Protokoll der Sitzung vom 24.01.2002

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einreichenden Fraktion. Frau Abgeordnete Große, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag fordert die PDS-Fraktion etwas eigentlich Selbstverständliches ein: ein Konzept, zu dessen Vorlage die Landesregierung ohnehin verpflichtet ist, an dem sie möglicherweise auch schon fieberhaft arbeitet. Warum also der Druck vonseiten der Opposition?

Das hat zum einen mit dem gestern schon im Zusammenhang mit der fehlenden Konzeption für die Entwicklung der Schulen im ländlichen Raum und dem aus diesem Grund aufgebrauchten Vertrauensvorrat zu tun. Zum anderen ergibt sich dringender Handlungsbedarf vor allem deshalb, weil die bis 2010 zu erstellenden Haushalte anhand einer inhaltlichen und eben nicht vorrangig auf Konsolidierung gerichteten Position erarbeitet werden sollten.

Die Landesregierung hat sich in den nächsten Jahren eine Aufgabe zu stellen, die äußerst kompliziert ist, sensible Lösungen erfordert und wie nur wenige andere Aufgaben von nachhaltiger Bedeutung ist.

Mit dem Personalstellenentwicklungskonzept müssen politische Entscheidungen getroffen werden, deren zentrale Frage sein muss: Wie können wir die um die Hälfte sinkenden Schülerzahlen nutzen, um die Lern- und Lehrbedingungen an den Schulen zu verbessern, und damit deutliche Zeichen zur Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung setzen?

Wir haben den Antrag auch deshalb gestellt, weil wir uns nicht damit abfinden werden, dass auch künftig so einschneidende personalpolitische Maßnahmen wie der Wegfall der Ermäßi

gungsstunden aus Altersgründen für Lehrkräfte faktisch durch Verwaltungsvorschriften vorbei am Parlament entschieden werden.

Der Antrag geht in seiner Grundintention von den heute Vormittag in der Aktuellen Stunde zu den Ergebnissen und Auswirkungen der PISA-Studie thematisierten Problemen aus. Herr Minister Reiche benutzt in der Öffentlichkeit, vor allem bei Schulreformdebatten, gern den auch von Herrn Rau verwendeten Slogan von der „Guten Schule”, die er sich wünscht, also eine Art Qualitätssiegel. Ich meine, es gibt Übereinstimmung darin, dass „Gute Schule” nur von „Guten Lehrern” gemacht werden kann, natürlich gemeinsam mit Schülern, Eltern und anderen Akteuren.

Gute Lehrer wiederum kann es nur unter Rahmenbedingungen geben, die Motivation gedeihen lassen, gesellschaftliche Anerkennung ermöglichen und hier meine ich nicht die von Herrn Minister Reiche höchstpersönlich unterschriebenen Urkunden für ausscheidende Lehrkräfte. Es sollten Bedingungen sein, durch die ein gutes Gemisch der verschiedenen Lehrergenerationen für Stabilität und Erneuerung an unseren Schulen sorgt. Der im Land Brandenburg inzwischen auch schon bei 47 Jahren liegende Altersdurchschnitt bei Lehrkräften ermöglicht genau dieses nicht. Es sollten Bedingungen sein, die eine Vollbeschäftigung ermöglichen, wenn diese gewünscht wird.

Gute Lehrer leisten in der Regel erheblich mehr als die im öffentlichen Dienst üblichen 40 Wochenstunden. Sie erheben natürlich den berechtigten Anspruch darauf, dass dies auch wahrgenommen und irgendwann einmal anerkannt wird. Gute Lehrer können manchmal nicht mehr gut sein, weil sie den besonderen Belastungen, die ihr Beruf mit sich bringt, nicht mehr gewachsen sind. Sie würden gern Jüngeren Platz machen, wenn ihnen ein würdiges Ausscheiden möglich wäre. Attraktive Abfindungsmodelle, gekoppelt an die Erweiterung des Einstellungskorridors, sollten nicht in den Bereich der Utopie gerückt werden.

Gute Lehrer haben selbstverständlich ein Recht darauf, dass ihre gute Arbeit genauso wie die ihrer guten Kollegen aus den alten Bundesländern entlohnt wird.

