Protokoll der Sitzung vom 17.05.2000

Frau Osten, bitte!

(Zuruf von der PDS)

Konsistenz findet manchmal auch statt, wenn sie nicht bemerkt wird.

Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, dass eine Diskussion ohne Spardruck besser gewesen wäre. Ich frage Sie nach Ihrer Verantwortung als Minister für diese Diskussion.

Liebe Frau Osten, Sie hätten es eigentlich merken können. dass ich in den vergangenen Jahren für den Bereich Wissenschaft, Forschung und Kultur zuständi g war und mich da auch mit schweren Schmerzen an der Konsolidierung beteiligt habe.

(Frau Osten [PDS]: Darf ich noch eine Frage stellen?)

Ich habe dabei, so wie ich heute mit Frau Kaiser-Nicht spreche, das eine oder andere freundliche, manchmal auch sachliche Gespräch mit Herrn Trunschke geführt.

(Frau Osten [PDS]: Seit wann sind Sie denn Minister? Seit September, oder?)

Es handelt sich um eine grundsätzliche Diskussion über das Verhältnis der Aufgaben des Staates und des Bürgers. Ich meine, es ist eine ehrliche und offene Diskussion zu führen und es sind neue Antworten zu finden.

Zum engeren Thema Kita: Es können nicht alle Aufgaben verstaatlicht werden, aber eben auch nicht alle privatisiert. So falsch es ist zu behaupten, dass für jede Betreuungsaufgabe der Staat entsprechende Angebote bereithalten müsse, die die Eltern wünschen, so falsch ist es auch. die Familien mit dieser Aufgabe allein zu lassen.

Was heißt es eigentlich, in einer modernen Zivilgesellschaft Kinder zu haben und zu erziehen? Das ist die Frage. die wir gemeinsam beantworten müssen, weil sie von der Zeit gestellt worden ist. Zwischen diesen Polen muss jede Gesellschaft ihre ganz spezifische Antwort finden. Wir haben bisher zu viele Aufgaben verstaatlicht und haben die Eltern, den größeren Familienzusammenhang und die unmittelbare Gemeinschaft zum Teil aus der Pflicht entlassen. Die überzogenen Reaktionen auf die Diskussionsvorschläge sind dafür ein Beleg.

Andererseits ist es zynisch zu sagen: Die Familien müssen sehen. wie sie mit der Tatsache zurechtkommen, dass sie Kinder haben. Kinder bedeuten unser aller Zukunft und sie und ihre Eltern haben deshalb das Recht auf die Unterstützung der ganzen Gemeinschaft - sicher steuerlich, aber eben auch ganz konkret durch Kindertagesbetreuungsangebote.

Ein zweiter mir ganz wichtiger Punkt: Wenn gegen meine Umsteuerungsversuche abstrakt mit dem Wohl des Kindes Stimmung gemacht wird dann ist das nicht redlich. Zum Beispiel haben die Fachleute in den verschiedenen Stellen der Jugendhilfe, die Eltern und auch die Politiker nicht transparent und konsequent genug diskutiert, ob die Betreuung von Babys und Klein

kindern in Zehnergruppen - denn das bedeutet der Personalschlüssel von I : 7

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Den haben Sie doch aber ge- kürzt!)

deren Wohl dient. Es ist richtig, dass gegenwärtig mit Forschungsergebnissen argumentiert wird, die besagen: Vier bis fünf Kleinstleinder pro Gruppe sind genug. Wenn dies stimmt und ich habe keinen Zweifel daran dann müssen wir auch die Konsequenzen einer solchen wissenschaftlichen Analyse betrachten. Denn solche Gruppengrößen werden nirgendwo in Deutschland oder sonstwo erreicht.

Angesichts der äußerst schwierigen Haushaltslage und der Notwendigkeit,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

durch Investitionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, bezweifle ich, dass es richtig sein kann, gerade diesen Kindern in ihrer Zukunft einen unverantwortlich großen Schuldenberg zu hinterlassen. Wenn wir das nicht können, dann müssen wir daraus eben auch die Konsequenzen ziehen und nicht nur abstrakt mit dem Kindeswohl Stimmung machen.

Ich schlage daher die Entwicklung von Tagespfle ge als ein alternatives, mögliches Angebot für die Kinder von null bis zwei Jahren vor. Auch Tagespflege hat sicher ihre Probleme. Ich glaube aber, dass diese zu lösen sind. Die Landesregierung wird hierbei ihren Anteil leisten. Das beweist unter anderem die von uns mit Erfolg durchgeführte Fachtagung zum Aufbau der Tagespflege am Montag dieser Woche in Hermannswerder, an der über 170 Interessierte und Vertreter kommunaler Verbände und gesellschaftlicher Organisationen sowie Vertreter der Wirtschaft teilgenommen haben.

