Protokoll der Sitzung vom 21.09.2000

Der dritte große Fehler ist die in Finanzzeitschriften jahrelang als steuerliches Jahrhundertgeschenk angepriesene Sonderabschreibung Ost. die dem deutschen Steuerzahler bisher zwischen 150 und 200 Milliarden DM Steuermindereinnahmen beschert hat. Statt mit Hilfe der Sonderabschreibung Ost gezielt Wohnungsbau und Wohnunusemeuenmg in Ostdeutschland zu steuern, ökologisches. flächensparendes. kostengünstiges und behindertenfreundliches Wohnen zu befördern. sind riesi ge Finanzmittel in teilweise sinnlose Abschreibungsprojekte geflossen. Diese Mittel fehlen heute. um die wohnungswirtschaftlichen Folgen des Wirtschaftskahlschlags und des damit verbundenen Bevölkeningsrückgangs wenigstens teilweise zu mildem.

Herr Abgeordneter. bitte kommen Sie zum Schluss Ihrer Rede!

- Ich bin sofort fertig. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Nach zehn Jahren Einheitsversuch können wir nicht nur eitel Sonnenschein vermerken. Die Menschen in diesem Land werden uns jedenfalls auch weiterhin auf ihrer Seite finden, wenn es darum geht. die Fehler zu benennen und die Folgen der leichtfertig verspielten Einheitschancen wenigstens teilweise zu mildern. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Der letzte Beitrag bleibt der Landesre gierung vorbehalten. Herr Minister Schönbohm, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie sich die Anfrage im Einzelnen ansehen, dann stellen Sie fest, dass die deutsche Einheit sehr stark auf technische Fragen. die die Menschen belasten, reduziert wird. Aber bei der Diskussion über zehn Jahre Einheit geht es uni Fragen, die darüber hinausweisen_ Gerade nach dem letzten Redebeitrag habe ich den Eindruck gewonnen, dass viele von Ihnen den Eindruck erwecken wollen. vieles sei schlecht. weil wir die Einheit haben. Nein. es ist gut. dass wir die Einheit haben! Das ist der grundlegende Unterschied im Ansatz und in der Betrachtungsweise.

(Beifall hei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Obwohl ich hier geboren hin. durfte ich bis 1990 nicht die DDR besuchen. Zum ersten Mal bin ich im Jahr 1990 in die DDR gekommen. Ich kann mich noch genau an die Bilder erinnern. Haben Sie das eigentlich alles vergessen? Wie sah es denn in den Dörfern aus? Wie sahen denn die Innenstädte aus? Wie waren denn die Straßenverhältnisse? Was hat sich eigentlich alles geändert? Dass. was sich geändert hat. ist doch sehr positiv zu bewerten.

Ieh darf einen für Sie unverdächtigen Zeugen nennen. nämlich Herne Berghofer. der einmal Oberbürgermeister von Dresden war. Er sagte nur kürzlich hei einem abendlichen Gespräch: Wäre die Einheit zehn Jahre später gekommen. wäre vieles zusammengefallen, worüber wir uns heute freuen.

Besuchen Sie einmal Luckau und sehen Sie sich den prächtigen Marktplatz an! Sehen Sie sich an, wie dieser wiederhergestellt worden ist! Auch die Gebäude an diesem Platz hätten zu den von Herrn Berghofer genannten Objekten gezählt_

Wir sollten also auch einmal feststellen. was wir schon erreicht haben. Mir geht es nicht uni eine Diskussion darüber. ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Mir geht es um die Frame, was die deutsche Einheit eigentlich bedeutet. Die von Ihnen gestellten Fragen sind beantwortet worden: Sie haben die Antworten gelesen.

(Zuruf von der PDS)

- Ich weiß. Sie wollen mich stören. weil Sie Angst haben. dass ich meinen Gedanken, dem Sie nicht folgen können. zusammenhängend vortrage. Lassen Sie es mich deshalb in aller Ruhe erläutern.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD - Lachen bei der PDS)

Ihr offenkundiger Versuch einer Negativbilanz ist auch deswegen so ungerecht. weil die SED die herrschende Kraft war und Sie ihre Nachfolgepartei sind. Herr Bisky hat heute auch etwas zur CDU gesagt. aber das ändert nichts an Ihrer Verantwortung. Von daher gesehen haben Sie sich auch mit den Defiziten auseinander zu setzen. Der Hinweis auf Herrn Schürer allein reicht nicht, denn mit den negativen Folgen der damaligen Politik haben wir uns jetzt auseinander zu setzen.

