Protokoll der Sitzung vom 20.06.2001

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Persönliche Unsicherheit, das Nichtdurchschauen von Zusammenhängen, verbunden mit einem Sich-ausgeliefert-Fühlen, verführt, nach einfachen Lösungen zu suchen und jemanden dafür verantwortlich machen zu wollen. Die meisten von uns Brandenburgern wissen: Es gibt für die Problemlagen vieler

keine einfachen Lösungen. Wer sie verspricht, der lügt! Auf keinen Fall sind Ausländer dafür verantwortlich zu machen. Gäbe es in Brandenburg nicht einen einzigen ausländischen Mitbürger, hätten wir kein einziges Problem weniger, im Gegenteil, eine beträchtliche Anzahl von Arbeits- und Ausbildungsplätzen würde fehlen.

Zur Klarstellung: Eine überwältigende Mehrheit der Brandenburger, ob jung oder alt, lehnt Gewalt ab. Es geht darum, diese Ablehnung offen zu zeigen. Wir allen wissen, dass eine direkte Einwirkung des einzelnen Bürgers auf Schläger oder Parolenschreier nur begrenzt möglich ist. Wenn sich aber die Gesellschaft auf vielen Ebenen gleichzeitig mobilisiert, wenn sich eine öffentliche Meinung herausbildet, in der Werte wie Toleranz, friedliche Lösung von Konflikten und die Beteiligung an Demokratie überwiegen, dann entsteht ein Umfeld, das zur Isolierung von Gewalt beiträgt.

(Beifall bei SPD und PDS)

So heißt es im 2. Zwischenbericht der Landesregierung zur Umsetzung des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg”. Diesen gesellschaftlichen Zustand herbeizuführen bleibt eine existenzielle Aufgabe jeglichen politischen Handelns.

Seit 1998 hat sich auf diesem Wege in Brandenburg viel bewegt. Mithilfe der Beratungssysteme haben sich lokale Bündnisse gegen Gewalt und Rechtsextremismus gegründet, die ihr Handeln koordinieren, die Auseinandersetzung suchen und dazu beitragen, die Problemlagen in den Städten und Gemeinden nicht totzuschweigen, sondern damit umzugehen.

Das Aktionsbündnis vereint gesellschaftliche Organisationen, die sich, ob es der Sportverband, die Gewerkschaften oder die Kirche sind, der gemeinsamen Aufgabe bewusst sind und danach handeln. Besonders hervorzuheben sind die durch das Bildungsministerium eingeleiteten Entwicklungen an unseren Schulen. Die Umsetzung der Forderungen der SPD-Fraktion, die Lehrer in die Lage zu versetzen, mit rechtsextremem Gedankengut ihrer Schüler umzugehen, in den Rahmenplänen verbindliche Themen zur Auseinandersetzung mit der Problematik vorzuschreiben, den Schüleraustausch zu intensivieren, wurde in Angriff genommen und zeigt vielerorts schon positive Wirkungen. Auch hier ist ein offeneres Umgehen mit Schülerverhalten zu verzeichnen.

Ich mahne an dieser Stelle wieder an, dass Toleranz und Solidarität sowie demokratisches Handeln nicht verordnet werden können, sondern erlebt werden müssen, um als Werte für sich selbst begriffen zu werden.

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Wenn mir Schüler sagen, wie erst vor einer Woche geschehen, dass es notwendig ist, dass Leistungsschwächere von ihnen getrennt unterrichtet werden, weil sie sonst in ihrem eigenen Fortkommen behindert werden, die anwesende Lehrerin beifällig nickt und gleichzeitig beklagt, dass ihre Schüler zunehmend egoistisch und unsolidarisch sind, dann stimmt mich das mehr als nachdenklich. Wenn Schule zunehmend so strukturiert wird, dass Schüler nur noch den Umgang mit „ihresgleichen” als etwas Normales erleben, können Werte wie Toleranz und Solidarität nur bedingt für das eigene Leben als bedeutsam erfahren werden.