Das Personalstellenentwicklungskonzept soll nicht Selbstzweck sein und auch nicht zur Besserstellung nur einer Beschäftigungsgruppe des öffentlichen Dienstes führen. Auch auf die Gefahr der Wiederholung hin sage ich: Es geht vor allem um das Recht der Schüler auf gute Lehrer. Die PISA-Studie hat auch Defizite bei Lehrkräften festgestellt, deren Ursachen durchaus in dem geforderten Personalstellenentwicklungskonzept aufgegriffen und einer Lösung zugeführt werden könnten. Ich denke hier an Defizite im Vertrauensverhältnis zwischen deutschen Schülern und ihren Lehrern, an die gleichermaßen unzureichende Förderung von Benachteiligten und Begabten, an den offensichtlichen Fortbildungsbedarf bei Fragen der pädagogischen Diagnostik und an den Umgang mit heterogenen Lerngruppen. Wie also wird die Landesregierung den Ausgleich dieser Defizite durch höhere Stundenzuweisungen ermöglichen?

PISA fordert ein Umdenken im Personalstellenbereich geradezu heraus. Die Anhörung zur Lehrerarbeitszeit und zur Arbeitsbelastung im Lehrerberuf im Bildungsausschuss am 06.12.2001 hat unter anderem gezeigt, dass es erhebliche Verwerfungen im

Verhältnis der auch im Land Brandenburg sehr hohen Unterrichtsverpflichtungen von Lehrkräften zu den sonstigen pädagogischen Aufgaben gibt. Die Ausstattung mit Abminderungstatbeständen ist unzureichend. Verwerfungen gibt es auch bei den Beschäftigungsumfängen. Die Lehrer an Grundschulen beispielsweise, die mit 29,3 % aller Lehrkräfte die größte Gruppe bilden, arbeiten durchschnittlich in einem Beschäftigungsumfang von 78,9 %.

Wie die Probleme der Lehrkräfte an weiterführenden Schulen angesichts des hohen Anteils verbeamteter Lehrer und der regional immensen Unterschiede im Beschäftigungsumfang gelöst werden können, blieb bisher das Geheimnis der Landesregierung. Wo bleiben Anreizmodelle beispielsweise für einen Lehrer, der teilzeitbeschäftigt im Cottbuser Raum arbeitet? Wie soll ihm ermöglicht werden, im berlinnahen Raum, wo möglicherweise eine Stelle besetzt werden könnte, zu arbeiten?

Ein in dieser Konzeption zu beachtendes weiteres Problem ist die zwar verlangsamte, aber nicht aufgehaltene Lehrerabwanderung. In dem Konzept muss geklärt werden, wie - ohne die sich im System befindlichen Lehrer zu benachteiligen - durch die Erhöhung der Beschäftigungsumfänge junge Lehrkräfte im Land gehalten werden können.

Auch eine Konzeption zur Beseitigung des Lehrkräftemangels in diversen Fächern gehört zu dem vorzulegenden Personalstellenentwicklungskonzept.

Meine Damen und Herren, die von mir benannten Probleme zeigen nur einen kleinen Ausschnitt aus dem schwierigen Gebilde der Beschäftigung von Lehrkräften und unserer Verantwortung für die 27 000 Lehrkräfte unseres Landes. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden. Vor allem aber sollten wir in der Verantwortung für die Qualität von Bildung gemeinsam nach mutigen Lösungen im Interesse der Kinder unseres Landes suchen.

(Beifall bei der PDS)

Nutzen wir also die sinkenden Schülerzahlen als Chance. Die politische Großwetterlage ist durch PISA gerade günstig. Ich meine, Sie sollten unserem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke der Abgeordneten Große und gebe das Wort an die Fraktion der SPD. Bitte, Frau Abgeordnete Siebke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen möchte ich nur kurz auf diesen Antrag eingehen. Inhaltlich - Frau Große hat darauf hingewiesen - wurde bereits am heutigen Vormittag über diese Frage debattiert. Ich habe auch auf den Zusammenhang zwischen Qualität von Schule und besonders von Unterricht und gut ausgebildeten und motivierten Lehrern hingewiesen. Der vorliegende Antrag geht in dieselbe Richtung. Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen - da stimme ich der Antragstellerin durchaus zu -; wir sollten das aber im Ausschuss tun.

