Protokoll der Sitzung vom 27.06.2002

(Vereinzelt Beifall hei der SPD)

Die Medaille „Mobilitätshilfe" hat nämlich zwei Seiten. Aus der Perspektive der Arbeitslosen ist es richtig. dass sie gerade als junge Menschen. die zum Teil auch Familie haben, eine Unterstützung bekommen, wenn sie zur Rückkehr in die Erwerbstätigkeit in eine andere Region umziehen. Dies hat es immer gegeben und wird es auch in Zukunft gehen - in Deutschland und in Europa. Die Hilfe unterstützt, meine Damen und Herren, sie ist nicht Auslöser des Wohnortwechsels.

Auf der anderen Seite ist es für ein Bundesland wie Brandenburg problematisch. wenn das Gleichgewicht im Altersaufbau in einzelnen Regionen immer stärker verloren geht und darüber hinaus qualifizierte Arbeitskräfte das Land verlassen: keine Frage. Die werden hei uns nämlich in einigen Jahren dringend gebraucht, wenn deutlich geburtenschwächere Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt strömen als heute.

Insgesamt muss ehrlich gesagt werden. dass die Lösung der zugrunde liegenden Probleme nichts damit zu tun hat, oh eine Mobilitätshilfe in Höhe von 2 500 Euro gezahlt wird oder nicht.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Drittens: Die DVU erweckt mit ihrem Antrag den Eindruck, als wäre die Mohilitätshilfe. für die aus der Landeskasse übrigens kein Cent fließt. ein zentrales lnstmment der in Brandenburg wirksamen Arbeitsmarktpolitik. Dein ist nicht so. Ich würde der DVU empfehlen: Informieren Sie sich etwas besser über die Politik der Landesregierung in diesem Bereich. Ich nenne hier beispielsweise die Ausbildungsgarantie, Aktionen für Jugend und Arbeit, die Innopunkt-Kampagne „Zukunft gestalten für Brandenburgs Jugend an der zweiten Schwelle" und die Einstiegsteilzeit für Jugendliche. Dies sind die zentralen Aktivitäten der Regierungskoalition für Ausbildung und Beschäftigung von jungen Brandenburgerinnen und Brandenburgern.

Auch bei der Mohilitätshilfe im Rahmen des Jugendsofortprogramms muss man genau hinseben, Zunächst geht es hier nicht um die leistungsstärksten und am besten ausgebildeten jungen Erwachsenen. Ich würde mir wünschen. meine Damen und Herren, es würde mehr über die 7 700 jungen Erwachsenen aus Brandenburg geredet, die letztes Jahr im Land von den verschiedenen Fördervarianten des Programms profitiert haben, als über die 600, die in einer anderen Region einen Job gefunden und in diesem Zusammenhang aus dem Programm eine Mobilitätshilfe erhalten haben. Erstens: Wir halten das Prinzip, wonach die Arbeitsämter einen Betrag von maximal 10 76 des Eingliederungstitels flexibel und den Bedürfnissen einer Region entsprechend unbürokratisch einsetzen können, nach wie vor für richtig und auch für notwen

In diesem Sinne lehnen wir diesen Antrag ah. - Danke schön.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort erhält die PDS-Fraktion. Für sie spricht Frau Dr. Schröder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS hat seit langem die Einstellung der so genannten Wegzugsprämie gefordert, die die Brandenburger Arbeitsämter in Höhe von 2 500 Euro aus der Freien Förderung nach § 10 SGB III zahlen. So habe ich als arheitsmarktpoliti sehe Sprecherin der PDS-Fraktion dann auch die kritischen Töne des Ministerpräsidenten a. Herrn Stolpe, und auch die aktuellen Forderungen des Arbeitsministers, Herrn Ziel, ausdrücklich unterstützt. Ich hoffe, dass sich die Bundesanstalt für Arbeit, genauer: das Landesarbeitsamt Beil in-Brandenhurg und die Brandenburger Arbeitsämter, dazu durchringen, die Wegzu gsprämie spätestens bis zum Jahresende einzustellen und sie nicht länger als ein arbei tsmarktpolitisches Instrument zu betrachten; denn sie ist keines.

In der Argumentation um Sinn und Unsinn von Mobilitätshilfen geht es nicht darum, Arbeitslosen eine notwendige Unterstützung vorzuenthalten. Politisch geht es nicht um die Mikro-, sondern um die Makroebene. Mobilitätshilfen entfalten aus meiner Sicht volkswirtschaftlich keine positiven Wirkungen. Die Abwanderung erfolgt wegen der großen Unzufriedenheit mit der Beschäftigungslage im Osten. Es bedarf darum keines zusätzlichen Anreizes, junge. gut ausgebildete Menschen gen Westen ziehen zu lassen, wenn uns dadurch wertvolles Hennankapital für kommende Zeiten eines Fachkräftemangels verloren geht.

