Protokoll der Sitzung vom 09.10.2002

(Allgemeine Heiterkeit - Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Bisky [PDS])

Ich möchte doch, dass Sie mich verstehen, Herr Fraktionsvorsitzender Bisky, und zwar nicht nur akustisch, sondern auch inhaltlich. Deshalb habe ich kurz innegehalten.

Meine Herrschaften, wenn Sie auf der Bühne Ihrer Technik nicht mächtig sind, dann verzichten Sie doch darauf. Ich bitte Sie herzlich, darauf zu verzichten.

Als Konsequenz der bisherigen Diskussion und der Freiwilligkeitsphase haben wir im Innenministerium mehr als 300 Neugliederungsverträge genehmigt. Daran waren insgesamt 940 Gemeinden beteiligt. Selbst in diesen Tagen werden noch einzelne Genehmigungsanträge von Gemeinden, die sich spät entschieden haben, vorgelegt. Wir werden in diesen Fällen im Innenausschuss gemeinsam zu prüfen haben, wo anstelle gesetzlicher Regelungen noch Genehmigungen erteilt werden können.

Ich kann Ihnen versichern: Die damit verbundene Arbeit ging nicht leicht von der Hand. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Innenministeriums haben über Monate weit über die Regel

arbeitszeit hinaus und auch an den Wochenenden gearbeitet und in den Abendstunden Gespräche vor Ort geführt. Sie haben Verträge geprüft und dann die Kommunen vor Ort beraten. Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen, die daran mitgewirkt haben, recht herzlich dafür danken, dass sie diesen Kraftakt bewältigt haben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich möchte auch den Vertragspartnern in den Kommunen meinen Dank aussprechen. Auch sie standen vor großen Herausforderungen, haben intensive Diskussionen geführt und sind häufig doch zu sehr vernünftigen und leitlinienkonformen Ergebnissen gekommen.

Ich möchte Sie kurz daran erinnern, dass es zu dem Zeitpunkt, als die Reform startete, im Lande 1 479 Gemeinden gab, von denen 861 weniger als 500 Einwohner hatten sowie eine überwiegend schwache Leistungskraft aufwiesen. Als Ergebnis der bisherigen Aktivitäten im Land wird sich die Gesamtzahl der Gemeinden auf unter 750 reduzieren. Die Freiwilligkeitsphase hat also einen gewaltigen Schritt nach vorn gebracht.

Nunmehr geht es darum, wie wir mit den Bereichen umgehen, von denen wir der Auffassung sind, dass die Leistungsfähigkeit nicht erreicht ist. Es gibt noch immer 250 Kleinstgemeinden mit geringer Leistungsfähigkeit, die durch sinnvolle Gliederung in ihren Strukturen gestärkt werden müssen. In der Kontinuität von Freiwilligkeitsphase und gesetzlicher Neugliederung wird die Reform mit den vorliegenden und noch folgenden Gesetzentwürfen nach einheitlichen Kriterien landesweit, aber unter individueller Berücksichtigung, zu einem erfolgreichen Abschluss geführt. Dieser notwendige Abschluss der Reform für die Gemeinden, in denen leitliniengerechte Strukturen in der Freiwilligkeitsphase nicht erreicht werden konnten, ergibt sich aus der Gesamtverantwortung für die Entwicklung der Gemeinden unseres Landes. Dieser abschließende Schritt ist ein notwendiger und verfassungsrechtlich oft bestätigter Teil der Gemeindestrukturreform in ihrer Gesamtheit.

Mit den heute vorliegenden ersten Gesetzentwürfen wird die Eingliederung der Gemeinden Gollwitz und Wust in die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel geregelt.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Wie?)

- Gollwitz und Wust. - Sie haben darum gebeten, alle Gesetzentwürfe einzeln zu erörtern. Deshalb gehe ich jetzt kurz auf diesen Gesetzentwurf ein.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Ja genau! Das ist sehr ver- nünftig!)

Insbesondere die vorgesehene Eingliederung in die kreisfreien Städte, mit der auch eine Änderung der jeweiligen Kreisgrenze verbunden ist, wurde bisher in der öffentlichen Diskussion mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Im Fall der Stadt Brandenburg an der Havel hat sich Gollwitz für die Eingliederung entschieden und darüber mit der Stadt einen Vertrag vereinbart, den das Ministerium noch nicht genehmigen konnte, weil der Landkreis Potsdam-Mittelmark seine Zustimmung verweigerte.

