Ich danke Herrn Minister Schönbohm. - Wir kommen jetzt zur Aussprache zur Regierungserklärung, wozu ich zuerst dem Fraktionsvorsitzenden der PDS, Herrn Prof. Bisky, das Wort erteile. Da die Landesregierung 17 Minuten Redezeit in Anspruch genommen hat, erhöht sich die Redezeit pro Fraktion ebenfalls auf 17 Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Anschlägen in New York und Washington haben auch Menschen in Deutschland Angst und artikulieren ein verständliches Sicherheitsbedürfnis. Sie, Herr Ministerpräsident, haben soeben davon gesprochen. Die Menschen sollen sich sicher fühlen.
Die Landesregierung hat für die kommenden beiden Jahre einen Gesamtbetrag von 18,5 Millionen Euro zusätzlich zum Etatentwurf für Maßnahmen zur Verfügung gestellt. Wir können einigen Ihrer Vorschläge folgen, andere haben wir noch einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen, manches lehnen wir ab. Wir folgen Ihren Vorschlägen also nicht uneingeschränkt, meine Damen und Herren.
Die PDS hat sich gegen die Militäreinsätze gegen Afghanistan ausgesprochen, aber nicht einfach, um dagegen zu sein. Wir haben gefragt: Sind diese Militärschläge geeignete Mittel, den Terror zu bekämpfen oder ihn gar zu stoppen? Wir haben gefragt: Führen diese militärischen Gegenschläge, die selbst der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Krieg nennt, zu mehr Sicherheit in den USA oder in der Bundesrepublik? Wir fragen: Wird die Spirale der Gewalt durch die Bombardierung eines eh schon zerstörten Landes nicht weitergedreht?
In den Tagen nach dem 11. September waren wir alle ratlos, waren wir alle Fragende. Wir haben alle aufgefordert, neu nachzudenken. Nachdenken war unsere Aufgabe und ich meine, sie ist es noch immer.
„Es gibt in der Welt ein merkwürdiges Unbehagen, nach den Ursachen einer Misere, eines Unglücks, einer Katastrophe zu forschen. Vielleicht, weil man die Wahrheit kennt oder doch ahnt und ihr nicht ins Gesicht sehen will.”
Die PDS hat wie andere Parteien die Anschläge in New York und Washington verurteilt und eine Bestrafung der Täter gefordert. Sie hat sich mit dem amerikanischen Volk solidarisch erklärt, aber sich auch gegen den Krieg ausgesprochen, weil das Vorgehen der US-amerikanischen Regierung eine alte Antwort auf eine neue Frage ist. Das ist unserer Auffassung nach die kritische Solidarität, die jetzt nötig ist und die auch Günter Grass meint, wenn er sagt, ein wirklicher Freund müsse auch die Kraft aufbringen, einem Freund in den Arm zu fallen, wenn er der Überzeugung ist, dass dieser falsch handelt.
schon sechs Wochen vergangen sind. Der Kampf gegen den Terrorismus - da sind wir uns einig - ist langwierig, aber er ist zu gewinnen; ein Krieg gegen den Terrorismus hingegen nicht.
Bomben auf Afghanistan, die, wie wir alle wissen, nicht nur terroristische Strukturen getroffen haben, sind falsche erste Schritte in eine falsche Richtung.
Die Bevölkerung verlangt nach Sicherheit. Nur, diese Bomben schaffen weder mehr Sicherheit in den USA und Europa, noch wird damit das internationale Netz des Terrorismus erreicht. Der Osnabrücker Friedens- und Konfliktforscher Mohssen Massarrat präsentiert einen Fünfpunktefriedensplan, veröffentlicht im „Freitag”, der auch meinem Denken nahe steht. Er sagt:
„In unserer Wahrnehmung erscheinen der internationale Terrorismus und die Taliban als ein und dasselbe Problem, sie sind es jedoch nicht.... Die Talibanregierung in Afghanistan könnte auch ohne den internationalen Terrorismus noch lange ihren Gottesstaat erhalten und umgekehrt wird sich ohne die Taliban der Terrorismus nicht in Luft auflösen.... Wir sehen uns zwei Phänomenen völlig unterschiedlicher Existenzweisen und Qualitäten gegenüber, die daher auch unterschiedliches Vorgehen verlangen. Ihre Vermengung ist intellektuell unredlich und dient dazu, die Wut der Menschen gegen den Terrorismus zur moralischen Rechtfertigung des stattfindenden Krieges gegen die Taliban zu kanalisieren.”
