Protokoll der Sitzung vom 21.06.2001

Zurück zur aktuellen Lage: Auf einen absoluten Tiefpunkt ist die Stimmung der Handwerksbetriebe im Land Brandenburg gesunken. Fast jeder zweite Betrieb bewertet seine Geschäftslage als schlecht, so die Frühjahrskonjunkturumfrage. Besonders seien das Baugewerbe und das Fleischer- und Kraftfahrzeuggewerbe betroffen. Die Auslastung der Handwerksbetriebe im Land Brandenburg liegt bei 70 %. Jeder zweite Betrieb hat sinkende Auftragseingänge. 35 % der Betriebe haben Beschäftigte entlassen. Das Handwerk bildet zudem weiterhin immer weniger aus. Die Zahl der Lehrlinge sank um 6 % - Tendenz weiter sinkend.

Die Eigenkapitaldecke der Handwerks- und Mittelstandsbetriebe in Brandenburg war noch nie so niedrig wie jetzt. Schon in den ersten zwei Monaten dieses Jahres gingen gegenüber den Vorjahresmonaten 50 % mehr Insolvenzanträge ein. Der Wert der uneinbringlichen und zweifelhaften Forderungen beträgt 362 Millionen DM. Das ist ein Drittel mehr als im Vorjahr.

Meine Damen und Herren, dies ist die aktuelle Lage von Handwerk und Mittelstand im Land Brandenburg. Dass sich diese Lage im Falle der EU-Osterweiterung geradezu katastrophal zuspitzen wird, ist jetzt wohl jedem Beteiligten klar.

(Karney [CDU]: Das ist doch Quatsch!)

- Besser spät als nie, Herr Karney.

Der Diskussion über die Rahmenbedingungen lauschen wir sehr gespannt. Bisher habe ich dazu noch nicht viel vernommen.

Ich erinnere an die klaffenden Haushaltslöcher, so an die 600 Millionen DM niedriger ausgefallene Steuerschätzung und an den Doppelhaushalt 2002/2003 mit einer Deckungslücke in Höhe von 1,85 Milliarden DM. Dabei verwundert es überhaupt nicht, dass die Landesregierung nicht in der Lage ist, die ca. 91 Millionen Euro Kofinanzierung für die Entwicklung des ländlichen Raumes aufzubringen. Vermutlich werden die EuroMillionen verfallen. Meine Damen und Herren, das ist aber nur

ein Beispiel. Das von Ihnen so hoch gelobte Handwerkerinvestitionsdarlehensprogramm in Höhe von 4 Millionen DM wurde überhaupt nicht in Anspruch genommen.

(Bartsch [CDU]: Das ist nicht richtig! - Karney [CDU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Es kam zu einem Mittelabfluss von null Mark.

Herr Ministerpräsident Dr. Stolpe, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass im Falle der EU-Osterweiterung die Gefahr besteht, dass Brandenburg zu einem reinen Transitland wird, wobei gerade noch die Tankstelle mit angeschlossener Getränketheke überleben wird.

Die DVU-Fraktion bleibt bei ihrer Aussage: Wir plädieren nicht nur für flexiblere Übergangsfristen, sondern auch dafür, dass die Aufnahme weiterer Beitrittskandidaten auf mindestens zehn Jahre verschoben wird. Das ist das beste Programm für das Handwerk und den Mittelstand.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Kaiser-Nicht [PDS])

Kümmern Sie sich erst einmal darum, dass Ihre Regierung die schwerwiegenden Probleme in der Wirtschaft, beim Lehrstellenmangel, beim Wohnungsleerstand und in Haushaltsfragen im eigenen Land bewältigt! Dann sprechen wir weiter über Rahmenbedingungen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Das Wort geht an die Landesregierung. Herr Minister Fürniß, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, zunächst sollten wir feststellen, was Konsens in diesem Haus bedeutet. Konsens in diesem Haus ist mit Sicherheit, dass Verantwortung übernehmen nicht Schlechtreden heißt.

