Protokoll der Sitzung vom 09.10.2002

Doch Ironie beiseite: Frau Finanzministerin, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, nun ist eingetreten, wovor die DVU-Fraktion warnte. Wagen Sie nicht zu behaupten, Sie hätten das nunmehr bestehende Defizit von 755 Millionen Euro im laufenden Haushalt bzw. das Gesamtdefizit von schätzungsweise 1,4 Milliarden Euro im Doppelhaushalt nicht gekannt oder geahnt. Natürlich konnten Sie aufgrund der Steuerschätzung zum Beispiel vom Monat Mai dieses Jahres voraussehen, dass erhebliche Steuermindereinnahmen in größerer dreistelliger Millionenhöhe auf das Land zukommen werden. Natürlich wussten Sie aufgrund der Daten vergangener Haushalte von den Mehrausgaben für Zusatzversorgungssysteme oder Sozialhilfe. Nur ließen Sie alles unter der Decke, um Ihre Genossinnen und Genossen nicht um den Wahlsieg auf Bundesebene zu bringen.

Die CDU, der es ohnehin nur um die Macht ging, machte willig mit. Darum glauben wir Ihnen, Herr Schönbohm, auch kein Wort, wenn Sie jetzt plötzlich gegenüber der Presse erklären, Sie könnten die Koalition platzen lassen. Wenn Sie das gewollt hätten, hätten Sie anlässlich der Debatte um das Zuwanderungsgesetz genügend Gelegenheit dazu gehabt.

Meine Damen und Herren der Koalition, was immer Sie jetzt auch unternehmen, um die Haushaltslöcher zu stopfen, es kommt zu spät. Sie wussten im Sommer dieses Jahres längst, wie dramatisch die Finanzlage ist. Sie hätten bereits damals eine umfassende Haushaltssperre verhängen müssen. Sie jetzt zu verkünden ist Flickwerk und löst keines der Probleme. Dass die Einbußen noch größer sind als ohnehin befürchtet, kann kaum verwundern, denn eine klare Linie war schon längst nicht mehr zu erkennen. Wenn Sie die Entscheidung, wie es weitergehen soll, nun in die Hände eines Gutachters legen, in diesem Fall in die von Prof. Seitz, beweisen Sie damit nur einmal mehr Ihre völlige finanzpolitische Unfähigkeit.

Doch in Wirklichkeit wissen Sie, Frau Finanzministerin, nicht einmal genau, wie groß die Löcher in Ihrem Haushalt denn nun wirklich sind. Genauso wenig wissen Sie, wie viel die bereits verhängte Haushaltssperre in Höhe von 130 Millionen Euro gebracht hat und ob sie überhaupt etwas gebracht hat. Es ist noch nicht einmal bekannt, ob die Haushaltslöcher von bisher geschätzten 1,14 Milliarden Euro gegenüber 1,17 Milliarden Euro an Investitionen, die wohl zum großen Teil durch Neuverschuldung ausgeglichen werden müssen, zu einem verfassungswidrigen Haushalt und damit ähnlich wie in Berlin zum Gang vor das Verfassungsgericht des Landes führen werden. Immerhin ging Herr Kollege Schulze von einer Differenz in Höhe von 900 Millionen Euro aus. Bedenken Sie auch, dass die haushaltspolitische Deckungslücke in Höhe von 144 Millionen Euro,

globale Minderausgabe genannt, in der Debatte über den laufenden Haushalt überhaupt nicht mehr erwähnt wird.

Nun zum Kernproblem: Obwohl die Lage der Wirtschaft sowie auf dem Arbeitsmarkt in Brandenburg noch nie so schlimm war wie heute, Ihre wirtschaftspolitischen Leuchttürme CargoLifter, Bombardier, Lausitzring, Premnitz usw. wie Kartenhäuser zusammengebrochen sind und von einer mittelständischen Wirtschaft fast keine Rede mehr sein kann - die Kreditversicherungen Euler & Hermes gehen von einem Anstieg der Insolvenzen in Brandenburg im Jahr 2002 um 21,8 % gegenüber dem Vorjahr und von weiteren 12,8 % im Jahr 2003 bei gleichzeitig weiter dramatisch ansteigender Arbeitslosigkeit aus - und obwohl, wie von unserer Fraktion vorausgesagt, die meisten Kommunen des Landes den finanzpolitischen Kollaps längst erlitten haben, werden jetzt, Frau Finanzministerin und Herr Ministerpräsident Platzeck, aufgrund der neuen Haushaltssperre keine neuen Förderbescheide mehr bewilligt.

