglichkeiten, die es da gibt.
Damit, meine Damen und Herren, könnte die Kompetenzlücke sowohl von oben her, vom Hochschulbereich her, als auch von unten her, von der gewerblichen Ausbildung her, geschlossen werden. Gleichzeitig würden die Hochschulen wieder stärker in Modelle dualer Ausbildung einbezogen werden. Vor allem würde die fatale Ferne zwischen dem Hochschulsektor und den kleinen und mittelständischen Unternehmen, die ich auch in Sachsen-Anhalt feststelle, beseitigt werden können.
An dieser Stelle muss angemerkt werden: Wenn ich fordere, Bildung und Wirtschaft enger zu verzahnen, müsste es eigentlich heißen: Bildung und heimische Wirtschaft enger zu verzahnen. Darunter verstehe ich vorwiegend kleine und mittelständische Unternehmen;
denn unsere heimischen Unternehmen sind die Verlierer der dargestellten Entwicklung.
Die Großunternehmen haben schon längst die Zeichen der Zeit erkannt. Sie dienen sich bereits den Fachhochschulen und den Hochschulen an, beispielsweise für Kooperationsverträge, für Stiftungsprofessuren, für dualisierte Studienelemente und vieles andere mehr. Sie tun dies natürlich nicht ohne Hintergedanken. Im Grunde genommen steckt dahinter vielfach die Absicht, ganze Studiengänge zu annektieren und allein auf ihr Anforderungsprofil hin zu entwickeln; letztlich um die Absolventen aus Sachsen-Anhalt abzuziehen und wegzulocken.
Meine Damen und Herren! Trotz der Vorteile, die ich bezüglich dieser Dualisierungsmöglichkeiten soeben genannt habe, fallen die wenigen Experimente, Bildung und Wirtschaft enger zu verzahnen, bisher sehr zögerlich und dürftig aus. Woran dies liegt - mehr an dem Beharrungsvermögen der Hochschulen und der verbeamteten Professorenschaft oder an der mangelnden Öffnung der Wirtschaft -, will ich an dieser Stelle nicht erörtern.
Der Anteil der dualisierenden Studiengänge liegt in der gesamten Bundesrepublik unterhalb von einem Prozent bei den Ingenieuren. Bei den Naturwissenschaftlern geht der Anteil gegen Null.
Meine Damen und Herren! Wenn Hochschulen und Ausbildungsträger sich dieser Herausforderung nicht stellen, werden die eingangs beschriebenen Probleme sich noch verstärken oder es laufen ihnen die Studenten oder Azubis weg. Das heißt, wenn die Ausbildungsträger und die Hochschulen nicht darauf reagieren, machen sie sich selbst überflüssig.
Die zunehmende Zahl von so genannten Corporate Universities, also firmeneigenen Universitäten, auch in Deutschland sollte uns allen eine Warnung sein. In den USA gab es im Jahr 1998 400 Firmenuniversitäten, im Jahre 2001 sind es bereits 1 600 Firmenuniversitäten. In Deutschland haben bereits die Firmen Lufthansa, Daimler, Allianz, Deutsche Bank, Merck und SAP eigene Firmenuniversitäten gegründet. Wie Sie wissen, hat auch die Telekom in Leipzig eine Fachhochschule Telekom gegründet.
Das Erfolgsgeheimnis dieser Firmenuniversitäten ist: Hier wird das Geschäft mit dem Lernen verheiratet. Dazu wird das Lernen in praktischen Projekten statt in bloßen Sandkastenspielen organisiert. Deren Ergebnisse werden sofort in die Praxis überführt, sodass das praktische Feedback sofort gegeben ist.
Wir meinen, meine Damen und Herren, dass es an der Zeit ist, in den damit befassten Ausschüssen für Bildung und Wissenschaft sowie für Wirtschaft, Technologie und Europaangelegenheiten auch über die Situation in Sachsen-Anhalt und über daraus abzuleitende Empfehlungen zu diskutieren. Die aufgrund des Ergebnisses der Arbeitsgruppe Wissenschaftsstruktur, das wohl im April dieses Jahres vorgelegt wird, anzustellenden Überlegungen zur Neugestaltung unserer Hochschullandschaft legen es nahe, über diese Probleme im Zusammenhang mit den daraus resultierenden Überlegungen zu diskutieren und sie zu verknüpfen.
Es geht letztlich lediglich um einen Antrag auf Prüfung dieser Problematik und Berichterstattung durch die Landesregierung. Insofern ist es sinnvoll, meine Damen und Herren, dass über den Antrag direkt abgestimmt wird.
Wir bitten Sie deshalb um Ihre Zustimmung. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben es gesagt: In Sachsen-Anhalt gibt es durchaus hoffnungsvolle Ansätze für das vorgetragene Anliegen - aber ich meine, in noch viel zu geringem Umfang. Dies gilt auch für die Fachhochschulen.
Nun bin ich nicht ungeduldig. Niemand darf glauben, dass wir ohne Rücksicht auf die Autonomie der Hochschulen die Weiche herumwerfen können und der Bildungszug fährt in die andere Richtung. Die Umstellung unserer Bildung und Ausbildung auf eine andere Lernkultur und auf neue Herausforderungen ist ein langwieriger, wenn Sie so wollen Kulturwandlungsprozess, in dem wir nur Anstöße für notwendige Veränderungen in einem letztlich grundsätzlich offenen Prozess geben können.
Wir können schon einmal die ersten Gleise legen, um Stück für Stück voranzukommen. Dazu müssen wir uns zuerst der sich abzeichnenden Veränderungen in Bildung und Ausbildung, aber auch auf dem Rekrutierungsmarkt bewusst werden, um frühzeitig oder rechtzeitig reagieren zu können.
Herr Minister, es geht nicht darum, unsere Absolventen an den Anforderungen der heimischen Wirtschaft allein auszurichten und nicht mit der internationalen Wirtschaft vertraut zu machen, aber es geht darum, die Verbundenheit unserer Absolventen mit der heimischen Wirtschaft bereits während des Studiums zu fördern.
Sie wissen, dass beispielsweise Siemens angesichts der künftig zu erwartenden Nachwuchsfalle bereits ein Drittel aller Elektronik- und Elektrostudenten gewissermaßen auf Halde anwirbt und einstellt. Das werden in Zukunft mindestens 50 % der deutschen Absolventen sein. Viele Unternehmen werben bereits während der Praktikantenbörse mit Kopfprämien Studenten an. Man spricht mittlerweile vom „war of talents“, dem Krieg um die Talente.
Das heißt, wir geraten mit unseren relativ kleinen Unternehmen schließlich in eine Nachwuchsfalle. Die Frage ist: Wenn unsere Unternehmen endlich aufwachen, in welcher Weise können sie dann noch mit den entsprechenden Studienabsolventen versorgt werden?
Ich will abschließend eine kleine Fabel erzählen, insbesondere, Herr Wolf, für Ihr Verständnisniveau.
Im Anschluss.
Auf den amerikanischen Bestsellerlisten hielt sich wochenlang ein Buch von Spencer Johnson mit dem Titel „Die Mäusestrategie für Manager“. Es ist die Fabel von vier kleinen Lebewesen im Labyrinth des Lebens, die nach Nahrung suchen. Diese Fabel beschreibt die Notwendigkeit der Verhaltensanpassung, will man auf Dauer erfolgreich sein.
