Protokoll der Sitzung vom 04.04.2001

Herr Minister Schönbohm, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Petke, ich glaube, wir alle haben noch die bürgerkriegsähnlichen Bilder aus dem Wendland vor Augen, Bilder, die wirklich Furcht eingeflößt haben und bei denen man sich die Frage stellt, wie weit die Grenzen des Rechts auf Versammlungsfreiheit überschritten und missbraucht wurden. In diesem Zusammenhang ist die Polizei des Bundes und der Bundesländer eingesetzt worden, auch Brandenburger Polizeibeamtinnen und -beamte.

Der abgeschlossene Castor-Transport ist aus polizeilicher Sicht ein Erfolg. Aber für unsere politische Kultur und die Frage des Rechts auf Versammlungsfreiheit ergeben sich eine Menge Fragezeichen, die wir politisch noch erörtern müssen - mehr auf der Ebene des Bundes als hier.

Bei dem auf Deeskalation ausgerichteten Einsatz ist es dem besonnenen, aber auch konsequenten Vorgehen der Polizeibeamten zu verdanken, dass dieser Einsatz tatsächlich zu einem Erfolg führte. Die Bilanz des Einsatzes zeigt aber auch deutlich, dass die Belastungsgrenzen für Polizei, Steuerzahler und Rechtsstaat erreicht, wenn nicht sogar überschritten sind. Die Kosten des Einsatzes beliefen sich für alle Felder auf rund 120 Millionen DM. Bundesweit waren 29 000 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz im Einsatz. In der Schlussphase, allein am Donnerstag der letzten Woche, waren 18 200 Polizeibeamte im Wendland. Während der Hochphase waren im Wendland 2 000 Fahrzeuge der Polizei unterwegs. Der BGS setzte 49 große Hubschrauber ein. Bei dem gesamten Einsatz wurden 23 Polizisten verletzt, zwei von ihnen schwer.

Meine Damen und Herren, ich kenne das Wendland aus eigener Anschauung. Es ist ein liebenswertes Land, eine Landschaft, die durchaus mit Brandenburger Landschaften vergleichbar ist. Dort leben Menschen, die genauso friedlich wie unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger sind. Was dort hineingetragen wurde, war für die Bürger unerträglich, und darum war es selbstverständlich, dass auch das Land Brandenburg Niedersachsen mit 400 Einsatzkräften zu Hilfe gekommen ist.

Trotz des zum Teil brutalen Vorgehens ist keiner der Brandenburger Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamten verletzt worden. Wenn man sich einmal mit den jungen Polizeibeamten, besonders mit den jungen Frauen, darüber unterhält, was sie bei solchen Einsätzen zum Teil erleben, dann sieht man, dass die Grenze der Zumutbarkeit überschritten ist. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die sich eingesetzt haben, und ich bin froh, dass es zu keinen Verletzungen gekommen ist.

(Beifall bei CDU und SPD)

Meine Damen und Herren, ich glaube wir sind uns auch einig, dass es bei Gewaltbereitschaft keine Toleranz geben kann und auch die Berufung auf eine gebrochene Biografie - oder was auch immer herangezogen wird - nicht als Entschuldigung dienen kann. Ich erwarte, dass der Bundesinnenminister seine Ankündigung, alle Straftäter konsequent zu verfolgen und den Strafverfolgungsbehörden zu übergeben, auch umsetzt.

Ich gehe davon aus, dass auch gegen die Mitglieder der Umweltschutzorganisation „Robin Wood”, die sich selbst an den Betonblock festgekettet haben - es waren Jungen und Mädchen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren -, vorgegangen wird und die Drahtzieher vorgeführt werden. Ich denke, es ist nicht hinnehmbar, dass unter dem Deckmantel von hehren Zielen schwerste Straftaten wie Nötigung, Landfriedensbruch und schwere Eingriffe in den Bahnverkehr begangen werden können. Dem müssen wir entgegentreten, denn Straftat bleibt Straftat. Nicht das Motiv, sondern die Straftat ist das Entscheidende. Wir erwarten, dass der Bremer Finanzsenator die Gemeinnützigkeit der Organisation „Robin Wood” auf den Prüfstand stellt, und ich denke, dass wir dieses Thema auch in der Innenministerkonferenz besprechen werden.

