Protokoll der Sitzung vom 04.04.2001

Die Bundesländer sind über die Reform der föderalen Finanzbeziehungen weiter tief zerstritten. Die Sonderkonferenz der Länderfinanzminister Ende März in Berlin ging ohne jeden Fortschritt zu Ende.

Die anhaltende Kompromisssuche bei der Neuordnung des Län

derfinanzausgleichs gestaltet sich unverändert schwierig und wir können Ihnen, Frau Ministerin Ziegler, und Ihren Kolleginnen und Kollegen nur wünschen, dass Sie das Elfländermodell doch noch durchbringen.

Bei den Verhandlungen über den Solidarpakt II ist es ähnlich, mit dem Unterschied, dass hier die Verhandlungen sogar noch stockender vorangehen.

Vergessen werden darf auch nicht, dass die größten Teile Brandenburgs wie auch der übrigen neuen Bundesländer zum 31.12.2006 aus der Ziel-1-Förderung der EU herausfallen.

Wir brauchen also dringendst eine Umsteuerung in der Politik und die Prioritätensetzung muss schleunigst auf den Prüfstand, denn nur dann haben wir eine Chance, etwas an dieser misslichen Lage zu verändern. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Das Wort geht an die Fraktion der CDU, Frau Abgeordnete Blechinger.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Steht der Osten auf der Kippe, wie der Bundestagspräsident behauptet? Die PDS hat diese Aussage zum Thema einer Aktuellen Stunde gemacht, und das nicht ohne Grund.

(Vietze [PDS]: Und mit Recht!)

Denn die Thesen von Herrn Thierse sind geradezu eine Einladung, das Thema „Aufbau Ost” parteipolitisch zu instrumentalisieren.

(Vietze [PDS]: Die Vorschläge von Herrn Vogel auch!)

Denn in der Art, ein Problem zu beschreiben, kommt doch immer bereits zum Ausdruck, mit welcher Haltung man an die Lösung desselben herantritt: Demonstriert man Entschlossenheit, die auftretenden Probleme durch entschiedenes Handeln zu überwinden, oder versucht man durch geschicktes Taktieren die jeweilige Lage parteipolitisch auszunutzen?

Deshalb werde ich mich nicht an einer Debatte beteiligen, die zielgerichtet zu dem Ergebnis führt: Ja, der Osten steht auf der Kippe. Dies würde nichts anderes heißen, als dass all jene versagt hätten, die sich in den vergangenen elf Jahren in mühevollster Kleinarbeit dem riesigen Berg an Problemen, den andere uns hinterlassen haben, gestellt haben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich lasse durch niemanden das in den vergangenen Jahren Erreichte herabsetzen. Das gebietet uns im Übrigen nicht nur ein gesunder Realismus, sondern vor allem der Respekt vor der Arbeit der Menschen in unserem Land.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD - Vietze [PDS]: Wer hat denn das gemacht?)

Der Osten stand bislang nur ein einziges Mal auf der Kippe und das war im Herbst 1989.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Damals waren wir alle der Gefahr ausgesetzt, in einen Abgrund von Gewalt zu stürzen. Und es war unter anderem der Besonnenheit und Friedfertigkeit derjenigen zu verdanken, die damals demonstrierten, dass wir nicht in diesen Abgrund gestürzt sind.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD - Zuruf des Abgeordneten Vietze [PDS])

Natürlich wissen wir heute, dass die damaligen Erwartungen hinsichtlich einer schnellen Angleichung der Lebensverhältnisse unrealistisch waren. Und wir sind uns bewusst, dass der Aufbau im Osten nicht von uns allein zu Ende gebracht werden kann, sondern wir auch weiterhin auf die Solidarität der ganzen Nation angewiesen sein werden. Wir haben aber auch einen Anspruch auf diese Solidarität, weil wir hier zuvor in unvergleichlich stärkerem Maße die Lasten der Teilung zu tragen hatten.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Darum haben die CDU-Fraktionen der ostdeutschen Landtage frühzeitig die Verhandlungsführer der neuen Bundesländer aufgefordert, im Zuge der Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs dafür Sorge zu tragen, dass bis spätestens September 2002 das Maßstäbegesetz und das Finanzausgleichsgesetz verabschiedet werden, denn nur durch die schnelle gesetzliche Regelung wird den finanzstarken und auch den finanzschwachen Ländern Planungssicherheit gegeben.

Und wir drängen darauf, die bisherige Aufteilung des Umsatzsteueranteils der Länder nach der Regelung des § 2 des Finanzausgleichsgesetzes weiterhin zu gewährleisten.

Außerdem ist bei der Berechnung der Finanzkraft der Länder die kommunale Finanzkraft vollständig zu berücksichtigen. Wir erwarten, dass der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, die besonderen finanziellen Lasten der Stadtstaaten denen von dünn besiedelten Flächenstaaten gegenüberzustellen und auszugleichen, nachgekommen wird.

Es muss gesichert sein, dass die Neuregelung der Refinanzierung des Fonds Deutsche Einheit die neuen Bundesländer nicht zusätzlich belastet.

Meine Damen und Herren! Wir sind noch lange Zeit auf erhebliche Unterstützung angewiesen, damit der Nachholbedarf gerade im infrastrukturellen Bereich abgearbeitet und ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum organisiert werden kann.