Ich sage es noch einmal ganz explizit: In welchem Umfang diese Alternative angeboten oder in welchem Umfang der Rechtsanspruch im gesetzlichen Rahmen reduziert wird, das entscheiden allein die Kommunen. Es ist eine Möglichkeit, nicht ein Zwang. der durch das Gesetz vorgeschrieben wird. Das Kindeswohl sehe ich also gewährleistet, da auch im Fall der Tagespflege zu große Gruppen vermieden werden.

Die angesprochenen grundsätzlichen Fragen müssen heute beantwortet werden, weil sie nicht schon gestern gestellt und beantwortet worden sind. Der Weg, den ich mit dem Gesetzentwurf zur Umstrukturierung des gesamten Bereichs vorschlage, ist aus einem Guss. Hier sind nicht einzelne Teile herauszubrechen, ohne dass dadurch das Gesamtgebäude brüchi g würde.

Der Gesamtvorschlag sieht in Brandenburg und im Ländervergleich einen neuen und eigenen Weg vor. Weder werden die Hoffnungen erfüllt, wir würden nun endlich die letzten DDRBastionen schleifen und uns der strukturellen Unterversorgung, wie sie die Tagesbetreuung in vielen westlichen Bundesländern auszeichnet, anschließen. Wir werden aber auch nicht bedingungslos Errungenschaften verteidi gen, deren Sinn und Zukunftsfähigkeit von vielen hinterfragt werden.

Die Kindertagesbetreuung wird nicht zum Sparschwein des Lan

des, das bei jeder Finanzklemme neu geschlachtet wird. Sie entzieht sich aber auch im siebenten Jahr unseres Sparens nicht jeder kritischen Betrachtung. Ich bitte Sie, liebe Kollegen von der PDS, drängen Sie uns doch nicht immer, Ihnen den Ländervergleich vorzuhalten. indem Sie sagen, wir würden jetzt in eine Katastrophe hineinrennen. Denn die Kollegin Simon und ich, wir werden in Bezug auf den Länderfinanzausgleich regelmäßig gefragt, wie und ob wir es uns bei den riesi gen Transfers leisten wollten, mit dem transferierten Geld Standards zu finanzieren. die man sich im Westen wünscht, aber nicht hat. Lassen Sie uns im Interesse der Kinder an dieser Stelle fair miteinander sein und die Diskussion redlich und sachlich führen.

Ich habe in den letzten Wochen versucht, die Diskussion in Bezug auf die verschiedenen Standpunkte und Interessen zu führen. Mich macht in hohem Maße nachdenklich, wie tief die Kluft zwischen diesen Interessen ist und wie wenig es offenbar mö g

-lich ist, zwischen den Vertretern dieser Interessen eine sachliche und offene Diskussion zu führen. Ich habe in diesen Wochen mein Bemühen darauf gelegt, den jeweils verschiedenen Seiten zuzuhören und die gegensätzlichen Interessen deutlich zu machen. Mein Konzept, wie ich den Kindertagesbetreuungsbereich strukturieren will, ist auf diese Weise - zumindest bei den meisten - deutlich geworden. Ich möchte dafür sorgen, dass wir die Kluft. die da immer noch ist, überwinden und aus den Gräben herauskommen.

Daher werbe ich noch einmal für meinen Weg, der meines Erachtens die Kindertagesbetreuun g in Brandenburg auf eine sichere und zukunftsfähige Basis stellt. Auch ich hätte mir gewünscht, dass wir diesen Weg ohne die Einsparvorgaben hätten gehen können.

Herr Minister, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Wenn sie nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, gern.

Herr Ludwig, bitte!

Herr Minister, wenn Sie eine „tiefe Kluft" ansprachen. dann habe ich das so verstanden. dass Sie auf eine emotionalisierte Debatte anspielten. Würden Sie dann bitte zur Kenntnis nehmen. dass junge Väter wie ich, die auch noch juristisch vorgebildet sind und damit etwas über Fertigkeiten im Lesen von Gesetzestexten verfügen, ständig zur Kenntnis nehmen müssen, dass etwas anderes in den fertigen Texten steht, als Sie uns verkaufen wollen, und dass das die Kluft nicht unbedingt schließt?

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Herr Kollege Ludwig, ich will hier nichts über Ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten sagen, da Sie sie an Brandenburger Hochschulen erworben haben. Aber ich möchte sehr wohl, weil ich in ei

ner vergleichbaren Situation bin wie Sie und weil auch meine Kinder einen Rechtsanspruch haben, sagen, dass ich diese Gesetze nicht nur mit Kollegen im Haus in monatelanger Arbeit erarbeitet habe. sondern dass ich auch nicht so unredlich bin, wie Sie unterstellen, hier etwas anderes zu sagen als das._ was wir dort geschrieben haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Strukturveränderung - es ist heute nicht der Rahmen dafür, auf Details einzugehen - besteht, das will ich noch einmal sagen. aus folgenden Kernpunkten:

Jedes Kind erhält auch in Zukunft die Betreuung, die es braucht. Diese Sicherheit gilt auch außerhalb des Mindestrechtsanspruchs für jüngere und ältere Kinder und sie gilt auch über die gesetzlich gesicherte Mindestbetreuungszeit von sechs bzw. vier Stunden hinaus. Der Mindestrechtsanspruch stellt also nur das unbedingte Minimum dar. Leistungen über diesen Anspruch hinaus müssen gewährt werden, wenn sie erforderlich sind. Kein Elternteil wird also - ich sage das deutlich und bitte Sie, es überall weiterzusagen - aufgrund dieser Kita-Gesetzreform in Zukunft seine Arbeit verlieren, seine Ausbildung abbrechen müssen oder beim Arbeitsamt als nicht vermittelbar gelten.

