Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

Durch viele zweifelsohne fleißige Zuarbeiten aus allen Ressorts wurde eine Menge Fakten zusammengetragen. Eine zusammenfassende Bewertung der Landesregierung für das so wichtige Gebiet der Europapolitik entstand in meinen Augen dadurch aber noch nicht. Aus unserer Sicht kann auf dieser Basis auch kein stimmiges aufeinander abgestimmtes Konzept des europapolitischen Engagements der Landesregierung entstehen. Nun mögen ja die Kollegen der Koalitionsfraktionen entgegnen: Dieses Konzept kommt ja erst. Das ist sicherlich der Fall.

Die Landesregiening wurde durch den Landtag per Beschluss zur Vorlage eines Berichtes über die weitere Intensivierung der EU-Politik aufgerufen. Darin steht unter anderem auch die Verpflichtung. ein europapolitisches Programm mit dem Schwerpunkt Osterweiterung zu erarbeiten. Laut Beschluss des Landtages soll dieser Bericht allerdings in Kürze, noch im 1. Quartal. auf die Tagesordnung kommen.

Wenn ich nun davon ausgehe, dass man das, was hier in den Antworten enthalten ist, eventuell als Analysestand zur Grundlage nimmt, uni das einzuschätzen, was in wenigen Wochen vorliegen wird, dann habe ich berechtigte Zweifel. Ich frage

mich dann, wie dieser Bericht aussehen wird, wie konkret das europapolitische Programm sein wird und was an konkreten Mitteln und längerfristigen Ansätzen der Landesregierung zur Ausweitung der Kontakte zu Polen auf allen Ebenen der wirtschaftlichen und politischen sowie der Verwaltungszusammenarbeit im Bericht zu lesen sein wird. Allerdings - man soll die Hoffnung nicht verlieren. Zweifel habe ich, denn Quantität und Vielfalt - diese sind zweifelsohne vorhanden - sind nicht die alleini ge Garantie für Qualität. Genau die brauchen wir aber. um den Brandenburgerinnen und Brandenburgern überzeugend zu vermitteln: Europa und die Osterweiterung kosten die Steuerzahler nicht nur eine Menge an Steuergeldern, sondern Europa bringt auch für die Bürgerinnen und Bürger unseres Bundeslandes Nutzen.

Gerade angesichts des engen Finanzrahmens, der heute schon mehrfach zur Diskussion stand, angesichts eines Haushaltsdefizits allein für 2001 in Höhe von 1.2 Milliarden DM müsste die Landesregierung, müsste auch das Parlament genau überlegen. wofür die knappen Mittel eingesetzt werden, wo diese Mittel den größten Effekt für die Entwicklung des Landes bringen.

Bezogen auf die Antwort kann ich diesen Anspruch im Handeln der Landesregierung nicht erkennen. Wenn z. 13. die Frage nach den Schwerpunkten der Landesregierung für den Einsatz der EU-Strukturfonds durch die Landesregierung unter anderem damit beantwortet wird, dass die ESF-Mittel so eingesetzt werden. dass sie "einen wirksamen Beitra g zur Beschäftigungsförderung leisten", dann frage ich Sie: Wozu sollen die Mittel des ESF denn sonst eingesetzt werden? Das ist doch ihre Zweckbestimmung, die schon durch die EU vorgegeben ist.

(Habermann [CDU]: Was wollten Sie hören?)

- Ich will wissen, wie sie konkret eingesetzt werden, Herr Habermann.

Schwach ist auch die Antwort auf die Frage nach der Absiehening der Kofinanzierung von europäischen Mitteln, die die Landesregierung nur mit dem Hinweis auf das operationelle Programm beantwortet, mit dem man der EU-Kommission zugesichert hätte, alle europäischen Mittel kozu finanzi eren. Wie viel dies bei den EU-Strukturfonds sei, gehe aus der mittelfristigen Finanzplanung nicht hervor, antwortet die Landesregierung. Rein sachlich stimmt das sogar. Diese Zahl findet man dort tatsächlich nicht. Aber kann die Regierung wirklich keine diesbezüglichen Zahlen nennen oder wollen Sie keine nennen?