Mir ist natürlich bewusst, wie weit wir davon noch entfernt sind, und es macht mir große Sorgen, dass das Wirtschaftswachstum in den neuen Ländern weit unter das der alten Bundesländer gesunken ist. Gerade deshalb entbindet uns niemand von der Pflicht, in diesem Zusammenhang unsere Arbeit zu machen. Dazu gehört auch, die Menschen zu ermutigen und ihnen Perspektiven zu geben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Für mich bleibt es ein Glücksumstand, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Es ist für mich keine Last.

Die wirtschaftliche Entwicklung steht unmittelbar im Zusammenhang mit der Motivation der Menschen. Rüdiger Pohl, der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, warnt die Politiker: Wenn sogar sie anfangen, den Bürgern und Investoren zu sagen, wie schlimm alles sei, dann löst das nur die Reaktion aus: Hier gibt es keine Zukunft. Nichts wie weg!

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Das gedankenlose Gerede davon, dass der Osten auf der Kippe stehe, verhindert Eigeninitiative von Unternehmern, es schwächt die Solidarität der westdeutschen Länder und verkennt die historische Wahrheit. War irgendwo schon einmal davon die Rede, dass Polen, die baltischen Staaten oder Ungarn auf der Kippe stünden? Ist es in all diesen Ländern, die noch unvergleichlich größere Probleme haben, nicht noch immer so, dass die Freude über die Rückkehr nach Europa deutlich überwiegt?

(Beifall bei der CDU)

Diese Stimmung wünsche ich auch uns. Aber man muss an dieser Stelle einmal feststellen: Helmut Kohl hat mit großem persönlichem Einsatz dafür Sorge getragen, dass in Leuna eine der größten privaten Investitionen zustande kam.

(Allgemeines Gelächter)

Als Gerhard Schröder bei der Suche nach einem Standort für den Bau des neuen Airbusses vor einer ähnlichen Bewährungsprobe stand, fiel die Entscheidung nicht für den Standort in Mecklenburg, für Rostock-Lage, das diese Strukturstärkung dringend nötig hätte, sondern man schüttet lieber in Hamburg Europas einziges Süßwasserwatt zu, um dort das Werk zu errichten. Gibt es ein deutlicheres Zeichen dafür, dass sich das Klima mit dem Regierungswechsel zuungunsten des Ostens verändert hat?

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der PDS)

Aber auch die Tatsache, dass seit 1998 die Arbeitslosenquote im Osten vom 1,8fachen auf das 2,3fache der Arbeitslosenquote im Westen gestiegen ist und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer im Osten um 200 000 erstmals unter 500 Millionen gesunken ist, macht deutlich: Eine Chefsache ist allein am Ergebnis zu messen. Deshalb ist von besonderer Bedeutung, dass die EU-Osterweiterung so gestaltet wird, dass die neuen Länder in gleicher Weise einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, wie es durch die deutsche Einheit in den alten Ländern der Fall war. Dazu müssen Übergangs- und Harmonisierungsregelungen gefunden und muss durch ein spezielles EUProgramm der Prozess der Angleichung unterstützt werden.

Trotz aller Probleme bin ich davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, das Einheitswerk zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Die allerwichtigste Voraussetzung dafür ist, dass wir alle die Einheit vorurteilsfrei, entschlossen und von ganzem Herzen wollen.

(Zuruf von der PDS)

Dabei räume ich ein - und die Genugtuung, die ich angesichts von Fehlschlägen und Widerständen zwar nicht bei Ihnen, Herr Kollege Bisky, aber bei einigen anderen in Ihrer Partei sehr häufig erkennen kann, bestärkt mich darin -, dass jeder Erfolg und das Maß, in dem die innere Einheit Deutschlands Gestalt gewinnt, Ihnen den politischen Boden entzieht.

(Zuruf von der PDS)

Aber wenn Sie unser Land tatsächlich lieben, sollten Sie sich mit uns darüber freuen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke der Frau Abgeordneten Blechinger. - Das Wort geht an die Landesregierung. Herr Ministerpräsident Dr. Stolpe, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bild von der Kippe führt in die Irre und ich rate ab, es zu gebrauchen. Denn es geht nicht um die Gefahr eines Absturzes, sondern es geht darum, wie der seit 1997 verlangsamte Aufbau Ost wieder beschleunigt werden kann. Dabei wollen wir nicht vergessen, welche erheblichen Verbesserungen in den letzten zehn Jahren durch ostdeutsche Leistungen und westdeutsche Solidarität erreicht werden konnten.

(Beifall bei SPD und CDU)

Es kann mit Fug und Recht pauschal gesagt werden, dass in dieser Zeit 40 Jahre Rückstand zu mehr als der Hälfte aufgeholt wurden. Wir haben weiterhin ein Wachstum der Wirtschaft, insbesondere im verarbeitendem Gewerbe. Aber das Gesamtwachstum flacht ab, weil wir deutliche Einbrüche in der Bauwirtschaft haben.

Gleichzeitig geht die Entwicklung im Westen Deutschlands schnell voran, während der Osten zurückbleibt; der Abstand vergrößert sich. Vor allem die Arbeitslosigkeit stagniert in der gesellschaftlich unerträglichen Höhe von 20 %. Damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Deshalb brauchen wir verstärkte Anstrengungen und neue Impulse für eine erfolgreiche Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen Brandenburgs und der anderen ostdeutschen Länder.