Im direkten Mensch-Mäuse-Vergleich wird der Wettlauf nach dem Käse, der hier für Erfolg und Anerkennung steht, anschaulich vor Augen geführt. Während die beiden Mäuse „Schnüffel“ und „Wusel“ ihrem Instinkt folgend sich sofort auf den Weg durch das Labyrinth machen, um den Käsevorrat aufzustöbern und sofort aufzufressen, erleiden die Zwergenmenschen „Krümel“ und „Knobel“ erst einmal einen Schock, als sie feststellen, dass der Käsevorrat aufgefressen ist.
„Wir haben Anspruch auf unseren Käse“, sagte Krümel, „weil wir das Problem nicht verursacht haben.“ Die Veränderung wird zwar von ihm wahrgenommen, Konsequenzen daraus zu ziehen ist er aber unfähig. Allzu sehr hat er sich an die vertraute Umgebung gewöhnt und verharrt in Erwartung wieder besserer Zeiten.
Der andere Zwergenmensch Knobel hingegen hat sich für eine andere Lösung entschieden. Er sagt: „Wer eine neue Richtung einschlägt, findet leichter neuen Käse.“ Und er versucht Krümel zu überzeugen: „Je schneller du den alten Käse sausen lässt, desto eher findest du neuen.“
Wie auch immer diese Geschichte ausgeht - ich will sie hier nicht zu Ende erzählen -,
einer der zentralen Sätze dieses kleinen Büchleins zum Management of Change - Management des Wandels - lautet: Wer kleine Veränderungen frühzeitig bemerkt, diese Veränderungen überpointiert, wie ich es hier gemacht habe,
hat die Zeit und die Chance, sich an die großen Herausforderungen später leichter anzupassen.
Meine Damen und Herren! Ich will Sie, insbesondere auch Sie, Herr Ernst, keineswegs auffordern, nun den alten Käse ganz sausen zu lassen.
So einfach ist es nämlich mit unseren Ausbildungsformen und Studiengängen nicht. Aber lassen Sie uns die Veränderungen, die sich abzeichnen, auf jeden Fall frühzeitig wahrnehmen und gemeinsam nach einer neuen Richtung suchen, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das ist der Sinn dieses Antrages.
Herr Minister, Sie haben signalisiert, Sie wollen mit uns darüber diskutieren. Damit kann ich sehr gut leben. Aber
ich würde vorschlagen, nicht erst in einem Jahr, da ist nämlich Wahlkampfzeit und es interessiert niemanden mehr.
Wenn es am Jahresende wäre, wäre es uns recht. Wenn wir uns darauf verständigen können, bitte ich Sie, meine Damen und Herren, unserem Antrag zuzustimmen. - Herzlichen Dank.
Darüber müsste man sicherlich umfänglicher diskutieren. Beispielsweise fahren unsere Studenten zur Praktikantenbörse nach Köln. Dort sind alle großen Unternehmen vertreten, die sich aus dem Absolventenangebot gewissermaßen die besten Talente heraussuchen, mit den Absolventen Testspiele durchführen, um sich dann die Kreme herauszupicken und diesen entsprechende Angebote zu unterbreiten.
Unsere Unternehmen, die gar nicht die Kraft haben, dorthin zu fahren, sind dort so gut wie nicht vertreten. Das ist das Problem. Deshalb müssen wir versuchen, unsere Wirtschaft dafür zu öffnen, dass sie verstärkt Praktikaplätze zur Verfügung stellt.
Ich habe gestern zusammen mit Herrn Schulze mit Herrn Professor Orzessek, dem Rektor der Fachhochschule, gesprochen und dieses Thema ganz kurz angerissen. Er sagt, es fällt schwer, ausreichende Losgrößen für solche dualen Studiengänge zusammenzustellen, weil in unserer Wirtschaft einfach die Sensibilität dafür noch nicht vorhanden ist. Die Unternehmen merken noch nicht, dass sie in die Nachwuchsfalle tappen und in ein oder zwei Jahren bei ihnen erhebliche Personalengpässe auftreten werden. Einige wenige haben es schon gemerkt. Aber die anderen sind eben wacher und schneller in dieser Hinsicht. - Danke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Karl Kraus gibt es einen Aphorismus: Frisörgespräche sind der unwiderlegbare Beweis dafür, dass
die Köpfe nicht nur wegen des Haareschneidens da sind. Dies gilt auch für Abgeordnetenköpfe, und ich meine, wir haben das Recht und die Pflicht, von Zeit zu Zeit einmal nachzufragen, ob das, was wir oder die Landesregierung veranlasst haben, tatsächlich die erwünschten Wirkungen zeigt oder nicht.
Meine Damen und Herren! Im Jahre 1998 verabschiedete der Landtag auf Antrag der CDU-Fraktion den Beschluss, ein Förderprogramm „Junge Innovatorinnen und Innovatoren“ aufzulegen mit dem Ziel, die Gründungsdynamik an und aus den Hochschulen Sachsen-Anhalts zu erleichtern bzw. zu befördern, verbunden natürlich mit der Hoffnung, damit Beschäftigungseffekte auszulösen und eine Bindung gerade kreativer Köpfe bzw. Absolventen an unser Land zu bewirken.
Seither wurde meines Wissen dieses Anliegen im Landtag nicht wieder diskutiert. Zeit also, wieder einmal Zwischenbilanz zu ziehen und zu fragen, was hat sich in der Gründungsszenerie unserer Hochschulen bisher ereignet bzw. getan und verändert, und reicht das, was wir veranlasst haben, im Vergleich der neuen Bundesländer insgesamt aus, oder sollten wir neue Überlegungen anstellen bzw. neue, komplexere Förderansätze entwerfen.
Die Aktualität dieser Thematik wird durch folgende Entwicklungen verstärkt und sollte uns dafür sensibilisieren:
Erstens. Die Abwanderung der Absolventen sachsenanaltischer Hochschulen, insbesondere der ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fachrichtungen hält unvermindert an.
Zweitens. Die Zahl der Absolventen in diesen Fächern ist aber seit dem Jahr 1990 dramatisch eingebrochen und liegt gegenüber dem Jahr 1990 bundesweit um ca. 70 bis 80 % niedriger. In Sachsen-Anhalt ist dies nicht anders.
Drittens. Die wenigen verfügbaren Absolventen dieser Studiengänge werden von den vielfach in Sachsen-Anhalt nicht ansässigen Großunternehmen mit den klassischen Karrierepfaden umworben und bereits auf Vorrat eingestellt, um absehbare Engpässe abzufedern. Beispielsweise wird schon heute jeder dritte Elektronikabsolvent deutscher Hochschulen allein von Siemens rekrutiert.
Viertens entwickelt sich zunehmend eine paradoxe Situation. In allen dynamischen Wirtschaftsbereichen bzw. innovativen Technologiefeldern entsteht trotz einer ausreichenden Zahl formal qualifizierter Personen ein Fachkräftemangel. Das heißt, ein großer Teil der am Arbeitsmarkt vorhandenen formal hoch qualifizierten Fachkräfte ist tatsächlich weder fachlich und mental für die Übernahme von Aufgaben in innovativen Technologiefeldern vorbereitet, noch für technologieorientierte Existenzgründungen geeignet.
