Der Übergang von Rahmenplänen zu Rahmenlehrplänen und die Verpflichtung der Schulen zur Verabredung pädagogischer Zielstellungen, die in Schulprogramme münden müssen, bilden dafür eine geeignete Grundlage. Dies gilt auch für die Verpflichtung von Schülern und Lehrern, sich an Evaluationsverfahren zu beteiligen.
Problematisch bleibt jedoch der den meisten bekannte Effekt von Prüfungen, insbesondere von zentralen Prüfungen, dass der Unterricht bereits weit im Vorfeld „Prüfungsvorbereitung” beinhaltet, was nicht selten im Pauken von alten Prüfungstexten und -aufgaben besteht. Schon jetzt zeigen Erfahrungen in der Abiturstufe, dass für Punkte, sprich: Abschlüsse, gearbeitet wird und den Schülern wenig Raum bleibt, sich auszuprobieren und somit auch Fehlschläge hinzunehmen, denn der Abschluss bestimmt letztlich über den weiteren Bildungsweg. Das Wichtigste ist, Lust und Liebe zur Sache zu wecken. Sonst erzieht man nur gelehrte Esel. Montaines Kalenderweisheit ist heute besonders richtig, denn Absolventen ohne Kreativität und Freude am Neuen, also gelehrte Esel, sind genau das, was unsere Gesellschaft nicht weiterbringt.
Gelingt es nicht, Prüfungen so anzulegen, dass sie dem beschriebenen Paukeffekt entgegenwirken, werden sie den Mangel an Kreativität, den alle bisherigen Untersuchungen bei deutschen Schülern festgestellt haben, eher verschärfen als die Leistungen der Schüler steigern.
Die Novelle ist grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass Schülerleistungen mehr als bisher bewertet werden: Zensierung ab Klasse 3, Bildungsgangempfehlung am Ende der Grundschule und Versetzungsregelungen ab Klasse 7, die Möglichkeit von Gymnasien und Realschulen, am Ende der Klasse 7 Schüler querzuversetzen sowie die Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens. Der trügerische Gedanke, dass Bewertung allein Leistung produziert, ist in der Gesellschaft weit verbreitet. Es ist aber das Recht des Schülers und nicht ein Machtinstrument des Lehrers, professionell bewertet zu werden. Grundlage für Leistungsbereitschaft von Schülern ist und bleibt ein hohes Anspruchsniveau an die Schüler, Vertrauen in ihr individuelles Leistungsvermögen sowie eine gerechte Bewertung, die sich nicht unausweichlich in einer Note niederschlagen muss.
Das Schulgesetz wird auch künftig Möglichkeiten bieten, mit Bewertung und Versetzung flexibel umzugehen. Ich vertraue darauf, dass es zunehmend mehr Lehrer und Eltern geben wird, die einsehen, dass für die individuelle Entwicklung der Kinder auch eine individuelle Bewertung Bedingung ist.
Der Bildungsminister erhält künftig mehr Entscheidungsspielraum, wie das Arbeits- und Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler beurteilt werden soll. Die teilweise diffuse Diskussion über Werte, die im Mittelpunkt der Erziehung stehen sollen und an der zu beteiligen sich fast jeder berufen fühlt, macht eine Regelung, die den Schülern gerecht wird, nicht leichter. Die neuerdings wieder so oft genannten Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Ordnung sind keine Werte an sich, die es zu bewerten gilt. Sie machen an sich keinen Sinn, wenn sie nicht zielführend sind.
Uneingeschränkt zu begrüßen sind die Maßnahmen zur Verbesserung der Lernbedingungen in der sechsjährigen Grundschule. Die flexible Eingangsphase macht eine frühe Einschulung möglich und individualisiert den Einstieg in die Schulkarriere. Sie gibt die Möglichkeit, Defizite bei einzelnen Schülern auszugleichen, und sie macht es auch möglich, dass leistungsstarke Schüler die Grundschule in weniger als sechs Jahren durchlaufen. Der frühere Beginn des Fremdsprachenunterrichts entspricht den Forderungen der Zeit und die Möglichkeit der Neigungs- und Leistungsdifferenzierung in den Klassen 5 und 6, verbunden mit einer erhöhten Stundenzuweisung, verbessert die Lernbedingungen der Schülerinnen und Schüler erheblich.
