Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

Neue industrielle Kerne zu schaffen bedeutet eine riesige Kraftanstrengung von Wirtschaft und selbstverständlich von Politik. Hierbei sind alle in der Verantwortung, die Landesregierung genauso wie der Landtag und selbstverständlich der Bund.

Mit der Wende haben wir in Ostdeutschland gerade im Bereich

Verkehr eine völlig heruntergewirtschaftete Infrastruktur übernommen. Es ist eine strategische Zukunftsfrage, auf dem Gebiet aufzuholen. Die Investitionsmittel aller ostdeutschen Länder sind leider begrenzt. Somit ist und bleibt der Bund in besonderer Verantwortung. Seit 1990 wurden Milliarden in diesen Bereich investiert - unter einer CDU-Bundesregierung genauso wie jetzt unter SPD-Bundesregierung. Darin wird auch nicht nachgelassen. Die Investitionen des Bundes in die Verkehrsinfrastruktur haben einen Höchststand erreicht.

Im Land Brandenburg konnten auch Dank des Einsatzes dieses Parlaments zusätzliche Mittel aktiviert und investiert werden. Ohne diese Investitionen wäre die nach wie vor inakzeptable Arbeitlosenquote noch viel höher. Untersuchungen belegen, dass die Investition von 1 Milliarde DM in die Verkehrsinfrastruktur circa 13 000 Arbeitsplätze für ein Jahr sichert. Frau Dr. Schröder, ich stelle Ihnen diese Studie gern zur Verfügung, obwohl ich Sie bezüglich des ersten Arbeitsmarktes für beratungsresistent halte. Ich beziehe diese Einschätzung allerdings nicht auf die gesamte Fraktion.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Diese Investitionen sorgen weiterhin dafür, dass der Standort für potenzielle Investoren interessant wird. Ob es uns passt oder nicht: Die Investitionsquote nimmt bei Standorten mit einer Fahrzeit von mehr als 30 Minuten bis zur nächsten Anschlussstelle der Autobahn dramatisch ab. Umso wichtiger ist es, dass insbesondere vom brandenburgischen Verkehrsminister angeschobene Programme auch umgesetzt werden. Immerhin 412 Millionen DM haben wir für den Bau der Oder-Lausitz-Trasse zusätzlich zur Verfügung. Jetzt sind wir gefordert, die Planung auch umzusetzen, um einer besonders benachteiligten Region einen zusätzlichen Entwicklungsschub zu geben.

Gleiches betrifft den beschleunigten Ausbau der Bundesstraße 101 nach Luckenwalde. Für dieses Projekt haben sich gerade Kommunalpolitiker und Abgeordnetenkollegen vehement eingesetzt. Vielen Dank dafür!

Wir sind gemeinsam gefordert, auch in den Haushaltsberatungen 2002/03. Das betrifft auch die notwendigen Planungsmittel im Landeshaushalt. Ich hoffe, dass es da nicht wieder zu einem Kürzungsantrag der PDS kommt.

(Zuruf von der PDS: Da brauchen Sie keine Angst zu haben!)

Es ist schon spannend: Wenn es um den jeweils eigenen Wahlbereich geht, kann man auch mit der PDS im Bereich Ausbau der Infrastruktur gut zusammenarbeiten; ansonsten ist die PDS in dem Bereich eher eine Verhinderungspartei.

(Beifall bei SPD und CDU sowie des Abgeordneten Prof. Dr. Bisky [PDS])

Meine Damen und Herren, der Ausbau der Infrastruktur ist Voraussetzung für mögliche Großinvestitionen, für neue industrielle Kerne. In der öffentlichen Diskussion sind bzw. waren besonders zwei Projekte. Bedauerlich ist dabei, dass sich BMW nicht für den Brandenburger Standort Freienbrink entschieden hat. Nachdenklich machen mich dabei die breite öffentliche Diskussion der Gegnerschaft in Brandenburg sowie die general

stabsmäßige Vorbereitung in Leipzig unter Federführung des Oberbürgermeisters Tiefensee. BMW hat sich aber immerhin für Ostdeutschland entschieden und auch Südbrandenburg dürfte davon profitieren.

