Protokoll der Sitzung vom 21.09.2000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe von meiner Fraktion den Auftrag erhalten, zum Kapitel Beschäftigun gssituation zu sprechen. Man muss, wenn man das eben Gesagte gehört hat. daran erinnern, wie die Ausgangslage 1989/90 gewesen ist. Damals hat im Politbüro unter Ausschluss der Öffentlichkeit Gerhard Schürer den dort Versammelten mitgeteilt, dass die DDR zahlungsunfähig sei. Aus den Tonbandprotokollen. die

inzwischen aufgefunden werden konnten. geht hervor, dass die einen in Tränen ausbrachen und die anderen die Wiedereinfühning der Todesstrafe forderten, um diejenigen zu bestrafen. die daran schuld sind, dass die DDR so abgewirtschaftet worden ist.

Diese Hintergrundinformation ist wichtig. Gerhard Schürer hat uns das nach der Wende im Fernsehen deutlich gemacht. Die Ursache für die wirtschaftliche Not im Osten liegt nicht bei zehn Jahren Wiedervereinigung. sondern bei dem Erbe. das wir übernommen haben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Fahren Sie nach Osteuropa, dann werden Sie sehen, wie es aussieht, wenn der starke westliche Partner nicht da ist!

Ani 18. März 1990 fand eine Art Volksabstimmung über die schnelle deutsche Einheit statt. Es gab mehrere Parteien. zu denen ,‘ ir gehört haben. zu denen Sie gehört haben, die einen besonnenen. langsamen Weg wollten. Das war nicht so gewünscht. Deshalb hatte der damalige Bundeskanzler auch gar keine anderen Möglichkeiten. Aber mit der schnellen Währungsunion brachen alle osteuropäischen Märkte mit einem Schlag weg. Auch das war für die Wirtschaft ein harter Schlag.

Der hohe Umtauschsatz bei der Währungsunion. zu dem es keine Alternative gab - das will ich überhaupt nicht in Zweifel stellen -. der aber nicht der Wirtschaftskraft des Ostens entsprach. hatte noch einmal Folgen für den Arbeitsmarkt. Die zusätzliche Kaufkraft, die er brachte. ging leider fast ausschließlich in Westprodukte. So waren wir damals. Ich glaube. wir gehörten alle dazu. Anstatt die eigenen Produkte zu kaufen. kauften wir die aus dem Westen.

Dazu kommen natürlich noch die anderen Sachen - sie wurden heute auch schon angesprochen -: Fehler in der Treuhandpolitik und Vereinigungskriminalität - ich kann hier nicht alle aufzählen - sowie eine europaweite Rezession.

Vor diesem Hintergrund ist das, was heute erreicht ist, zu beurteilen. Ich kann nur sagen: Was erreicht worden ist, das ist enorm.

(Beifall bei SPD und CDU)

Diejenigen. die das erreicht haben, das sind die Menschen im Land.

Wir als Politiker haben doch allenfalls die Möglichkeit. Rahmenbedingungen zu setzen, die möglichst gut sein sollten. Darum haben wir uns bemüht. Der Anschein, wir würden das leisten. was im Land geleistet worden ist, ist ja irrig.

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfra ge zu?

Ja. bitte!

Herr Kollege, können Sie mir einen für mich erkennbaren Widerspruch in Ihren Darlegungen erklären? Zuerst haben Sie uns hier im Haus erklärt, dass die wirtschaftliche Situation heute die Folge der wirtschaftlichen Situation von 1989 sei. Danach haben Sie ausgeführt, dass im Jahre 1990 mit der Währungsunion plötzlich die Ostmärkte wegbrachen und dass das an der wirtirt

schaftliche schafftichen Situation schuld sei. Mich würde interessieren. was nun gilt.

Das ist kein Widerspruch. Herr Kollege. Es sind mehrere Ursachen. die ich benannt habe. Dazu gehören auch die anderen Ursachen, die ich genannt habe. Aber Sie müssen respektieren. dass die Mehrheit der Bevölkerung damals die schnelle Einigung wollte. Sie haben sie nicht gewollt. die SPD auch nicht. aber wir mussten respektieren. was der Souverän entschieden hat. Das halte ich auch nach wie vor für korrekt.