Wir müssen auch noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Herr Bisky, Sie sprachen von Verlierern und Gewinnern der Einheit. Ich glaube nicht, dass man sagen kann. es gebe Verlierer. Es gibt Menschen. denen das Leben unter den neuen Bedingungen schwer fällt. das ist richtig. Aber sind wir nicht eigentlich alle Gewinner? Können wir nicht sagen, dass wir alle durch die Möglichkeiten der Freiheit. des Rechts und der Freizügigkeit

Gewinner sind? Das Leben gestaltet sich schwieriger. aber es ist doch auch schöner geworden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt hei der SPD)

Sie treiben die Spaltung voran. wenn Sie immer wieder versuchen. zwischen Siegern und Besiegten. zwischen Gewinnern und Verlierern zu unterscheiden. Lassen Sie uns doch einmal versuchen, die Vollendung der inneren Einheit gemeinsam als Deutsche. die wir einen gemeinsamen Auftrag haben. anzugehen.

Wenn die Bevölkerung damals in der DDR auf die Straße ging und zunächst..Wir sind das Volk!". später aber „Wir sind ein Volk!" rief. dann war das doch eine Aussa ge! Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Wir im Westen haben uns damals die Augen gerieben und gefragt: Was sagen die? Wir sind ein Volk? Wir hatten doch alle An gst davor, uns dazu zu bekennen. ein Volk zu sein. Seien wir doch stolz, dass wir als ein Volk wieder in einem Staat leben!

(Beifall hei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Herr Minister, gestalten Sie Zwischenfragen?

Ich wäre dankbar. wenn sie am Ende gestellt werden könnten.

Nein, am Ende lasse ich keine Nachfragen zu.

Dann werde ich die Fragen eine Minute vor Schluss meiner Rede zulassen. Ich möchte nicht. dass der Spannungsbogen unterbrochen wird. Ich habe einmal gelesen. dass dies technisch nicht günstig sei.

(Heiterkeit)

Herr Bisky. wenn Sie einverstanden sind. werde ich versuchen. den Spannungsbogen weiterzuführen. Dann kommen wir zum Abhinder.

(Erneute Heiterkeit)

Ich möchte noch einmal an Folgendes erinnern: Die erste Einheit Deutschlands wurde auf den Schlachtfeldern Frankreichs I871 gegen unsere Nachbarn erstritten. Die Einheit 1990 ist im Vertrauen auf die demokratische Reife des deutschen Volkes in den Verhandlungssälen. nicht auf dem Schlachtfeld erreicht worden. Dies geschah mit Zustimmung unserer Nachbarn, mit Zustimmung der Polen, denen wir unglaubliches Leid zugefügt haben. mit Zustimmung der Sowjetunion. mit Zustimmung der Tschechischen Republik. mit der Zustimmung aller dieser Länder. Ich weiß auch gar nicht, warum es heute vergessen wurde: Wir sollten auch Helmut Kohl für das dankbar sein. was er als Bundeskanzler in dieser Phase erreicht hat.

(Beifall hei der CDU)

Wenn wir dieses Vertrauen in Deutschland erfüllen wollen. dann haben wir jetzt die Aufgabe. die heute Morgen vorn Ministerpräsidenten angesprochen wurde. Wir haben die Aufgabe. uns mit dem Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit auseinander zu setzen. All dies sind Konsequenzen. die sich aus diesem Vertrauen ergeben.

Wir haben noch eine andere Aufgabe zu lösen. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Demokratie. Diesen Punkt haben wir zum Teil bereits gestern besprochen. als es um die kommunale Selbstverwaltung ging. Wir wollen eine starke kommunale Selbstverwaltung; wir wollen, dass sich die Bürger einbringen; wir wollen. dass die Bürger wissen: Es ist ihr Land, nicht unser Land. nicht das Land der Politiker. Wir haben eine dienende Funktion gegenüber den Bürgern und müssen ihnen klar inachen. dass wir es mit dieser Funktion ernst meinen.

(Beifall bei CDU und SPD - Vereinzelt Beifall bei der PDS - Vietze [PDS]: Das vergessen Sie manchmal!)

- Ich hin dankbar, wenn wir übereinstimmen. Ich suche doch nicht den Konflikt.

