Protokoll der Sitzung vom 21.09.2000

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 3 und rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure im Land Brandenburg

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 3/954

Beschlussempfehlun g und Bericht des Ausschusses EM- inneres

Drucksache 3/1731

2. Lesung

Da vereinbart wurde. auf eine Debatte zu verzichten, kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung 311731 folgt. möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Damit ist auch dieses Gesetz in 2. Lesung einstimmig angenommen und verabschiedet.

ich schließe auch diesen Tagesordnungspunkt und rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

10 Jahre deutsche Einheit

Große Anfrage 7 der Fraktion der PDS

Drucksache 3/926

Antwort der Landesregierung

Drucksache 3/1389

Die Aussprache wird mit dem Beitrag der die Frage stellenden Fraktion der PDS eröffnet. Herr Ab geordneter Ludwig. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der heutigen Aktuellen Stunde befassen wir uns jetzt nochmals mit dein Thema..10 Jahre deutsche Einheit-. Die PDS-Fraktion hat dazu zu Beginn dieses Jahres eine Große Anfrage eingereicht. mit der sie eine Fülle von Einzelfragen zu den Ergebnissen der staatlichen Einheit im Land Brandenburg beantwortet haben wollte. Die Antworten der Landesregierung zeigen deutlich. dass in Brandenburg ein Zwischenstand auf dem Weg zur inneren Einheit erreicht ist. Auf diesen Zwischenstand können die Einwohnerinnen und Einwohner Brandenburgs stolz sein. denn sie haben bisher die Hauptlast getragen. Die Politik in Brandenburg hat aber noch eine Fülle von Aufgaben zu erledigen. um die innere Einheit in Brandenburg zu beenden.

Landaa_ Brandenburg - 3. Wafilpermde - Neuarpnuokoll 3 2 - 2I. Septeinher 200 1275

Zu einzelnen Aufgabenbereichen möchte heute die PDS-Fraktion Stellung nehmen. Zuerst aber zwei Anmerkungen zur Vorbemerkung der Landesregienmg in der Antwort auf die Große Anfrage.

In der Vorbemerkun g werden teilweise Wiederholungen aus früheren Regierungserklärungen und aus der aktuellen Regierungserklärung verwendet. Auch wird „die breite Diskussion um die Angleichun g der Lebensverhältnisse- begrüßt. Diese Wiederholungen und Begrüßun gen sind entbehrlich. Sie. geehrte Mitglieder der Landesregierung. regieren jetzt. Handlungen sind gefragt" nicht Begrüßungen.

Substanzielle Aussagen in der Vorbemerkun g - das ist meine zweite Anmerkung - lesen sich, als ob sie aus Dokumenten der PDS zitiert wären. Also entweder kennzeichnen Sie künftig korrekt die Zitate oder Sie lesen im Jahr 2000. falls Sie es noch nicht getan haben. z. 13. die Erklärung der PDS zum fünften Jahrestag der staatlichen Einheit und können sich danach den Platz einer solchen Vorbemerkung an die PDS sparen. Nach solcher Lektüre könnte auch die CDU auf solche Bemerkungen wie.-Froschperspektive" verzichten.

Ich möchte nun zu einem Schwerpunkt der Wahrnehmung des Standes der Einheit der Bürgerinnen und Bürger Stellung nehmen. Die offenen Vermögensfragen sind ein solcher Schwerpunkt. Bewusst und unbewusst verbinden viele ihre Bewertung der Entwicklung in Brandenburg nach 1990 mit diesem Thema.

Ich will mich hier nicht dazu äußern, dass und warnt viele geklärte Vermögensfragen im Osten mit der gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 erst zu so genannten offenen Vermögensfragen gemacht wurden. Auch steht heute nicht zur Debatte. dass darauf aufbauend das Gesetz zur Regelun g offener Vermögensfragen. das Vermögensgesetz, durch die Volkskammer der DDR im September I990 beschlossen, aber erstmals als Bestandteil des Einigungsvertrages veröffentlicht wurde. Die Rechtsetzung will ich nicht würdigen.

Doch was die kalte Sprache der Gesetze wirklich bedeutet. zeigen die Zahlen in Brandenburg. Es ging und geht nicht um vielfältige Fonuen des Vermögens. es geht nicht um irgendwelche Vermögensfragen. es geht um Boden und Gebäude. Von 581 147 Ansprüchen nach dem Vermögensgesetz bezogen sich 568 950 auf Immobilien, Grundstücke und Grundstücksteile. Das sind 97.9 % der gestellten Anträge. 534 910 Fälle konnten bisher entschieden werden. Das sind 92 %. Davon beziehen sich 525 986 Entscheidungen auf Immobilien. Grundstücke und Grundstücksteile. Das sind 90,5 % aller Entscheidungen.

Damit sind knapp 92.5 % aller Immobilienanträge zehn Jahre nach dem Beitritt entschieden. Als Ergebnis ist dabei in 103 839 Fällen rückübertragen worden. Zusätzlich wurde in ca. 59 000 Fällen die staatliche Verwaltung von Grundstücken und Gebäuden aufgehoben und die Verfügung über Grundstücke und Gebäude an Private, meist Erben, übergeben. In summarisch ca. 164 000 Fällen mussten also Brandenburgerinnen und Brandenburger miterleben. wie die vermögensrechtliche Verfügung aus der DDR in Brandenbur g beendet wurde und oftmals Bürger aus den Altbundesländern einen Vermögenszuwachs haben.

Auch wenn die Brandenburger Landesregierungen der 1. und 2. Wahlperiode eine Fülle von Initiativen ergriffen haben und vielen der Justizminister mit dem besonderen Gespür für ostdeutsche Empfindungen, Minister a. D. Bräutigam, in guter Erinnerung ist - die offenen Vermögensfragen brachten nach der staatlichen Einheit in Brandenburg eine innere Teilung in Gewinner und Verlierer des „Häuserkampfes -, wie er in Medien bezeichnet wurde. Diese innere Teilung zulasten vieler Ostdeut

scher wird uns in Brandenburg noch lange belasten. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Herr Abgeordneter Bochow. bitte!

Bodin% (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon über den bevorstehenden Jahrestag gesprochen. Ich g laube. wir sind uns alle einig: Den Tag begehen wir zu allererst mit Stolz. Es mutet heute noch wie cm Wunder an. dass es den Menschen in Ostdeutschland gelun gen ist. den Übergang zu einem demokratischen System gewaltfrei zu gestalten.

Ich will nicht versäumen. an dieser Stelle - das ist heute noch nicht gesagt worden - Michad Gorhatschow zu danken. dessen Reformen erst den Weg zur deutschen Einheit ebneten. Denn endlich bekam der Spruch..Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen- einen Wahrheitsgehalt, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall hei der SPD)

Die Bilanz nach zehn Jahren deutscher Einheit kann sich sehen lassen. Ich habe an dieser Stelle nicht die Zeit - die Kollegen werden darauf noch eingehen uni all die Erfolge. die leider oftmals schon als selbstverständlich hingenommen werden. im Einzelnen aufzuzählen. Es ist aber beispielsweise keineswe gs so selbstverständlich. dass ein demokratisches System nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur und anschließender kommunistischer Herrschaft so reibungslos funktioniert. wie in unserem Land in diesen Tagen. Wenn das kein Erfolg ist. meine Damen und Herren, was denn dann?

Als Kommunalpolitiker der ersten Stunde möchte ich an dieser Stelle besonders meinen Stolz über die gelungene Wiedereinführung der kommunalen Selbstverwaltung in Ostdeutschland zum Ausdruck bringen. Ich möchte die scheinbaren Selbstverständlichkeiten erwähnen. z. B.. dass sich die Umweltsituation drastisch verbessert hat. Denken Sie an die Verbesserungen der Infrastruktur. an die Sanierung historischer Stadtkerne, wie aus verfallenen Innenstädten wieder sehenswerte Städte werden.

Für besonders erwähnenswert halte ich auch die stabile außenpolitische Verankerung der wieder vereinigten Bundesrepublik. Viele einflussreiche Beobachter waren hier noch zur Wendezeit 1989/90 sehr skeptisch. Nicht wenige waren damals der Ansicht, dass die äußeren Spannungen weitaus gewichtiger sein werden als die inneren. Nun. sie haben sich geirrt, wie wir heute wissen - in Bezug auf unser Verhältnis zu den Nachbarstaaten möchte ich sagen - Gott sei Dank. in Bezu g auf die Probleme der inneren Einheit muss ich sagen: Leider hatten sie hier und da auch Recht.

Zu einer aufrichtigen Betrachtung gehört auch. neben den Erfolgen die Fehler zu benennen. die auf dem Weg zur Einheit gemacht wurden. Keine Fehler zu machen, das wäre wohl auch eine zu große Illusion gewesen. Ich lege aber Wert darauf, die Fehler von den Mythen zu unterscheiden, die leider oft zu Begründungen wie „Damals war doch alles viel, viel besser.- herangezogen werden.

Vorab will ich daran erinnern, dass es in der Geschichte nun einmal kein Beispiel gab, von dem wir bei der Gestaltung der Einheit hätten lernen können. Ja, es lässt sich nicht leugnen, dass nicht alle in Ostdeutschland mit dem Gang in die deutsche

1276 Landtat; Brandenburg - ahlpenode - Plenarprotokoll 3.21 -21. Septeint-lel-2000

Einheit und mit der deutschen Einheit zufrieden sind. Natürlich hat das Ende der DDR für diejenigen einen Zusammenbruch ihrer Welt gebracht. die mit den Privilegien lebten, und das teilweise recht gut. Wenn Sie annehmen. dass ich das nicht sonderlich bedaure. liegen Sie richtig, meine Damen und Herren.

Die Last. Unrecht gehabt zu haben, kann ihnen niemand abnehmen. Dass sich manche dieser Einsicht verschließen. müssen wir hinnehmen. Gegen Unbelehrbarkeit ist kern Kraut gewachsen. Für diejenigen allerdings, die den bitteren Weg der Inventur ihrer Illusion gegangen sind, würde ich mir manchmal auch mehr Respekt wünschen.

Das Wort von den blühenden Landschaften hat den Menschen suggeriert. dass es sich bei der Angleichung der Lebensverhältnisse um eine kurzfristige und noch dazu sehr leichte Aufgabe handeln würde. Das war und Ist es freilich nicht. Es ist aber meine feste Überzeugung. dass in unserem Gemeinwesen mehr Solidarität abrufbar war und ist als jener Sol idarnatsbeitrag. der übrigens, wie manche noch immer nicht begriffen haben. auch un Osten bezahlt wird.

Einen zweiten Aspekt möchte ich noch erwähnen. Die Aufgabe der politischen Erwachsenenbildung in Ostdeutschland ist meines Erachtens unterschätzt worden. Der Rücktritt des sächsischen Justizministers Steffen Heitmann hegt erst wenige Tage zurück. Aus diesem Anlass attestierte ihm die..Süddeutsche Zeitung-. dass er bis heute das Funktionieren des Rechtsstaates nicht voll begriffen habe. Wenn man die Ereignisse, die zu seinem Rücktritt führten. Revue passieren lässt. muss man da nicht zugestehen, dass in dem Urteil ein Fünkchen Wahrheit steckt? Ist es nicht so - diese Frage möchte hier einmal aufwerfen dass in einigen Teilen unserer Bevölkerung das Verständnis für das Funktionieren unserer Demokratie noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist?