Deshalb war die wichti gste Aufgabe nach diesem Umbruch vor zehn Jahren. nach der Wende die Wirtschaftsförderung. Diejenigen. die bereits zehn Jahre im Landtag sitzen. haben das ja alles mitgemachs. wie in Windeseile Gewerbe gebiete ausgewiesen wurden. wie Infrastruktur geschaffen werden musste. die weitestgehend nicht da war. Ich denke beispielsweise an die Telekommunikation. Man hat das ja alles schon wieder vergessen. Wer hatte schon ein Telefon?

Ich denke auch an die Investitionen der öffentlichen Hand. Wir lasen vor ein paar Tagen in der Zeitung, dass die staatliche Wirtschaftsförderung immerhin 800 Investoren ins Land geholt hat. Ich glaube. das ist ein Vielfaches von dein. was in den 40 Jahren zuvor zustande gekommen ist.

Um die Wirtschaft anzuschieben. haben wir uns in dieser Zeit auch hier im Land verschuldet. Vor dem Hinter grund der Rezession - das muss zugegeben werden - ist das Anschieben der Wirtschaft nur in bestimmtem Maße gelungen. Wir haben zwar in Brandenburg über lange Jahre hinweg die besten Wirtschaftsdaten gehabt, was das 13nutoinlandsprodukt. die Produktivität oder das Wirtschaftswachstum im Osten betrifft. Trotzdem darauf haben alle Redner zu Recht hingewiesen - kann sich niemand beruhigt zurücklehnen. Die hohe Arbeitslosigkeit ist Anlass dafür, weiterhin intensiv zu arbeiten. Die aktive Arbeitsmarktpolitik im Land Brandenburg hat von Anfang an versucht, wirtschaftsnah zu fördern, auf Qualifizierung und Aktivierung zu setzen. Ich nenne das „Kurssystem kontra Langzeitarbeitslosigkeit–, welches es nur in Brandenburg gibt. oder das Projekt _Arbeit statt Sozialhilfe". mit dem wir in Brandenburg an der Spitze der ostdeutschen Länder liegen.

Auch in der Frauenförderung, Frau Schröder, ist Brandenburg beispielhaft gewesen.

An dieser Stelle muss ich einmal etwas einflechten. auf einen Widerspruch hinweisen, Herr Ludwig. den ich nun bei Ihnen beobachte. Der Fraktionsvorsitzende hat es heute wieder gesagt und Sie machen es auch bei jeder Debatte, in der es um den Arbeitsmarkt geht. Sie loben Regine Hildebrandt. Diese hat aber diese neun Jahre in Brandenburg zu verantworten. Diese neun Jahre, die Regine Hildebrandt zu verantworten hat. redet Ihre Sprecherin hier in Bausch und Bogen ins Negative. Sie müssen sich einmal entscheiden! Hat Regine Hildebrandt eine gute Politik gemacht oder nicht? Ich denke. sie hat eine gute Politik gemacht und dies sollte auch benannt werden.

In Zukunft wollen wir bei der Arbeitsmarktpolitik auch weiterhin auf die bewährten Dinge setzen. aber auch neue Sachen einführen. Ich denke. in den nächsten Jahren wird der Satz auf Seite 26 oft zitiert werden, wo die Regierung bekennt, dass sie die Arbeitsmarktpolitik auf einem hohen Niveau verstetigen will. Darauf werden wir in den Haushalts- und anderen Debatten noch zurückkommen.

Was das Landesprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg" betrifft, haben Sie, Frau Schröder. gefordert. dass die

Sozialpartner wie die Gewerkschaften und andere mehr einbezogen werden müssen. Sie wissen aber doch, dass das Landesprogramm. das jetzt in Arbeit ist und ab 01.01.2001 in Kraft sein wird. int gemeinschaftlichen Planun gsprozess zustande gekommen ist. Daran waren alle beteiligt - die Gewerkschaften, die Träger. die Parteien, Sie. wir auch. Insofern verstehe ich auch diese Kritik nicht. Entweder sind Sie schlecht informiert oder Sie wollen hier ausschließlich Polemik machen.

Wir werden auch in Zukunft jedem, der das will, einen Ausbildungsplatz sichern. Wir werden für Jugendliche. junge Erwachsene an der zweiten Schwelle ein Programm auflegen. Das wird in dem neuen Programm. das wir demnächst vorgestellt bekommen. nachzulesen sein. Das Netzwerk _Lebenslanges Lernen- und die Verzahnung der verschiedenen Förderbereiche werden eine Rolle spielen.