Ausgrenzung ist für die einen selbstverständlich und die Ausgegrenzten suchen anderweitig Bestätigung. Toleranz üben und das gute Gefühl, solidarisch zu handeln und Solidarität zu erfahren, beginnen im Kleinen. Nur so können Einstellungen wachsen und auf andere Lebensbereiche übertragen werden.

Die Frage, sind wir mit dem, was sich im Land gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt bewegt, auf dem richtigen Weg, stand im Mittelpunkt der SPD-Fraktionsklausur Anfang Juni dieses Jahres. Die Frage ist nur schwer zu beantworten, da Bewusstseinsveränderungen sich nicht plötzlich vollziehen.

Betrachten wir die Zahlen der rechtsextremistisch begründeten Straftaten, könnte man zu dem Schluss kommen: Es hat sich wenig verändert. Aber schon der Umgang damit in der öffentlichen Wahrnehmung hat sich grundsätzlich verändert. Diese Straftaten werden wahrgenommen. Die anwesenden Experten bestätigten einmütig, dass der eingeschlagene Weg richtig ist, konsequent weiter beschritten werden muss und jedem bewusst sein muss, dass unser Ziel, in einem toleranten Brandenburg zu leben, nicht von heute auf morgen zu erreichen sein wird.

Die SPD-Fraktion teilt diese Einschätzung und jeder Einzelne von uns wird sich weiterhin aktiv für die Erreichung dieses Ziels einsetzen. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg weiter gehen. Es lohnt sich für uns alle. Eine Alternative gibt es nicht.

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der PDS. Frau Abgeordnete Kaiser-Nicht, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD fragt in ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde: Sind wir auf dem richtigen Weg? Ich meine: Mit dem Landtagsbeschluss gegen Rechtsextremismus und fremdenfeindliche Gewalt vom September 2000 sind wir auf dem richtigen Weg.

Meine Frage heute ist: Sind wir vorangekommen? Die Bilder des Wochenendes von Mahlow wirken nach. Sie erinnern, ja, sie sind ein positives Zeichen, ein Zeichen gegen Gewalt, Rassismus, Menschenverachtung, Ausgrenzung, gegen Gleichgültigkeit. Dennoch leben wir in der Gewissheit, dass sich das, was Noël Martin angetan wurde, wiederholen kann.

Der Landtag hat sich verpflichtet, halbjährlich Berichte zu den Ergebnissen bei der Umsetzung des Konzeptes „Tolerantes Brandenburg” zu diskutieren. Aktionismus und die Fixierung auf schnelle Erfolge sind dabei nicht hilfreich. Wir brauchen einen langen Atem. Es ist noch nicht gelungen, den Nährboden für Rassismus, Rechtsextremismus und Gewalt auszutrocknen. Wenn vor diesem Hintergrund Engagement für Demokratie und Toleranz positiv wirksam werden soll, darf nicht der Streit gegeneinander, sondern muss die gemeinsame Suche nach den richtigen Schritten im Mittelpunkt stehen. Angesichts des erstarkenden Rechtsextremismus als Ideologie und sozialer Bewegung lehnt die PDS die Strategie des so genannten Kampfes gegen „Extremismus jeglicher Couleur” als untauglich ab. Ex

tremismus nutzt nicht als verbale Keule, die sich demokratische Kräfte in gegenseitiger Schuldzuweisung über die Köpfe ziehen sollten.

Weil das Konzept „Tolerantes Brandenburg” und der oben genannte Landtagsbeschluss auf ressortübergreifende Maßnahmen und die Einbeziehung vielfältiger Kräfte setzen, halten auch wir sie für richtig.

