Ich sehe einen weiteren wichtigen Punkt - da wende ich mich nicht nur an den Landtag, sondern auch an die Öffentlichkeit -: Wir müssen aufhören, diese Prozesse ständig als Katastrophe zu beschreiben und herunterzureden. Wir müssen aufhören, durch ständiges Jammern das Image des ländlichen Raumes noch zusätzlich zu verschlechtern und damit diese Anpassungsstrategien zu erschweren. Die ländlichen Räume in Brandenburg haben eine hohe Lebensqualität und auch eine gute Zukunft.
Wir müssen die Perspektiven des sich erweiternden Europa nutzen. Die Entwicklung des Grenzraumes zwischen Stettin, Posen, Breslau, Dresden sowie Berlin mit seinen Metropoleneffekten zu einer neuen wettbewerbsfähigen Region in Europa bewirkt, dass unsere bisherigen Grenzräume in der Uckermark, im Lebuser Land und in der Lausitz nicht länger Grenz- oder Endstation bleiben, sondern eine völlig neue Bedeutung als neu belebte Verbindungsregionen erfahren. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Minister Birthler. - Ich erteile das Wort noch einmal der Fraktion der SPD. Frau Abgeordnete Siebke, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einen Aspekt des vorher Gesagten aufgreifen, und zwar deshalb, weil es um die Entwicklungsmöglichkeiten für junge Menschen unter den hier erörterten Bedingungen in Brandenburg geht. Ich spreche von der Entwicklung der Schulen, insbesondere im äußeren Entwicklungsraum, also im ländlichen Raum, der schon als besonders problematisch beschrieben worden ist.
Für die Schulen, kurz charakterisiert, heißt das: Die Schülerzahlen gehen insgesamt, aber insbesondere ab dem Schuljahr 2004/05, nun auch in den weiterführenden Schulen, also ab Klasse 7, um etwa die Hälfte zurück. Das geschieht, wie bereits gesagt, regional unterschiedlich ausgeprägt. In den ländlichen Räumen heißt das, dass die Schülerzahlen bis auf unter 40 % der bisherigen Werte sinken können.
Hinzu kommt - das ist neu -, dass sich die Gesamtentwicklung der Schülerzahlen schneller und brisanter vollzieht, als man es noch vor zwei Jahren, als sich die so genannte Wunder-Kommission mit dieser Problematik befasste und Handlungsmöglichkeiten für die Landesregierung zu erarbeiten versuchte, gesehen hat.
Das heißt für uns, unter diesen Bedingungen, die ich eben noch einmal kurz dargestellt habe, ein leistungsfähiges Schulsystem im Land Brandenburg zu erhalten und weiter auszubauen, um die Chancengleichheit, die für uns ein unabdingbarer Anspruch ist, auch für Schüler im ländlichen Raum erhalten zu können. Gleichzeitig geht es darum, die Schule in ihrer Qualität zu erhalten; denn insbesondere nach PISA haben wir Ansprüche dahin gehend gestellt, die Schule sowohl inhaltlich als auch in ihrer Qualität zu verbessern.
Das sind schwer zu erfüllende Ansprüche. Zwei Dinge, von denen ich meine, dass sie dazu unabdingbar sind, möchte ich hier beleuchten. Wir brauchen, um das unter den bestehenden Bedingungen erreichen zu können, motivierte Lehrer und wir brauchen eine Schulstruktur mit entsprechenden Inhalten, um Chancengleichheit und Qualität garantieren zu können.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben wir, um diese beiden Ansprüche in die Realität umzusetzen? Es geht um fachgerechten Unterricht und um motivierte Lehrerschaft. Das heißt, dass es uns gelingen muss, die Vereinbarungen, die wir mit den Gewerkschaften und den Verbänden über den Beschäftigungsumfang von Lehrkräften geschlossen haben, in die Wirklichkeit umzusetzen. Das heißt, wir müssen über die bisherigen Maßnahmen der Personalpolitik, zum Beispiel Altersteilzeit, hinaus andere wirksame Möglichkeiten finden. Ich spreche hier konkret etwa von soliden Abfindungsregelungen, die es Lehrern ermöglichen, vor dem Rentenalter aus dem Schuldienst auszuscheiden. Nur dann wird es uns gelingen, die Beschäftigungsumfänge einzuhalten, eine motivierte Lehrerschaft zu haben und damit auch Qualität von Schule zu sichern.