Innerhalb der SPD wird darüber diskutiert, die Schulzeit bis zum Abitur zu verkürzen. Wir favorisieren ein Abitur nach zwölf Jahren für eine große Mehrheit von Schülern unter Einbeziehung der sechsjährigen Grundschule. Eine mindestens sechsjährige gemeinsame Schulzeit ist aus unserer Sicht auch für die Sozialentwicklung von Schülern unabdingbar.
Die in § 8 festgehaltene Möglichkeit, über Schulversuche in wenigen Klassen das Abitur nach 12 Jahren abzulegen, bleibt ein Kompromiss, den es in den nächsten Jahren weiter auszubauen und für eine größere Schülerschaft entsprechend nutzbar zu machen gilt.
Das Schulgesetz sollte Antwort geben auf die demographische Entwicklung, die sich in den nächsten Jahren in der Sekundarstufe I in unseren Schulen auswirken kann. Ich verzichte darauf, hierzu Zahlen zu nennen. Ein Vorschlag lautete - er wurde auch auf den Schulpolitischen Ratschlägen diskutiert -, zu diesem
Zweck in Brandenburg wie in anderen Bundesländern aus pragmatischen Gründen die Sekundarschule als ersetzende Schulform für Gesamtschulen ohne gymnasiale Oberstufe und für Realschulen einzusetzen, um eine Schullandschaft zu haben, die es leichter macht, schulplanerisch zu arbeiten und Schulstandorte zu erhalten.
Leider ist es nicht gelungen, diese Regelung mit diesem Schulgesetz zu treffen, weil der Verband der Realschulen und unser Koalitionspartner sich dieser Einrichtung von Sekundarschulen verschließen. Ich halte das für eine verpasste Chance, die es aber, so meine ich, wieder auszufüllen gilt, wenn es massiv zu Schulschließungen kommt. Vielleicht ist dazu noch eine Diskussion möglich.
Ich möchte zusammenfassend feststellen, dass das vorgelegte Schulgesetz eine Verbesserung gegenüber dem ist, was unser Schulgesetz auch bisher an Gutem zu bieten hat. Es setzt Rahmenbedingungen und erweitert Rahmenbedingungen, die es vom Grundsatz her möglich machen, eine bessere Bildung für Kinder und Jugendliche im Land Brandenburg anzubieten. Danke.
Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke. - Das Wort geht an die Fraktion der PDS, Frau Abgeordnete Große.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das brandenburgische Schulwesen steht vor großen Herausforderungen. Begriffe wie „Wissensgesellschaft”, „Informationsgesellschaft”, „Jahrhundert der Bildung”, die Bewertung der Bildung als die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, besonders nachdrücklich bewiesen im Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung kürzlich vorgelegt hat, zeigen den akuten Handlungsbedarf. Das Land Brandenburg hat dabei die Chance, die bedauerlicherweise dramatisch sinkenden Schülerzahlen zu nutzen, um eine bessere Qualität von Bildung und Erziehung zu organisieren.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung sollte eine Antwort auf die künftigen Herausforderungen darstellen. Er ist mit hohem öffentlichkeitswirksamen Aufwand bereits im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens diskutiert worden, seine Vorfeldversprechungen allerdings hält er nicht. Das möchte ich an fünf ausgewählten Problemen beweisen.
Erstens: Ein tradiertes sozialdemokratisches bildungspolitisches Ziel - im Übrigen auch das der PDS - ist die Chancengleichheit. Die CDU unternimmt seit geraumer Zeit den Versuch, dieses Ziel mit dem diffusen Begriff der Chancengerechtigkeit zu verwässern - nicht ohne Erfolg. Das Beispiel: § 8 - Schulversuche - mit dem dort als Modellversuch zur Verkürzung von Schulzeit ermöglichten Großversuch der Leistungsprofil- oder - doch treffender - Schnellläuferklassen.