Der Bericht zeigt aber auch, dass es bei der Umsetzung noch viele offene Fragen gibt, die wir besprechen sollten. Ich habe den Eindruck, dass die verschiedenen Aktivitäten nebeneinander stehen. Das geforderte komplexe und koordinierte Herangehen wird zu wenig sichtbar, zum Beispiel im Abschnitt zur Mobilen Einsatzeinheit gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit. Natürlich sollen alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um rechtsextremistische Gewalttaten zu bekämpfen. Aber dass repressive Maßnahmen in ihrer Wirkung begrenzt sind, zeigen nicht zuletzt die gestiegenen Zahlen bei rechtsextremistischen Delikten, trotz des gewachsenen Verfolgungsdrucks. Wo die Anknüpfungspunkte zu präventiven Maßnahmen sind, ob infolge eines MEGA-Einsatzes zum Beispiel gesellschaftliche Kräfte zielgerichtet aktiv werden sollen, bleibt offen.

Der Bericht weist auf eine große Vielfalt von Aktivitäten im Bereich des Bildungsministeriums hin. Der Wert jeder einzelnen Aktivität im Abschnitt „Lernen für Toleranz und Solidarität” ist unstrittig. Dennoch kommt es gerade hier darauf an, aus einzelnen Projekten den Weg so fortzusetzen, dass Breite und Kontinuität dieser Angebote gesichert werden.

Bei den Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz ist nicht nur eine wachsende Nachfrage zu verzeichnen, der Bedarf konnte bei weitem nicht gedeckt werden. Zum Beispiel das Projekt „Gegen Gewalt an Schulen” müsste in Richtung der tatsächlichen Nachfrage erweitert werden, damit es seine im Bericht ausdrücklich positiv erwähnte Wirkung in Schulen und im schulischen Umfeld breiter entfalten kann.

In diesem Zusammenhang stehen für mich die Fragen, wie die Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen auf eine stabilere Grundlage gestellt werden und auch die Kompetenz und Erfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten der Mobilen Beratungsteams langfristig und für alle berechenbar gehalten und ausgebaut werden können. Projekte vor Ort gegen Rechtsextremismus und Gewalt sollten nicht unter die Haushaltssperren des Landes fallen.

Die Ausführungen im Bericht zum Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit enthalten keine Angaben zu Aktivitäten im Jahr 2001. Wir schlagen vor, dass dem Aktionsbündnis Gelegenheit gegeben wird, einmal im Jahr direkt vor dem Landtag über Erfahrungen, Ergebnisse und Probleme seiner Arbeit zu berichten. Das könnte das überwiegend ehrenamtliche Wirken des Aktionsbündnisses unterstützen.

Interessant ist im vorliegenden Bericht dargestellt, wie aus städtebaulicher Sicht die Rahmenbedingungen für Prävention gesichert werden können. Die Umwandlung von so genannten städtischen Problemgebieten in sozialverträgliche Wohngebiete muss auf längere Sicht ein Haushaltsschwerpunkt im Land und in den Kommunen sein. Insgesamt zeigen die Beispiele aus dem

Bereich des Bauministeriums, wie in den Ressorts, deren Zuständigkeit zunächst nicht nahe liegt, ein aktiver Beitrag für Integration und Toleranz geleistet werden kann.

Meine Damen und Herren! Auch ich halte die Initiative des Ministerpräsidenten vor Ort, Koordinatoren gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit zu benennen, für richtig. Im Bericht vermisse ich neben ihrer Würdigung Informationen über ihre Ergebnisse, Probleme und den Handlungsbedarf. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Koordinatoren am besten dort agieren können, wo sie in kommunale Strukturen eingebunden sind und sozusagen eine Scharnierfunktion zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Kräften ausüben. Das Netzwerk der Kommunen gegen Rechts sollte weiter ausgebaut werden. Das Bedürfnis vor Ort nach Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch wächst.

Ausdrücklich begrüße ich die Ankündigung, eine landesweite Bestandsaufnahme zur derzeitigen Kriminalitätsprävention, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit vorzulegen. Eine solche Analyse wird dringend gebraucht.