Ein weiteres wichtiges Vorhaben in Ostdeutschland ist die neue Chipfabrik in Frankfurt (Oder). Hierbei sind wir alle gefordert. Vorgestern hat die Landesregierung vorsorglich eine Bürgschaftsermächtigung über 250 Millionen Euro in das Haushaltsgesetz aufgenommen, um den 40%igen Landesanteil einer Bürgschaft von Bund und Land darstellen zu können - eine Zukunftsentscheidung! Selbstverständlich ist hierbei auch der Landtag gefragt. Ich hoffe auf breite Zustimmung und bin schon auf das Abstimmungsverhalten der PDS gespannt. Chancen sind dazu da, genutzt zu werden. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit stehen wir in einer besonderen Verantwortung. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Vogelsänger. - Ich gebe das Wort noch einmal an die Landesregierung, Herrn Minister Fürniß.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entweder reden wir über die verschiedenen Wahrnehmungen, die wir in den unterschiedlichen Bereichen haben, oder wir verständigen uns zunächst einmal darauf, von welcher Diskussionsbasis wir überhaupt ausgehen. Die Schwierigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land liegt doch darin, dass bei laufendem Betrieb von einer maroden Planwirtschaft auf marktwirtschaftliche Strukturen umgestellt werden musste - dies auch noch bei zunehmender Öffnung zum internationalen Wettbewerb. Angesichts dieser Herausforderungen, bei allem, was wir an Negativem und an Problemen haben - wir haben überhaupt keinen Grund, die Situation zu beschönigen -, muss man einfach auch einmal sagen: Was die Menschen, die in Unternehmen als Unternehmer und als Mitarbeiter arbeiten, in den letzten 10 Jahren geleistet haben, verdient Respekt.

(Beifall bei SPD und CDU sowie vereinzelt bei der PDS)

Manchmal ist es ganz gut, wenn man jemanden hat, der von außen auf die Situation blickt. Gerade an diesem Wochenende war der Vorsitzende der Governors Conference aller 51 amerikanischen Staaten - bei uns würde man sagen: der Ministerpräsidentenkonferenz - hier. Er war zuletzt 1992 in Potsdam und jetzt, neun Jahre später, war er wieder hier. Er hat mit großem Respekt von der Aufbauleistung gesprochen, die in diesem Land erbracht worden ist. Er hat gesagt, das sei nur noch mit dem Wirtschaftswunder in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar.

Ich gebe das einfach einmal so weiter. Manchmal tut es ganz gut, mit der Perspektive eines anderen konfrontiert zu werden; sonst verstellt man sich wegen des ganzen Hickhacks und all der Diskussionen den Blick.

(Beifall bei CDU und SPD)

Man kann die Wirtschaft in Brandenburg gar nicht so einfach

beschreiben. Wir müssen uns eine differenzierte Betrachtung der Situation angewöhnen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres wuchs die Industrie dieses Landes um 5,7 %. Im vergleichbaren Zeitraum des letzten Jahres war es sogar noch mehr. Die Steigerung der Exportrate liegt bei über 17 %. Die Steigerung der Tourismuswirtschaft liegt bei über 10 %. Das Wachstum des Technologiebereiches liegt bei über 5 %. Auf der anderen Seite ist die Bauwirtschaft um über 15 % eingebrochen. Einbrüche hat es ebenfalls auf dem Gebiet des Bergbaus gegeben. Darüber hinaus ist das Arbeitsplatzangebot des Staates rückläufig. Das darf man nicht vergessen. Wer einen schlanken Staat fordert und sagt: "Wir müssen auch da sparen", der darf nicht jammern, wenn im öffentlichen Sektor weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Wir müssen mit den Konsequenzen unserer eigenen politischen Forderungen in diesem Bereich umgehen und leben. Das ist nun einmal so.