(Beifall bei der PDS - Frau Osten [PDS]: Da gibt es schon andere Beispiele! - Vietze [PDS]: Das gucken wir uns ein- mal genauer an!)

- Herr Vietze, es ist doch nicht nur zum Mitschreiben langsam gesagt worden, sondern es wird auch protokolliert; Sie können es in zwei Stunden schriftlich haben.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [PDS])

Die Entscheidungskompetenz wird dezentralisiert. Welche Angebote gemacht werden und in welchem Umfang der Bedarf befriedigt wird, soll in den Gemeinden entschieden werden. Die Rechtsverhältnisse und die Verfahrenswege werden einfacher und übersichtlicher. Die bisherige ee Qualität der Kindertagesbetreuung wird nicht angetastet. Die Tagesbetreuung für bis zweijährige Kinder bleibt im Kita-System und entlastet den Gesamtpersonalschlüssel, da sie einen höheren Erzieheranteil mitbringt. In jedem Fall kann in den Bereichen des Rechtsanspruchs die Bildungsarbeit der Kitas verbessert werden. Die Elternbeiträge legen zukünftig die Träger allein fest. Wir haben mehr kommunale Selbstverwaltung und mehr Elternwahlrechte, weil die Eltern sich die Kita aussuchen können, die auf ihrem Arbeitsweg liegt, und nicht wie bisher lange Umwege in Kauf nehmen müssen.

Herr Minister, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu? - In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass Sie sich erheblich über dem vereinbarten Zeirvolumen befinden.

Herr Minister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagten Sie, dass es in keinem begründeten Fall zu einem eingeschränkten Leistungsniveau für die Kinder kommen wird. Können Sie ausschließen, dass es in Zukunft nicht zu einer unbotmäßigen Be

lastune der Kommunen kommt? Ansonsten sehe ich keine Einspareffekte.

Herr Wagner, wir hatten unter Beteiligung von Frau Hartfelder und Frau Blechinger die Möglichkeit, das en detail zu beschreiben. Ich will das in der gebotenen Kürze noch einmal für Sie deutlich sagen.

Wir verstärken für die Kommunen die Möglichkeit, etwas zu machen, was viele Kommunen in Brandenburg schon jetzt machen. Viele Kommunen arbeiten nämlich auf dem durch das Gesetz in Zukunft festgeschriebenen Niveau. Ich nenne Ihnen den Kreis Spree-Neiße, Petershagen-Eggersdorf und Falkensee. Bitte überzeugen Sie sich vor Ort selbst! Diese Kommunen tun das, was wir jetzt den anderen Kommunen als Mö glichkeit einräumen. Diese haben es bisher sozusagen contra legem schon gemacht. Wir geben darüber hinaus den Kommunen die Möglichkeit, durch das neue Finanzierungssystem, also die Kinderkostenpauschale, das Angebot besser und optimal zu organisieren. Wir geben den Kommunen die Möglichkeit, Alternativangebote anzubieten, wenn sie das wollen. Insofern haben Sie drei Bereiche, in denen die Kommunen einsparen können.

Nur wenn die Kommune das nicht nutzen kann oder will, hätte sie mehr zu zahlen, nämlich das, was ihr bisher von Landesseite fehlt. Da wir eine schwierige Anpassuries- und Umstellungssituation haben - Kollege Wagner, Sie haben sich, glaube ich, sogar in einer Kita darüber informiert -,

(Dr. Wagner [CDU]: In mehreren!)

haben wir die Möglichkeit, mit 15 Millionen DM den Einstieg zu garantieren. Im Jahre 2001 wird die Summe auf 54 Millionen DM erhöht, nicht - wie bisher geplant - auf 68 Millionen DM. Erst im Jahre 2002 erreichen wir 68 Millionen DM.

Verehrter Kollege Wagner. ich habe Ihnen hoffentlich deutlich dargestellt, dass für die Kommunen die Möglichkeit besteht, das, was sie von Landesseite nicht mehr erhalten, einzusparen. Andererseits haben die Kommunen aber die Möglichkeit, den bisherigen Rechtsanspruch zu gewährleisten, weil das die Attraktivität des Wohnstandortes, zum Beispiel von Kleinmachnow, verbessern wird.