Zur Stärkung der Prävention genügt es nicht, das Zusammenwirken des Aktionsbündnisses gegen Gewalt mit dem Landespräventionsrat festzustellen, sondern deren Aktivitäten müssen nahtlos ineinander greifen und einander befördern.

Insgesamt bleibt festzuhalten: Es gibt in Brandenburg nach wie vor leider keinen Anlass, in den Anstrengungen gegen Rechtsextremismus und Gewalt nachzulassen.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

Nach wie vor geht davon eine Gefahr für das demokratische Gemeinwesen aus. Bei der Frage nach den Ursachen müssen wir weiter nach dem Zustand unserer Gesellschaft fragen, die zum Teil auf Konkurrenz und Ausgrenzung setzt.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

Es handelt sich nicht um ein Wiederaufleben von Gespenstern der Vergangenheit, sondern der Resonanzboden für Rechtsextremismus und Rassismus entsteht auf dem Boden der gesellschaftlichen Verhältnisse von hier und heute. Dass das kein Jugendphänomen ist, belegt selbst der letzte brandenburgische Verfassungsschutzbericht.

(Zuruf von der CDU)

Die Selbstbeschränkung neoliberaler Politik, welche den Ausgleich von Zumutungen und sozialen Ängsten der Menschen nicht mehr als ihre Aufgabe begreift, ist dabei Bestandteil des Problems und macht Familien, Schule, Sozialarbeiter und Polizei zu Sündenböcken.

Es gilt Ansatzpunkte zu finden, um diese Entwicklung aufzuhalten, die ein Ergebnis von Politik war und ist. Politik muss Korrekturen vornehmen. Für nachhaltige, dauerhafte Wirkungen bedarf es einer Strategie für mindestens zehn Jahre. Die PDS wird dazu weiter Vorschläge machen.

Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, im Sinne unserer gemeinsamen demokratischen Plattform in Richtung Prävention

weiter klar und deutlich gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus eintreten und uns der Verletzung von Menschenrechten und Gewalt entgegenstellen! Lassen Sie uns autoritäre Politikvorstellungen und nationalistisches Gedankengut entlarven, Neofaschismus und Geschichtsfälschung

(Zuruf von der CDU)

mit Ablehnung und Aufklärung begegnen! - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Kaiser-Nicht. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der CDU, an Frau Hartfelder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das Thema für diese Aktuelle Stunde erhalten habe, war mir erst nicht ganz klar, worum es eigentlich gehen soll: Soll es eine Bestandsaufnahme sein, soll es nur ein politischer Meinungsaustausch oder soll es ein an die Öffentlichkeit gerichteter Appell sein? Alle drei Punkte habe ich bei meinen Vorrednerinnen gehört.

Ich möchte meinen Beitrag mit einer persönlichen Geschichte beginnen. Wie Sie alle wissen, habe ich seit fünf Jahren einen kleinen Enkelsohn, der in einen Kindergarten in Dresden geht. Seine Spielgefährten dort sind Trammy mit asiatischen Eltern und Jenschi. Jenschi hat eine deutsche Mutti und einen afrikanischen Vati. In diesem Kindergarten spielen die Kinder ständig miteinander und die beiden werden auch zum Geburtstag eingeladen.

Auf der anderen Seite beobachte ich die eigenen Kinder, wie sie dieses Kind erziehen. Einerseits loben sie es, wenn es Gutes tut, bestärken es in den kleinen Taten seines Lebens. Auf der anderen Seite setzen sie ihm aber auch Grenzen, sagen: Freund, bis hierher und nicht weiter!

Ich würde heute sagen: Dieser fünfjährige junge Mann hat die besten Voraussetzungen dafür, ein freiheitsliebender, demokratischer, toleranter Mensch zu werden. Das haben nicht alle Menschen in unserem Leben. Ob der gute Wille der Eltern Früchte tragen wird, ist allerdings nicht gesichert.