Was für den IT-Bereich bereits beklagt wurde - 75 000 offenen Stellen stehen 60 000 bis 70 000 arbeitslose Naturwissenschaftler, Ingenieure und Informatiker, darunter viele frisch Ausgebildete unter 35 Jahren, gegenüber -, trifft genauso beispielsweise auf die Biotechnologie zu. Mehreren hundert offenen Stellen für Bioinformatik- und Managementstellen stehen über 4 000 arbeits-lose Hochschulabsolventen der Biologie gegenüber.
Offensichtlich ist das kein reines Mengenproblem, sondern auch ein Qualitätsproblem. Irgendetwas müssen wir an unseren Hochschulen und in der Weiterbildung falsch machen.
Die Folgen dieser Entwicklung sind fatal und stimmen nicht gerade optimistisch; denn der Pool, dem zukünftige Gründer entspringen könnten bzw. aus dem innovative kleine und mittlere Unternehmen kompetentes Personal rekrutieren könnten, verringert sich dramatisch. Die PDS spricht in ihrem wirtschaftspolitischen Programm zu Recht von einer Nachwuchsfalle, in die wir tappen.
Das bereits bestehende Defizit an kompetentem technischen Fachpersonal behindert nicht nur die Infor- mationstechnologien, sondern auch die Entwicklungsdynamik im Maschinenbau, in der Automobilindustrie, der Chemie, der Pharmaindustrie und im industriellen Dienstleistungssektor.
Eine Umfrage beispielsweise bei 483 Unternehmen in Nordrhein-Westfalen belegt: Während sich im Jahr 1996 etwa 30 % der Unternehmen durch Fachkräftemangel in der Umsetzung von Innovationen behindert sahen, waren es im Jahr 1998 bereits 48 %. Bei der Festlegung der Prioritäten bei relevanten Innovationsproblemen im Jahre 1999 stand der Fachpersonalmangel an erster Stelle, und das bei ca. vier Millionen Arbeitslosen.
Diese Mangelerscheinungen, meine Damen und Herren, werden besonders hart die Gründungsszenerie und die innovative klein- und mittelbetrieblich strukturierte Unternehmerlandschaft treffen, da, wie ich bereits sagte, die vorhandenen Fachkräfte zwecks Vorratsbildung mit attraktiven Stellenangeboten auf die klassischen Karrierepfade der Großunternehmen gelockt werden. So gerät beispielsweise die so hoffnungsvoll gestartete BiotechGründungsszene genau aus diesen Gründen bereits wieder ins Stocken.
Angesichts dieser Trends darf berechtigterweise die Frage gestellt werden: Reichen die gegenwärtigen Bemühungen aller Ebenen, von der Landesregierung über Kommunen bis hin zu Kammern, Verbänden usw., zur Herausbildung einer Gründermentalität, zur Erreichung einer befriedigenden Gründerquote, zur Lösung der Lückenproblematik und zur Erleichterung des Übergangs in die unternehmerische Existenz an unseren Hochschulen aus?
Reichten und reichen diese Bemühungen aus, um angesichts der aufgezeigten Entwicklungen die Verfügbarkeit kompetenter Personen für die innovationsorientierte Gründerszene am Standort Sachsen-Anhalt überhaupt noch sicherzustellen?
Eine grobe Bestandsaufnahme zeigt, dass der Anteil der Existenzgründungen direkt an und aus den Hochschulen heraus in ganz Deutschland - für Sachsen-Anhalt sind mir die Zahlen leider nicht bekannt - unter 1 % liegt, in den USA bei 17 %. Dabei sind ist es gerade die Gründungen, die die effektivste Art und Weise des Wissenstransfers, des Strukturwandels und des Auslösens von Beschäftigungseffekten darstellen.
Angesichts dieses Aufholbedarfs und der diagnostizierten Entwicklungen müssten die Aktivitäten zur Erleichterung und Förderung von Existenzgründungen so durchschlagend und umfänglich an unseren Hochschulen greifen, dass die selbständige Existenzgründung tatsächlich eine viel genutzte Alternative und Einstiegsmöglichkeit in das Berufsleben wird.
Dabei ist uns natürlich allen klar, dass es mit der Auflage eines Förderprogramms, mit einer öffentlichen Eigenkapitalspritze oder mit der Prämierung nicht am Markt, sondern nur vor Auswahlgremien bewährter Business
pläne allein nicht getan ist. Zur Anwendung kommen müsste ein komplexer Ansatz, oder, wie Herr Minister Gabriel so häufig zu Recht betont, ein ganzer Instrumentenkasten, der folgende Zielrichtungen zum Inhalt hat:
Erstens die Ausbildung zur Selbständigkeit von der Schule zur Hochschule. Der brandenburgische Innen- minister Steffen Reiche hat dazu auf einem Dresdener Symposium interessante Ausführungen gemacht. Das wäre ein eigenes Thema.
Zweitens die Ausprägung einer neuen Finanzierungskultur bzw. eines Frühphasenbeteiligungs- und Risikokapitalmarktes.
Drittens die Zusammenführung aller Partner, insbesondere der Hochschulen, zu einer breiten inhaltlichen und infrastrukturellen Kooperation, zur Schaffung einer kritischen Masse an Gründerszene und zur Nutzung von Synergieeffekten.
Viertens die Bereitstellung handlungsfähiger Organisationsformen und technischer Faszilitäten, also Unterstützungspotenziale wie Gründer-Hotline, virtuelle Existenzgründerzentren, Gründerdatenbanken und vieles andere mehr.
Ich habe mir einmal aus Bayern und aus Niedersachsen, die jetzt gerade den Wettbewerb „Die gründerfreundliche Hochschule“ beendet und daraus Schlussfolgerungen gezogen haben, aus Thüringen von Frau Professor Schipanski und aus Nordrhein-Westfalen die entsprechenden Materialien kommen lassen. Ein Blick auf andere Bundesländer zeigt, dass es in diesen Ländern gegenwärtig erheblich verstärkte Anstrengungen in dieser Hinsicht gibt.
Natürlich hat auch Sachsen-Anhalt mit seiner Existenzgründeroffensive „ego“ einen solchen Instrumentenkasten bereitgestellt. Es ist an der Zeit zu fragen: Wie durchgreifend wirkt dieser Instrumentenkasten in die Hochschulen hinein und mobilisiert dort tatsächlich das Gründungsgeschehen?
Es betrifft die Frage der so genannten Anreizkompatibilität des Instrumentariums. Tragen die Anreizmechanismen und Handlungsbedingungen der Spezifik der Gründungsszenen an den Hochschulen überhaupt ausreichend Rechnung? - Das, Herr Minister, bezweifele ich etwas. Ich habe zwei Diplomanden betreut, die sich selbständig gemacht haben, und ich habe vielfach den Eindruck gehabt, dass sie sehr allein gelassen worden sind.
Des Weiteren: In welcher Weise wird das Kultusministerium in diese Initiative überhaupt eingebunden? Des Weiteren: Wie ist das Gründungsgeschehen an unseren Hochschulen qualitativ und quantitativ einzuschätzen? Gibt es seit der Einführung von „ego“ tatsächlich eine Trendumkehr in dieser Hinsicht?
