Protokoll der Sitzung vom 09.10.2002

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres

Drucksache 3/4910

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der PDS-Fraktion. Frau Kaiser-Nicht, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich braucht die Landesregierung dringend Erfolgsmeldungen, vor allem solche über die Bekämpfung von angeblich islamistischen Terroristen. Die vorjährige Aufstockung des Etats und der Zahl der Stellen für LKA und Verfassungsschutz müssen nun langsam einmal gerechtfertigt werden.

Die Meldungen der letzten Tage klingen nach. In konzertierter Aktion mit dem Bund gab es Durchsuchungen in Cottbus. Zunächst wurde Erfolg vermeldet, wurden Leute festgenommen oder suspendiert. Dann folgte kleinlaut: Der Verdacht hat sich nicht bestätigt. Weder wurde ein terroristischer Anschlag vorbereitet, noch fand man eine kriminelle Vereinigung vor. Zum Glück!

Das Unglück aber ist: Durch hektisches Regierungshandeln wurde erneut Unsicherheit geschürt. Marktschreierische Veröffentlichungen ohne gesicherte Erkenntnisse bedienten ein Klima der Angst. Menschen ausländischer Herkunft wurden vorverurteilt und diskreditiert. Auf wen auch immer am Ende die Schuld geschoben wird: Diese Aktion ist ein weiterer politischer Skandal, und zwar auch auf dem Konto des Innenministers,

(Beifall bei der PDS)

und ist das beste Argument zur Ablehnung des vorliegenden Gesetzentwurfs; denn auch er liegt auf der Linie: Erst einmal gilt jeder als verdächtig, auch wer sich nichts zuschulden kommen ließ.

Sicherheitshalber, insbesondere zur Sicherheit ausgewählter Kollegen und Minister der CDU, sei an dieser Stelle erneut betont: Terrorismus als potenzierte Gewalt lehnen die Mitglieder der PDS-Fraktion ab.

(Beifall bei der PDS)

Egal, in welcher Form, durch wen geplant und ausgeübt dieser auch immer auftreten sollte - es gibt für Terrorismus keine Rechtfertigung.

Politik muss heute nach präventiv ausgerichteten, nachhaltigen Lösungen einer offenen, pluralistischen Gesellschaft suchen. Weder das Terrorismusbekämpfungsgesetz selbst noch seine vorliegende Weiterführung im Landesrecht werden diesem Anspruch gerecht. Herr Minister, Sie betreiben Krisenmanagement. Ihre Politik der inneren Sicherheit belegt und bewirkt nur innere Unsicherheit. Sie ist weit entfernt von Strategien, welche gegen den Terrorismus außerdem einen zivilen politischen Weg eröffneten, zum Beispiel eine veränderte Außen- und Entwicklungspolitik oder den Dialog der Kulturen und der Religionen.

Sie suggerieren: Mit umfassender Kontrolle und mehr Kompetenzen für den Verfassungsschutz lebten wir sicherer. Das ist angesichts unserer komplexen und immer verletzbaren Gesellschaft zumindest leichtfertig. „Falsche Verheißungen“ nennt das der Innenpolitikchef der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl. Er bekräftigt auch in seinem neuesten Buch mit dem Titel „Verdächtig“, dass die staatlichen Reaktionen auf den Terror die Grundrechte und Freiheiten unverhältnismäßig stark beschädigen. Hier setzt die grundsätzliche Kritik meiner Fraktion an. Der Weg in den so genannten präventiven Sicherheitsstaat ist gekennzeichnet durch eine Ausweitung der Rechte von Geheimdiensten und nachrichtendienstlicher Methoden auch bei der Polizei. Stichworte: verdeckte Ermittler, V-Leute, Lauschund Spähangriffe.

Auch die soziale Kontrolle, die Kontrolldichte in der Informationsgesellschaft, nimmt zu. Stichworte: Telekommunikationsüberwachung, Schleierfahndung, Videoüberwachung, Großer Lauschangriff, Gendateien.

Dieser Sicherheitsstaat bedient sich intensivierter Ausländerüberwachung und erleichterter Abschiebungen sowie der Ausgrenzung sozialer Minderheiten. Beispiellos im Umfang mit überzogenen Maßnahmen und überhöhtem Tempo ist und bleibt die so genannte Antiterrorgesetzgebung.

Es gab und gibt vor den Gesetzesbeschlüssen keine gründliche Analyse vorhandener Regelungs- oder Vollzugsdefizite. Man wird doch fragen dürfen: Welche Ergebnisse brachte denn die Sicherheitsgesetzgebung im Bund nach 1977? Haben strengere Gesetze seit damals bis heute tatsächlich zu einer effektiveren Strafverfolgung geführt?

Mit dem heutigen Beschluss wird der brandenburgische Verfassungsschutz auch gesetzesoffiziell Informationen sammeln dürfen über alles, was gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet ist, wobei der Verfassungsschutz das im Übrigen jetzt schon macht. So genannter Ausländerextremismus fällt schon jetzt in diese Kategorie und war immer schon Gegenstand der Verfassungsschutzberichte. Das fast gleich lautende, bereits geltende Gesetz auf Bundesebene verhinderte übrigens nicht die eingangs geschilderte Ermittlungspanne. Lediglich diese Aufgabenerweiterung in § 3 Abs. 1 müsste, dem Bundesgesetz folgend, zwingend übernommen werden; alles andere nicht.

Weiter gehend als der Bund und andere Länder sollen in Brandenburg künftig unter anderem Behörden, Betriebe und Einrichtungen des Landes von sich aus entsprechende Verdachtsmomente und Daten übermitteln. Wie darf man sich das vorstellen? Etwa im Umfang und nach den Kriterien der noch lau

fenden Rasterfahndung? Abgeordnete der CDU empfehlen ja schon, dass sich die Uni Cottbus ihre ausländischen Studenten einmal genau ansehen möge.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Anhörung zu dem Gesetzentwurf machten die Abgeordneten der CDU und der SPD zur Farce. Die Fragen und die Zweifel des Landesdatenschutzbeauftragten Dr. Dix schlugen sie in den Wind. Er sagte: Sollte die Ausweitung der Kontrollrechte der G10-Kommission etwas bringen, dann müsste diese Kommission auch mit mehr materieller und fachlicher Kapazität ausgestattet sein.

Frau Abgeordnete, Sie müssen nicht irgendwann, sondern jetzt zum Schluss kommen.

Genannt seien auch die Frage nach der eigenständigen Evaluierung des Gesetzes nach fünf Jahren oder die Berichtspflicht der Landesregierung vor der PKK. Nichts konnten Sie übernehmen. Durchwinken statt Nachdenken war angesagt.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Gesetzentwurf macht das Land kein bisschen sicherer. Aus den genannten Gründen lehnt die PDS-Fraktion den Gesetzentwurf ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Bochow.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf reagiert die Landesregierung auf eine geänderte Gesetzeslage im Bund. Die geänderte Rechtslage auf Bundesebene erfordert sowohl rechtstechnisch als auch sachlich eine Anpassung der Rechtslage auf Landesebene. Der Landtag Brandenburg befindet demgemäß heute über die Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes sowie über die Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz. Dies ist der technische Aspekt des vorliegenden Gesetzentwurfs. Dahinter verbirgt sich jedoch ein politischer Fragenkomplex, dessen Behandlung viel Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein erfordert.

Die heutigen Gesellschaften müssen sich mit einer neuartigen Bedrohungslage auseinander setzen. Das heißt, die politische Weltkarte ist unübersichtlicher geworden, die Zahl und die Intensität von Konflikten sind nach wie vor groß und die technischen Möglichkeiten haben sich ausgeweitet. Das stellt neue Anforderungen an die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung - bekanntlich eine der traditionellen Aufgaben des Staates. Dieser Verantwortung kann sich kein demokratischer Staat der Welt auf Dauer entziehen.

Die vom Bundesinnenminister initiierten Gesetzesänderungen

auf Bundesebene haben dementsprechend die richtigen Konsequenzen aus den Erfahrungen des 11. September gezogen. Die Aufgaben und die Befugnisse des brandenburgischen Verfassungsschutzes werden in angemessener Weise angepasst. Die Orientierung an der Bundesbehörde ist ebenso offensichtlich wie richtig.

Ein anderer Schwerpunkt des vorliegenden Gesetzentwurfs liegt in der Sicherung einer hinreichenden parlamentarischen Kontrolle von Verfassungsschutzaktivitäten. Die Bedeutung dieses Aspekts kann kaum überschätzt werden. Der Verfassungsschutz ist infolge des ihm erteilten Auftrags ein Instrument des Rechtsstaates. Dass der Verfassungsschutz in der Praxis auch ein Instrument des Rechtsstaates ist, muss durch das Parlament gewährleistet werden; denn das Parlament ist nicht nur Gesetzgeber, sondern auch Kontrollinstanz. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt in der Praxis durch die G10-Kommission. Auch unter diesem Aspekt genügt der vorliegende Entwurf den Ansprüchen. Die Rechte der G10-Kommission wurden in einer Art und Weise angepasst, die eine lückenlose Kontrolle ermöglichen soll, eine Kontrolle von der Erhebung bis zur Verwertung der Daten.

Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt eingehen. Eine neue Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden ist die Beobachtung von Bestrebungen, die gegen die Völkerverständigung gerichtet sind. Diese Vorgabe des Bundesverfassungsschutzgesetzes kann die Landesgesetzgebung nicht ignorieren, sie will es auch nicht. In den Ausschussberatungen hatte die PDS jedoch geltend gemacht, dass nicht jede gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtete Bestrebung bereits einen Eingriff in die Grundrechte rechtfertige. Vielmehr müsse dafür auch die innere Sicherheit des Landes Brandenburg erheblich gefährdet sein. Mit diesem Ansinnen konnte sich die PDS gegen die breite Ausschussmehrheit jedoch zu Recht nicht durchsetzen. Nur weil man im Ausschuss für Inneres in Brandenburg mitarbeitet, Frau Kaiser-Nicht, darf man den Blick für die Zusammenhänge nicht verlieren.

Die PDS schadete mit dieser Forderung nicht nur dem Anliegen der Völkerverständigung,

(Oh! bei der PDS)

sie schadete auch ihrer eigenen Glaubwürdigkeit. Ob Sie „Oh!“ sagen oder nicht, beeindruckt mich herzlich wenig.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Denn wenn es darum geht, Maßnahmen zu ergreifen, die zwar nicht nur, aber eben auch Maßnahmen zur Friedenssicherung sind, dann werden die Genossen von der PDS der Verantwortung, die sie nun einmal auch als Angehörige einer Oppositionspartei tragen, nicht gerecht. Da es zu diesem Punkt im Ausschuss für Inneres heftige Auseinandersetzungen gab, muss es an dieser Stelle auch einmal so deutlich gesagt werden.

Festzuhalten ist: Der vorliegende Gesetzentwurf ist als sachgerecht anzusehen und wir werden ihm so, wie er vorgelegt wurde, zustimmen. - Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die DVU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Claus.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die neue Dimension des Terrorismus hat den Bundesgesetzgeber veranlasst, eine Reihe von Gesetzen mit Wirkung vom 1. Januar 2002 zu ändern bzw. zu ergänzen. Die Benutzung voll getankter Großflugzeuge als Raketen gegen Wolkenkratzer hat weltweit die Sicherheitsbehörden alarmiert. Wenn sich organisierter, religiöser und politisch motivierter Fanatismus mit der technisch-physikalischen Energie verbindet, dann entsteht eine fürchterliche Potenzierung der Zerstörungskraft. Nun stellt sich aber die Frage, ob durch die neuen Sicherheitsgesetze die wesentlichen Prinzipien des Rechtsstaates ausgehebelt werden. Wenn ja, dann würde man den Terroristen geradewegs in die Hände spielen.

Der Bund hat im Eiltempo ein Gesetz verabschiedet, das wie kein anderes zuvor in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Prof. Erhard Denninger machte in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschehen“ deutlich, dass Teile des Gesetzes die Kompetenznormen der Artikel 73 Nr. 10 b und 10 c des Grundgesetzes verletzen.

Weil das Bundesgesetz schwerwiegende Verfassungsverstöße vorweist, kann die DVU-Fraktion das Ausführungsgesetz für das Land Brandenburg nicht mittragen. Die DVU-Fraktion setzt auf eine bessere finanzielle, personelle und technische Ausstattung der Sicherheitsbehörden.

Wer dem Bürger durch die Verschärfung der Gesetze mehr Sicherheit vorgaukelt, ist auf dem Irrweg. Es muss Ihnen doch klar sein, meine Damen und Herren, dass Sie mit Ihrer Einwanderungspolitik auch Terroristen ins Land holen. Der große Schwindel ist doch, dass Sie den Bürgerinnen und Bürgern mehr Sicherheit nur vorgaukeln.

Der verbrecherische Terrorist, der gezielt und planmäßig unter Opferung seines eigenen Lebens aus Fanatismus menschenverachtende Mordtaten verübt, lässt sich durch die neuen Gesetze nicht abhalten. Der verheißungsvolle Zugewinn an Sicherheit durch den Staat wird mit einem signifikanten Verlust an Sicherheit vom Staat, also von Freiheit, bezahlt.

Die „Berliner Zeitung“, meine Damen und Herren, schreibt von einer großen Grundgesetzreform. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie verabschieden sich vom freiheitlichen Rechtsstaat mit seinen liberalen Verfassungsideen.

Die DVU-Fraktion hat ihre ablehnende Position schon während der 1. Lesung erklärt. Ich sage es Ihnen heute noch einmal: Das Land läuft Gefahr, dass der Rechtsstaat und damit zugleich die eigene Verfassung durch weitere Formen der Überwachung durch die staatlichen Organe immer mehr ausgehöhlt werden.

Wenn die Bürger aufgrund immer neuer Ausforschungsmethoden zunehmend verunsichert werden, dann werden die weltweiten unterschiedlichen Formen des Terrorismus tatsächlich ein für sie wichtiges Ziel erreichen, nämlich die Zerschlagung

rechtsstaatlicher, demokratischer Systeme. Ein Überwachungsstaat wäre das Ende und würde auch nicht erfolgreich den Terrorismus bekämpfen. Terroristen kennen weder einschränkende noch rechtliche oder moralische Grenzen. Gewollt ist die Zerstörung der Widersacher, die Beseitigung der bisherigen Werteordnung, die durch eine neue ersetzt werden soll.

Die Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren, ist mit dem RAF-Terrorismus fertig geworden, ohne dass Grundrechte in schwerwiegender Weise eingeschränkt wurden. Überall in der Welt gibt es Konfliktherde, die immer neue Terroristen erzeugen, und die Ursachen werden zum Tabu erklärt. Dabei weiß jeder Kriminalist, dass man erst die Ursachen bekämpfen muss, wenn man den Sumpf des Verbrechens austrocknen will.

Die DVU-Fraktion wird kein Gesetz mittragen, das den Rechtsstaat aushöhlt und damit die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger schrittweise beseitigt. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)