Als Alternative zum Bombenkrieg gegen Afghanistan fordert Massarrat einen Machtwechsel in Afghanistan, der durch die Nachbarstaaten und die Antitalibanfront im Inneren getragen wird, sowie eine Reihe weiterer Maßnahmen. Alternativen liegen also vor, will ich damit sagen.
Aber die Antwort auf diese Frage muss nicht notwendig Krieg heißen. Ein von der UNO legitimierter internationaler Polizeieinsatz - eventuell auch militärisch wie ein Einsatzkommando ausgerüstet - gegen die Strukturen des Terrors wäre aus meiner Sicht geeigneter.
Die Frage der öffentlichen Sicherheit wird nach dem 11. September in einer ganz anderen Weise gestellt als vorher. Die Menschen haben wahrgenommen, wie verletzbar unsere hochtechnische Gesellschaft ist. Viele empfinden das Gefühl von Ausgeliefertsein und Bedrohung. Sie haben Angst. In einem solchen Klima wächst das Bedürfnis nach mehr Sicherheit. Ich kann für die PDS sagen, dass wir dieses Bedürfnis sehr ernst nehmen, da es auf das gesamte Leben ausstrahlt. Nicht zuletzt deshalb beantragte die PDS-Fraktion eine Sondersitzung des Innenausschusses, die sich mit der aktuellen Sicherheitslage im Lande beschäftigte. Wir hatten dazu einen umfangreichen Fragenkatalog vorbereitet, der in einer ausgesprochen sachlichen Atmosphäre vom Innenminister beantwortet wurde. Dabei wurde deutlich, dass eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet worden sind bzw. vorbereitet werden, die unsere Zustimmung finden,
Wir setzen uns jedoch kritisch mit Maßnahmen auseinander, die nach unserer Ansicht wenig geeignet sind, tatsächlich mehr Sicherheit zu schaffen. So läuft in Brandenburg in großem Maßstab die Rasterfahndung nach eventuell noch vorhandenen „Schläfern”.
Ich will nicht bezweifeln, dass dieses im Polizeigesetz vorgesehene Mittel nach den gesetzlichen Vorschriften Anwendung findet, frage jedoch nach der Verhältnismäßigkeit. In einer aufwendigen Aktion werden alle Brandenburger unter Zugrundelegung von etwa 30 Kriterien überprüft, wie ich der Presse entnehmen konnte. In Berlin sollen es 16 Kriterien gewesen sein. Allein die Stadt Eberswalde hat daraufhin die Datensätze von 3 588 Personen, die im Raster hängen geblieben sind, an das Innenministerium übermittelt. Die Chancen, auf diesem Weg tatsächlich zum Erfolg zu kommen, sind jedoch außerordentlich gering. Die Attentäter des 11. September wären aufgrund ihrer Unauffälligkeit wahrscheinlich durch das Raster gefallen. Also eher Aktionismus?, frage ich.
In der gegenwärtigen Situation der allgemeinen Besorgnis treten Vorbehalte und abwägende Diskussionen über Nutzen und Risiken von raschen und einschneidenden Maßnahmen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit in den Hintergrund. Uns ist bekannt, dass es in der Bevölkerung breite Zustimmung zu den Sicherheitsvorschlägen des Bundesinnenministers gibt und nur eine Minderheit befürchtet, dass die Grund- und Freiheitsrechte dauerhaft Schaden nehmen könnten. Deshalb ist gegenwärtig ein Wettbewerb zwischen SPD und Unionsparteien um die einschneidendsten Vorschläge zur Verschärfung der inneren Sicherheit im Gange. Wir werden uns an diesem Wettbewerb nicht beteiligen.
Wir sehen unsere Verantwortung darin, auf die Einhaltung der Balance zwischen dem Schutz vor Kriminalität und den Grundund Freiheitsrechten zu achten. Aus dieser Sicht stellen wir bei allen in der Diskussion befindlichen Maßnahmen die Frage, ob dabei tatsächlich die Sicherheit der Menschen verbessert wird. Wer sich besonders lautstark an dieser Diskussion beteiligt, muss nicht unbedingt Recht haben, auch wenn er heute Beifall bekommt.
In diesem Zusammenhang will ich auch ein Jahrzehnt nach der Wende auf unsere Erfahrungen mit sehr viel oder zu viel vermeintlicher Sicherheit verweisen. Sie sollten wir nicht vergessen, zumal sich ihre beeindruckende Unwirksamkeit historisch erwiesen hat.
Wenn bereits wenige Tage nach den Terroranschlägen in den USA vom innenpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion zu hören war, dass die „Zeit der Leisetreter” in Fragen der Sicherheit beendet werden muss, so stimmt mich das zutiefst nachdenklich.
Noch bedenklicher finde ich jedoch einige Äußerungen von Herrn Innenminister Schönbohm. Sie müssen mir schon gestatten, meine große Verwunderung über die Differenz zwischen
den Äußerungen des Herrn Ministerpräsidenten mit Berufung auf die Erkenntnisse der von Willy Brandt geleiteten Nord-SüdKommission über eine neue Weltwirtschaftsordnung und dem öffentlich vorgetragenen sicherheitspolitischen Credo seines Stellvertreters auszudrücken. Herr Schönbohm geht es um eine grundsätzlich andere Gewichtung der staatlichen Aufgaben. In der „Welt” vom 21. September äußert sich der brandenburgische Innenminister folgendermaßen:
„Wo werden wir stehen, wenn die ‘Kraft der Worte versiegt’ ist? Sind wir darauf vorbereitet, der inneren Sicherheit den ihr zukommenden Stellenwert einzuräumen, den Schutz der Bürger neu zu gewichten, die gesetzlichen Grundlagen zugunsten eines starken, wehrhaften demokratischen Rechtsstaates zu verändern und die staatlichen Ressourcen so neu zu ordnen, dass innere und äußere Sicherheit einen größeren, an den neuen Herausforderungen orientierten Anteil erhalten?”
„Wir müssen also entscheiden, ob wir uns noch alles wie bisher leisten können, ob wir dem einzelnen Bürger nicht mehr Eigenverantwortung übertragen und dafür weniger staatliche ‘Umsorgung’ vorsehen - aber Vorsorge für die Sicherheit unserer Bürger und den Fortbestand unserer Nation in Freiheit.”
- So weit Herr Schönbohm. Das ist die alte konservative Forderung nach dem Rückzug des Staates aus seiner sozialen Verantwortung zugunsten einer Stärkung der Sicherheitsaufgaben, die zum Kern der Staatsaufgaben erklärt werden.
Ohne soziale Sicherheit gibt es keine Sicherheit für Bürgerinnen und Bürger in Brandenburg oder anderswo auf dieser Welt. Der sicherheitsmäßig starke Staat, der Kinder in der Dritten Welt verhungern lässt, ist in dieser einen Welt nicht wirklich sicher.
Die in nicht wenigen Großstädten dieser Welt durch private Sicherheitsdienste geschützten und ummauerten Reichtumsoasen inmitten von Slums sind nicht wirklich sicher.
Kurz und gut: Man sollte die sozialen Sicherheiten nicht gegen privat geschützte individuelle Freiheiten aufrechnen. Wir brau
chen beides, Herr Schönbohm; das eine ist ohne das andere weder in Brandenburg noch sonst wo in der Welt zu haben, jedenfalls nicht einmal mittelfristig, geschweige denn auf Dauer.