Des Weiteren: Was ist aus dem ihm Jahr 1998 vom Landtag einstimmig beschlossenen Programm „Junge Innovatorinnen und junge Innovatoren“ geworden? Mit welcher Wirksamkeit wurde es umgesetzt, wie viele Förderfälle gab es? Wenn ich richtig informiert bin, überhaupt keine. Aber das wäre im Ausschuss zu klären.
Des Weiteren: Welche organisatorischen und infrastrukturellen Voraussetzungen wurden mittlerweile geschaffen? Und so weiter.
Meine Damen und Herren! Das Thema ist, wie der Blick in die anderen Bundesländer zeigt, hoch aktuell und von solcher Wichtigkeit, dass sich der Bildungsausschuss -
federführend - und der Wirtschaftsausschuss - mitberatend - wieder einmal mit diesem Thema beschäftigen sollten. Ich bitte Sie deshalb um unmittelbare Annahme dieses Antrags. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Herr Minister, meine Damen und Herren Sprecher, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dieses Thema so sachlich aufgegriffen haben, wie ich es angelegt hatte. Ich möchte trotzdem betonen, dass ich das berechtigte Anliegen der Landesregierung bezüglich des Programms „ego“ anerkenne, den Förderdschungel zu lichten, die Programme zu Programmfamilien zu bündeln und gewissermaßen mit einem breiten Anwendungsspektrum einzusetzen. Möglicherweise leidet aber bei solchen Breitbandheilmitteln die Wirksamkeit im jeweiligen Bereich.
Mir scheint, dass andere Bundesländer diesen Weg nicht gehen. Sie wählen hochschulspezifische, der Gründerszene an den Hochschulen angepasste komplexe Förderansätze, wie Thüringen mit „Get up“ oder Bayern mit „Flügge“ und „Hochsprung“ usw. Deshalb wäre zu prüfen, ob dieses Programm „ego“ an den Hochschulen ausreichend greift oder nicht oder ob man, wie die anderen Bundesländer, andere Wege beschreiten muss.
Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss und bedanke mich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will gleich vorweg sagen: Die CDU-Fraktion hat mit dieser Beschlußempfehlung - nicht mit einem Landeskulturkonzept - ihre Probleme. Wenn nämlich das in der Beschlußempfehlung geforderte Landeskulturkonzept mehrheitlich beschlossen werden sollte, dann werden in den kommenden Jahren Ozeane von Tinte verspritzt werden müssen, und zwar, wie ich fürchte, ohne ein diesem Aufwand auch nur einigermaßen entsprechendes Ergebnis.
Die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis eines solchen Kulturkonzeptes stellt sich offenbar. Ich will nur einige Punkte des Berichts- und Planungsauftrages nennen, damit man sich einen Eindruck darüber verschaffen kann, was die Landesregierung alles erarbeiten soll.
Das ist zunächst nicht weniger als eine detaillierte Bestandsaufnahme der auf Landes- und kommunaler Ebene vorgehaltenen Einrichtungen und Angebote unter Berücksichtigung der jeweiligen Trägerschaft, Förderung bzw. Finanzierung sowie deren Frequentierung, und dieses - zweitens - unter Berücksichtigung der Entwicklung der kulturellen Infrastruktur seit Wiedergründung des Landes. Drittens sollen die in den Kommunen veranschlagten Kulturaufwendungen aufgeschlüsselt werden. Außerdem soll eine Bewertung der Kulturangebote nach Altersspezifik, Hoch- und Breitenkulturentwicklung, thematischen und spartenspezifischen Förderschwerpunkten erfolgen.
Bewertung heißt aus meiner Sicht vergleichende Ordnung von Kulturangeboten, Erstellen einer Präferenzordnung für Kulturangebote. Was aber hier gemeint ist, ist offensichtlich eine Klassifizierung, eine Einordnung von Kulturangeboten in Schubfächer. Denn wer sollte vorgenannte Bewertung überhaupt vornehmen?
Dies ist, wie gesagt, nur ein Ausschnitt aus dem Berichtsteil, von dem weiterhin gefordert wird, daß er die differenzierten kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigen müsse. Wie man das machen soll, ist für mich nicht die einzige methodische Frage zu diesem Auftrag. Selbst Professor Mühlberg hat sich in der Anhörung am 26. April außerordentlich skeptisch geäußert, wie zielgenau Bedürfnisinhalte auf kulturellem Gebiet überhaupt ermittelt werden können.
Dies ist, wenn überhaupt möglich, mit Methoden der Bedarfs- und Marktforschung außerordentlich teuer und außerdem sehr bedenklich.
Alle diese bislang genannten Punkte sollen jedoch nur der erste, gewissermaßen bilanzierende Teil sein, auf dem ein Kulturkonzept fußen soll. Dazu wird zunächst zu Recht eine Schwerpunktsetzung der Landesregierung für die weitere kulturelle Entwicklung des Landes gefordert. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, über Modelle künftiger Kulturfinanzierung in SachsenAnhalt nachzudenken, auch wenn sich dies nicht gerade so anhört, als ob sich das Land in Sachen Kultur stärker finanziell engagieren wollte.
Aber bringen uns Vorschläge für horizontale und vertikale Vernetzungen oder neue Formen für die ideelle Förderung kulturpolitischer Initiativen von Kommunen oder Institutionen wirklich weiter? Was verbirgt sich eigentlich hinter der Forderung, Mittel und Wege im Land Sachen-Anhalt aufzuzeigen, den Zugang zur Kultur für alle zu ermöglichen? Wem wird denn eigentlich der Zugang zur Kultur vorenthalten?
Meines Wissens niemandem, jedenfalls nicht bei einem mehr oder weniger landläufigen Begriff von Kultur.
Meine Damen und Herren! Damit bin ich beim eigentlichen Grund unserer Ablehnung, auch wenn der Minister sehr wortreich versucht hat, dieses Problem zu entkräften.
Wenn sich die Landesregierung nicht dagegen wehrt, einen solch umfänglichen Arbeitsauftrag anzunehmen, so ist das zunächst nicht unsere, sondern Sache der Landesregierung. Wenn dann aber ganz im Sinne des PDS-Antrages eine Definition des Kulturbegriffes und des Begriffes Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt, von der die Landesregierung auszugehen habe, gefordert wird, so stimmt uns das außerordentlich nachdenklich, Herr Minister. Eine solche Definition ist im günstigsten Falle schwammig genug, um folgenlos zu bleiben. Anderenfalls droht uns eine Einengung, die niemandem, schon gar nicht einer Landesregierung zusteht.
Eine Landesregierung kann und sollte durchaus sagen, welche kulturellen Anstrengungen sie selbst unternimmt, welche sie fördern will und welche nicht. Aber was berechtigt eine Landesregierung zu einer Definition dessen, was Kultur sein soll?
Kultur muß sich immer wieder erneuern, innovationsfähig sein. Insofern muß sie offen sein, und insofern muß ihre Definition für neue Ideen, Wichtungen und Gestaltungsansätze offengehalten werden. Wer Kultur definiert, grenzt, ja engt sie ein und beschneidet ihre Kreativität und Innovationsfähigkeit, ihre Vielfalt.
Wir lehnen jedes Kulturverständnis ab, welches Kultur als gesellschaftliche Aufgabe in Richtung einer Staatskultur verschiebt. Deshalb, meine Damen und Herren, lehnen wir diese Beschlußempfehlung ab. - Danke schön.
Herr Kollege, das Behindertenproblem ist ein Problem, das extra erläutert werden muß.