Wollten Sie, Herr Ministerpräsident Platzeck, die Klein- und Mittelbetriebe im Land mit Ihrer Rede auf der Freisprechung von Handwerksgesellen in Königs Wusterhausen am 28. September etwa verhöhnen, als Sie erklärten, dass Sie sich für deren wirtschaftliche Rahmenbedingungen und deren Erfolg einsetzen wollen? Man könnte es fast glauben.

Auf Bundesebene wird nun, nachdem sich die Wähler hinters Licht führen ließen, angesichts der desolaten Haushaltslage über Steuererhöhungen massivster Art spekuliert, beispielsweise über die Wiedereinführung der Vermögensteuer, über die drastische Anhebung der Erbschaftsteuer und über die weitere Anhebung der so genannten Ökosteuer. Gleichzeitig sollen 2003 im Bundeshaushalt 10 Milliarden Euro eingespart werden. Angesichts der derzeitigen Rezession ist diese makroökonomische Strategie ebenso wie Ihre auf Landesebene praktizierte Totsparpolitik ein Irrweg. Das Leitmotiv sollte heute nicht Sparen, sondern Reformen heißen. Eine nachhaltige Wirtschaftspolitik müsste heute Folgendes leisten:

Erstens: Sie müsste trotz der angespannten Haushaltslage darauf verzichten, die labile gesamtwirtschaftliche Nachfrage zusätzlich zu schwächen. Nur so kann sie verhindern, dass die wirtschaftliche Talfahrt sich weiter beschleunigt.

Zweitens muss die Qualität der öffentlichen Ausgaben gesteigert werden: weg von Subventionen und hin zu Investitionen in die Infrastruktur, in die Bildung oder in die Arbeitsmarktpolitik.

Drittens: Dabei müsste klar sein, dass Einsparungen auch für niedrige Steuern und Abgaben genutzt werden können. Nur so wird die Perspektive einer sinkenden Abgabenquote glaubwürdig.

Viertens: Es sollten alle nicht monetären Möglichkeiten genutzt werden, Unternehmer und Verbraucher zu entlasten, und zwar unter dem Stichwort: Weniger Bürokratie und mehr Wettbewerb!

(Beifall bei der DVU)

Doch Ihre prozyklische Finanzpolitik à la Heinrich Brüning mit Totspareffekt ist ebenso wie die Steuererhöhungsdebatte Ihrer Berliner Genossen das katastrophale Gegenteil davon. Die

DVU-Fraktion kündigt daher massivsten Widerstand dagegen an. Auch eine Verfassungsklage schließen wir nicht aus, sollte der derzeitige Doppelhaushalt tatsächlich verfassungswidrig sein. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Für die Koalitionsfraktionen gebe ich das Wort an Herrn Abgeordneten Klein.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde, eingebracht von der DVU-Fraktion in Form einer Schlagzeile „Brandenburg in der Schuldenfalle - Steuererhöhungen ein Irrweg”, eignet sich nicht für eine Aktuelle Stunde, sondern wäre bestenfalls ein passabler Aufmacher für die Memoiren eines für Steuererhöhungen zuständigen Finanzministers. Hier, in der Landtagssitzung, sind jedoch weder reißerische Panikmache und Miesmacherei noch Schnellschüsse ohne gesicherte Datenbasis gefragt.

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten konkrete, nachhaltig wirksame Lösungen und sie haben auch Anspruch darauf.