Erstmals in der Geschichte des öffentlichen Schulwesens dieses Landes ist ein Großversuch ermöglicht worden, dessen Ergeb
nisse nicht allen Kindern des Landes zugute kommen, der aber auf Kosten aller Kinder stattfindet und eindeutig auf frühzeitige Selektion statt auf gemeinsame Förderung abzielt.
In der entsprechenden Verwaltungsvorschrift wurde sogar die soziale Auslese begründet. Das proklamierte Festhalten der SPD an der sechsjährigen Grundschule ist daher nicht mehr recht glaubwürdig.
Auch an anderen Stellen des Gesetzentwurfes lässt sich ein Paradigmenwechsel feststellen. Ich denke hierbei an die Einschränkung des Elternwahlrechts bei der Wahl der weiterführenden Schulen durch die Bildungsgangempfehlung der Grundschule. Ich denke an Aufnahmetests an Gymnasien, an die Einführung der Querversetzung an Gymnasien nach Klasse 7 und an die unsägliche Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens, die nun sogar in Form von Noten im Zeugnis dokumentiert werden darf.
Der Ruf nach bildungsgangbezogenen Rahmenlehrplänen wird in dieser Folge wohl nicht mehr lange ungehört bleiben. Frau Hartfelder hat es heute schon angedeutet: Die jetzt schon problematische Durchlässigkeit als Grundbedingung von Chancengleichheit wäre dann gänzlich erledigt.
Zweitens: Die Vermittlung der Kompetenz zu lebenslangem Lernen soll in der vorliegenden Novelle insbesondere durch Regelungen zur erhöhten Selbstständigkeit von Schulen erreicht werden. Zwar sollen die Kompetenzen der Schulleiter erweitert werden, dies aber ohne zusätzliche Stundenzuweisungen, vor allem aber ohne äquivalente Regelungen zur Erhöhung der Personalvertretungskompetenz für Lehrerräte. Damit wird Verantwortung stärker zentralisiert und die Mangelverwaltung nach unten delegiert. Ein Mehr an Mitbestimmungsmöglichkeiten ist nicht vorgesehen. All unseren diesbezüglichen Anträge wurden bisher abgelehnt.
Drittens: Trotz des in § 11 weiterhin vorhandenen Bekenntnisses zum Fach Lebenskunde - Ethik - Religion erfährt der Religionsunterricht in der vorliegenden Novelle eine deutliche Aufwertung. Das betrifft auch die das Fach Religion unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer. Da anerkannte Weltanschauungsgemeinschaften nicht gleichermaßen bedacht werden, bestehen aus unserer Sicht Bedenken hinsichtlich der Konformität mit dem Grundgesetz und der Verfassung des Landes Brandenburg.
Wir empfehlen daher - übrigens auch im Interesse der Angleichung von diesbezüglichen Brandenburger und Berliner Bestimmungen - die Zustimmung zu unserem Änderungsantrag zu § 9 Absätze 2 und 3.
Viertens: Das 2. Änderungsgesetz der Landesregierung gibt auch auf die existenzielle Frage der dramatisch sinkenden Schülerzahlen keine zufrieden stellende Antwort. Statt den Rückgang der Schülerzahlen dafür zu nutzen, innerhalb des Gesamtsystems Standards zurückzugeben, vor allem solche, die in den letzten Jahren aufgrund der Haushaltspolitik des Landes „ge
nommen” worden sind, sollen erneut über 4 000 Lehrerstellen abgebaut werden. Das wird auch nicht durch die von uns mitgetragenen Veränderungen im Grundschulbereich - Fremdsprachenunterricht ab Klasse 3, Leistungs- und Neigungsdifferenzierung in den Klassen 5 und 6 - kompensiert.
Ein Lösungsansatz wäre aus unserer Sicht, im Gesetz kleinere Klassenfrequenzen festzuschreiben. Bei der Anhörung am 29.03.2001 sowie bei zahlreichen Veranstaltungen und in allen Zuschriften, die wir zu unserem Änderungsantrag zu § 103 erhielten, gab es eine breite Zustimmung zu diesem Anliegen. Interessanterweise hat die SPD auf ihrem Landesparteitag im März 2000 unter der Überschrift „Motivation und Qualifikation der Lehrkräfte” Folgendes beschlossen:
Noch haben Sie, verehrte Damen und Herren von der SPD, die Chance, unserem diesbezüglichen Antrag zuzustimmen.
Fünftens: Nun komme ich zu dem brennendsten der zu lösenden Probleme, dem Erhalt von Schulstandorten im ländlichen Raum. Die vorliegende Novellierung bietet an keiner Stelle Lösungsansätze für den Erhalt von Schulstandorten im äußeren Entwicklungsraum,
da sich die Koalitionspartner bisher auf keine Lösung einigen konnten, wie heute in der Debatte auch zu erfahren war.
Die eigens zur Entwicklung der Schulen im ländlichen Raum des Landes Brandenburg eingesetzte Regierungskommission hat nach einjähriger Arbeit Vorschläge unterbreitet, die sich in der Novelle nirgendwo wieder finden. Somit bleibt es dabei, dass nur in etwa 15 der 42 Grundzentren eine Schule erhalten bleibt, die alle Abschlüsse gewährleistet. Anders argumentiert: Ab dem Schuljahr 2003/2004 sind 93 Gesamtschulen, sechs Gymnasien und 21 Realschulen allein im äußeren Entwicklungsraum gefährdet. Es beginnt schon jetzt ein bitterer Konkurrenzkampf zwischen den Schulen, bei dem es nur einen Verlierer geben kann: die Kinder. Bisher gibt es in dem Gesetz kein Bekenntnis, in Grundzentren Schulen der Sekundarstufe I zu erhalten, die alle Abschlüsse bieten.
Ein von uns in den Bildungsausschuss eingebrachter Antrag zum § 102 Abs. 1, wonach dies gesichert werden soll, wurde abgelehnt, obwohl es auch hier eine andere Beschlusslage des schon zitierten Parteitages gibt und obwohl wir den § 102 ergebnisoffen, bezogen auf die Schulform, formuliert haben. Verehrte Abgeordnete, Sie haben die Chance, bei der namentlichen Abstimmung zu diesem Änderungsantrag dieser Minimalforderung nachzukommen und damit einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Schule im Dorf bleibt.
Eben weil das Problem der Schulen im ländlichen Raum ungelöst bleibt, damit die Chancengleichheit erheblich gefährdet ist und laut Aussage des zuständigen Ministers Reiche eine weitere Novellierung in dieser Legislaturperiode nicht vorgesehen ist, wird die PDS den vorliegenden Entwurf ablehnen. Die PDSFraktion beantragt aus den unter 5. genannten Gründen die nochmalige Überweisung der Drucksache in den zuständigen Ausschuss und stellt den Antrag auf eine 3. Lesung.
Meine Damen und Herren, mit dieser Novellierung werden die anstehenden bildungspolitischen Probleme im Land Brandenburg nicht gelöst. Die Veränderungen sind nur marginal, was auch am sehr begrenzten Interesse von Lehrern, Schülern und Eltern zu spüren war. Die in der Anhörung von 29 betroffenen Vertretern von Gewerkschaften, Verbänden und Bürgern vorgeschlagenen Änderungen haben in keinem der vier Änderungsanträge der Koalitionsparteien Niederschlag gefunden. Anhörungen scheinen in diesem Land Alibiveranstaltungen zu sein,
wie wir schon bei der Gemeindegebietsreform, der Kita-Novelle, der Polizeistrukturreform und der Forstreform erleben mussten. Über das geringe Mitwirkungsinteresse von Bürgern muss sich dann wirklich niemand mehr wundern.
Die PDS hat die Interessen der Betroffenen ernst genommen. Etwa die Hälfte unserer 54 Änderungsanträge resultierte aus der Anhörung. Dass originäre sozialdemokratische bildungspolitische Positionen aufgegeben wurden, habe ich deutlich gemacht. Der Entwurf ist durch CDU-Handschrift geprägt. Verehrter Herr Ministerpräsident, auch wenn Sie heute Geburtstag haben, muss ich leider sagen: Sie haben im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen gesagt, mit der CDU ließen sich sozialdemokratische Ziele besser umsetzen. Es ist wohl doch eher so, dass sich CDU-Ziele mit der SPD sehr gut umsetzen lassen.