Andererseits muss ich sagen, dass Lehrer genauso wie andere Berufsgruppen auch aufgefordert sind, letztendlich der Arbeit zu folgen, das heißt - viele Lehrer tun das bereits - längere
Fahrtwege oder Umzüge in ihre Lebensplanung aufzunehmen. Die veränderten Schulämterstrukturen bieten gute Voraussetzungen dafür, diesen Weg zu gehen.
Zur Schulstruktur: In den meisten Kreisen ist zurzeit die Schulentwicklungsplanung in vollem Gange. Die Auseinandersetzung um den Erhalt der Schulstandorte nimmt in einzelnen Gegenden brisante Züge an. Der Streit um die verbleibenden Schüler ist entbrannt. Das ist verständlich, denn wer will schon seine Schule nicht mehr im Ort haben. Viele Gemeinden - das muss man hier auch sagen - haben Geld, das auch bei ihnen knapp war, mit Absicht in ihre Schulstandorte gesteckt.
Aber es hilft nichts, man muss den Fakten ins Auge sehen. Es wird so sein, dass bis zur Hälfte aller Schulstandorte, auch der weiterführenden Schulen, besonders im ländlichen Raum keinen Bestand haben wird. Das betrifft alle Schulformen und es ist regional unterschiedlich.
Was kann aus unserer Sicht getan werden, um insbesondere in den berlinfernen Gegenden ein leistungsfähiges, schülerfreundliches Schulnetz zu erhalten? Wir bleiben dabei, dass es sinnvoll ist, an einer mindestens zweizügigen weiterführenden Schule festzuhalten, aber - das ist positiv - es werden die Klassenfrequenzen in den nächsten Jahren gesenkt werden. Wir ließen ja bisher die Bildung von Klassen ab 20 Schülern zu. Um die Zweizügigkeit zu erhalten, wird es immer häufiger dazu kommen, dass auch Klassen mit nur 20 Schülern gebildet werden. Wir haben jetzt durchschnittlich 25 und mehr Schüler in der Klasse. - Das allein bringt schon bessere Lern- und Unterrichtsbedingungen. Das ist ein positiver Aspekt dieser Entwicklung.
Wir hören in diesem Zusammenhang immer wieder die Forderung, die Mindestfrequenz der Klassen generell auf 15 Schüler zu senken. Ich bitte, darüber nachzudenken, was das für Folgen haben kann. Es kann nämlich, wenn man sich das einmal genauer ansieht, die Folge haben, dass wir unserer landesplanerischen Grundlage nicht mehr folgen. Es kann passieren, dass Mittel- bzw. Grundzentren dann auch keine weiterführenden Schulen mehr haben, weil auch dort die Standorte wegbrechen.
Frau Kollegin Siebke, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben den Bonus von Prof. Bisky bereits erreicht.