Darum ist es allerdings illusorisch anzunehmen, dass mit Abschaffung der Wegzugsprämie oder anderer Mobilitätshilfen die Flucht vor Arbeitslosigkeit zurückgedrängt werden kann, wie es der Antrag der DVU suggeriert. Niemandem ist zu verdenken, dass cr oder sie nicht auf einen Fachkräftemange] in Brandenburg in fünf oder acht Jahren warten möchte. Deshalb braucht es Anreize zur Verbesserung der Beschäftigungslage im Land. Die PDS hat darauf oft schon mit entsprechenden Vorschlägen aufmerksam gemacht.

Die DVU sattelt mit dein vorliegenden Antrag zur Streichung der Mobilitätshilfen wieder einmal populistisch auf Themen auf, die im öffentlichen und politischen Raum längst intensiv diskutiert worden sind. Meine Damen und Herren von der rechten Seite. Sie traben der Diskussion hinterher. Zudem zeugt Ihr Antrag arbeitsmarktpolitisch von wenig Sachverstand, wenn die Freie Förderung nach 10 SGB III nun ausdrücklich durch Bundesgesetzgebung reglementiert werden soll. Damit heben Sie den innovativen Charakter dieses Instruments auf. Dem können wir nun wirklich nicht zustimmen.

Schließlich enthält Ihr Antrag einen Widerspruch. wenn im Text die - ich zitiere - _ersatzlose Streichung" von Mobilitätshilfen gefordert wird, während dann in der Be gründung verlangt wird. die Wegzugsbeihilfen durch andere sozialpolitische Fördermaßnahmen zu ersetzen.

Die PDS-Fraktion lehnt den Antrag ah,

(Beifall bei der PDS)

Die Landesregierun g verzichtet auf einen Beitrag. - Wir sind damit am Ende der Rednerliste und ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die DVU-Fraktion hat namentliche Abstimmung beantragt. Deshalb bitte ich die Schriftführer, die Namenslisten vorzubereiten und mit dem Namensaufruf zu beginnen. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, bitte ich UM ein unmissverständliches Votum.

(Namentliche Abstimmung)

Harten alle anwesenden Abgeordneten Gelegenheit, ihre Stimme abzugeben'?

(Die Abgeordneten Dellmann 15PD1 und Bartsch [CDU] geben ihr Votum ah.)

- Das sind offensichtlich alle. Ich schließe die Abstimmung und bitte um einen Moment Geduld für die Auszählung.

Ich gebe Ihnen das Ergebnis bekannt: Für den Antrag der DVU in Drucksache 3/4496 stimmten 5 Abgeordnete. gegen den Antrag stimmten 52. Es hat sich niemand der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag abgelehnt.

(Abstimmungslisten siehe Anlage S. 4013)

Ich schließe den Ta gesordungspunkt 17 und rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Bundesratsinitiative zur Einführung eines Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 3/449'7

Ich eröffne die Aussprache mit dein Beitrag der antragstellenden Fraktion. Herr Abgeordneter Schuldt. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer unschuldig kriegsbedin gtes Leid und Demütigung erfahren hat. bedarf in einem demokratischen Rechtsstaat der uneingeschränkten Solidarität der Bürger und der Solidargemeinschaft.

Während und nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg, in dem etwa 50 Millionen Menschen ihr Leben lassen mussten, sind viele deutsche Soldaten - aber auch Zivilisten - überwiegend in sehr jungen Jahren in alliierte Kriegsgefangenschaft, Internierung oder Inhaftierung geraten.

Viele von diesen jungen Leuten waren vor oder während des Dritten Reiches weder voll jähri g noch wahlberechtigt. Sie bekamen hei oder nach Ausbruch des Krieges - teilweise erst in dessen Endphase - die Einberufung und mussten Kriegsdienst leisten. Denen, die an der Front oder bei alliierten Angriffen ihr

Lehen lassen mussten. kann heute niemand eine Geste der Entschädigung leisten. Ihnen muss Ehre zuteil werden.

Viele, die durch alliierte Mächte oder eine sonstige ausländische Macht aus politischen oder militärischen Gründen festgenommen. inhaftiert oder interniert wurden, steht endlich eine mehr menschliche als pekuniäre Geste zu.