Im Hinblick auf die anstehenden Castor-Transporte in Brandenburg aus dem stillgelegten Atomkraftwerk Rheinsberg gehe ich davon aus, dass es uns gelingen wird, ähnliche Bilder wie im Wendland zu verhindern. Ich hoffe, es gelingt uns deutlich zu machen, dass es hier um den Abbau eines Atomkraftwerkes

geht. Wir sind dankbar, dass dieses Atomkraftwerk endlich zurückgebaut werden kann. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und SPD)

Es gibt noch Klärungsbedarf, Herr Minister. Herr Petke, Sie beginnen bitte.

Herr Minister, Sie sprachen den Castor-Transport aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Rheinsberg an. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, im Fall von Störungen die Störer für eventuell entstehende Schäden auf zivilrechtlichem oder anderem Weg haftbar zu machen?

Zunächst einmal ist festzustellen, dass in Niedersachsen diese Frage an ganz konkreten Beispielen geprüft wird; das Ergebnis kenne ich noch nicht. Wir werden ebenso verfahren.

Beispielsweise haben sich dort drei Personen in Beton eingegossen und damit eine Transportgefährdung verursacht. Das hat zu erheblichen Kosten geführt. Im Moment wird geklärt, inwieweit die Organisation „Robin Wood”, die dafür die Verantwortung übernommen hat, in Regress genommen werden kann. Ich denke, dass wir so auch in Brandenburg verfahren werden.

Aber, Herr Petke, es ist entscheidend, dass es uns im Vorfeld gelingt, die Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse ist, wenn der Abtransport stattfindet. Ebenso müssen die Störer davon überzeugt werden, dass der Rechtsstaat wehrhaft ist und sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dagegen wehren wird, dass es zu einer Behinderung des Abtransportes der Castoren kommt. Darauf kommt es zunächst einmal an.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der DVU)

Frau Kaiser-Nicht, bitte.

Herr Minister, Sie haben eine harte Linie gegen mögliche Störer der Castor-Transporte angekündigt. Angesichts auch meiner Hoffnung, dass es im Zusammenhang mit dem Transport in Rheinsberg nicht zu Sachbeschädigungen und Gewalt kommt, lautet meine Frage: Welches Gewicht misst die Landesregierung der Anwendung von Deeskalationsstrategien in Zusammenarbeit mit Polizistinnen und Polizisten und den Bewohnerinnen und Bewohnern vor Ort im Zusammenhang mit den zu erwartenden Protesten gegen die Castor-Transporte bei?

(Homeyer [CDU]: Keinen Zement ausgeben!)

Das war bis jetzt die Frage Ihres Kollegen Sarrach, die er nach

her stellt. Soll ich sie gleich beantworten?

Wir haben uns geeinigt, dass wir die Frage separat beantworten.

Vielen Dank, ich wollte nur wissen, ob ich Ihre Frage gleich beantworten soll; Sie haben mir das Pulver von der Pfanne genommen.

Zunächst einmal möchte ich Folgendes sagen: Ich habe nicht eine harte, sondern eine konsequente Linie angekündigt. Das ist ein sehr großer Unterschied. Von mir wurde auf einen wichtigen Punkt hingewiesen: Es kommt darauf an, dass sich der Rechtsstaat nicht infrage stellen lässt und der rechtlich gebotene und notwendige Abtransport nicht von denen, die dagegen sind, behindert werden kann. Das ist die Grundaussage.

Frau Kaiser-Nicht, wenn Sie von einer Deeskalationsstrategie sprechen, gehen Sie - wie vielleicht auch andere - davon aus, dass die Präsenz der Polizei eskalierend wirkt. - Nein, die Präsenz der rechtsstaatlich kontrollierten und geführten Polizei macht sehr deutlich, dass der Rechtsstaat diesen Anspruch durchsetzt. Im Zusammenhang mit dem Begriff Deeskalationsstrategie akzeptiere ich nicht die Vermutung, die Präsenz der Polizei führe zur Eskalation. Darum muss die Polizei etwas anderes machen.

(Zurufe von der PDS)

- Ja, ich komme noch dazu. Ich weiß doch, was Sie noch auf der Pfanne haben.