Die noch enger mit Brandenburg verbundene Gemeinde Wust,

deren wirtschaftliche Entwicklung vor allem aus der unmittelbaren Nachbarschaft mit der kreisfreien Stadt resultiert, wollte einen anderen Weg gehen. Aus Gründen des Gemeinwohls schlagen wir jedoch auch für diese Gemeinde die Eingliederung in die Stadt Brandenburg an der Havel vor.

Seit Mai dieses Jahres wurde eine umfassende Anhörung der Gemeinden und Einwohner zu den Neugliederungsvorschlägen des Innenministeriums durchgeführt. Zu einer Änderung der Neugliederungsabsicht führte diese Anhörung nicht.

Meine Damen und Herren, mehr als bei anderen Gesetzesvorhaben werden Sie in den folgenden Wochen in den Wahlkreisen und bei Anhörungen im Landtag auf unterschiedliche Auffassungen stoßen, die mit unterschiedlicher Intensität und vor allem auch mit hoher Emotionalität vertreten werden. Es geht aber um die Frage, wie wir unser Gemeinwohl definieren. Daher meine ich, dass wir dieses wichtige Reformvorhaben für unser Land gemeinsam zu Ende bringen müssen. Mit der Überweisung dieses Gesetzentwurfs an den Innenausschuss weisen wir den Kollegen ein hohes Maß an Arbeit zu. Sie haben sich viele Anhörungen vorgenommen. Ich bedanke mich schon jetzt bei den Mitgliedern des Innenausschusses dafür, dass sie bereit sind, diese Aufgabe zu stemmen und voranzutreiben. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat nun die PDS-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Sarrach.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gemeindegebietsreform tritt in der Tat in eine neue Phase ein. Sie haben - das bedauere ich sehr - als SPD/CDU-Regierung die ersten vier Gesetzentwürfe zur zwangsweisen Neugliederung des Gebiets von mehr als 100 Gemeinden in den Landtag eingebracht und noch zwei weitere Gesetzesvorhaben für Regelungen in den verbleibenden elf Landkreisen angekündigt.

Bereits auf dem Deckblatt vermerken Sie unter A - Problemstellung -, dass in der so genannten Freiwilligkeitsphase nicht alle erforderlichen Gebietsänderungen durch eigenbestimmte vertragliche Regelungen erreicht worden seien und dass es deshalb für den erfolgreichen Abschluss der Gemeindegebietsreform in Brandenburg gesetzgeberischer Regelungen bedürfe. Hinter dieser Ihre von oben verordnete Reform doch sehr verniedlichende Formulierung verbirgt sich aber, dass es nur dann zu solchen gesetzgeberischen Regelungen gegen den Willen der betroffenen Gemeinden kommen kann, wenn Sie auch weiterhin erstens den Bürgerwillen unzureichend berücksichtigen, zweitens Stellungnahmen und Einwendungen von kommunalen Mandatsträgern und Einwohnern sowohl zu den allgemeinen als auch zu den konkreten gesetzlichen Regelungen als unbeachtlich wegwischen, drittens selbst verfassungsrechtliche Einwendungen ignorieren und viertens nur pro forma abwägen, weil Sie tatsächlich eine starre Neugliederungsschablone auf das Land legen. Das sind jedenfalls die Erfahrungswerte aus den vergangenen zwei Jahren Umgang mit dem Innenministerium, die ich mit Hunderten Bürgermeistern, Gemeindevertretern und Mitgliedern von Bürgerinitiativen teile.

Für die PDS-Fraktion erkläre ich ausdrücklich, dass wir das Ergebnis des jeweiligen Abwägungsverfahrens in allen Neugliederungseinzelfällen heute nicht schon vorwegnehmen können und wollen. Es muss offen bleiben, zu welchem Abwägungsergebnis der Landtag jeweils kommt. Denn die Landesregierung unterbreitet mit diesen Gesetzentwürfen nur einen Vorschlag von mehreren denkbaren.