An dieser Stelle einfach auf die nächste Generation zu setzen reicht nicht. Die Schule ist mö glicherweise in der Lage. die Feinheiten des politischen Systems zu erläutern. Was sie aber ohne Unterstützung des Elternhauses nicht kann, ist Orientierung geben. Selbstbewusstsein vermitteln. Zivilcourage vorleben. Solche Eigenschaften bilden aber die gesellschaftliche Substanz, auf der sich erst ein blühendes. demokratisches und rechtsstaatliches Gemeinwesen aufbauen lässt. An dieser Stelle besteht Nachholbedarf.

Das hat auch damit zu tun. dass einige Ostdeutsche aufgrund ihrer DDR-Biografie ihren Weg noch immer nicht gefunden haben und desorientiert und beladen mit Ressentiments ihres Weges gehen. Möglich. dass sie sich dereinst unangenehmen Fragen ihrer Kinder stellen müssen.

Meine Damen und Herren, auch wenn verschiedene Leute den Eindruck erwecken möchten, ohne den Beitritt zur Bundesrepublik ginge es uns besser - das ist wohl etwas aus der Mottenkiste. Vielleicht ist es manchmal ganz hilfreich, sich daran zu erinnern. wie unsere östlichen Nachbarn den Ausstieg aus Diktatur und Planwirtschaft gemeistert haben. Sie sind den Weg ohne die Hilfe ihrer Brüder und Schwestern, aber mit großem Mut gegangen. Gleichwohl ist die Stimmung dort häufig besser. Mir scheint. wir sollten uns machmal an ihnen ein Beispiel nehmen und nicht alles, was wir erreicht haben. kleinreden. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort geht an den Abgeordneten Schuldt. Er spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es darum geht, von ihrer eigenen SED-Vergangenheit abzulenken. ist die PDS-Fraktion richtig fleißig. wie man an ihrer Großen Anfra ge erkennen kann. Aber das Geschaffene in den Schmutz zu treten. das. meine Damen und Herren von links außen, geht dann doch zu weit!

Vor einem Jahrzehnt. im Herbst 1990. vollzog sich durch eine friedliche Revolution in der damaligen DDR elementar die Wiedervereinigung von Mittel- und Westdeutschland. Während wir auf der Straße demonstrierten. mussten die Genossen der Parteileitungen sowie der Räte der Kreise und der Bezirke an diesen Tagen auch weit nach Feierabend ohne Licht an ihrem Schreibtisch sitzen. Seit dem Aufbegehren der Bürger in der ehemaligen DDR haben sich in Mitteldeutschland tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungsprozesse vollzogen. Einerseits haben sich die Lebensverhältnisse zwischen Mittel- und Westdeutschland in vielen Bereichen weitgehend angenähert. Andererseits gibt es auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung noch erhebliche Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern. die sich zum Teil so gar weiter vertiefen. Denken Sie nur an die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und der Realeinkommen!

Doch nun zu einzelnen ausgesuchten Punkten der vorliegenden PDS-Anfrage und ihrer Beantwortung durch die Landesregierung: Uneingeschränkt begrüßen kann unsere Fraktion die Forderung nach Elementen der direkten Demokratie im Grundgesetz. Die Beantwortung der Fragen 9 a bis c nach dem ehemaligen volkseigenen Vermögen offenban zehn Jahre nach der Wiedervereinigun g nur wieder einmal. welche geradezu katastrophale und moralisch höchst verwerfliche Kahlschlagpolitik die so genannte Treuhandanstalt in den neuen Bundesländern durchführte. Dabei wurden nicht nur Multimilliarden an Vermögenswerten vernichtet. sondern die Treuhandanstalt schloss auch zum 31.12.1994 mit einem Negativsaldo von mehr als 200 Milliarden DM ah.

Dass auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer fast 50 000 Entscheidungen zu offenen Vermögensfragen ausstehen. ist nach Auffassung unserer Fraktion geradezu ein Armutszeugnis und nicht hinzunehmen.