Protokoll der Sitzung vom 04.05.2000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 39. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der dritten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, verehrte Anwesende, auf das herzlichste begrüßen.

Ich stelle - trotz einiger leerer Plätze - die Beschlußfähigkeit des Hohen Hauses fest und komme zu Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Der Ältestenrat wurde hierüber bereits informiert.

Herr Minister Gerhards nimmt an der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates und an der Finanzministerkonferenz in Bonn teil, die am heutigen Tage, am 4. Mai 2000, stattfindet. Aus diesem Grunde ist ihm die Anwesenheit in der Landtagssitzung am heutigen Tage nicht möglich.

Herr Minister Dr. Püchel wird am 4. und 5. Mai in Düsseldorf an der Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder teilnehmen. Aus diesem Grunde kann er an der Landtagssitzung nur am 4. Mai, das heißt also am heutigen Tage, bis ca. 12 Uhr teilnehmen.

Meine Damen und Herren! Ich komme jetzt zur Tagesordnung. Die Tagesordnung der 21. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor.

Die Fraktionen hatten sich in der Sitzung des Ältestenrates darauf verständigt, die Tagesordnungspunkte 3 und 4 als erste Punkte am Freitag zu behandeln. Inzwischen ist mir von einigen Fraktionsmitgliedern signalisiert worden, daß es möglich sein könnte, die gesamte Tagesordnung heute abzuarbeiten, das heißt also, am morgigen Tag keine weitere Sitzung anzuberaumen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Das stößt offensichtlich auf einige Zustimmung, hätte aber zur Folge, daß wir die Punkte 3 und 4 in der ursprünglich vorgesehenen Reihenfolge, das heißt in den heutigen Vormittagsstunden behandeln würden. Wir könnten dann am Nachmittag, je nach Fortschritt in der Tagesordnung, beschließen, heute abend etwas länger zu tagen und dafür den morgigen Sitzungstag ausfallen zu lassen. Ich bitte dafür um Ihre Zustimmung.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Gibt es Widerspruch oder Bemerkungen dazu? - Das ist nicht der Fall. Herzlichen Dank. Dann können wir so verfahren.

Wir kommen somit zum Tagesordnungspunkt 1:

Erste Beratung

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 3/3023

Änderungsantrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/3075

Einbringer ist der Minister des Innern Herr Dr. Manfred Püchel. Es ist eine 60-Minuten-Debatte vorgesehen. Ich teile Ihnen die Redezeiten und die Reihenfolge mit: PDS zwölf Minuten, FDVP fünf Minuten, CDU 14 Minuten, SPD 24 Minuten, DVU-FL fünf Minuten. Der Landes- regierung stehen 24 Minuten zur Verfügung.

Ich bitte den Herrn Minister, den Gesetzentwurf einzubringen. Bitte, Herr Minister Dr. Püchel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Beschluß des Kabinetts zur Änderung des SOG lege ich Ihnen heute den Entwurf zur parlamentarischen Beratung vor. Der Einbringung ist neben einer breiten öffentlichen politischen Diskussion eine intensive fachliche Vorbereitung vorausgegangen.

Das Sicherheits- und Ordnungsgesetz unseres Landes ist seit dem 1. Januar 1992, also seit gut acht Jahren, in Kraft. Aufgrund des Novellierungsbedarfs haben wir vor zwei Jahren mit den konkreten Vorarbeiten zur Änderung dieses Gesetzes begonnen. Anläßlich der Beratung zum Gesetzentwurf der CDU-Fraktion Anfang letzten Jahres hatte ich die Einbringung eines eigenen Entwurfs angekündigt.

Die Gründe hierfür liegen zum einen in der Änderung wichtiger Bundesgesetze, auf die sich unser Gesetz bezieht. Die Notwendigkeit für eine substantielle Überarbeitung einzelner polizeilicher Befugnisse ergibt sich zum anderen insbesondere aus polizeilichen Erfordernissen, die sich in den letzten Jahren ergeben haben.

Unverkennbar hat die Qualität der polizeilichen Arbeit ganz erheblich zugenommen. Auch dadurch konnte der besorgniserregende Trend von Jahr zu Jahr steigender Kriminalitätszahlen seit 1996 umgekehrt werden. Bei der Aufklärungsquote erreicht unsere Polizei mittlerweile Ergebnisse, die sich auch bundesweit sehen lassen können. Im Jahr 1999 lagen wir sogar schon über dem Bundesdurchschnitt.

Die sehr positive Entwicklung ändert jedoch nichts daran, daß die Polizei in einigen Feldern vor zunehmend schwieriger werdenden Aufgaben steht. Ich denke dabei an die organisierte Kriminalität, die nicht vor nationalen Grenzen und erst recht nicht vor den Grenzen der Bundesländer haltmacht. Ich denke ferner an die Rauschgiftkriminalität, die sich seit der Wende auch in SachsenAnhalt entwickelt hat. Und ich denke an die Zunahme von Veranstaltungen vor allem rechtsextremistischer Gruppierungen, die nach polizeilichen Gegenmaßnahmen verlangt.

Die Änderung von Gesetzen ist kein Allheilmittel zur Bewältigung dieser und anderer aktueller Herausforderungen an die Polizei. Ich selbst habe häufig genug davor gewarnt, allzu große Erwartungen allein in Gesetzesänderungen zu setzen. Aber natürlich bilden zeitgemäße und praxisgerechte gesetzliche Befugnisse die notwendige Grundlage für ein effektives und vor allem auch rechtssicheres polizeiliches Handeln. Bezeichnend ist insofern, daß seit dem Inkrafttreten unseres SOG die Polizeigesetze anderer Bundesländer entsprechend novelliert worden sind.

In der breiten öffentlichen Diskussion der letzten Monate ist von Kritikern zum Teil mit weit übertriebenen Vorstellungen von polizeilichem Handeln infolge der Gesetzesänderung argumentiert worden. Ich werde im einzelnen noch auf Beispiele solcher unzutreffenden Szenarien eingehen, die den vorliegenden Änderungsvorschlägen überhaupt nicht gerecht werden.

Im Gegenteil: Nach eingehenden Vorberatungen in meiner Fraktion und im Kabinett lege ich Ihnen heute sehr ausgewogene Änderungsvorschläge vor. Ich bin zuversichtlich, daß in der weiteren parlamentarischen Beratung verdeutlicht werden kann, daß diese Vorschläge keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheitsrechte unserer Bürgerinnen und Bürger bedeuten, daß

jedoch der Polizei hierdurch notwendige Instrumentarien zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und zur Vermeidung von Straftaten zur Verfügung gestellt werden.

Die bisherige Diskussion drehte sich um die Erweiterung der offenen Videoüberwachung, den erweiterten Platzverweis und lagebildabhängige Straßenkontrollen. Dies sind zweifellos die Kernpunkte des vorliegenden Entwurfs, der jedoch weitere Punkte umfaßt und nicht allein auf diese Punkte reduziert werden sollte.

Meine Damen und Herren! Eine besonders lebhafte Diskussion wurde und wird über die vorgesehene Erweiterung der polizeilichen Befugnis zur sogenannten Videoüberwachung geführt. Kritiker haben bis zuletzt vor einer „flächendeckenden Überwachung“ gewarnt. Sie hatten dabei jedoch nicht den vorliegenden Entwurf, sondern offenbar das Beispiel Großbritanniens vor Augen.

Dort werden in der Tat ganze Städte mit einer Vielzahl von Videokameras so lückenlos überwacht, daß dem elektronischen Auge kaum ein Winkel verborgen bleibt. Es findet dort nicht nur eine Videoübertragung in eine Überwachungszentrale und eine ständige Beobachtung des aufgenommenen Geschehens auf den Monitoren statt. Es wird auch alles aufgezeichnet, was die Kameras aufnehmen. Zudem werden alle Videobänder aufbewahrt, ohne daß es auf den Inhalt der Aufzeichnungen ankommt.

Eine Überwachung in dieser Form hatte ich niemals vor. Geplant war und ist vielmehr, die nach dem SOG bereits bestehende polizeiliche Befugnis maßvoll zu erweitern.

Schon nach geltendem Recht besteht eine solche Befugnis, soweit es darum geht, in unmittelbarem Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsgesetz unterfallen, Straftaten zu verhüten. Das gleiche gilt in bezug auf die sogenannten gefährdeten Objekte, nämlich Verkehrs- oder Versorgungsanlagen oder -einrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder andere besonders gefährdete Objekte, sowie deren unmittelbaren Nahbereich.