In dem Antrag werden Ziele genannt, denen ich nicht folgen kann; denn sie geben das Ergebnis schon vor. Aber ich denke schon, dass wir die von der Landesregierung zu dieser Problematik unternommenen Bemühungen im Ausschuss verfolgen sollten. Wir werden diesem Antrag also nicht zustimmen, plädieren aber dafür, ihn an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zu überweisen. - Danke.

(Beifall bei SPD und PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke. Wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere, heißt das, dass die CDU hier Redeverzicht angezeigt hat und Sie auch für die CDU-Fraktion gesprochen haben. Da mir die DVU dasselbe angezeigt hat, kann ich der Landesregierung das Wort geben. Herr Minister Reiche, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Frau Große hat Recht,

(Oh! bei der PDS)

wenn sie sagt, dass ihre Fraktion hier eigentlich etwas Selbstverständliches einfordert, zu dessen Vorlage die Landesregierung ohnehin verpflichtet ist und woran sie möglicherweise schon fieberhaft arbeitet. So ist es, Frau Große. Insofern freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und kommen zur Abstimmung.

Die Fraktionen der SPD und der CDU beantragten, den Antrag der Fraktion der PDS in der Drucksache 3/3782 an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zu überweisen. Wer diesem Überweisungsantrag folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist einstimmig so beschlossen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 7 und rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Berufsförderungswerk Berlin-Brandenburg

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 3/3589

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und erteile der antragstellenden Fraktion das Wort. Frau Abgeordnete Fechner, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer

von den Bürgern des Landes Geld bekommt, hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, verantwortungsvoll damit umzugehen. Das ist der einzig vertretbare Ansatz für eine verantwortungsvolle Finanzpolitik.

Das Land Brandenburg als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist verpflichtet, der öffentlichen Daseinsvorsorge Genüge zu tun, und hat dazu die eingenommenen Steuergelder verantwortungsvoll einzusetzen.

Die Aufgabe öffentlicher Daseinsvorsorge erfüllt auch das Berufsförderungswerk Berlin-Brandenburg e. V. Das Berufsförderungswerk Berlin-Brandenburg, das seit 1995 besteht, ist Teil des schon seit 1965 bestehenden Berufsförderungswerks Berlin, mit dem es zusammengeschlossen wurde. Träger des Berufsförderungswerks Berlin-Brandenburg sind insgesamt 26 Sozialversicherungsträger, darunter vor allem die Landesversicherungsanstalt, die Bundesanstalt für Arbeit, verschiedene Berufsgenossenschaften sowie die Bundesknappschaft. Einzugsgebiet des Berufsförderungswerks Berlin-Brandenburg ist die gesamte Bundesrepublik mit den Schwerpunkten Berlin und Brandenburg.

Das Berufsförderungswerk bietet als Zentrum für berufliche Rehabilitation seiner Zielsetzung nach Chancen und Perspektiven für den Start in ein neues Berufsleben nach Unfall oder Krankheit. Wer seinen erlernten Beruf oder seine bisherige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, soll durch das Berufsförderungswerk so unterstützt werden, dass er ins Erwerbsleben zurückkehren kann. Diese Unterstützung soll das Berufsförderungswerk Brandenburg als Einrichtung der beruflichen Rehabilitation Erwachsener gewährleisten.

Ziel der beruflichen Neuorientierung soll die dauerhafte Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt sein. Aufgenommen werden Frauen und Männer vom 18. Lebensjahr an mit unterschiedlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dabei sollte die medizinische Rehabilitation weitestgehend abgeschlossen sein.

Das Ausbildungsangebot des Berufsförderungswerks beinhaltet die drei großen Bereiche der kaufmännischen Berufe, der technischen Berufe sowie die Ausbildung in Berufen der Informations- und Telekommunikationstechnik. Die Bandbreite reicht somit vom Industriekaufmann über die Verwaltungsfachangestellte, den Elektrogerätemechaniker bis hin zum Fachinformatiker in Richtung Systemintegration. Hinzu kommen vorbereitende Maßnahmen zur Berufsfindung und Arbeitserprobung, Rehabilitationsvorbereitungslehrgänge und erweiterte Berufsfindung und Arbeitserprobung.