Ein Satz noch, weil er mir wichtig erscheint. - Aber eines ist richtig: Auch bei einer Senkung der Klassenfrequenz auf 15 Schüler müssen wir in Mittel- und Grundzentren Schulstandorte für weiterführende Schulen erhalten. Ich denke, das ist eine gerechte Forderung. Um eine Schulstruktur zu schaffen, die schülerfreundlich ist, müssen wir diese Forderung auch realisieren. Damit lassen Sie mich meine Ausführungen beenden. Danke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bisky, Sie haben mir heute richtig wehgetan. Hinsichtlich des Vorwurfes von Schönfärberei und Untätigkeit müsste ich ja fast, wenn wir uns noch nicht so lange kennen würden, darüber nachdenken, eine Klage einzureichen,
Richtig ist natürlich - das wissen wir ja alle; das betrifft Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Teile von Berlin -: Wir haben hier im Osten in den letzten zehn Jahren einen Doppelschlag gegen die wirtschaftliche Entwicklung auszuhalten gehabt. Das ist zum einen der gewaltige Strukturumbruch mit gleichzeitigem Marktverlust, also ein erheblicher Rückgang bei den Arbeitsplätzen, und zum anderen die technologische Revolution, die mit dazu geführt hat, dass der Bedarf an Arbeitsplätzen geringer ist. Wir haben im gesamten Osten ein Drittel weniger Arbeitsplätze. Dieser Rückstand ist ganz schwer aufzuholen. Wir sind vielleicht in der Versuchung gewesen, die Disparität der Entwicklung in Brandenburg, die dann immer gute Durchschnittszahlen gebracht hat, ein wenig als Blendwirkung zu nutzen.
Aber ich kann für mich nur sagen - das kann man notfalls in den Protokollen hier nachlesen -: Ich habe seit Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass wir in Brandenburg eine Disparität bei der Entwicklung haben, nämlich auf der einen Seite die relativ gute Entwicklung im engeren Verflechtungsraum und auf der anderen Seite die Schwierigkeiten in den Randregionen. Deshalb haben wir ja seit zehn Jahren intensive Bemühungen zur dezentralen Konzentration angestellt. Dabei bleiben wir auch. Aber wir haben dabei auch bitter lernen müssen, dass es eben nicht reicht, Geld, richtig Geld, in die Hand zu nehmen. Wir haben zum Teil 80 % Förderung in irgendwelcher Form versprochen, damit die Leute in die Randregionen gehen; aber mit Geld allein kann man die Leute nicht locken.
Wir haben uns um schnelle Genehmigungsverfahren bemüht. Ich möchte nur daran erinnern, dass wir bei einem wichtigen Standort, bei Wittstock, in drei Monaten alle Genehmigungen, auch alle Umweltgenehmigungen, geschafft haben. In dem Falle ist es gelungen, mit schnellen Genehmigungen oder mit der Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitskräften, ganz nach Bedarf der Unternehmer, etwas zu erreichen. Es ist nicht immer in dem Maße möglich gewesen - das wird auch weiterhin so sein -, wie man es gern haben möchte. Mich tröstet es wenig, dass die sächsische Lausitz schlechter dasteht als die brandenburgische und dass Ostvorpommern schlechter dasteht als die Uckermark. Das tröstet mich überhaupt nicht. Es sind eigentlich nur Spannen, die mir zu gering sind. Ich hätte selbst sehr gern im Interesse des Landes sehr viel mehr erreicht.
Wir haben aber auch schon sehr frühzeitig erkannt, wie wichtig die Verkehrsinfrastruktur ist, und haben vor eineinhalb Jahren noch einmal die Chance genutzt, 700 Millionen DM zusätzlich
Wir haben uns auch entschlossen - gegen viel Kritik, auch aus der Opposition heraus -, in Schwerpunktregionen Vorhaben in Gang zu setzen, selbst wenn da Risiken bestanden. Wir haben gesagt: Wenn es uns gelingt, dann haben wir einen Durchbruch erreicht. Deshalb kämpfen wir mit Löwenmut für die Chipfabrik und deshalb kämpfen wir für den Flughafen, also nicht deshalb, weil wir alle so gern fliegen, sondern weil wir ihn brauchen.
Das Gelingen des Flughafenprojektes wird für die gesamte Lausitz den Durchbruch bringen, den wir brauchen. Reden Sie mit den Leuten; reden Sie mit den Unternehmern dort. Diese warten darauf, dass wir vorankommen. Ich wünschte mir bei diesem Projekt ein bisschen mehr Unterstützung von Ihrer Seite, weil wir solche Leuchttürme brauchen, wie sie an einigen Punkten ja durchaus gelungen sind. Schwarzheide reißt einen Teil der Lausitz mit heraus. Auch mit Schwedt, wo wir sehr viel Mühe aufgewendet haben, haben wir, glaube ich, ganz sicheren Boden unter den Füßen. Das Gleiche trifft auf EKO in Eisenhüttenstadt zu.