Wenn sichergestellt ist, dass sich der Gesetzgeber - wie es das Bundesverfassungsgericht feststellte - über die tatsächlichen Grundlagen seiner Abwägung aufgrund verlässlicher Quellen ein eigenes Bild verschaffen konnte, wird der Landtag in der Lage sein, im Einzelfall die Gründe des öffentlichen Wohls für eine gesetzliche Regelung mit den Interessen der Gemeinden an ihrem selbstständigen Fortbestand sachgerecht abzuwägen, ohne dabei an gewählte Grundsätze eines Leitbilds und von Leitlinien im Sinne der Systemgerechtigkeit starr gebunden zu sein. Die PDS-Fraktion formuliert deshalb folgende Anforderungen an die jetzt zu leistende parlamentarische Behandlung der Gesetzentwürfe:

Erstens: Der Sachverhalt jedes Neugliederungsvorschlages ist einmalig und daher mit seinen jeweiligen Besonderheiten für die Abwägung gesondert aufzubereiten und einzeln zu behandeln. Um die relevanten Einzelgesichtspunkte jedes Gesetzentwurfs betonen zu können, hat die PDS-Fraktion bereits für die heutige Tagesordnung darauf gedrungen, dass die ersten vier Gesetzentwürfe nicht im Paket behandelt werden. Für die Beratung im Ausschuss für Inneres heißt dies, dass zu jedem Neugliederungsvorschlag eine Anhörung von Vertretern der betroffenen Kommunen, der Ämter bzw. amtsfreien Gemeinden und gegebenenfalls des Landkreises erfolgen muss.

Zweitens: Die Kommunen haben einen Anspruch auf ein willkürfreies, sachgerechtes, formell und materiell verfassungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren, das die Auffassungen der betroffenen Gemeinden achtet und in die Abwägung einbezieht. Dabei muss sich der Ausschuss selbst ein Bild von den im Rahmen der Anhörung der Bevölkerung eingegangenen Stellungnahmen machen können und darf sich nicht auf die bereits gefilterte und aufbereitete Darstellung der abwägungsrelevanten Tatsachen im Gesetzentwurf verlassen. Hierfür sind die notwendigen organisatorischen Maßnahmen zu treffen.

Drittens: Es muss auch tatsächlich eine Abwägung in dem Sinne stattfinden, dass die im Streit stehenden Positionen des Gemeinwohls und des Erhalts der kommunalen Selbstständigkeit in einen gerechten Ausgleich gebracht werden, bei dem keine Position von vornherein verdrängt wird und bei dem die Wertigkeit dieser Positionen miteinander verglichen werden kann. Freilich darf sich dann der Vorschlag für die Abwägung wie hier für die Eingemeindung von Wust und Gollwitz in die Stadt Brandenburg nicht nur als Auflistung aller die Eingemeindung begründenden relevanten und irrelevanten Angaben lesen, ohne selbst abwägend zu sein.

Was wird, auf den rationalen Kern reduziert, bezweckt? Die Stadt Brandenburg möchte sich gern die Gemeinde Wust einverleiben, weil dort ein Einkaufszentrum überdurchschnittlicher Größe entsprechende Steuereinnahmen garantiert. Zu diesem Zwecke bedient man sich der nach Brandenburg/Havel strebenden Gemeinde Gollwitz als Vehikel, die durch die Havel von Brandenburg/Havel getrennt ist. Obiter Dictum: im Falle von

Werder und Golm hindert ein Gewässer die Verflechtung. Die Eingemeindung von Gollwitz soll die dazwischen liegende Gemarkung Wust mitziehen, wodurch die Verwaltungskraft des bisherigen Amtes Emster-Havel entgegen der Gemeindeordnung so geschwächt wird, dass auf den Trümmern dieses Amtes und des Amtes Groß Kreutz eine Einheitsgemeinde Groß Kreutz/Emster installiert werden kann. Hierfür betreibt die Landesregierung im Gesetzentwurf einen legitimierenden Begründungsaufwand, der diesen Fakt jedoch nicht zu überdecken vermag.

Unter Betonung eines angeblich vom Leitbild gebotenen Neugliederungsvorschlages der Eingemeindung als Lösung der StadtUmland-Problematik wird zugleich unter den Tisch gekehrt, dass es noch andere Möglichkeiten der Milderung dieser Problematik gibt, die der Gesetzgeber freilich erst gar nicht bedacht hat.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Ich komme zum Schluss. - Da andere Handlungsalternativen wie der Amtserhalt hier unzulässigerweise nicht mit bedacht wurden und bereits hier die Maßgabe des Landesverfassungsgerichts zu Kreuzbruch und Quappendorf verkannt wurde, werden wir im Ausschuss weiter zu besprechen haben, ob die allein quantitative Betrachtungsweise dem Erfordernis der Abwägung hinreichend genügt. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Schippel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der PDS gewählte Verfahrensweg lässt keinen zusammenhängenden Vortrag zu. Daher werde ich mich bemühen, die aus unserer Sicht grundlegenden Dinge in vier Reden unterzubringen.