Des Weiteren werden so genannte Reha-Fachdienste angeboten. Sie umfassen Maßnahmen zur begleitenden persönlichen Betreuung der Teilnehmer bei Problemen während der beruflichen Rehabilitation, nämlich ärztliche und psychotherapeutische Behandlung sowie Gesundheitsberatung durch den medizinischen Dienst, individuelle Hilfestellung und Unterstützung durch den psychologischen Dienst. Des Weiteren erfolgen Beratung und Betreuung durch einen Sozialdienst. Außerdem bietet das Berufsförderungswerk durch den Integrationsdienst Unterstützung bei der Bewerbung und der Stellensuche nach der Ausbildung.

Selbstverständlich muss angesichts der verheerenden Arbeitsmarktlage und Sozialstruktur ein erheblicher Teil des Landesbudgets dafür aufgewendet werden, Menschen in Lohn und Brot zu bringen, und zwar insbesondere die, die gesundheitlich oder körperlich eingeschränkt und deswegen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind.

Nach Artikel 48 der Landesverfassung ist das Land Brandenburg verpflichtet, im Rahmen seiner Kräfte durch eine Politik der Vollbeschäftigung und Arbeitsförderung für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu sorgen, das das Recht jedes Einzelnen umfasst, seinen Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu verdienen. Diese Verpflichtung wird in dem Artikel durch einen Individualanspruch auf Umschulung und berufliche Weiterbildung, auf unentgeltliche Berufsberatung und Arbeitsvermittlung konkretisiert.

Die Einrichtung eines Berufsförderungswerks mit dem Ziel, durch körperliche Behinderungen eingeschränkte Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt erstmalig oder wieder Fuß fassen wollen, zu unterstützen, ist ein durchaus begrüßenswertes Ziel. Es stellt sich allerdings die Frage, wie dieses Ziel durch die verantwortlichen Träger, die Landesversicherungsanstalt und die Berufsgenossenschaften, umgesetzt wird. Maßstab für den Erfolg einer solch kostspieligen Einrichtung, die dazu dienen soll, sozial benachteiligten Personen Arbeit zu beschaffen, kann einzig und allein die Vermittlungsquote am ersten Arbeitsmarkt sein.

Im November letzten Jahres brachte eine Sendung des ORB diesbezüglich Tatsachen an den Tag, die - unterstellt, sie entsprechen der Wahrheit - schlicht und ergreifend einen Eklat für die Länder Berlin und Brandenburg bedeuten. In dieser Sendung erklärte der Chef des Berufsförderungswerks Berlin-Brandenburg offiziell, 68 % der durch das Berufsförderungswerk ausgebildeten bzw. umgeschulten Personen hätten im Jahr 2000 innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung der Ausbildungsbzw. Umschulungsmaßnahme eine Arbeitsstelle gefunden.

Daraufhin befragte der ORB Betroffene, die durch das Berufsförderungswerk eine berufliche Rehabilitation in Form einer Umschulung insbesondere im kaufmännischen Bereich erfahren haben. Diese Recherche befasste sich mit den Chancen und Perspektiven für den Start in ein neues Berufsleben, die sich durch Umschulung, Ausbildung oder berufliches Training für solche Menschen ergeben, die aus gesundheitlichen Gründen ihren erlernten Beruf bzw. ihre ursprüngliche Tätigkeit nicht mehr ausüben konnten. Hierzu wurde eine Vielzahl durch das Berufsförderungswerk angeblich beruflich rehabilitierter Personen befragt.

Das Ergebnis war eher ernüchternd. Tatsächlich konnte von den befragten Personen kaum eine einen Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme finden. Fast alle Vermittelten fanden lediglich eine geringfügige Beschäftigung oder konnten lediglich eine ABM-Stelle vorweisen. Sollte der ORB hier gerade die wenigen Misserfolge herausgefischt haben? Das ist aus Sicht der Fraktion der Deutschen Volksunion kaum zu glauben.