Wenn die Landesregierung z. B. bestimmen will, bis zu welchem Jahr das Land noch Kredite aufnehmen muss, ist das Wissen um den Umfang der benötigten Kofinanzierung für Europamittel eine Grundvoraussetzung.

Angesichts der unbestreitbar knappen Mittel werden der richtige Mitteleinsatz und die Auswahl der richtigen Maßnahmen entscheidend dafür sein, ob Brandenburg und die Grenzregionen für die Osterweiterung fit sind. Wenn z. 13., wie auch der vorhergehende Tagesordnungspunkt belegt hat, zum Verkehr - wie bei dieser Regierung nicht anders zu erwarten - festgestellt wird, dass die hauptsächlichen Defizite bei grenzüberschreitenden

Straßen lägen. die Bahnverbindungen hingegen quantitativ ausreichten, dann fragt sich der Leser schon, warum der Schwerpunkt des politischen Handelns nicht, wie es vor allem unter diesem finanziellen Gesichtspunkt doch logisch wäre, auf der Nutzung dieser vorhandenen Bahnkapazität liegt.

Es ist also eine Menge Potenzial, das es vielleicht auch im Ausschuss zu bearbeiten gilt.

Alles in allem bleibt festzustellen: Antworten können aufkeinen Fall besser sein als die ihnen zugrunde liegenden Fragen. Wenn man aber nicht die Frage stellt, wie die Landesregierung auf Probleme des Arbeits- und Dienstleistungsmarktes gerade in den Grenzregionen reagieren will, wenn man nicht danach fragt, welche rechtlichen und finanziellen Bedingungen es jetzt schon gibt, z. B. für die kleinen und mittelständischen Unternehmen in den strukturschwachen Regionen, dann bekommt man natürlich auf diese Fragen auch keine Antwort.

im Zentrum von Europa, an der Nahtstelle zwischen den alten und den neuen Mitgliedsländern.

Brandenburg kommt dann eine zentrale Rolle im Handel zwischen dem bisherigen West- und dem bisherigen Osteuropa zu. Darauf müssen wir uns einstellen.

Genau unter diesem Aspekt sind von den Koalitionsfraktionen die Fragen an die Landesregierung in der Drucksache 3/1772 formuliert worden. Dabei ging es nicht darum, die brandenburgische Europapolitik vollständig und erschöpfend darzustellen Frau Stobrawa. ich sage das ausdrücklich -, sondern darum. die fiir uns wichtigsten Problemfelder im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung zu benennen, zu analysieren und zukünftige Handlungsschwerpunkte aufzuzeigen. Dies. meine Damen und Herren, ist der Landesregierung mit der Antwort auf die Große Anfrage 12 in meinen Augen vollständig gelungen.

(Vereinzelt Beifall bei CDU und SPD) Insofern also fühle ich mich in den Antworten nicht in jedem Fall widergespiegelt, erhoffe mir aber einen ausführlichen Disput dazu im Ausschuss. - Ich bedanke mich. (Beifall bei der PDS)

Ich danke der Abgeordneten Frau Stobrawa und erteile jetzt dem Abgeordneten Habermann das Wort. Er spricht für die CDU-Fraktion.

Herr amtierender Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rahmen dieses Tagesordnungspunktes befassen wir uns mit Brandenburg und Europa. Dass dieser Tagesordnungspunkt im Moment etwas mehr Aufmerksamkeit erregt, als das sonst üblich ist, liegt sicherlich am Wechsel des Präsidenten und weniger am Thema. Ich habe das die ganze Zeit schon beobachtet.

Und zwar liegt es an der Souveränität, mit der er die Sitzung leitet!