Trotzdem glaube ich, daß auch Behinderten jede Möglichkeit, Kultur zu konsumieren, offengehalten ist und hierbei Erleichterungen gegeben sind, die auch der Gruppe der Behinderten diese Tür nicht verschließen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin persönlich angegriffen worden und möchte deshalb folgendes erklären:
Erstens. Für verbale oder körperliche Gewalt gegen Menschen, die anders aussehen, anders denken, anders glauben, gibt es keine Entschuldigung. Deshalb, Herr Gebhardt, hat der Kreisverband der CDU auf seiner Vollversammlung das Papier, das Sie zitiert haben, zurückgewiesen und ein neues Papier erarbeitet. Deshalb begrüße ich die unmißverständlichen Worte von Vertretern der Landesregierung und aller Parteien in Dessau in Richtung gewaltbereiter Rechtsextremisten.
Aber, Herr Dr. Fikentscher, ich hätte mir andererseits auch genauso klare Worte der Entrüstung und Mißbilligung in die andere Richtung gewünscht, als ein deutscher Polizist in Ausübung seines Dienstes an der Tankstelle in Bernburg von schwarzafrikanischen Drogendealern niedergestochen worden ist und nur durch Zufall am Leben blieb.
Zweitens. Unser Drogenproblem wird vor allen Dingen dadurch bestimmt, daß geltendes Recht nicht konsequent zur Bekämpfung der Drogenszene angewandt wird,
daß der Staat, daß Politiker und Parteien die Bevölkerung mit diesem Konflikt allein lassen und damit unfähig erscheinen, die zunehmenden Spannungen zwischen Bevölkerung und immer dreister agierenden Dealern abzubauen.
Dort aber, wo scheinbar eine Teilkapitulation der Strafverfolgungsbehörden stattfindet, wo sich der Staat scheinbar aus seiner Verantwortung zurückgezogen hat, weil er nicht konsequent dagegen vorgeht, entstehen ein gefährliches rechtsfreies Vakuum und der Nährboden für rechtsradikales Gedankengut.
Eine selbstverleugnende Asylpolitik, die Mißbrauch duldet, und ein Rechtsstaat, der in der Verfolgung straffälliger Asylbewerber außer Kraft gesetzt wird, indem bestehende Gesetze nicht konsequent angewandt werden, zerstört die Grundlagen der Solidarität.
Drittens. Es ist eine unglaubliche Verdrehung der Tatsachen, von Ursache und Wirkung, daß diejenigen, die Polizei, Justiz und Behörden zu einem entschlossenen Vorgehen gegen die Drogenszene auffordern,
um Selbstjustiz und Gewalt kein Einfallstor zu bieten, des Schürens von Ausländerfeindlichkeit bezichtigt werden.
Sehen Sie sich bitte um, Herr Fikentscher. Nicht Bayern, Herr Gebhardt, wo angeblich die großen Scharfmacher sitzen, ist, was die ausländerfeindlichen Übergriffe betrifft, das Problemland Nr. 1, sondern Nordrhein-Westfalen. Dort gibt es nachweislich die meisten Angriffe auf Ausländer. Das ist nicht deshalb so, weil irgend jemand dort Ausländerhetze betreiben würde, aber in Bayern wird konsequenter als in Nordrhein-Westfalen gegen Gewalt von links und rechts und auch gegen Asylmißbrauch vorgegangen.
In Düsseldorf hat man sich mit einem Konzept der Drogenprävention des Drogenproblems am Hauptbahnhof entledigt, das auch von den Ausländern beherrscht gewesen ist. Nachdem diese Drogenszene um den Hauptbahnhof von Düsseldorf weg ist, hat sich die Situation zwischen Ausländern und Wohnbevölkerung wesentlich entspannt. Nicht die Diskussion über den Asylmißbrauch, sondern der ungelöste Konflikt zwischen dealenden Asylbewerbern und der Bevölkerung ist mit Auslöser von Gewaltbereitschaft.
Ich komme zum Schluß. - Meine Damen und Herren! Auch Politiker, die glauben, sich in Ihrem Dachterrassenappartement nicht um den Konflikt zwischen dealenden Asylbewerbern, nicht um den Konflikt in den unteren Etagen kümmern zu müssen, sind auf die Hausordnung vereidigt und haben diese Hausordnung, nämlich Recht und Gesetz, durchzusetzen. Dies und nur dies einzufordern, dazu diente unser Antrag und dient unsere Unterschriftenaktion. - Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat sich in ihrem Bericht zum Kultursponsoring klar dazu bekannt, daß die Bundesrepublik nicht nur ein Rechts- und Sozialstaat ist, sondern sich auch als Kulturstaat versteht und deshalb die Förderung von Kunst und Kultur eine originäre Aufgabe des Staates sei, um die freie Entfaltung von Kunst und Kultur sicher- zustellen.
Dies nochmals unterstreichend, verweise ich aber auf den Brief von Herrn Dr. Werner vom Landesmusikrat an die Mitglieder des Kulturausschusses vom 10. April dieses Jahres, der auf die dramatische Finanzsitua- tion und die kaum noch abzuwendende Auflösung des Chorverbandes Sachsen-Anhalt hinweist. Dieser Verband prägt mit seinen ca. 15 380 Mitgliedern, davon 12 000 Aktiven, maßgeblich das Chor- und Musikleben in Sachsen-Anhalt und hat durch eine Vielzahl beachtenswerter musikalischer Aktivitäten bundesweit Anerkennung errungen.
Just in dem Jahr, in dem der Landeschorverband das Jubiläum 2000 vorbereitet und feiern will, bei dem vor allem darauf hingewiesen werden soll, daß die Ursprünge des Chorwesens in Deutschland vor ca. 170 Jahren in Sachsen-Anhalt lagen, wird dem Landeschorverband die lebensnotwendige Bluttransfusion seitens der Landesregierung verweigert. Während die Landeschorverbände bzw. die Landesverbände des Deutschen Sängerbundes in vielen Bundesländern institutionell gefördert werden, wurde die Förderung in Sachsen-An- halt, vor allem die Förderung der Geschäftsstellenarbeit des Landeschorverbandes, drastisch heruntergefahren, nämlich auf ca. 40 000 bis 45 000 DM pro Jahr. Das ist zum Sterben zu viel und zum Überleben zu wenig.
Anträge auf institutionelle Förderung der Geschäftsstelle, die die CDU-Fraktion in den vergangenen Jahren gestellt hat, wurden von Ihnen, meine Damen und Herren von SPD und PDS, mit dem Hinweis auf die Projektför
derung der Geschäftsstelle abgelehnt. In diesem Jahr allerdings wurde auch ein Antrag auf Projektförderung der Geschäftsstellenarbeit abgelehnt, so daß das Aus für die Geschäftsstellenarbeit vorprogrammiert zu sein scheint.
Die Konsequenzen dieser Entscheidung liegen wohl auf der Hand: Das Ungleichgewicht zwischen der Förderung der sogenannten Hochkultur und der Breitenkultur wird drastisch weiter vergrößert. Die Aufgabe der Geschäftsstelle würde zu einer Erosion des Landeschorverbandes und zum Zerbröseln gewachsener Strukturen unseres Kulturlebens führen.