(Beifall bei CDU und SPD)

Konsens in diesem Haus bedeutet auch, dass man deswegen in ein Parlament eintritt, um daran mitzuwirken, die Situationen, die verbessert werden müssen, zu verbessern, und sich nicht aus der Verantwortung stiehlt.

(Beifall bei CDU und SPD - Zuruf von der CDU: Genau!)

Konsens in diesem Haus heißt allerdings auch, die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Es ist in der Tat richtig - das zeigen die neuesten Zahlen des Statistischen Landesamtes -, dass der Umsatz und die Beschäftigung auf dem Bau in Brandenburg im ersten Vierteljahr stark rückläufig sind. Das ist so. Ich befürchte, dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange ist.

Ich gehe davon aus, dass der Normalisierungsprozess im Bauhandwerk und im Baugewerbe noch nicht abgeschlossen ist. Ich sage genauso dazu: Realitätssinn bedeutet zu sagen, dass es

nicht Aufgabe des Staates sein kann, den Markt zu ersetzen. Bei allem, was wir an Unterstützung, an Hilfen und an Möglichkeiten haben: Wir können und wir sollten den Markt nicht ersetzen. Diese Einsicht tut an manchen Stellen weh, aber es gibt dazu aus meiner Sicht keine Alternative.

Politisches Handeln muss sich ganz wesentlich auf die Frage konzentrieren: Wie gelingt es uns, auf dem ersten Arbeitsmarkt die Arbeitsplätze zu schaffen, die zukunftsfähig und belastungsfähig sind?

Ich sage nicht, dass ich der Meinung bin, dass wir in Brandenburg in den kommenden Jahren keine Aktivitäten im zweiten Arbeitsmarkt brauchen werden. Wir sind noch nicht weit genug, um eine selbsttragende Wirtschaft zu haben. Aber sie müssen auf die Auswirkungen des ersten Arbeitsmarktes stärker orientiert werden. In diesem Punkt stimme ich mit Herrn Kollegen Ziel überein. Was an Qualifizierung auf dem ersten Arbeitsmarkt gemacht wird, ist genau das, was wir brauchen. Die Orientierung auf den ersten Arbeitsmarkt und die Unterstützung des zweiten Arbeitsmarktes sind das Wichtigste, um dieses Ziel zu erreichen. Wir brauchen das eine wie das andere.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich möchte Ihnen, lieber Herr Karney, gern sagen: Wir brauchen das Handwerk nicht nur deswegen, weil es die meiste Ausbildung leistet und weil es einen großen Teil der Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, sondern wir brauchen das Handwerk deshalb, weil dies gelebte Selbstständigkeit und eine der Grundsäulen unserer Gesellschaft ist.

(Beifall bei CDU und SPD)

Deshalb bin ich froh zu sagen, dass 99 % - wenn man es von der steuerlichen Seite betrachtet - aller Unternehmen in diesem Land tatsächlich kleine und mittelständische Unternehmen sind. Deswegen ist es richtig zu sagen: Wirtschaftspolitik und Landespolitik ist Politik für das Handwerk und für die kleinen und mittelständischen Betriebe in diesem Land.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Frau Stobrawa, ich halte es nicht für klug und richtig, Große und Kleine oder wirtschaftlich Stärkere gegen wirtschaftlich Schwächere auszuspielen.

(Homeyer [CDU]: Davon lebt aber die PDS!)

Ich glaube, dass das kein guter Ansatz ist. Man macht die Schwachen nicht stark, indem man die Starken schwach macht. Das ist eine falsche Denkweise.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU - Zuruf von der CDU) )

Wir sollten mit diesem Ansatz keine Ängste schüren. Wir sind sowohl für das eine als auch für das andere verantwortlich. Ich zitiere den Bundeskanzler in seiner gestrigen Aussage in Potsdam:

„So wenig es möglich ist, gleiche Lebensbedingungen zu schaffen, so notwendig ist es für uns, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen.”

Gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen würde bedeuten, dass wir den Menschen etwas vormachen, was nicht geht.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Kaiser-Nicht [PDS])

- Langsam, doch wir wollen. Manchmal sagen wir den Leuten: Es geht überall alles zur gleichen Zeit. Das funktioniert nicht.