(Heiterkeit)

Der eine oder andere mag sich sicherlich fragen. ob dies denn wirklich ein Thema mit Relevanz ist und ob uns nicht die BSEProblematik, verstrahlte Bundeswehrsoldaten oder der Rechtsradikalismus mehr beschäftigen als das abstrakte Gebilde Europa. Ich behaupte: Die Themen sind mindestens gleichrangig. Denn das, was momentan noch für viele ein undefinierbares Gebilde ist, beeinflusst unser Leben schon heute mehr. als die meisten es wahrhaben wollen.

Europa wird gerade für Brandenburg einschneidende Veränderungen mit sich bringen, wenn erst einmal die EU-Erweiterung Realität ist. Durch die Osterweiterung der EU und den gemeinsamen Binnenmarkt befindet sich Brandenburg dann plötzlich

Die Antwort war für mich wie eine aktuelle Bestandsaufnahme der Brandenburger Europapolitik und hat auch Handlungsschwerpunkte für die Zukunft ausgewiesen, ganz eindeutig.

Ich habe mir eine solche Übersicht nicht nur seit langem gewünscht: sie hat mir auch Fakten und Einsichten vermittelt. die ich bisher nicht hatte. Die Antwort auf die Große Anfrage hat sogar ein bisschen an meinem Selbstbewusstsein gekratzt, das muss ich ganz offen zugeben. Denn ich habe immer angenommen. dass ich auf diesem Fachgebiet relativ viel weiß. Ich musste aber feststellen, dass diese Antwort auch für mich sehr viel Neues enthält.

(Einzelbeifall bei der PDS I Ich empfehle aus diesem Grund darüber nachzudenken, ob nicht diese Drucksache broschiert in größerer Anzahl für die Öffent- lichkeitsarbeit der Abgeordneten und der Landes- und kommu- nalen Verwaltungen sowie für andere Europainteressierte he- rausgegeben werden könnte. Ich weiß, im Internet steht sie schon, aber über das andere sollte man durchaus nachdenken: denn der in der Antwort vorgenommene explizite Brandenburg- bezug ist genau der Fakt. der in der Bevölkerung immer wieder nachgefragt wird und von noch so guten Papieren der Europä- ischen Kommission und des Europäischen Parlaments nicht abgedeckt wird. Dass für uns in Brandenburg die EU-Osterweiterung politisch und wirtschaftlich von besonderer Wichtigkeit ist, haben meine Vorredner bereits begründet. Trotzdem möchte ich noch einmal gesondert herausstellen, dass nur die Erweiterung der EU die historische Chance bietet, die jahrzehntelange Teilung Europas endgültig zu überwinden und damit auf unserem Kontinent den Frieden zu sichern. Ich muss das immer wieder sagen und halte das für außerordentlich wichtig. (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Bei allen Problemen und noch bestehenden Unzulänglichkeiten sollte diese Tatsache immer mit bewertet werden.

Ich halte es auch für richtig, dass Brandenburg vorrangig Polen

in seinen Beitrittsbemühungen unterstützt. Ich meine aus der Antwort herauszulesen. dass dabei die Bereiche Landwirtschaft. Umwelt, Justiz und Inneres Vorrang genießen. Diese Schwerpunktsetzung begrüße ich ausdrücklich. Es sind nämlich die gleichen Bereiche, die auch in der Bevölkerung die meisten Befürchtungen hervorrufen.

Ideal wäre es natürlich, wenn zum Beitrittszeitpunkt die Verhältnisse diesseits und jenseits der Oder nicht nur vergleichbar, sondern niveaugleich wären. Da dies nicht eintreten wird, sind wir gut beraten, wenigstens alle Möglichkeiten der Annäherung so gut wie möglich auszunutzen. Das bezieht sich auf die uns bereits geläufigen europäischen Programme und Initiativen wie INTERREG und PHARE - sowie die gute Arbeit in den Euroregionen, aber genauso auch auf das neue Partnerschaftsprogramm der EU, das so genannte Twinning-Programm und das in Nizza quasi bestätigte EU-Sonderprogramm zur Festigung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregionen.