Dass es zu massiven Einnahmeausfällen und spürbaren, auf gesetzlichen Verpflichtungen beruhenden Mehrausgaben im Bereich Soziales bzw. Versorgung kommen würde, zeichnete sich im Grunde bereits vor der Sommerpause ab. Dementsprechend verhängte die Finanzministerin sofort eine erste Haushaltssperre. Nachdem sich im September die Größenordnung der Unterdeckung des derzeitigen Haushaltes konkreter eingrenzen ließ, verschärfte die Finanzministerin die Haushaltssperre wiederum unverzüglich.

Einigermaßen verlässlich ist die Datenbasis allerdings erst nach Vorliegen der November-Steuerschätzung bzw. nach deren Regionalisierung Mitte November. Aus genau diesem Grunde hat die Landesregierung einen Gutachterauftrag vergeben, um einen Vergleich der Ausgaben Brandenburgs mit denen anderer Flächenländer zu erhalten.

Trotzdem wird die Ministerin der Finanzen bereits am nächsten Dienstag ihre Vorlage für den Nachtragshaushalt 2002 ins Kabinett einbringen. Die Zuleitung an den Landtag gemäß § 40 Satz 1 der Geschäftsordnung des Landtages ist für den 30.10.2002 vorgesehen. Der dem Landtag zugeleitete Entwurf ist nach Vorliegen der November-Steuerschätzung dann gegebenenfalls entsprechend fortzuschreiben. Die 1. Lesung ist für den 13./14.11.2002 vorgesehen, die 2. und 3. Lesung sollen am 18./19.12.2002 erfolgen.

Etwa zeitgleich wird sich die Strategiediskussion zum Nachtragshaushalt 2003 konkretisieren. Dieser Haushalt kann seriöserweise erst nach Vorliegen der Mai-Steuerschätzung verabschiedet werden. Damit besteht im I. Quartal 2003 nach fundierter Abstimmung innerhalb der Koalition ausreichend Zeit für die Einbringung ins Kabinett. - Ich danke Ihnen sehr für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Klein, und gebe das Wort an die Fraktion der PDS. Herr Abgeordneter Vietze, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hat nicht die Absicht, sich an einer von der DVU-Fraktion initiierten Diskussion zur Haushaltssituation im Land Brandenburg zu beteiligen. Dafür ist die Situation in Brandenburg viel zu ernst, um das auf diesem Niveau hier zu tun. Die PDS-Fraktion sieht sich aber in der Pflicht, Regierung und Abgeordnete von SPD und CDU und auch die demokratische Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass dieser Antrag der DVUFraktion auf das ignorante und oberflächliche Agieren von Regierung und Regierungskoalition zurückzuführen ist.

(Beifall bei der PDS)

Ignorant deshalb, weil Regierung und Regierungskoalition sachliche Anträge als Reaktion auf sich abzeichnende komplizierte Haushaltssituationen - Sie erinnern sich an die Juni-Debatte abgelehnt haben wegen fehlender Übersicht, wegen fehlenden Realitätssinns und ausgeprägter Konzeptionslosigkeit. Ich erinnere an oben genannte Debatte, meine Damen und Herren.

Herr Lunacek sagte:

„Brandenburg hat im Jahr 2002 voraussichtlich 244 Millionen Euro und im Jahre 2003 187 Millionen Euro Mindereinnahmen zu verkraften. Die Ursache dafür liegt“

- hören Sie, vor allem die Kollegen der CDU, zu! -

„im schlechten Wirtschaftswachstum von minus 0,6 %. Das ist die letzte Stelle in der Europäischen Union... Die PDS will nun einen Nachtragshaushalt. Wir halten diesen Nachtragshaushalt... für nicht notwendig und lehnen deshalb den Antrag ab.“

Herr Bischoff, SPD, war so freundlich, Ihnen kräftig in die Seite zu treten, indem er sagte: Wenn wir

„einen Nachtragshaushalt für 2002 im Oktober dieses Jahres beschließen, dann hätten wir mit Beschluss im Oktober noch exakt zehn Wochen Zeit. Binnen zehn Wochen also - bis zum Jahresende - soll um über 300 Millionen Euro gekürzt werden. Das ist wenig realistisch und birgt auch die Gefahr weiterer Schulden.“

Die Finanzministerin war so freundlich, das abzurunden:

„Ich möchte nicht, dass wir, wenn wir den Nachtragshaushalt 2002 im Oktober dieses Jahres beschließen würden, hintenherum und durch die kalte Küche zu einer höheren Nettokreditaufnahme kommen.”