Mit der geplanten Änderung geht es nun darum, diese Befugnisse auf Kriminalitätsschwerpunkte auszudehnen, zum Beispiel bekannte Drogenumschlagplätze und andere Orte, von denen bekannt ist, daß dort vermehrt Straftaten begangen werden. Die Polizei soll die Befugnis erhalten, an Orten, an denen aufgrund entsprechender Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muß, daß dort Straftaten verabredet, vorbereitet oder verübt werden, offen mittels eingesetzter Technik Videoaufnahmen herzustellen. Das aufgenommene Geschehen soll auf Monitore in den Polizeidienststellen übermittelt werden. Die Monitore werden von Polizeibeamten beobachtet.

Diese Verfahrensweise ergänzt also nur die polizei- liche Präsenz vor Ort und an gefährlichen Orten durch eine technische. Es passiert nicht mehr, als wenn ein Beamter persönlich anwesend ist, durch Hinschauen das Geschehen registriert und gegebenenfalls erforder- liche Maßnahmen ergreift.

Im Unterschied zu den bestehenden Regelungen im Hinblick auf Ansammlungen oder gefährdete Objekte soll es aber bei der technischen Überwachung von Kriminalitätsschwerpunkten keine polizeirechtliche Befugnis zur Aufzeichnung von Aufnahmen geben.

Hierin wird etwas deutlich, was sich wie ein roter Faden durch den gesamten Gesetzentwurf zieht: Die Landesregierung will der Polizei die Befugnisse geben, die sie dringend braucht. Gleichzeitig sollen dabei aber die Bürger- und Freiheitsrechte in größtmöglichem Umfang gewahrt werden.

Meine Damen und Herren! Wir bewegen uns mit dem Gesetzentwurf voll und ganz auf der Linie einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Halle. Dieses hat unter anderem festgestellt, daß nicht nur die Übersichtsaufnahmen keinen Eingriff in Persönlichkeitsrechte darstellten, auch das Heranzoomen ohne Aufzeichnung sei nicht anders zu bewerten als ein Hinschauen eines Polizeibeamten vor Ort und sei damit ebenfalls noch kein Eingriff in Persönlichkeitsrechte.

Meine Damen und Herren! Wenn wir Straftaten zukünftig wirkungsvoller als bisher verhüten wollen und wenn wir der Polizei hierfür das Mittel der technischen Überwachung von Kriminalitätsschwerpunkten geben wollen, dann reicht es nicht aus, nur Übersichtsaufnahmen anzufertigen. Der Polizei muß auch die Möglichkeit eröffnet werden, ohne Anhaltspunkte für Straftaten die Zoomfunktion zu betätigen oder auch gegebenenfalls von vornherein genauer hinzuschauen. Dies sieht die Neuregelung vor.

Nicht vorgesehen ist aus Gründen des Datenschutzes die Aufzeichnung der Bilder. Insofern bleibt es bei der Befugnis nach der Strafprozeßordnung, die hierfür einen konkreten Straftatverdacht voraussetzt. Erst und nur dann kann die Aufzeichnungsfunktion in Gang gesetzt werden.

Die Überwachung wird ausschließlich offen erfolgen. Das ist aus meiner Sicht eine weitere ganz entscheidende Einschränkung; denn es wird gerade nicht um die geheime Aufzeichnung bestimmter Personen oder gar Gespräche gehen, was bei vielen nach wie vor unangenehme Assoziationen weckt. Mir geht es vielmehr um die Überwachung bestimmter Plätze, auf die jede Person, wenn sie den betreffenden Ort betritt, durch Schilder aufmerksam gemacht wird.

Ich habe keinen Zweifel daran, daß die Videoüberwachung die von mir in sie gesetzten Erwartungen erfüllen wird. Das zeigen unter anderem die Ergebnisse der in Magdeburg durchgeführten Videoüberwachungen von als Kriminalitätsschwerpunkte erkannten Parkplätzen. Drei Parkplätze, bei denen eine besonders hohe Zahl an Kfz-Diebstählen festzustellen war, wurden mit Kameras überwacht. Die Überwachung führte zu einem erheblichen Rückgang der Fallzahlen zwischen 24 und über 80 %.