(Lachen hei der PDS)

Ich möchte noch auf etwas anderes hinweisen: Die deutsche Geschichte war seit 1848 immer von der Frage bestimmt: Einheit und Freiheit oder Einheit oder Freiheit? Diese Diskussion wurde auch nach der Stalin-Note 1952 geführt. Es hieß immer: Die Einheit ist uns wichtig, aber die Freiheit muss die Grundlage sein.

Jetzt haben wir das erreicht. Das ist auch ein Glück. das ist eine Verpflichtung. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dies der Generation. für die wir jetzt Verantwortung haben, unsere Jugend. auch gemeinsam herüberzubringen.

Meine Damen und Herren! Der Einigungsprozess ist mehr als eine wirtschaftliche Angleichung. so wichtig diese auch ist. Vergessen wir nicht. welche kulturelle Bereicherung durch die deutsche Einheit erreicht worden ist. Reden Sie doch mit Landsleuten, die hierher kommen und sagen: Wir wussten gar nicht. wie vielfältig und wie schön Brandenburg ist. - Reden Sie denen, die beim Choriner Konzert waren und sagen: Mensch, hier ist ja richtig Kultur. - Das alles ist doch irgendwo verschüttet worden.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Schumann [PDS])

Ja. Herr Kolle ge Schumann. wir können das alles doch selbstbewusst einbringen, nicht nur Sanssouci. so wichtig das auch ist. Wir können sehr viel mehr einbringen: Amstadt in Thünngen. all diese Bereiche - Bach. es wird gerade der Geburtstag gefeiert.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Tack [PDS])

All das gehört zu unserer gemeinsamen Vergangenheit. Viele suchen Goethe in Frankfurt am Main und vergessen, dass in Weimar seine Wirkungsstätte war.

Meine Damen und Herren. unsere Nachbarn sehen in dem deutschen Einigungsprozess einen Modellfall. Wenn mir der Verteidigungsminister der Tschechischen Republik vor sieben Jahren gesagt hat. Gott sei Dank. wir haben kein Westböhmen. wie ihr Westdeutschland hattet, wir müssen es allein machen. kann ich dazu nur sagen: Gott sei Dank haben wir das gemeinsam getan. - Wenn Sie das mit der Entwicklung in den anderen Ländern vergleichen, sind wir doch sehr viel weiter als die anderen Länder des ehemaligen sowjetischen Blocks. Das ist doch eine Leistung, die wir gemeinsam erbracht haben. Warum wollen wir uns eigentlich diese Gemeinsamkeit kaputtmachen lassen?

Darum denke ich. dass es wichtig ist, auch den Nachbarn zu zeigen. dass diese Leistung. die wir für Deutschland erbracht haben. eine Leistung im Vorgriff auf das ist, was wir hier auch schon diskutiert haben: die Erweiterung der Europäischen

Union. Wenn wir es ernst meinen mit der inneren Einheit Deutschlands, dann meinen wir es auch ernst mit der Einheit Europas und können einen Beitra g dafür leisten.

(Beifall bei CDU und SPDI Wir Deutschen haben wie kein Volk in Europa eine Erfahning aus West- und Osteuropa. Wir haben die Erfahrung aus dem Bündnis mit den Amerikanern und wir haben die Erfahrung aus dem Bündnis - zum Teil aus dem Zwangsbündnis - mit der Sowjetunion und Russland. Aber aus diesen Erfahrungen heraus ergeben sich Kenntnisse und wir können diese Erfahrungen und diese Kenntnisse einbringen zum Wohl Europas. Daraus können wir doch auch Glaubwürdigkeit ableiten. Wenn wir es im Inne- ren schaffen. dann können wir es auch nach außen schaffen. Das ist eine wichti ge Botschaft. die wir haben. (Beifall hei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich meine. wir können stolz sein auf das, was wir erreicht haben. Ich erwarte nicht, dass Sie jubeln. nein. Aber ich erwarte, dass wir uns freuen, und Freude heißt, dass man auch weiß. was nicht in Ordnung ist. Es gibt noch viel zu tun. das ist vollkommen richti g und das wollen wir auch angehen. Sie haben Defizite beschrieben, die bestellen. Aber diese Defizite können Sie nicht mit Staatsdirigismus ausgleichen.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [PDS])

Wir müssen die Menschen überzeugen. müssen die Menschen mitnehmen. wir müssen ihnen Chancen gehen und das wollen wir tun. Die Deutschen dürfen sich auch einmal freuen. Sie müssen nicht nur Trauer tra gen, sie dürfen sich auch einmal freuen.

(Beifall bei der CDU)

Damit möchte ich den letzten Punkt ansprechen.