Meine Damen und Herren, vorhin hat jemand Bayern angeführt. Das ist okay. Bayern steht dafür, dass es den Speckgürtel um München und den Bayerischen Wald gibt. So ist es bei uns auch. Wir haben den Speckgürtel um Berlin, wir haben die Prignitz und wir haben die Uckermark. Wir können von den Bayern lernen. Was im Bayerischen Wald an Investitionen getätigt worden ist, um dort beispielweise den Tourismus zu entwickeln, um die kleinen und mittelständischen Betriebe zu fördern, das ist das, was wir für unsere Regionen, sei es die Uckermark, die Prignitz oder die Lausitz, auch tun müssen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Gleichzeitig sollten wir uns darüber freuen und alles dafür tun, damit sich der Speckgürtel um Berlin entwickeln kann. Das ist für uns das Zugpferd, die Lokomotive in der Wirtschaft. Lassen Sie uns keine falschen Gegensätze konstruieren. Das bringt nichts. Wir haben genauso die Verantwortung für die mittelständischen Betriebe in Wittenberge oder in Schwedt. Wir haben die Verantwortung für Hennigsdorf. In Hennigsdorf geht es nicht nur darum, dass im Moment ein großer Investor im Gespräch ist, sondern es geht darum, dass viele kleine Betriebe unmittelbar davon betroffen sind. Deshalb müssen wir den Zusammenhang zwischen den industriellen Kernen und den kleinen und mittelständischen Betrieben sehen. Wir brauchen das eine wie das andere und am besten die Kooperation und die enge Verzahnung von beiden. Nur so wird eine Richtung daraus.

(Beifall bei CDU und SPD)

Meine Damen und Herren, wir werden uns in der aktuellen Situation nicht über die Medien an der Debatte über Hennigsdorf beteiligen, weil das kontraproduktiv ist. Sie können davon ausgehen, dass wir unsere Möglichkeiten nutzen und alles auf den Tisch legen werden, was wir an Chancen und Möglichkeiten haben, um diesem Standort zu helfen. Wir können aber nicht das Unternehmen ersetzen. Die Entscheidung trifft letztlich Bombardier. Wir können nur darauf hinweisen, welche Chancen, welche Möglichkeiten und welche Stärken dieser Standort bietet und wie wir diese Stärken weiter befördern können. Das werden wir tun, davon können Sie ausgehen.

Ich wehre mich massiv dagegen zu sagen - so wie ich es auch heute in der Zeitung gelesen habe -: Jetzt muss die Politik endlich einmal aufwachen, und es muss das und das geschehen. Wenn wir erst aufwachen, wenn die Journalisten uns dazu auffordern, haben wir das meiste schon verschlafen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Lieber Herr Müller, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar - und ich weiß, dass das nicht ganz einfach ist -, dass Sie darauf hingewiesen haben, was Lohnfortzahlung und Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes für Hürden, Belastungen und Probleme für kleine und mittelständische Unternehmen bedeuten.

Für das Land Brandenburg gilt: Was da insbesondere im Bereich der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes auf uns zukommt, meine Damen und Herren, ist standortschädlich und nicht standortfördernd.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage auch, Herr Schippel: Die Novellierung ist nach 25 Jahren notwendig, Anpassung ist notwendig, aber bitte so, dass die kleinen und mittelständischen Betriebe darunter nicht leiden. Das ist der Ansatz, von dem ich meine, dass er gesagt werden muss. Das ist Handwerkspolitik, das ist Mittelstandspolitik in ganz starkem Maße.

Den Staat als Dienstleister haben Sie, Herr Müller, angesprochen. Der Staat als Dienstleister, das ist in der Tat richtig. Wir sind nämlich nicht die öffentlich bestellten Hürdenverantwortlichen, die immer neue Hürden aufbauen, sondern wir sollten gemeinsam versuchen, die Hürden abzubauen. Nicht 400 Meter Hürdenlauf, sondern 100 Meter Sprint ist für Brandenburg angesagt, um das Ziel zu erreichen.