Für das Thema Frauenförderung gibt es mehrere neue Projekte dies war bereits der Presse zu entnehmen - im 11-Bereich. im Existenzgründerbereich oder hei den neuen Arbeitszeitmodellen.

Die Bundesanstalt für Arbeit - Herr Jagoda hat das bereits gesagt - wird die finanzielle Fördening für den Osten in gleicher Weise wie bisher erhalten. Das Jugendsonderprogramm soll gegebenenfalls von der Bundesanstalt weitergeführt werden. ABM sind für den Osten auch weiterhin unverzichtbar.

Herr Abgeordneter. lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ja. bitte!

Herr Abgeordneter. Sie sollten meinen Ausführungen besser folgen oder diese noch einmal im Protokoll nachlesen!

Sie sollten eine Frage stellen. Frau Abgeordnete!

Meine Frage ist, ob Sie registriert haben, dass ich meine Ausführungen zur Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Gruppen und Gewerkschaften ausdrücklich auf die Umlagefinanzierung und nicht auf das Landesprogramm bezogen habe. Wenn nicht, lesen Sie das bitte nach!

Gut, ich werde es nachlesen. Schönen Dank!

Der Bund ist hier auch weiterhin in der Pflicht. Das. was der Kollege Christoffers neulich einforderte. ist in Arbeit. Die SGB-III-Reform ist sicherlich überfällig. das Arbeitsstrukturfördergesetz. welches maßgeblich mit von Brandenburg ausgearbeitet worden ist, und andere Dinge, etwa das Recht, auf einen Teilzeitplatz zu wechseln, oder die engere Verknüpfung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.

Ich will zum Schluss noch einmal das erwähnen, was schon von einigen gesagt worden ist. Sie greifen natürlich in Ihren Reden vor allen Dingen die Problembereiche heraus, was ja wichtig ist. Es müssen die Bereiche besprochen werden. die besonderen Handlungsbedarf beinhalten. Trotzdem sollte damit die Erfolgs

geschichte der letzten zehn Jahre nicht kaputtgeredet werden vor allen Dingen um der Menschen willen. die diese Leistungen hier im Land vollbracht haben. - Vielen Dank.

(Beifall hei SPD und CDU)

Das Wort geht erneut an die PDS-Fraktion. Herr Abgordneter Warnick. bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus den Antworten auf unsere Anfragen zum Komplex Miete. Pachten. Wohnen lässt sich ein Stimmungsbild dieses Themengebietes ableiten. das ich hier kurz skizzieren möchte. In der Kürze der Zeit kann ich dabei leider nicht mehr auf Details der einzelnen Antworten eingehen. so wichtig mir dies auch im Einzelfall zu sein scheint.

Wenn es nach 1990 neben der täglichen Sorge um den Arbeitsplatz noch etwas gab. auf das Ostdeutsche besonders sensibel reagierten, dann waren es die Zukunft ihrer Wohnsituation und die Angst vor einem explosionsartigen Anstieg der Wohnkosten und vor der Verschlechterung ihrer rechtlichen Möglichkeiten. wussten wir doch alle aus dem Westfernsehen oder von persönlichen Besuchen, die in den letzten Jahren vor der Wende oftmals möglich wurden. dass der Wohnungsstandard in der Bundesrepublik wesentlich höher ist als bei uns, dass jeder und jede. vorausgesetzt. mit der entsprechenden Brieftasche ausgestattet. auch eine ihm oder ihr angemessene Wohnung findet.

Aber wir sahen auch. dass dieser Wohlstand mit hohen. ständig, steigenden Mieten. mit der dauernden Suche nach bezahlbarem Wohnraum. mit häufigem Wohnungsumzug. mit der Angst vor Kündigungen und mit ausufernder Wohnungsspekulation erkauft war. So wundert es nicht, dass die Interessenorganisationen von Mietern und selbst nutzenden Eigentümern int Frühjahr 1990 in der DDR wie Pilze aus dem Boden schossen. Es ist dem Einsatz Tausender betroffener Mietervereine und -initiativen zu verdanken, dass der Übergang in das altbundesdeutsche Mietensystem einigermaßen sozial abgefedert wurde. vom ersten Tag an immer auch begleitet von der Unterstützung der PDS und dies muss ich an dieser Stelle der Fairness halber sagen - teilweise auch mit Unterstützung und mit der Vorreiterrolle Brandenburgs int Bundesrat, und zwar vor allem in der Person des Justizministers Bräutigam. Denn wir haben nicht vergessen. was alles in den Jahren 1991 bis 1995 bundesgesetzgeberisch in den Schubladen lag und wo sich vehementer Widerstand gelohnt hat.