Es ist alles sehr schön anzuhören. Aber womit haben wir es jetzt zu tun, meine Damen und Herren? Das „kluge, engagierte Wirken” einer neuen Regierung unter Matthias Platzeck hat es in fünf Monaten immerhin geschafft, das von Herrn Lunacek auf 244 Millionen Euro geschätzte Minus auf nunmehr 755 Millio

nen Euro zu bringen. Das ist eine Verdreifachung des Haushaltsdefizits, das ist gigantisch für einen Zeitraum, in dem man es nicht einmal für nötig hielt, hier eine Regierungserklärung abzugeben.

(Beifall bei der PDS)

Eine ganz persönliche Bemerkung: Herr Schönbohm, tun Sie uns einen Gefallen. Sie haben sich hier in hohem Maße engagiert, sich mit eingebracht, haben die Halbzeitbilanz gezogen dies liegt gerade einige Monate zurück - und gefeiert, wie erfolgreich Sie waren.

Erfolgreich waren Sie bei der Konsolidierung des Haushalts und nun stellen auch Sie fest: Schonungslose Bestandsaufnahme, Kurswechsel! Selbst Neuwahlen schließen Sie nicht aus. Beenden Sie dieses Theater der Selbstentwürdigung und gegenseitigen Vorhaltungen hier in Brandenburg! Das haben Brandenburg und seine Bürgerinnen und Bürger nicht verdient. Reagieren Sie so, wie wir es von Ihnen, wie es die Bürgerinnen und Bürger des Landes erwarten, nämlich so, wie jene reagieren müssen, die regieren.

Die Forderungen der PDS-Fraktion sind sehr übersichtlich. Erstens: Der Ministerpräsident besinnt sich auf seine Verantwortung und die ihm mit der Brandenburger Verfassung gegebene Richtlinienkompetenz und erklärt nun, nachdem bereits ein Fünftel seiner Regierungszeit vorüber ist, was er den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes an Zukunftsfähigkeit und zur Konsolidierung des Haushaltes mit dieser seiner Regierung anbieten will.

(Beifall bei der PDS - Zuruf des Abgeordneten Homeyer [CDU])

Es ist höchste Zeit, dass er dieser Pflicht nachkommt.

Zweitens: Die Fraktion erwartet, dass die Abgeordneten der Koalition gegenüber der Landesregierung gleichfalls eine Erwartungshaltung haben, nämlich die, dass das heute in der Fragestunde angesprochene Konzept zur mittelfristigen Lösung der Haushaltsprobleme - die Regierung hat ja ein solches Konzept den Abgeordneten vorgelegt wird und wir dazu eine demokratische Aussprache führen. Vielleicht ist es auch möglich, das nicht nur im Koalitionsausschuss zu tun, sondern im Zuge einer mittelfristigen Konfliktlösung, die ja ansteht, alle in diese Debatte einzubeziehen.

Drittens: Die Landesregierung legt den Nachtragshaushalt für das Jahr 2002 zügig vor. Nicht, wie im Sommer einmal gefordert, im Oktober - jetzt bekommen wir ihn vielleicht im November, wir beschließen im Dezember, vielleicht auch zu Beginn des neuen Jahres. Das gerade spricht für fehlenden Realitätssinn dieser Regierung. Deswegen: Beeilen Sie sich, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der PDS)

Zum Abschluss darf ich mir noch Folgendes zu sagen gestatten: Herr Meyer war so freundlich, eine Bemerkung zu den Materialien, zu den Plänen zu machen. Ich kann ihm nur zustimmen; er hat nämlich Recht. Wenn den Plänen aus den vergangenen Jahrzehnten und den jetzigen Plänen etwas gemein ist, dann dies:

Sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen, und haben nur einen stabilen Platz: den Papierkorb. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Vietze. - Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Rednerliste. Die Landesregierung verzichtet auf einen Beitrag hierzu.