Es geht um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Genau das ist der Punkt, der in einem Rechtsstaat gerichtlich nachprüfbar ist. Ist es verhältnismäßig, wenn junge Männer und Frauen, nur weil sie Polizisten sind, andere wegtragen müssen, weil diese anderen sich auf die Schiene legen? Finden Sie das eigentlich richtig? Entspricht es der Wahrnehmung des Rechtes auf Versammlungsfreiheit, wenn ich andere auf diese Art und Weise daran hindern will, das zu tun, was rechtsstaatlich geboten ist? Darüber würde ich gern einmal diskutieren.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der DVU)

Ich weiß nicht, was Sie mit Deeskalationsstrategie meinen, kann Ihnen jedoch Folgendes sagen:

Erstens: Die Polizei erhält einen Auftrag, der rechtsstaatlich begründet und eindeutig ist.

Zweitens: Wenn jemand sein Recht auf Versammlungsfreiheit missbraucht, dann wird er daran gehindert werden, diesen Missbrauch durchzuführen. Die Polizei wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeit angemessen darauf reagieren. Vonseiten der Polizei wird es jedoch nicht heißen: Das sind ja Demonstranten gegen Nuklearstrom. Deshalb wollen wir dieses oder jenes durchgehen lassen. - Wenn wir eine solche Beliebigkeit nach Gutsherrenart einführen, dann begehen wir einen schweren Fehler. Deshalb wird es darum gehen, dass wir das Prinzip der Verhältnismäßigkeit aufrechterhalten.

Herr Domres, bitte.

Herr Innenminister, ich habe zwei Nachfragen.

Erstens: Wurden im Wendland auch Brandenburger Konfliktmanager eingesetzt?

Zweitens: Welche Konsequenzen ziehen Sie in Abhängigkeit von der Beantwortung der ersten Frage für das Konfliktmanagement des Transportes in Rheinsberg?

Zunächst einmal weiß ich nicht genau, was sich hinter dem schönen Begriff „Konfliktmanager” verbirgt. Das wollen offenbar diejenigen sein, die den anderen sagen: Nun seid mal artig! Das versuchen wir zu tun.

Ebenso möchten wir den Demonstranten deutlich vor Augen führen, wenn sie sich rechtswidrig verhalten und dabei sind, Straftaten zu begehen. Wenn das konfliktdämpfend wirkt, dann ist es zu begrüßen.

Aber ich muss Sie noch auf etwas anderes hinweisen. Wir haben einige Erfahrungen damit gesammelt. Wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich vor allem Ihnen einmal erklären, unter welchen Belastungen die Polizei bei diesen Einsätzen bereits gelitten hat. Immer dann, wenn die Polizei versucht hat, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu reagieren, und wenn die anderen die Mehrheit hatten, dann konnten wir die Bilder erleben, die wir kennen. Ich erinnere an einen prominenten Politiker - das war eine Situation vier gegen eins -, der auf dem Boden lag und auf den man noch eingeprügelt hat. Wenn sich die Polizei im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegt, dann besteht immer die Gefahr, dass die Gegenseite den Konflikt nicht reduzieren, sondern anheizen will. Dahinter steht eine ideologische Verblendung. Genau mit dieser ideologischen Verblendung müssen wir uns auseinander setzen. Dabei geht es um Herrn Trittin und andere. Das ist die eigentliche Dimension, und die damit zusammenhängenden Probleme lasse ich nicht auf dem Rücken der Polizeibeamten austragen. Das muss wirklich klar sein.

(Beifall bei CDU und DVU)

Einen Konfliktmanager im Sinne eines unbestimmten Rechtsbegriffs werden wir nicht einsetzen. Die gesamte Polizei ist dazu da, einen rechtsstaatlich begründeten Transport durchzuführen. Daran werden wir mitwirken - mit rechtsstaatlichen Mitteln.

Herr Hammer, bitte.

Herr Minister, wir argumentieren nicht gegen die Polizistinnen und Polizisten.

(Beifall bei der PDS)

Sehr gut!

Ich selbst habe mich schon bei so genannten linken Demonstrationen als Konfliktmanager betätigt und stelle die Frage, ob Sie bereit sind, sowohl Erfahrungen aufzunehmen als auch meine Hilfe anzunehmen.

(Lachen bei der CDU)

Herr Hammer, ich bin immer gewillt, aus Erfahrungen zu lernen, aber ich habe nicht das Rad neu zu erfinden. Wenn Sie das Rad bereits erfunden haben, dann können Sie mir einen kurzen Brief schreiben, und ich werde Ihnen sagen, was ich davon halte.

(Beifall bei der CDU)