In Kriegsgefangenschaft, Internierung und Inhaftierung erlitten viele - abgesehen von den erheblichen Einschnitten in die Lebenswege - physische sowie psychische Beeinträchtigungen, die vielfach für das weitere Lehen prägend waren. Millionen junger Menschen wurden durch Krieg, Gefangenschaft. Inhaftierung und Internierung nicht nur ihrer Jugend beraubt.

Diejenigen, die heute noch ]eben. sind Menschen. die in das Unheil dieses schrecklichen Krieges hineingestoßen wurden. Sie konnten weder etwas für die NS-Diktatur noch hatten sie etwas mit Verstößen gegen die Menschrechtskonventionen oder die Haager Landkriegsordnung zu tun. Sie haben einfach ihre Pflicht als Staatsbürger und damit als Wehrpflichtige getan, und das unter größten Anstrengungen und Entbehrungen, deren Ausmaß sich heute kaum jemand vorstellen kann, der es nicht miterlebt hat.

Für die Verluste an Lebensqualität. an Erhaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. nicht zuletzt für die physischen und psychischen Folgen kann keine adäquate Entschädigung gezahlt werden.

(Zuruf: Genau!)

Es geht hierbei letztlich um eine - je nach Dauer der Gefangenschaft - für Inhaftierung oder Internierung gezahlte Geste zwischen 50 und 250 Euro monatlich. Es gehe hierbei nicht um einen vererbbaren Anspruch, sondern es geht um nichts anderes als um höchstpersönliche Ausgleichsleistungen.

Die Republik Österreich hat bereits eine entsprechende gesetzliche Regelung geschaffen, um solchen Personen für die Kriegsgefangenschaft. Internierung oder Inhaftiening. verbunden mit oftmals über Jahre erlittenen Schädigungen und Demütigungen. zumindest eine symbolische Entschädigung zukommen zu lassen. Sowohl in der österreichischen Regierung als auch im österreichischen Parlament bestand darüber ein parteiübergreifender Konsens.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktion der DVU setzt sich dafür ein, dass alle - ausnahmslos alle - nicht vergessen werden, denen durch Krieg, Flucht und Vertreibung Unrecht und Menschenrechtsverletzun gen widerfahren sind. Dabei ist es gleich, um welche Opfer es sich handelt und von welcher Seite ihnen Unrecht widerfuhr.

Menschenrechte sind bekanntlich unteilbar. Alsofangen Sie bitte heute nicht wieder damit an, Unrecht im Zusammenhang mit dein Zweiten Weltkrieg gegeneinander aufzurechnen, Menschenrechtsverletzungen zu ignorieren und uns in diesem Zusammenhang irgendwelche an den Haaren herbeigezogene Vorhaltungen zu machen. Dazu ist das Thema zu ernst. Wir wollen es deshalb auch ernsthaft behandelt wissen. - Ich bedanke mich erst einmal.

(Beifall hei der DVU)

Das Wort geht an die Koalitionsfraktionen. Für sie spricht der Abgeordnete Homeyer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren? Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und gar über 80 Jahre nach dein Ende des Ersten Weltkrieges entdeckt die antragstellende Fraktion die Gruppe der ehemaligen Kriegsgefangenen als potenzielle Wählerklientel. Jeder ehemalige Kriegsgefangene soll aufgrund dieses Antrages regelmäßige Zuwendungen erhalten. Begründet wird dieser Vorstoß mit einem ähnlichen Gesetz. das die antragstellende Fraktion in Österreich entdeckte.

Herr Schuldt, auch wenn Sie dies anders sehen, lassen Sie sich von mir sagen: Nicht alles, was aus Österreich kam, war gut für uns!

(Beifall bei CDU und SPD)

Im Übrigen. meine sehr geehrten Damen und Herren: Ein Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz gab es bereits. Sinn und Zweck dieses Gesetzes war, den aus der Kriegsgefangenschaft Heimkehrenden die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern. Aus nachvollziehbaren Gründen endete die Antragsfrist im Jahr 1967 und das Gesetz wurde im Jahr 1993 mangels Bedarfs aufgehoben.

Meine Damen und Herren, für den Zweck, den Sie mit dem Antrag eigentlich erreichen wollen. gibt es bereits diverse andere Gesetze. Ich nenne hier beispielhaft das Bundesversorgungsgesetz, nach dem Personen, die durch Internierung, Verschleppung, Umsiedlung oder Vertreibun g gesundheitliche Schäden erlitten haben, Entschädigungen erhalten und erhalten haben. Daneben gibt es beispielsweise das Lastenausgleichsgesetz. das Kriegsfolgenbeseitigungsgesetz und das Heimkehrerstiftungsgesetz,. Die beiden letztgenannten stammen im Übrigen aus dem Jahr 1993.