Eine Weiterführung mit ehrenamtlichen Kräften ist illusorisch. Die Professionalität der Arbeit, die vom Kultusministerium berechtigterweise eingefordert wird, würde in erheblicher Weise darunter leiden. Die Weiterbil- dung der Chorleiter, die Organisation von Leistungswettbewerben, die Ausgestaltung von Landesfesten, die Herausgabe von Anleitungsmaterialien und vieles andere mehr würde unter den Tisch fallen. Das Musik- bzw. Chorleben Sachsen-Anhalts würde um einiges ärmer werden.
Ich halte dieses Szenario für so bedrückend, daß ich pointiert sagen möchte: Wenn das Aufrechterhalten des landesweit mitgliederstärksten Musikverbandes in Sachsen-Anhalt nicht im Interesse dieser Landesregierung liegt, dann liegt es nahe, daß diese Landesregierung dem Landesinteresse weicht.
Die Argumentation, die Geschäftsstelle ließe sich über Projektförderung finanzieren, ist eigentlich kontraproduktiv. Die notwendige institutionelle Förderung, getarnt als Projektförderung, widerspricht einem wichtigen Grundsatz der Förderpolitik, nämlich dem der Problemadäquanz der instrumentalen Ausgestaltung der Förderung. Hier wird einfach die zweifellos für den Wirtschaftsbereich richtige Förderphilosophie schematisch auf ein völlig anders geartetes Politikfeld übertragen. Dabei wird diese Förderphilosophie selbst in der Wirtschaft nicht durchgehalten, obwohl in der Wirtschaft statt einer Konzentration auf die Erlangung von Subventionen das Streben nach Bewährung auf dem Markt eigentlich im Vordergrund stehen müßte.
Beispielsweise - in diesem Bereich kenne ich mich etwas besser aus - hat die Innovationsförderung der Landesregierung zwei Stoßrichtungen, nämlich einmal die Förderung von landesspezifischen Innovationspotentialen über Projekte und zum anderen die institutionelle Förderung des sogenannten Innovationsambientes, also einer Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur.
Was man der Wirtschaft bereits zugesteht, obwohl dies berechtigterweise gegen die Förderphilosophie verstößt, müßte man erst recht der Kultur zugestehen, nämlich die institutionelle Förderung einer kulturellen Infrastruktur, wozu ich auch die Geschäftsstelle des Landeschorverbandes zähle.
Was hier letztlich praktiziert wird, ist nichts anderes als kultureller Darwinismus. Das Grundprinzip müßte vielmehr lauten: Soviel Eigenfinanzierung wie möglich und soviel institutionelle Förderung wie unbedingt nötig.
In diesem Sinne sind auch die Einwendungen des Kultusministeriums, daß ein 15 000 Mitglieder starker Verband eine Geschäftsstelle aus eigener Kraft finanzieren können müßte, durchaus berechtigt. Aber, meine Damen und Herren, sie berücksichtigen zuwenig die gegenwär
tige konkrete Situation im Landeschorverband. Beispielsweise zahlt ein Mitglied des Silcher-Chores in Bernburg 100 DM Beitrag pro Jahr, wovon 8,50 DM pro Jahr an den Landeschorverband abgeführt werden müssen, der davon wiederum 2,70 DM pro Jahr an den Deutschen Sängerbund in Köln abführt.
Eine Anhebung der Beiträge, vom Landeschorverband versucht, von 100 DM auf 120 DM scheiterte in diesem Jahr am Widerstand der Mitglieder, da es sich hierbei nicht nur um betuchte Mitglieder, sondern durchaus auch um sozial Schwächere bzw. Kinder handelt. Würde man die Beiträge und damit die Beitragsabführung weiter erhöhen, würden den Chören die Mitglieder davonlaufen. Gleichwohl drohen bereits heute manche Chöre und teilweise ganze Sängerkreise, sobald sie von der Geschäftsstelle unter finanziellen Druck gesetzt werden, mit dem Austritt aus dem Landeschorverband, was sicherlich auch nicht wünschenswert ist.
Schließlich muß man die Mitgliederstruktur der Chöre einmal näher betrachten, die eine ganz andere ist als in den alten Bundesländern. Während dort zwei bis drei fördernde Mitglieder auf ein aktives Mitglied kommen, kommt man hier höchstens auf eine Relation von eins zu eins, wobei die fördernden Mitglieder in der Regel ausgeschiedene Chormitglieder sind, die nicht mehr singen können. Es ist den Chören, die in der DDR durch Betriebe, LPG usw. gefördert wurden, leider immer noch nicht gelungen, ein kräftiges Vereinsleben zu entfalten, das zahlungskräftige Fördermitglieder anzieht.
Bei mir war heute morgen der Wehrleiter der Feuerwehr der Stadt Bernburg. Dabei wurde deutlich: Auch der Feuerwehr ist es nicht gelungen, in zehn Jahren in Sachsen-Anhalt ein solches Vereinsleben aufzubauen. Die Feuerwehren zu DDR-Zeiten waren eher als paramilitärische Organisationen organisiert als als Verein, und auch nach zehn Jahren haben sie immer noch Schwierigkeiten - insbesondere in den städtischen Gebieten -, sich als Verein gewissermaßen zu generieren und gleichzeitig viele freiwillige Mitglieder zu gewinnen.
Demzufolge, meine Damen und Herren, sind die eigenen Möglichkeiten des Ausweitens bzw. Erschließens des finanziellen Spielraums durch den Landeschorverband zur Zeit sehr begrenzt.
Will man nicht nur eine Schnarchstelle in Bernburg, sondern eine wirksame Geschäftsstellenarbeit finanzieren, reichen die Eigenmittel des Landeschorverbandes nicht aus bzw. derzeit noch nicht aus. Deshalb nochmals unsere Aufforderung an die Landesregierung, gemeinsam mit dem Landeschorverband Wege zur Lösung dieses finanziellen Engpasses zu suchen, die dem Landeschorverband eine Überlebenschance und auch Planungssicherheit bieten, möglicherweise zeitlich befristet und degressiv abflachend über fünf Jahre.
Nach Aussage des Landeschorverbandes würde eine institutionelle Förderung, wie ursprünglich auch zugesagt, von 90 000 bis 100 000 DM pro Jahr eine sehr wirksame Hilfe sein.
Ich bitte Sie aus diesen Gründen, der Überweisung unseres Antrags in den Ausschuß für Kultur und Medien zuzustimmen.
Wenn Sie bereit waren, meine Damen und Herren von SPD und PDS, - ich komme auf das zurück, was Herr Dr. Daehre sagte - für den Verein „Miteinander“ 1,7 Millionen DM in den Haushalt 2000 einzustellen, obwohl er 1999 von 1,2 Millionen DM nur 200 000 DM verbrauchen
konnte, dann sollte Ihnen auch die Förderung eines viel größeren Netzwerkes des Miteinanders, nämlich eines 15 000 Mitglieder umfassenden Verbandes, der sich nicht minder um das gesellschaftliche und gedeihliche Miteinander kümmert, mindestens ein Siebzehntel dieses Förderbetrages wert sein.