Wir werden auch die Arbeitsförderungsmaßnahmen fortsetzen. Sie dürfen uns nicht nachsagen, dass wir keine Arbeitsförderungspolitik machen. Wir machen sie, aber wir haben von Regine Hildebrandt gelernt - bauen Sie da bitte keinen Gegensatz auf -, dass es keinen Sinn macht, nur wegen der Verbesserung der Statistik Maßnahmen in Gang zu setzen, die am Ende den Menschen nicht viel helfen,
Aber, meine Damen und Herren, das Wichtigste ist mir doch Folgendes und das ist eine schöne Tatsache: Der größte Schatz, den Ostdeutschland mit in die deutsche Einheit gebracht hat, sind die geburtenstarken Jahrgänge. Es ist eine Freude, dass von den 17- bis 23-Jährigen jeder bzw. jede Dritte aus dem Osten kommt. Wie werden die Deutschlands Zukunft prägen!
Deswegen müssen wir sie so lange wie möglich hier im Lande halten. Deshalb bleiben wir dabei, dasss wir sehr viel Geld für die Ausbildung in die Hand nehmen. Auch staatliche Maßnahmen helfen da weiter. Deshalb bleiben wir dabei, so viel wie möglich zu tun - auch mit neuen Programmen, die wir von der Bundesregierung mehr oder weniger erzwingen werden -, um den Übergang von der Ausbildung in den Beruf zu ermöglichen.
Da muss man nach meiner Überzeugung den Unternehmen ein bisschen Geld in die Hand geben, damit sie die Chance auch nutzen. Wir müssen das auch immer mit der dringenden Bitte an die Unternehmerinnen und Unternehmer verbinden: Denkt daran, in wenigen Jahren fehlen euch die Leute; fahrt nicht einen Kurs nach dem Motto - wie mir das kürzlich jemand freudestrahlend erzählt hat -: Ich lasse die Jugendlichen erst mal in den Westen gehen, da lernen sie etwas und in fünf Jahren
hole ich sie mir wieder. Ich kann den Betreffenden immer nur sagen: Verlasst euch nicht darauf. Wenn sie in Baden-Württemberg eine Freundin bzw. einen Freund finden, gehen sie uns vielleicht doch noch verloren. Also müssen wir jetzt überall die Gelegenheit nutzen, Nachwuchskräfte aufzubauen. Wir brauchen sie ganz dringend für Brandenburgs Zukunft.
Herr Bisky, Sie haben ein Angebot unterbreitet. Sie haben gesagt, Sie hätten eine Reihe konkreter Vorschläge, wie man es noch anders machen könne. Ich wäre der Letzte, der so tun würde, als wüssten wir alles. Deswegen biete ich Ihnen an: Lassen Sie uns uns einmal zusammensetzen und darüber reden, welche Vorschläge Sie haben. Es ist nichts so gut, als dass es nicht verbessert werden könnte. Das gilt auch für die Politik der brandenburgischen Landesregierung. - Danke.
Ich danke dem Ministerpräsidenten. - Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 2 und unterbreche die Sitzung des Landtages bis 13 Uhr. Pünktlich um 13 Uhr geht es weiter.
Ich eröffne den Nachmittagsteil der 57. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg in seiner 3. Wahlperiode und freue mich, dass wir nicht ganz allein sind. Dies ist zurückzuführen auf die Anwesenheit von Gästen aus der Gesamtschule in Forst, insgesamt 36 Schülerinnen und Schüler aus der 10. Klasse bzw. den 10. Klassen. Herzlich willkommen in Potsdam!