Bei dem Modellversuch in Halle zeichneten sich ebenfalls schon innerhalb kürzester Zeit Erfolge ab, wenn es auch für eine abschließende Beurteilung letztlich noch viel zu früh ist. Hatten sich bis Ende letzten Jahres auf dem Marktplatz zahlreiche Personen zusammengefunden, die der Drogenszene zuzuordnen sind, so sind diese Personengruppen dort nicht mehr feststellbar. Befragte Passanten und Markthändler gaben an, sie würden sich durch die Videoüberwachung sicherer fühlen, wieder gern über den Marktplatz gehen und hätten so ein gutes Stück Lebensqualität in ihrer Stadt zurückgewonnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, von Herrn Wolf, FDVP, und von Herrn Kanne- gießer, DVU-FL)

Erfahrungen mit der polizeilichen Videoüberwachung in Leipzig bestätigen im übrigen, daß die Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten eben nicht lediglich zu einer Verdrängung der Kriminalität führt, sondern zu einem echten Rückgang der Kriminalität.

(Herr Becker, CDU: Sehr richtig!)

Abschließend zu diesem Punkt noch ein Blick auf die bundesweite Diskussion zur Videoüberwachung. Andere Bundesländer, zuletzt das rot-grün regierte NordrheinWestfalen, haben bereits entsprechende Befugnisse in ihre Polizeigesetze aufgenommen. Der Innenministerkonferenz liegt zu ihrer morgigen Sitzung ein entsprechender Beschlußvorschlag vor. Nach den Vorabstimmungen in den Arbeitskreisen wird dieser Beschluß, gestützt auf die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe, morgen einstimmig von allen Ministern gefaßt werden. Darin wird die hier vorgesehene Beschränkung der Überwachung auf Kriminalitätsschwerpunkte unterstützt und die Geeignetheit der Videografie zur wirksamen Unterstützung polizeilicher Gefahrenabwehr und Strafverfolgung betont.

Mit Blick auf ein Scheinargument von Kritikern nenne ich auch den weiteren Beschlußinhalt, in dem unterstrichen wird, daß zur Videoüberwachung ein umfassendes polizeiliches Konzept an den betreffenden Plätzen treten muß. Die Unterstellung voreiliger Kritiker, mit den Videoüberwachungen und Videokameras würden andere polizeiliche Maßnahmen vernachlässigt werden, ist also falsch.

Auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben sich mit dem Thema der Videoüberwachung befaßt, was im Monat März ein breites Presseecho gefunden hat. Wenn Sie sich die Entschließung der Datenschützer anschauen, werden Sie feststellen, daß darin die Aufzeichnung und Speicherung ein wichtiger Problempunkt ist, auf die in unserem Entwurf verzichtet wird.

Im übrigen werden im Hinblick auf alle wesentlichen Elemente der Regelung, wie Ort, Offenlegung und Kontrolle der Maßnahme, Forderungen gestellt, wie sie nahezu identisch in unserem Entwurf bereits vorher vorgesehen waren. Unter den genannten Voraussetzungen plädieren die Datenschutzbeauftragten im Interesse der Rechtsklarheit ausdrücklich für gesetzliche Regelungen.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu einem weiteren Kernpunkt der vorgesehenen Gesetzesänderung kommen, dem sogenannten erweiterten Platzverweis.

Ein Platzverweis ist nach bisherigem Recht nur für einen sehr kurzen, vorübergehenden Zeitraum möglich. Für einen längeren Zeitraum dürfte er dagegen selbst dann nicht ausgesprochen werden, wenn dies zur Gefahrenabwehr erforderlich wäre. Voraussetzung ist stets, daß diese Maßnahme zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist.

Außerdem kann die betroffene Person nur aus einem eng umgrenzten Ort verwiesen werden. Dabei handelt es sich zum Beispiel um einen Marktplatz, eine Straßenseite, ein Gebäude oder die unmittelbare Umgebung einer Unglücksstelle. Das SOG läßt es jedoch beispielsweise nicht zu, einen Platzverweis für einen ganzen Stadtteil oder für das gesamte Gebiet einer Gemeinde anzuordnen.