Also, meine Damen und Herren: Wenn Sie in Zukunft nicht mit mir oder mit Herrn Kühn vorliebnehmen wollen, sondern einen qualifizierten Chorgesang hören möchten, dann stimmen Sie unserem Antrag auf Überweisung zu. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man den Delphi-Technikern glauben darf, werden zwei Megatrends Wirtschaft und Gesellschaft so nachhaltig verändern, daß - um ein Wort von Roland Berger zu gebrauchen - kein Stein mehr auf dem anderen bleiben wird: Globalisierung und Informationsgesellschaft. Peter Glotz nennt, um auch das Bedrohungspotential deutlich zu machen, diese auf uns zukommende Gesellschaftsform den digitalen Kapitalismus.
Globalisierende Wirtschaft und Informationstechnologien bedingen sich gegenseitig und eröffnen neue Perspektiven für Effizienz und Produktivität, gleichzeitig aber auch große Gefahrenpotentiale, vor allen Dingen für diejenigen, die nicht mehr Schritt halten können. Die Veränderungsprozesse in der Wirtschaft werden einen grundlegenden und beschleunigten Strukturwandel herbeiführen, von dem wir nicht überrascht werden dürfen, dem aber auch nicht punktuell und in Form von Insellösungen oder Einzelprojekten begegnet werden darf.
Volkswirtschaften gehen zu Ende. Die verstärkte Anbindung an Netze schafft neue Kombinationsmöglichkeiten. Unternehmen lösen sich in kleine Geschäftseinheiten auf und werden zu Clustern, die in Form virtueller Organisationsmuster relativ autonome Unternehmenseinheiten zusammenführen. Diese netzwerkkooperieren-den Unternehmen produzieren Produkte, deren Wettbewerbsfähigkeit vor allem von ihrem softwarebasierenden Innenleben abhängen wird.
Zu den Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital tritt der Faktor Wissen. Dessen Problematik ist es, daß er in zeitlicher wie in räumlicher Hinsicht äußerst flüchtig ist. Stimmen also die Rahmenbedingungen nicht, taucht er weg. Eine neue Arbeitskultur entsteht. Das sichere Normarbeitsverhältnis wird zum Auslaufmodell.
Die Umstellung von der Industrie- auf die Informationsgesellschaft ist nicht schmerzlos zu haben. Mit einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie und im Dienstleistungssektor wird zu rechnen sein; denn die den multimedialen Technologien innewohnenden Produktivitätspotentiale werden die Nachfrage nach alter Arbeit erheblich reduzieren. Gleichzeitig aber können Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien - allerdings in Verbindung mit deregulierten flexiblen Wirtschaftsstrukturen - positive Arbeitsplatzeffekte hervorrufen.
Meine Damen und Herren! Die Beschreibung der unabwendbar auf uns zukommenden Veränderungsprozesse ließe sich beliebig fortsetzen. Das Problem ist: Sind wir auf diese Veränderungsprozesse ausreichend vorbereitet, oder laufen wir ihnen hinterher? Lebt unsere Hochkostenwirtschaft im wesentlichen von der Innovationsrente vergangener Tage, oder haben wir dafür eine entsprechende Innovationskultur bereits herausgebi ldet?
Die Überlegung des Bundeskanzlers, zur Behebung des Mangels an Informatikexperten möglicherweise bis zu 30 000 Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten aufzunehmen, läßt daran echte Zweifel aufkommen.
Deshalb will ich die Frage anders stellen: Welche Vorbereitungen können, ja müssen wir treffen, um auch in Zukunft leistungs-, wettbewerbs- und innovationsfähig zu sein, um nicht Gefahr zu laufen, von den technologischen Entwicklungen der Multimediagesellschaft und der Informationsgesellschaft in Japan und insbesondere in den USA überholt zu werden?
Insbesondere aber: Welche Aufgabe fällt hierbei der Politik zu? In welcher Weise soll sie die notwendigen Veränderungsprozesse selbst vorbereiten, anstoßen und aktiv begleiten?
Aufgabe der Politik ist es unserer Meinung nach, für die richtigen, das heißt für förderliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Im konkreten bedeutet dies beispielsweise: Die hohe Regulierungsdichte, insbesondere in Infrastruktur- und Zukunftsbranchen, muß bereinigt werden, um Wachstumsprozesse freizusetzen. Wir brauchen also eine Veränderung des rechtlichen Ordnungsrahmens. Die Arbeitsmarktprozesse müssen so ausgerichtet werden, daß mehr Flexibilität und kurzfristige Reaktionsoptionen entstehen und der neuen Arbeitskultur, beispielsweise im Individualarbeitsrecht, entsprochen wird.
Damit verbunden als zentrale Herausforderung der kommenden Jahre ist die Umgestaltung der Bildungsinstitutionen und -regelungen. Es reicht zum Beispiel nicht aus, Schulen mit Computern auszustatten und ans Internet anzuschließen. Gefragt sind neue Lernkonzepte, die Computer und Internet in den Unterricht systematisch einbinden. Dazu sind Bildungspläne zu überarbeiten, schultaugliche Software ist zu entwickeln, und neue Akzente in der Lehrerbildung sind zu setzen.
Wir brauchen auch eine neue Innovationskultur und dementsprechende Rahmenbedingungen, also beispielsweise die Einführung eines öffentlich-privaten Risk-Sharing zur Abfederung der Risiken von Innovationsinvestitionen, Sonderregelungen für die Arbeitszeit im FE-Bereich, liberale Genehmigungspraktiken, Steuerbefreiungen für Erfindervergütungen, Kooperationshilfen für innovative Allianzen und vieles andere mehr.
Wir brauchen einen Abbau der Inputnachteile unserer Forschung, einen beschleunigten und breiteren Wis
senstransfer und entsprechende Technologiediffusionen sowie die Förderung einer branchenübergreifenden Institutionalisierung von wissenschaftlich-technologischen Netzwerken.
Wir brauchen eine Verknüpfung der beiden Leitbilder der Informationsgesellschaft und der nachhaltigen Entwicklung, die bisher in weiten Teilen unvernetzt nebeneinander stehen. Diese Vernetzung kann sich nicht nur auf die Problematik der Entsorgung von Elektronikschrott reduzieren.
Wir müssen uns auch auf veränderte Kostenstrukturen insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistung einstellen. Sonst wird das, was wir Online-Outsourcing nennen, also die Online-Auslagerung von Tätigkeiten, von Arbeit nach Indien, Taiwan oder China, in großem Maßstab erfolgen.
Damit, meine Damen und Herren, müssen wir konstatieren: Die gesellschaftspolitische Herausforderung von Multimedia, nämlich die 20:80-Gesellschaft, muß verhindert werden. Dies ist angesichts einer bereits hohen Arbeitslosigkeit ein erstrangiges Problem auch für Sachsen-Anhalt.
In dieser Gesellschaft verfügt ein glücklicher kleiner Teil über Arbeit und damit Wohlstand, während die Arbeitskraft und das Wissen des weitaus größeren Teils nicht mehr gebraucht werden. Verhindern können wir solche negativen Anpassungsprozesse dadurch, daß der Aufbau neuer Multimedia- und Innovationsstrukturen in Arbeitsabläufen und -organisationen, Management und Personalführung rechtzeitig durch ihnen entsprechende Rahmenbedingungen gefördert werden.