Mit den ersten vier Gesetzen zur landesweiten Gebietsreform geht der Landtag Brandenburg in die entscheidende, in die abschließende Phase einer Gemeindegebietsreform, die einen langen Diskussionsprozess und eine lange Zeit der Möglichkeit zum freiwilligen Zusammenschluss von Gemeinden abschließt. Herr Sarrach, es ist doch völlig lebensfremd - aber so sind Sie eben -, zu behaupten, man könne 100 % Freiwilligkeit für die Umsetzung einer Reform erreichen. Zeigen Sie mir mal eine solche Reform!

(Beifall bei der SPD - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Dann geht es aber nicht um Freiwilligkeit!)

- Ihre Einwände werden nicht besser, wenn Sie sie lauter vorbringen.

Der erste Gesetzentwurf betrifft zwar im Einzelnen die Eingliederung der Gemeinden Gollwitz und Wust in die kreisfreie Stadt

Brandenburg, ist allerdings gleichzeitig symptomatisch für die übrigen fünf Neugliederungsgesetze. Lassen Sie mich insofern auf den allgemeinen Teil eingehen, der eine landesweite Bedeutung hat; zum Teil wird in der Begründung auf die Zeit der Ämterbildung, auf eine Diskussion von 1996 und auf die Arbeit der Enquetekommission verwiesen. Insofern, Herr Innenminister, kann ich Ihre Aussage nicht nachvollziehen, bis 1999 sei nicht viel passiert. Wenn dem so gewesen wäre, hätte die CDU keinen Grund gehabt, ein Minderheitenvotum zum Bericht der damaligen Enquetekommission zu verfassen.

(Widerspruch bei der CDU)

Ich möchte das aufgreifen, weil es die Möglichkeit eröffnet, noch einmal die grundsätzliche Herangehensweise der SPD darzustellen. Richtigerweise wird darauf hingewiesen, dass wir diese Diskussion seit 1996 offiziell und öffentlich mit den kommunal Verantwortlichen und mit den Bürgerinnen und Bürgern führen. Aus dieser Diskussion resultierte die von uns befürwortete Enquetekommission, die sich von 1997 bis 1999 mit der Erarbeitung von Rahmenbedingungen für eine Strukturreform befasste. Dies war also eine Zeit, in der sehr wohl gearbeitet wurde.

Mit dem Ergebnis der Arbeit dieser Kommission war rechtzeitig vor den Landtagswahlen 1999 klar, dass die Brandenburger SPD-Landtagsfraktion eine Gemeindegebietsreform für richtig und wichtig hält. Das brachte uns speziell im Wahlkampf manche Verunglimpfung und manchen unsachlichen Angriff von der damaligen Opposition ein. Umso wichtiger war nach der Wahl, dass die Reform Bestandteil des Koalitionsvertrages wurde.

(Zuruf von der PDS: Ach so!)

Dadurch verlor die Reform den im Wahlkampf unterstellten bzw. ihr angedichteten parteipolitischen Charakter; sie wurde nunmehr von einer breiten Mehrheit unterstützt. Daraus abgeleitet, beauftragte der Landtag die Landesregierung dann sehr schnell nach der Wahl, am 24. November 1999, ein konkretes Konzept unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Enquetekommission zu erarbeiten. Wir alle kennen die ausführliche und aufwendige Diskussion, die besonders anlässlich von Kreiskonferenzen, Herr Innenminister Schönbohm, aber auch zu anderen Gelegenheiten geführt wurde. Dass gerade der nunmehr verantwortliche Innenminister bewusst oder unbewusst die Kritik der Reformgegner auf sich ziehen würde, war zu erwarten. Dafür, dass Sie, Herr Innenminister, dennoch unbeirrt zu Ihrer Auffassung stehen, gebührt Ihnen die Anerkennung der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Auf der Grundlage der vom Landtag zur Kenntnis genommenen Leitlinien der Landesregierung wurden von der Landesregierung dann die uns vorliegenden Gesetzentwürfe entwickelt, die uns heute nach Abschluss eines wirklich aufwendigen Anhörungsverfahrens vorliegen; Herr Sarrach, das können Sie mit anderen Ländern vergleichen.

Da die Problematik Brandenburgs und in diesem Fall der Einzelgemeinden Gollwitz und Wust viele Parallelen zu den drei nachfolgenden Gesetzentwürfen aufweisen, werde ich im Fol

genden darauf eingehen. Einstweilen empfehlen wir die Überweisung in den Innenausschuss.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)