Niemand bestreitet heute, dass im Durchschnitt die Wohnkosten bezahlbar sind. Niemand bestreitet auch die immensen Anstrengungen, die insbesondere in Brandenburg unternommen WUTden. um Wohnraum neu zu schaffen und vor allem zu modernisieren. Insbesondere die demokratischen Sozialisten bestreiten nicht, dass im Osten Deutschlands die Wohnungspolitik dringend vom Kopf auf die Füße gestellt werden musste und dass die wohnungspolitische Unwirtschaftlichkeit der DDR und das Unvermögen der SED-Oberen. dies zu begreifen. ein wesentlicher Mitauslöser des Umbruchs 1989 war. Aber gerade deswegen müssen wir als Opposition auch die gravierenden Fehler benennen, die nach 1989 eine wesentlich bessere Entwicklung nachhaltig verhindert haben. Unsere Aufgabe ist nicht das Jubeln. sondern den Finger auf die noch immer frischen Wunden zu legen.

(Beifall bei der PDS)

In diesem Zusammenhang muss als Erstes natürlich das verhee

I antitag. Brandenburg - 3. Wahlperiode - Plenarprotokoll 3,21 - 2 1. Sefernher 21/119 1283

rende Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung -. das bis heute bleibende Schäden hinterlassen hat. genannt werden. Wenn irgendwo in ostdeutschen Stadtzentren oder auf dem flachen Land inmitten von renovierten Altbauten oder neben mehr oder weniger attraktiven Neubauten eine zerfallene Ruine steht. so handelt es sich in unschöner Regelmäßigkeit um ein auch nach zehn Jahren noch streitbehaftetes Restitutionsobjekt. Solche Objekte sind als Schandfleck vieler Kommunen weithin sichtbare Symbole für eine verfehlte Vereinigungspolitik, und das da muss ich kein Prophet sein - leider noch für viele weitere Jahre.

Als zweiter Kardinalfehler ist der Umgang mit den so genannten Altschulden der DDR-Wohnungswirtschaft zu benennen. Ich will überhaupt nicht auf die rechtliche Bewertung dieser angeblichen Schulden eingehen. Aber zu warten. bis die Banken in einer Hochzinsphase aus ihren nur auf dem Papier stehenden 35 Milliarden DM 50 Milliarden DM. später sogar knapp 60 Milliarden DM gemacht hatten. und den Wohnungsunternehmen dann erst 28 Milliarden DM zu erlassen. war politisches Unvermögen der obersten Kategorie.

(Beifall bei der PDS)

Volkswirtschaftlich hätte es sich zigfach ausgezahlt. die Differenz zu den ehemals 35 Milliarden DM, also auch auf die restlichen 7 Milliarden DM_ in den Erblastentilgungsfonds zu übernehmen, und zwar gleich nach dem 3. Oktober 1990, und damit die Banken leer ausgehen zu lassen. Die durch den großen Problemdruck immer wieder erzwungenen Änderungen am Ahschuldenhilfegesetz konnten und können diesen Fehler nicht mehr reparieren. Mieterinnen und Mieter sowie ostdeutsche Wohnungsunternehmen zahlen noch in weiteren zehn Jahren die Zeche für die staatlich geförderte Konjunkturhilfe Not leidender Banker.

Der dritte große Fehler ist die in Finanzzeitschriften jahrelang als steuerliches Jahrhundertgeschenk angepriesene Sonderabschreibung Ost. die dem deutschen Steuerzahler bisher zwischen 150 und 200 Milliarden DM Steuermindereinnahmen beschert hat. Statt mit Hilfe der Sonderabschreibung Ost gezielt Wohnungsbau und Wohnunusemeuenmg in Ostdeutschland zu steuern, ökologisches. flächensparendes. kostengünstiges und behindertenfreundliches Wohnen zu befördern. sind riesi ge Finanzmittel in teilweise sinnlose Abschreibungsprojekte geflossen. Diese Mittel fehlen heute. um die wohnungswirtschaftlichen Folgen des Wirtschaftskahlschlags und des damit verbundenen Bevölkeningsrückgangs wenigstens teilweise zu mildem.