Die Nettoeffekte aus Multimedia, so die entsprechende Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, werden nur dann positiv ausfallen, wenn es der Politik gelingt, frühzeitig die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Es geht also hier nicht so sehr um die durchaus zu würdigenden Einzelprojekte und Landesinitiativen, die es auch in Sachsen-Anhalt gibt, sondern um eine umfassende förderliche Rahmensetzung für den Aufbruch in die Multimediawirtschaft und Informationsgesellschaft, in die alle Ressorts einzubinden sind. Es geht um die Bündelung von Aktionslinien verschiedener Ressorts und ihre Anpassung im Sinne bestmöglicher Komplementarität.
Auch die oben genannte Enquete-Kommission betont ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -:
„Von entscheidender Bedeutung wird sein, daß alle diese strategischen Erfolgsfaktoren und Handlungsempfehlungen in einem abgestimmten Konzept gemeinsam weiterentwickelt werden. Einer Förderung einzelner Faktoren oder Projekte im Sinne isolierter Einzelmaßnahmen wird der erwünschte Erfolg mit Sicherheit verwehrt bleiben.“
Deshalb, meine Damen und Herren, schlagen wir vor, daß die Landesregierung in den im Antrag genannten Ausschüssen über ihre Vorstellungen und Aktivitäten berichtet, wie sie Sachsen-Anhalt den Weg in die Informationsgesellschaft und die Multimediawirtschaft zu bahnen gedenkt. Auf der Grundlage dieses Berichts sollten die entsprechenden Ausschüsse beurteilen, ob die Politik damit ausreichend ihrer Pflicht nachkommt, unser Land auf die neuen Herausforderungen vorzu
bereiten, und gegebenenfalls weitere Empfehlungen abgeben.
Im Ergebnis dieser Ausschußdiskussionen sollte die Landesregierung beauftragt werden, ein Gesamtkonzept oder einen strategischen Fahrplan zu entwickeln, der alle rahmensetzenden Aktionslinien der einzelnen Ressorts in ihren Entwicklungspfaden miteinander verknüpft. Möglicherweise könnte auch empfohlen wer-den, daß die Landesregierung die Koordination dieses Vorhabens auf eine wissenschaftliche Einrichtung mit ausgewiesener Expertise auf diesem Themenfeld überträgt.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben. - Danke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, darauf, daß ich aufgrund meines Antrages sehr viel Selbstlob von der Landesregierung zu hören bekommen würde, war ich sicherlich vorbereitet. Wenn man sich einmal im Glorienschein des Entrepeneurs Bill Gates gesonnt hat, bedeutet das aber noch nicht, daß man bundesweit Vorreiter auf diesem Gebiet ist.
Es gibt eine Vergleichsstudie des DMMV, des Deutschen Multimedia-Verbandes. In ihr ist ein sogenanntes Ranking oder Benchmarking bezüglich der Implementierung von Informations- und Kommunikationstechnik in den entsprechenden Bundesländern enthalten. In diesem Benchmarking wird Bayern in der Spitzenposition ausgewiesen,
Sachsen-Anhalt am Schluß. Es war also höchste Zeit, Herr Minister, daß in Sachsen-Anhalt auf diesem Gebiet endlich etwas passiert ist.
Ich will aber hier keine neue Frontlinie aufmachen. Dieses Thema ist viel zu wichtig, um es wechselseitigen Schuldzuweisungen zu opfern. Vielmehr will ich konstruktiv betonen, daß wir uns darüber einig sind, daß Sachsen-Anhalt zukunftsfähige Strukturen in die-ser Hinsicht braucht und daß es höchste Zeit ist, diese auch vorzubereiten.
Daß es im Wirtschaftsministerium Ansätze dazu gibt, habe ich bereits betont. Aber es gibt ein Problem sowohl der Reden, die ich gehört habe, als auch des Antrags, Frau Budde. Es wird alles auf das Wirtschaftsministerium fokussiert, das heißt auf den von mir gerade kritisierten Ist-Zustand insofern, als beim Wirtschaftsministerium die meisten Initiativen dieser Art angelagert sind, alle anderen zu beteiligenden Ministerien sich aber vornehm zurückhalten oder abducken. Damit wird erneut die Engführung in der konzeptionel
len Ausgestaltung festgeschrieben, statt interministeriell einen Komplexansatz aller Ressorts zu favorisieren.
Es wird so getan, als sei die Informations- oder Wissensgesellschaft allein eine Sache der Wirtschaft, und das ist weit gefehlt. Die Rückwirkung der Medienwirtschaft auf Bildung, soziale Sicherungssysteme, Innovationskultur, Umweltpolitik, Kulturwirtschaft, den rechtlichen Ordnungsrahmen usw. bleibt völlig unberücksichtigt. Es geht doch nicht um Initiativen der Wirtschaft oder gemeinsame Initiativen von Landesregierung und Wirtschaft allein; es geht um die Schaffung von Rahmenbedingungen und um eine neue Ordnungspolitik zur Sicherung einer ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Entwicklung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Informationsgesellschaft.
Meine Damen und Herren insbesondere von der SPDFraktion, die Bundesregierung hat dem bereits Rechnung getragen, indem sie ein ressortübergreifendes Aktionsprogramm „Innovationen und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ kon-zipiert hat.
Überraschenderweise - zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen Antrag schon geschrieben, dies bestätigt jedoch die Richtigkeit meines Ansatzes - haben die Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN am 20. Januar einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, den ich mir habe schicken la ssen.
In diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, mit Hilfe des amerikanischen Verfahrens des sogenannten Roadmapping eine Strategie für eine nachhaltige Informationstechnik zu entwickeln. Sie können das Papier einmal nachlesen. Vielleicht korrigieren Sie dann die Engführung Ihrer Auffassung. Dieses Strategiepapier wird ausdrücklich nicht als Ressortangelegenheit nur des Bundeswirtschaftsministers und der Wirtschaftsverbände betrachtet, sondern aller Akteure der Informations- und Kommunikationsbranche, der Medien, von Wissenschaft, Bildung, Politik, Sozialverbänden usw. usw.
Die Landesregierung selbst, meine Damen und Herren, hat am Schluß des Vertrages mit Microsoft einen Passus hineinformuliert, daß diese Kooperation nur als ein Baustein in einem größeren Kontext angesehen werden darf. Genau um diesen größeren Kontext geht es hierbei, und diesen vermissen wir bei Ihrem Vorgehen bei aller Anerkennung der Einzelprojekte und Landesinitiativen, aber auch in Ihren Reden, Frau Budde und Herr Minister.
Genau das ist der springende Punkt. Ein berechtigter Grundsatz, dem der vorliegende Antrag bedauerlicherweise nicht folgt, daß nämlich alle Ressorts in diese Strategie einzubinden sind, wird verletzt.
Da beide Anträge, sieht man von dieser Engführung einmal ab, weitgehend kongruent sind - die Unterschiede sind ja nur marginal, Frau Budde; ob die Formulierung „strategischer Fahrplan“ besser ist als die Formu
lierung „Gesamtkonzept“ sei dahingestellt -, schlagen wir vor, den Fokus bei der Anhörung der entsprechenden Verbände, der Landesregierung usw. zu erweitern. Jedem Ausschuß, der beteiligt wird, sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, mindestens drei Vorschläge für diese Anhörung einzubringen.
Wenn wir uns darauf verständigen können, können wir Ihrem Änderungsantrag durchaus zustimmen, denn er ist, wie gesagt, mit unserem Antrag weitgehend kongruent. - Herzlichen Dank.
Nein. Wir werden dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zustimmen.