Fast 30 % aller Arbeitslosen in diesem Lande haben vorher im Bereich Bau, Steine, Erden gearbeitet. Dazu kommen diejenigen Arbeitslosen, die vorher für den Staat gearbeitet haben, und erst dann kommen diejenigen Erwerbslosen, die vorher in anderen Bereichen tätig waren. Ich weise darauf hin, weil ich massiv dafür plädiere, differenzierte Betrachtungen anzustellen. Man muss sich die einzelnen Regionen und die einzelnen Branchen sehr sorgfältig anschauen.

Unsere Herausforderungen sind doch klar: Wir müssen den Brandenburger Unternehmen helfen, den Weg in den internationalen Wettbewerb zu finden. Lieber Herr Schuldt, bei allem, worüber man diskutieren kann - ich habe schon im Wirtschaftsausschuss versucht, Ihnen das klar zu machen; ich versuche es hier noch einmal -, steht fest: Über 90 % aller geförderten Unternehmen Brandenburgs sind kleine und mittelständische Betriebe. 85 % der Mittel der GA fließen in kleine und mittelständische Unternehmen. Nur 5 % der Mittel fließen in so genannte Großinvestitionen. Lassen Sie endlich von der Mär, dass wir uns nur auf die Großen konzentrieren und die Kleinen vernachlässigen. Die Zahlen besagen genau das Gegenteil.

(Beifall bei CDU und SPD)

Man sollte zumindest bei den Fakten bleiben. Welche Konsequenzen Sie daraus ziehen, ist Ihre Sache. Aus den vorliegenden Zahlen kann man nicht die Schlussfolgerungen ziehen, die Sie daraus zu ziehen versuchen.

Liebe Frau Schröder, was Sie getan haben, bewundere ich fast: Innerhalb von zwei Minuten haben Sie gesagt, wir verließen den Pfad der Marktwirtschaft und bürdeten dem Staat zu viel Risiko auf - Stichwort Chipfabrik -, um gleich anschließend eine ganze Latte von staatlichen Programmen zu fordern. Diese Art von Logik muss man erst einmal zustande bringen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Es ist richtig, dass der Staat das Projekt Chipfabrik mit einer hohen Belastung angeht. Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass, bevor der Staat das entsprechende Risiko auf sich nimmt, zunächst einmal sämtliche Mittel der privaten Investoren - über 1 Milliarde Mark - in dieses Projekt fließen. Der Staat wird sein Geld erst dann investieren, wenn das gesamte zur Verfügung stehende Privatkapital in das Projekt geflossen ist. Wenn das geschehen ist, dann sollten wir über die Frage reden,

ob wir eine solche Bürgschaft brauchen oder nicht. Trotz des zweifellos vorhandenen Risikos - das Engagement wird groß sein - sollten Sie so fair sein, festzustellen, dass zunächst einmal die privaten Investoren, und zwar in beachtlichem Maße, das Risiko auf sich nehmen.

Ich muss hier nicht mehr erklären, dass dieses Projekt für dieses Land von Bedeutung ist. Ich bin wirklich gespannt, wie Sie Ihre Haltung zu diesem Projekt erklären wollen. Trotz all unserer kritischen Debatten - ich erinnere an die Debatte über das Thema Frankfurt (Oder), an der ich an Ihrer Fraktionssitzung teilgenommen habe - bin ich bisher davon ausgegangen, dass die PDS trotz all ihres spürbaren Bauchwehs zu diesem Projekt steht.

(Zuruf von der PDS: Das tut sie auch!)

- Ich hoffe das sehr. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir eine breite Mehrheit haben. Vielleicht können Sie den internen Meinungsbildungsprozess ein Stück weit vorantreiben.

(Vereinzelt Beifall bei CDU und SPD)

Frau Schröder hat die Frage nach der Wirtschaftskompetenz in diesem Land gestellt. Sie sollten offen genug sein, um zu der Erkenntnis zu kommen: Die vorhandenen wirtschaftspolitischen Instrumente entfalten ihre Wirkung frühestens nach einer Zeit von drei bis vier Jahren.

