Protokoll der Sitzung vom 12.07.2000

Wir erwarten uns von diesem Einstieg in die obligatorische Streitschlichtung eine Verbesserung der Streitkultur in unserem Land. zum Beispiel die Überlegung anzustellen, ob es wirklich sinnvoll ist. wegen eines sehr geringfügigen Betrages vor Gericht zu ziehen. und wir versprechen uns von diesem Einstieg in die obligatorische Streitschlichtung auch mittel- und langfristig eine Entlastung unserer Gerichte. Ob diese Entlastung tatsächlich eintreten wird, muss die Erfahrung mit diesem Gesetz zeigen. Wir sollten die Erwartungen - jedenfalls in der ersten Zeit der Geltung dieses Gesetzes - nicht zu hoch schrauben.

Wir schlagen Ihnen vor, dass die Träger dieser obligatorischen Streitschlichtung die circa 300 Schiedsstellen im Lande Brandenburg sind. Wir schlagen Ihnen vor, dass auch Rechtsanwälte und Notare sowie sonstige geeignete Personen dieses Gesetz als Schlichter vollziehen.

Mit diesem Gesetz machen wir unsere Justiz in einem wichtigen Bereich auch europafähig, weil sämtliche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und die Europäische Kommission sich überlegen. wie man die Streitschlichtung außerhalb der Gerichtsbarkeit in der EU voranbringt.

Ich bitte Sie herzlich um einerasche und wohlwollende Beratung dieses Gesetzentwurfes. Mein Haus und ich persönlich stehen selbstverständlich zu sachkundigen Auskünften zur Verfügung. Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Herrn Minister Schelter und gebe das Wort an die Fraktion der PDS. Hemm Abgeordneten Ludwig.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf geht das Land Brandenburg in mehrfacher Weise in der Art und auch im Inhalt der Gesetzgebung einen neuen Weg. In der Art der Gesetzgebung bleibt festzustellen. dass das Verfahren. wie es zu diesem Gesetzentwurf kam, meiner Ansicht nach einzigartig für diesen Landtag Brandenburg ist, denn bevor sich die Landesregierung eine Meinung gebildet hat, war bereits der Rechtsausschuss. also der Fachausschuss dieses Parlaments. damit befasst. Das Verhalten war nicht nur wegen der Obergrenze der hier in Rede stehenden Streitigkeiten. sondern auch vorn Prinzip her ein Beispiel für eine Arbeitsmöglichkeit, die wir in Zukunft öfter nutzen sollten. Das erzeugt nicht nur eine breite Zustimmung im Parlament, sondern hat durch die Beratung auch zur Fachlichkeit beigetragen.

Das zweite Positive daran ist, dass wir mit diesem Gesetzentwurf Erfahrungen aufgreifen. die diejenigen. die in dem Gebiet dieses Bundeslandes schon vor 1990 wohnten. gemacht haben. denn all denen ist dieses obligatorische Streitschlichtungsverfahren bestens bekannt. Wir hatten in der DDR ein breit gefächertes S ystem von Schieds- und Konfliktkommissionen. die weit mehr als die hier in Rede stehenden Streitigkeiten zu beraten hatten.

Wir erzeugen drittens mit dieser Diskussion zum ersten Mal ein Gesetz im Justizsystem in Brandenbure, welches den Bürgerinnen und Bürgern von Anfang an als bekannt vorkommen würde. wenn wir es denn beschlössen. Damit können wir auf eine hohe Akzeptanz dieses Gesetzes in Brandenburg bauen. Deshalb sehe ich den rasch durchzuführenden Ausschussberatungen positiv entgegen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Ludwig und gebe das Wort an die Fraktion der SPD. an Herrn Abgeordneten Muschalla.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch Änderung des Gesetzes zur Einführung der Zivilprozessordnung, konkret durch die Einfügung des § 15 a. ist es den Ländern ermöglicht worden. eine pflichtige außergerichtliche Schlichtung für bestimmte Fälle einzuführen. Davon macht das Land Brandenburg als eines der ersten Gebrauch. Das Brandenburgische Schlichtungsgesetz wurde vorab umfassend im Rechtsausschuss beraten. Eine Anhörung wurde im Januar durchgeführt und schriftliche Stellungnahmen der Verbände und Organisationen wurden berücksichtigt, so beispielsweise die Stellungnahme des Städteund Gemeindebundes Brandenburg hinsichtlich der Kostenübernahme im Falle der gemeindlichen Schlichtung durch Schiedsämter oder die Stellungnahme der Notarkammer zur Frage der Schlichtun g durch Notare in i hrer Eigenschaft als Träger der Gütestelle.

Das nunmehr vorliegende Gesetz soll im Wesentlichen am I. Januar 2001 in Kraft treten. Da es ein Artikelgesetz ist, kann das Gütestellengesetz, welches ein Teil davon ist, bereits nach der Verkündung in Kraft treten. umso die Vorarbeit für eine wirksame Umsetzun g, im Jahre 2001 zu leisten.

1074 I _andiag Hmndenburg - W3hIperi^xlo - Plenarprotokoll 3;18 - 12. Ju h 2001)

Auf der Grundlage des § 15 a der Zivilprozessordnung hat das Land Brandenburg festgelegt, dass vor Erhebung einer Klage beim Amtsgericht in bestimmten Fällen vor einer Gütestelle der Versuch einer einvernehmlichen Streitbeilegung nachgewiesen werden muss. Diese obli gatorische außergerichtliche Streitschlichtung muss - wie schon genannt worden ist - durchgeführt werden: erstens in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis 150) DM - hier haben wir die Obergrenze voll ausgenutzt. wir hätten z. B. auch bei 1 20(1 DM bleiben können zweitens in bestimmten Fällen der Nachbarrechtsstreitigkeiten und drittens in Fällen der Verletzung der persönlichen Ehre. außer wenn Presse und Rundfunk davon betroffen sind. Diese Schlichtung wird vor einer Gütestelle durchgeführt, das heißt vor Schiedsstellen nach dem Schiedsstellengesetz oder vor Rechtsanwälten und Notaren sowie vor Gütestellen der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer oder der Innung. Das sind die Gütestellen. die bereits auf Dauer angelegt sind bzw. noch angelegt werden. Diese Möglichkeiten gibt es.

Ist die Schlichtung vor der Gütestelle erfol glos, so wird das bescheinigt und damit erst der Weg zum Amtsgericht frei gemacht. Im Falle der Einigung, beispielsweise per Ver gleich. kann aus diesem Titel vollstreckt werden. Durch diese Verfahrensweise wird eine Entlastung der Amtsgerichte - man schätzt uni ( 000 bis 9 000 Fälle pro Jahr - erreicht oder erwartet.

Es geht aber nicht nur um die Entlastung der Gerichte von Bagatelldelikten, sondern auch um eine Verbesserung der Streitkultur. Es geht darum, dass zwischen den Bürgern selbst eine persönliche Konfliktlösung vor dem Schlichter durchgeführt wird und einvernehmliche Regelungen bzw. Vergleiche getroffen werden.

Neben diesen Hauptregelungen müssen natürlich auch andere Regelungen - zum Beispiel hinsichtlich der Gebührenfrage, Verfahrensregelungen oder Versicherungsfragen - getroffen werden, denn es ist ja ein Artikelgesetz. Auf diese meist technischen Fragen werden wir im Rechtsausschuss noch einmal eingehen. Ich denke, dass wir dort zu einer schnellen Lösung kommen werden. sodass das Gesetz nach der Sommerpause verabschiedet werden kann. Ich sehe dem hoffnungsvoll entgegen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Muschal la und gebe das Wort an die Fraktion der DVU, an Herrn Abgeordneten Schuldt.

Ehe Herr Schuldt hier vorn ist. möchte ich wieder Gäste hier im Landtag Brandenburg begrüßen, und zwar Realschüler aus Thalberg. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall )

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden drei Landesgesetze geändert. Kernstück ist die obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung in den Schiedsstellen.

Bevor ich auf den Gesetzentwurf näher eingehe. zunächst eine Vorbemerkung. Wanne haben wir einen enormen Anstieg von Gerichtsverfahren in allen Bereichen? Die westliche Wertegemeinschaft ist bei weitem nicht das, was wir uns ursprünglich im Zuge der friedlichen Revolution des Jahres 1989 vorgestellt haben. Wir leben zunehmend in einer anonymen Gesellschaft, die mitmenschliche Kommunikation schwindet. stattdessen haben wir das Fernsehen und die neuen Medien. Aber wo bleibt der direkte persönliche Kontakt'? Althergebrachte Fonnen der nachbarschaftlichen Konfliktbewältigun g schwinden.

Konflikte werden vor Gericht aus getragen, wobei es immernützlich ist. wenn man eine Rechtsschutzversicherung im Rücken hat.

(Schippet ISP Dir Oder eine Schreckschusspistole? - Heiterkeit)

- Darauf muss man nicht eingehen.

So lange die Rechtsschutzversicherung zahlt. ist es für manchen Zeitgenossen völlig unerheblich, wie lange der Prozess datiert. Die Überlastung der Gerichte durch Großverfahren fühl dazu, dass der kleine Mann. der eine relativ einfache Streitsache zu lösen hat, kaum noch zu seinem Recht kommt.

(Zuruf von der SPD)

- Sie sollten sich erst erkundigen. bevor Sie etwas sagen.

Die Volljuristen wissen nicht mehr weiter. nun sollen die Laienrichter in Aktion treten.

Für die DVU-Fraktion möchte ich einige Punkte der Kritik am Gesetzentwurf vortragen. Streitfälle müssen grundsätzlich den Gerichten vorbehalten bleiben. Auch bei Streitwerten bis zu einer Höhe von 1 500 DM können komplizierte Sachverhalte auftreten.

Welche Rechte haben eigentlich die Schiedsstellen? Zeugen können ohnehin nicht vorgeladen werden. Einige Streitigkeiten aus dem Nachbarrecht und Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre liegen noch in der Kompetenz dieser so genannten Schiedsstellen. Ob damit eine wirkliche Entlastung der ordentlichen Gerichte eintritt, bleibt abzuwarten.

Inder Begründung zu Artikel I § 4 des Gesetzentwurfes heißt es, dass das Schicdsstellengesetz mit seinen Regelungen bisher von der Bevölkerung positiv angenommen wurde. In der Rechtsfolgenabschätzung zu diesem Gesetzentwurf wird erklärt:

"Gegenwärtig sind die Schiedsstellen mit durchschnittlich zwei bis drei Verfahren im Jahr nicht ausgelastet."

Meine Damen und Herren, die DVU-Fraktion kann nicht erkennen, dass bei zwei bis drei Verfahren im Jahr die Bevölkerun g das Schlichtungsgesetz positiv aufgenommen hat.

Herr Abgeordneter. gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich bin jetzt gerade im Redefluss.

Landtag Brandenburg - 3. Wardperiode - Plenarprotokoll 3 i 8 - 2000 1075

Eine Entlastung der Gerichte tritt nur dann ein, wenn sich die Parteien vor den Gütestellen einvernehmlich einigen. Kommt diese Einigung nicht zustande - das wird bei den jährlich 9 000 bis 10 000 Verfahren oft der Fall sein -, dann muss die Angelegenheit ohnehin vor einem ordentlichen Gericht verhandelt werden.

Wohnen die Streitparteien nicht in demselben Landgerichtsbezirk, dann ist das Schlichtungsverfahren ausgeschlossen. Die Rechtmäßigkeit von Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen muss ohnehin von den ordentlichen Gerichten überprüft werden. Damit wird das Verfahren in die Länge gezogen. Die Frage ist, ob das Amtsgericht nicht schneller zum Zuge kommt. Niemand ist verpflichtet. vor einer Schiedsstelle zu erscheinen; das Nichterscheinen bleibt folgenlos. Auf entsprechenden Antrag wird ledi g

-lich das Güteverfahren für gescheitert erklärt.

Seit Jahren gibt es bundesweit die Tendenz, die kleinen Amtsgerichte vor Ort abzuschaffen. Nun hat man plötzlich entdeckt, dass eine bürgernahe Gerichtsbarkeit gegeben sein muss. Wie soll das sich fortbewegende Rad zurückgedreht werden? Der Gesetzgeber will eigene Fehler nicht eingestehen. Man kommt deshalb auf den Gedanken, Schiedsstellen auch mit so genannten Laienrichtern zu besetzen.

Artikel 2 t1r 4 des Gesetzes ist zu entnehmen. dass lediglich Mindestanforderungen an den Inhalt einer Schiedsordnung gestellt werden. Ob und welche weiteren Regelungen zum Ablauf des Schlichtungsverfahrens getroffen werden, überlässt der Entwurf dem Sachverstand der jeweiligen Gütestelle. Wenn die Zivilprozessordnung nicht mehr strikt ein gehalten wird, dann haben wir keine einheitliche Verfahrensordnung mehr.

Die DVU-Fraktion hat gegen den vorliegenden Gesetzentwurf erhebliche Bedenken. Deswegen werden wir uns auch der Stimme enthalten.

Dass die Gerichte wirksam entlastet werden müssen, meine Damen und Herren. ist auch unsere Auffassung. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf einen Versuch wert. Ist nach zwei Jahren zu erkennen. dass der Versuch gescheitert ist, muss sich der Gesetzgeber erneut mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall hei der DVU)

Ich danke dem Abgeordneten Schuldt und gebe der Fraktion der CDU das Wort. Frau Abgeordnete Richstein, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut mich, dass beinahe Einigkeit darüber besteht, dass ein gelungener Gesetzentwurf vorliegt, der hier in Brandenburg notwendig ist und der nicht nur der Entlastung der Gerichte. sondern auch der Verbesserung der Streitkultur im Lande dienen soll.

Ich stehe hier nicht als orientierungslose Volljuristin. Als Rechtspolitiker haben wir die Aufgabe. die Justiz in Brandenburg voranzubringen. Dazu wird dieses Gesetz einen wichtigen Beitrag I eisten.

Die Eckdaten sind schon genannt. Was bringt uns dieses Gesetz außer einem höheren Zeit- und Kostenaufwand? Wir erhoffen uns von dem obligatorischen Schiedsverfahren natürlich an erster Stelle eine Entlastung der Amtsgerichte. Die Erfahrungen in Bayern. wo versuchsweise vier Schlichtungsstellen eingeführt wurden, zeigen. dass beachtlich viele Fälle in Schlichtungsverfahren erledigt werden konnten. sodass Gerichte nicht an gerufen werden mussten. Sicherlich wird es keine Entlastung von heute auf morgen geben und es dürfen keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Mittelfristig wird aber eine Entlastung vorhanden sein.