Letzteres ist auch als Aktionsprogramm bekannt und von unserem Europaministerium maßgeblich initiiert worden. Es wird sicherlich in den nächsten Monaten - Herr Lenz hatte das auch schon angedeutet - Gegenstand einer gesonderten Europadebatte hier im Parlament werden.

Den voraussichtlichen Beitrittstermin Polens im Auge - ich rechne 2003/2004 damit -. halte ich es für besonders wichtig, dass sich das Land Brandenburg auf zwei Schwerpunktaufgaben konzentriert:

Erstens nenne ich die schnelle Umsetzung des Aktionsprogramms zur Festigung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregionen, wenn es inhaltlich fixiert und auch finanziell ausgestattet ist. Wir sind im Moment noch nicht so weit, aber die voraussichtlichen Schwerpunkte dieses Aktionsprogramms sind in der Antwort auf die Frage 4 der Großen Anfrage bereits genannt worden und ich glaube nicht, dass sich an dieser Schwerpunktsetzung noch etwas ändern wird. Voraussetzung ist allerdings die Verabschiedung seitens der Kommission und ich hoffe, diese wird nicht allzu lange auf sieh warten lassen.

Zweitens halte ich die Formulierung des Beitrittskonzepts Polens mit der Darstellung der konkreten Übergangsregelungen in den relevanten Bereichen für äußerst wichtig.

Die Lösung dieser beiden Aufgaben wird nach meiner Überzeugung zu einer wesentlich größeren Europafreundlichkeit in der Bevölkerung führen, als sie derzeit feststellbar ist.

Zum Abschluss noch ein kurzes Wort zu den Ergebnissen der Regierungskonferenz von Nizza:

Erstens: Man hat sich im Grunde auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, um die Erweiterung der EU zu gewährleisten. Das ist mit diesen Ergebnissen durchaus möglich.

Zweitens: Mehrheitsentscheidungen im Rat sind zwar jetzt auch möglich, aber leider nicht in allen notwendigen Bereichen.

Drittens: Die Arbeit der Kommission wird auf längere Sicht

weder effizienter noch transparenter. Das muss man auch feststellen.

Viertens: Die Rechte des Europäischen Parlaments sind nicht entscheidend erweitert worden.

Vielleicht gibt dieses an sich nicht befriedigende Ergebnis von Nizza den Anstoß dazu. in dem so genannten Post-Nizza-Prozess die Untersuchung und Formulierung der Verfahren zur Weiterentwicklung der EU - ähnlich wie bei der Grundrechtecharta - einem Konvent zu übertragen. in dem das Europäische Parlament. die nationalen Parlamente, die Regierungen und auch Spezialisten angemessen vertreten sind. Die in einem solchen Gremium formulierten Entscheidungsvorschläge für den Rat hätten damit von vornherein eine höhere Akzeptanz als allein die von den Regierungen erarbeiteten Lösungen.

(Beifall der Abgeordneten Frau Stobrawa [PDS])

Ich möchte den Kreis schließen und feststellen: Ostbrandenburg ist auf dem Weg in die Mitte Europas. Ich kann es auch anders formulieren: Wir sind auf dem Weg in die Mitte Europas. Dieses nahe liegende Ziel müssen wir ständig vor Augen haben nicht nur als Hoffnung, sondern vor allen Dingen auch als Ansporn. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei CDU und SPD)

ich danke dem Abgeordneten Habermann und beende damit die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 7.

(Zurufe: Die Landesregierung?)

- Entschuldigung. Ich nehme das mit der Souveränität jetzt zurück und erteile der Landesregierung das Wort. Herr Minister Sehelter!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wie so häufig beint Thema Europa: Die Kameras sind ausgeschaltet, die Mikrofone im Zweifel auch und die Pressetribüne ist zwar prominent, aber nicht sehr stark besetzt. Wir haben also eine große Aufgabe vor uns, diese Debatte nach draußen zu vermitteln.