(Zuruf von der PDS: Wir sprechen uns dann wieder!)

- Sie können nicht abwarten und haben das Urteil schon gefällt. Das ist Ihr Problem. Was Sie betreiben, nennt man "self fulfilling prophecy": Sie reden etwas Negatives herbei und sagen hinterher, dass Sie das immer schon gewusst hätten.

(Beifall bei CDU und SPD)

Trotz aller Probleme und aller kritischen Situationen in diesem Lande sollten wir - das ist meine letzte Anmerkung - uns dessen bewusst sein, dass es nicht so ist, dass es im Osten Deutschlands Länder gibt, die den Stein der Weisen gefunden haben, andere hingegen nicht. Die Arbeitslosigkeit ist in allen Ländern Ostdeutschlands hoch, und zwar unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Schließlich haben wir gleichzeitig mit den unterschiedlichen Entwicklungen der Produktivität, mit der internationalen Diversifizierung und mit den langfristig gewachsenen Strukturen zu kämpfen. Um die verschiedenen Faktoren in einen Ausgleich zu bringen, hilft uns keine Ideologie, sondern nur ein behutsames Vorgehen, auch was den Abgleich zwischen erstem und zweitem Arbeitsmarkt angeht. Sozusagen draufzuhauen zählt in diesem Bereich nicht; wir müssen vielmehr sorgfältig und differenziert argumentieren.

Im Interesse der Entwicklung der Wirtschaft in diesem Lande bitte ich Sie alle - es gibt eine Reihe von hervorragenden Ansätzen; es gibt rund 100 000 Unternehmen in diesem Land, die keine Schwierigkeiten haben und die jeden Tag erfolgreich arbeiten -: Lassen Sie uns die vorhandenen Instrumente mit dem notwendigen Augenmaß so einsetzen, dass die Menschen dieser Regierung vertrauen, weil sie Vertrauen schafft! Wer Misserfolg herbeiredet, der hat schon verloren. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Herrn Minister Fürniß. - Ich muss feststellen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um eine Minute überzogen hat. Ich frage die Fraktionen, ob jemand das Wort wünscht. - Herr Christoffers, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Klarstellung: Die Benennung von Risiken eines Vorhabens stellt das Vorhaben selbst noch nicht infrage.

(Beifall bei der PDS)

Wir haben auf Handlungsdefizite hingewiesen, die beseitigt werden müssen. Die Fraktion der PDS hat sich zu dem Vorhaben Frankfurt (Oder) bekannt und bleibt bei ihrer Unterstützung. Sie erwartet, dass alle tragenden Finanzierungssäulen kurzfristig bekannt gemacht werden.

Wir erwarten im Hinblick auf den wirtschaftspolitischen Ansatz nicht nur die Ausbildung von regionalen Wertschöpfungsketten - darüber haben wir in diesem Haus bereits mehrfach diskutiert -, sondern auch, dass die so genannte zweite Investitionsschwelle mit Blick auf die vielen Unternehmen, die gut gearbeitet haben, eine bessere staatliche Unterstützung bekommt. Das ist nicht als Dauersubvention zu verstehen. Es geht darum, dass aufgrund der bekannten strukturellen Defizite eine Reihe von Unternehmen gegenwärtig nicht in der Lage ist, die zweite Investitionsschwelle zu überschreiten. Wenn sie diesen Schritt aber nicht tun, dann werden sie ihre Marktposition verlieren und damit wird Beschäftigungssubstanz im Land Brandenburg verloren gehen.

Dieses Thema wird ein Schwerpunkt der Haushaltsberatungen sein. Dafür wird auch die Fraktion der PDS sorgen. Wir werden in diesen Beratungen einen sensiblen Umgang, was das Verhältnis von Arbeitsmarkt und Wirtschaftspolitik angeht, fordern. Danke schön!

(Beifall bei der PDS)

Wünscht eine weitere Fraktion, eine Minute Redezeit in Anspruch zu nehmen? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 2.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: